"Das ist so eine Komm-wie-du-bist-Party"

Jim Rakete im Gespräch mit Britta Bürger |
"Dieses ganze Konzeptionelle, das liegt mir nicht so", sagt Fotograf Jim Rakete. Er versuche, die Energie von einer Begegnung "auf Film zu kriegen". Arbeiten von Jim Rakete sind derzeit in der Ausstellung "A Star is born" im Museum Folkwang zu sehen.
Britta Bürger: "A Star Is Born" – die neue Ausstellung im Museum Folkwang in Essen, ab Freitag ist sie zu sehen, ist der Anlass für ein Gespräch mit einem berühmten Musikerfotografen, Künstlerfotografen, Politikerfotografen, dem Berliner Porträtkünstler Jim Rakete. Schön, dass Sie zu uns gekommen sind, Herr Rakete, guten Morgen!

Jim Rakete: Ja, guten Morgen!

Bürger: Als Sie in den 70er-Jahren angefangen haben, Musiker zu fotografieren – von Jimi Hendrix über die Rolling Stones bis hin zu David Bowie –, als was haben Sie sich damals verstanden, als Reporter oder als Künstler?

Rakete: Also ganz klar als Chronist, und ich habe ja auch viel früher angefangen, mich in Konzerte zu schleichen. Hier im Hause, wo meine Eltern arbeiteten damals beim RIAS, ist es mir öfter gelungen, mit der technischen Besatzung in irgendein Konzert im Sportpalast zu schleichen und dann irgendwie Ray Charles zu fotografieren oder so. Ich suchte immer diese Nähe zu dieser Art von Aufbruch, die da aus der Musik auf uns runterschallte, weil man kann sich ja wirklich heute gar nicht mehr vorstellen, wie spießig Deutschland damals war in den 60ern.

Bürger: In Ihren Porträts, was versuchen Sie da zu erzählen über eine Person?

Rakete: Oh, ich würde jetzt wahnsinnig gerne lange Streifen sagen, was ich da drin sehe oder so, aber die Wahrheit ist doch, dass man Leute auf dem Absprung fotografiert, in der Hoffnung, dass sie fliegen. Also es gibt diesen Moment – Dominik Graf hat das über seine Filme immer so schön gesagt –, also wenn sich jemand aus seinem Käfig befreit und man begleitet ihn quasi, bis er im nächsten Käfig wieder drin sitzt. Das ist eigentlich die interessante Zeit. Und rätselhafterweise habe ich immer eine starke Nähe zu solchen Leuten gehabt.

Bürger: Vor Ihrer Kamera sitzen die Leute aber ja nicht im Käfig, auch da sollen sie ja eigentlich frei sein. Welchen Rahmen stellen Sie her, damit das möglich ist?

Rakete: Das ist so eine Komm-wie-du-bist-Party. Ich bin nicht so ein Stylingfotograf und ich bin auch nicht so ein Ideenaufzwinger, weil ich eigentlich so Ideeideen ein bisschen langweilig finde. Dieses ganze Konzeptionelle, das liegt mir nicht so. Ich bin eigentlich jemand, der das erzählt, was gerade da ist und die Energie von einer Begegnung versucht, irgendwie auf Film zu kriegen.

Bürger: Und doch lieben Sie es eher, wenn die Leute ungeschminkt kommen und sich so zeigen, wie sie wirklich sind, also wahrhaftig, ein wahrhaftiges Gesicht entdecken können mit der Kamera und nicht die Pose.

Rakete: Wenn ich die Wahrheit haben kann, warum soll ich dann das versteckt zeigen? Also, das erschließt sich mir nicht. Insofern mache ich das lieber so.

Bürger: Wobei die Interessen der Künstler ja wahrscheinlich von einem ganz anderen Selbstbild häufig geleitet sind als das Bild, das Sie von denen haben. Wie schaffen Sie es denn also, die Menschen von dieser Maske oder Pose auch mal zu befreien? Sie haben gerade ein großes Fotobuch vorgelegt, wo doch viele, ja, ungeschminkt und doch sehr glaubwürdig rüberkommen.

Rakete: Na, das ist ein Widerstreit, der nie aufhört. Und wenn man das ein paar Jahre durchhält, dann ist der Vorteil, dass das wie so eine selffulfilling prophecy wird, dass man dann auch so einen Ruf in die Richtung hat. Und dann sind die einen, die biegen sich davon so ein bisschen weg und umgehen das weiträumig, und die anderen wollen es wissen.

Und es gibt ja auch Kollegen von mir, die weit unhöflicher mit dem Personal umgehen. Zum Beispiel der Kollege Corbijn aus London, der ist ja eigentlich noch viel ruppiger in seiner optischen Form und legt auch gerne noch mal zehn Jahre drauf auf das eigentlich gefühlte Alter. Aber das halten die auch aus. Also wenn sie wissen, dass was dabei rauskommt, halten die das auch aus. Also am Fall von Corbijn ist es ja deutlich sichtbar.

Bürger: Unterscheiden sich Rockmusiker eigentlich vor der Kamera, jetzt im Vergleich zu Schauspielern und Politikern, die Sie ja auch porträtieren?

Rakete: Nein – also, ich finde, dass die sich nicht unterscheiden, weil alle haben ein Kommunikationsziel, und das ist Persönlichkeit. Und diese Persönlichkeit oder Glaubwürdigkeit oder ... das wird auf allen Bereichen gleich eingefordert. Und die Behauptungen, die damit verbunden wurden, sind in den vergangenen Jahrzehnten unterschiedliche gewesen. Also wenn ich mal überlege – Sie haben vorhin den Begriff selbst genannt –, der Begriff der Freiheit spielte in der Rockmusik der 60er-, 70er-Jahre eine immense Rolle, und heute spielt er gar keine Rolle mehr. Heute sind das nur noch Posen, die man sich aus irgendeiner Schublade zieht, und dieser Aufstand oder dieser Befreiungsakt ist eigentlich gar nicht mehr so spürbar wie damals. Damals war das ein way of life.

Bürger: Sie sind der analogen Fotografie mit Dunkelkammer und Wasserbad bis heute treu geblieben, Sie arbeiten gern mit einer alten, großen Plattenkamera, insofern kann man Sie sicher als einen konservativen Fotografen bezeichnen, was einem ein bisschen merkwürdig vorkommt bei all den wilden Typen, die Sie fotografiert haben. Warum halten Sie Distanz zur digitalen Fotografie?

Rakete: Im Moment hat sich die etwas verringert, die Distanz, weil die jüngsten Projekte, die ich gemacht habe, habe ich durchaus digital machen müssen, aus Kostengründen, weil eben alle Bereiche sich ökonomisieren. Und wenn man dann ein ehrgeiziges Projekt hat, wie meine jüngsten Ausstellungsprojekte, dann muss man irgendwie da sich zur Decke strecken und sagen, okay, also anders geht es halt nicht, weil in diesen Nischen gar kein Geld mehr da ist.

Aber ich halte natürlich an dem Analogen fest. Solange es noch Filme gibt, probiere ich das verzweifelt weiter, nur eben in dem Wissen, dass man da auf Zeit spielt. Das ist nicht mehr lange, das ist wahrscheinlich ... Jetzt gibt es schon die ersten Filmsorten nicht mehr und dann gibt es die Entwickler nicht mehr und irgendwann heule ich dann in meiner Entwicklerschale, und dann geht es gar nicht mehr.

Bürger: Zu Gast im Deutschlandradio Kultur ist der Fotograf Jim Rakete, einer der bedeutenden Porträtfotografen in Deutschland. Ab Freitag sind einige seiner Bilder in der neuen Ausstellung des Folkwang-Museums in Essen zu sehen – Bilder, die die Geschichte der Rockmusik mitgeschrieben haben. Hat denn die Rockmusik eigentlich so etwas wie eine ganz eigene Bildkultur hervorgebracht?

<im_58981>"A Star Is Born. Fotografie und Rock seit Elvis" NUR AUSSTELLUNGSSTART</im_58981>Rakete: Ja, unbedingt. Also erst mal ist dieses gegen den Strich Gebürstete und Freiheitsgläubige und so weiter, das hat natürlich auch so eine Ikonisierung, um die es in dieser Ausstellung geht. Da geht es ja jetzt nicht um mich und meine Arbeit oder irgend so ein Quatsch, sondern es geht ganz konkret um, was bleibt als Extrakt von diesen Persönlichkeiten, also wie viel Freiheit oder wie viel Opposition oder weiß ich nicht, wie man das nennen soll, steckte in diesen frühen Persönlichkeiten wie Janis Joplin, aber eben auch in Nina Hagen.

Und das war ein großes Versprechen, was die Leute damals gegeben haben, indem sie sich verhalten haben, wie sie sich verhalten haben, und das ist heute nicht mehr denkbar. Weil wenn Sie heute einen Popstar fragen, wie der seinen Tag beginnt, dann sagt der: sechs Uhr morgens Orangensaft, dann lese ich drei Drehbücher, dann gehe ich zum Jazzdance und 14 Uhr habe ich Lunch mit meinem Manager. Also was Spießigeres kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.

Bürger: Sie waren an der Imagefindung ja beteiligt damals als Fotograf, heute verlangt der Markt ganz andere Bilder, und das klingt dann so, als sei Ihre große Zeit eigentlich lange vorbei, aber das ist ja gar nicht der Fall. Hat die Überflutung mit bewegten Bildern – jetzt im Fernsehen, im Internet – im Grunde auch dazu geführt, dass das einzelne Bild, die einzelne Fotografie an Bedeutung gewonnen hat? Sie wird eben dann nur nicht mehr in den Zeitungen gezeigt, sondern in Galerien oder in Fotobüchern oder jetzt im Museum Folkwang.

Rakete: Ja, ich fühle mich auch ein bisschen wie Neil Young, also ich wundere mich auch, dass überhaupt sich irgendjemand noch mein Zeug anguckt. Aber es scheint eben so einen Bedarf nach Wahrheit zu geben, es scheint auch so einen Bedarf zu geben nach Substanz, also nach der Substanz, die entsteht, wenn zwei Leute sich treffen. Und das ist in der digitalen Fotografie, so, wie sie immer gemacht wird, wo alle jedes Gesicht photoshoppen, bis es aussieht wie 14, ist halt schwer zu finden. Und nach der Substanz möchte ich auch gerne noch ein bisschen weiterforschen, und insofern hört es auch nicht auf an dieser Stelle. Also keine Sorge, die Entscheidung ist vor mehreren Jahren gefallen, ich habe gesagt, ich mache das, solange ich das machen kann.

Bürger: Suchen heute andere Leute nach dieser Substanz? Sie haben ja zum Beispiel ein Projekt auch mit den Berliner Philharmonikern zu laufen.

Rakete: Also die Berliner Philharmoniker sind so ein derartiges I-Tüpfelchen in meinem Leben, dass – ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie mir die Knie gewackelt haben, als ich da vor der besten Band der Welt stand. Das sind wirklich tolle Musikerpersönlichkeiten, und ich hatte die Ehre und das Glück, die mal einzeln fotografieren zu dürfen. Das ist ja so ein bisschen das Gegenteil von dem Ensembleeindruck, den man als Besucher hat, und ich war ganz beglückt, dass ich mal selber gucken konnte, wie die sind. Also wenn man das zerlegt auf die Einzelpersönlichkeiten und dann schaut, was dahintersteckt an Arbeit und Verständnis und Solidarität auch – die müssen sich ja total aufeinander verlassen können –, dann ist man immer wieder beeindruckt von diesem Verzicht, und dieser Verzicht auf das Individuelle, was man in so einem Ensemble durchaus entwickeln könnte und was die sich einfach versagen. Das find ich ganz toll.

Bürger: Und wie haben Sie dann das doch Individuelle herausgeholt?

Rakete: Also herausgeholt weiß ich nicht. Wir hatten uns einfach vorgenommen – der Martin Hoffmann und ich –, dass wir die Beziehung von den Musikern und den Instrumenten einfach ein Stück weit rausstellen. Also die haben alle immer relativ dichte bei ihrem Gesichte haben die dann ihr jeweiliges Instrument, und der gegenseitige Respekt diesem unglaublichen Instrument gegenüber ist immer spürbar. Das ist natürlich toll, weil solche Beziehungen gibt es ja kaum.

Bürger: Die haben Sie dann wo fotografiert? Die werden ja nicht mit dem Flügel zu Ihnen ins Fotostudio gekommen sein.

Rakete: Zu meinem großen Bedauern sind sie nicht zu mir gekommen. Ich habe deshalb in Notwehr ein kleines Studio aufgebaut, ein Tageslichtstudio, in der Philharmonie, was wir jeden Tag auf- und abgebaut haben. Und dann kamen die da immer hin in ihren kleinen Zeitspalten, die sie da haben in ihrem Kalender, und haben sich mal dem ausgesetzt. Das war ziemlich toll. Es war auch gut organisiert, muss ich sagen.

Bürger: Welchen Philharmoniker haben Sie am besten getroffen?

Rakete: So was gibt es nicht. So was gibt es nicht. Ich weiß nicht, das ist ... Ich mache meine Arbeit und dann, ich werte da überhaupt nicht. Das fließt irgendwie durch meine Kamera durch. Aber wenn ich anfangen würde, zu werten, dann wäre ich in einer Diskussion mit mir selbst gefangen, dann könnte ich meinen Job nicht mehr machen.

Bürger: Wo können wir diese Bilder sehen?

Rakete: Zur Eröffnung der neuen Spielzeit in der Philharmonie selbst.

Bürger: Der Fotograf Jim Rakete. Ich danke Ihnen, dass Sie bei uns waren!

Rakete: Danke auch!

Bürger: Und ab Freitag sind einige Bilder von Jim Rakete in der neuen Ausstellung im Museum Folkwang in Essen zu sehen: A Star Is Born - Fotografie und Rock seit Elvis". In unserer Sendung "Fazit am Abend" werden wir heute nach 19 Uhr noch mal darauf eingehen – dann im Gespräch mit der Leiterin der Essener Fotosammlung.
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