"Das ist unsere Aufgabe, und das ist auch unsere Zukunft"

Stephan Detjen im Gespräch mit Nana Brink |
Qualitätsjournalismus habe dann eine Chance, wenn er nicht nur die schnelle Nachricht verbreite, meint Stephan Detjen, Chefredakteur des Deutschlandfunks. Die Berichterstattung im Fall Wulff hält er für etwas "ganz Besonderes und Ungewöhnliches".
Nana Brink: 50 Jahre ist der Deutschlandfunk alt geworden, unser Schwestersender in Köln, und dieses Jubiläum ist ein willkommener Anlass, um natürlich über den politischen Journalismus zu sprechen. Der Deutschlandfunk hat zu diesem Anlass, zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung, Experten aus aller Welt nach Köln gerufen, und das beschäftigt uns jetzt auch im Mediengespräch, und zwar mit dem Chefredakteur des Deutschlandfunks, Stephan Detjen. Schönen guten Morgen, Herr Detjen!

Stephan Detjen: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Es könnte ja keinen aktuelleren Anlass geben, die Causa Wulff hält auch den Journalismus in Atem. Was ist so besonders an diesem Fall?

Detjen: Das ist natürlich etwas ganz Besonderes und Ungewöhnliches, dass ein Bundespräsident so unter Beschuss gerät, dass er sich so einem öffentlichen Fernsehverhör stellen muss, wie wir das in der Mitte dieser Woche erlebt haben. Aber es ist auch ein Stück Medienwandel, was wir da erleben. Wenn Sie sich vorstellen, in welcher Art und Weise jetzt die "Bild"-Zeitung hier zum Vorkämpfer der Pressefreiheit in Deutschland wird, sich auf das Recht beruft, die Tonaufzeichnung zu veröffentlichen, die der Bundespräsident auf der Mailbox des "Bild"-Chefredakteurs hinterlassen hat.

Man muss sich mal erinnern: in den 80er-Jahren war es noch die "Bild"-Zeitung, die bis vor das Bundesverfassungsgericht gegen Günter Wallraff klagte, der seine heimlichen Veröffentlichungen aus der "Bild"-Redaktion, in die er sich als Hans Esser eingeschlichen hatte und veröffentlicht hat. Und heute beruft sich gerade die "Bild"-Zeitung auf die Pressefreiheit, die unter anderem im Wallraff-Urteil des Bundesverfassungsgerichts erstritten worden ist, damals gegen die "Bild"-Zeitung.

Brink: Also so ein bisschen verkehrte Welt und ein richtiger Anlass, mit dem Sie ja auch diskutieren wollen. "Der Ort des Politischen in der digitalen Medienwelt", so ist das Motto dieser internationalen Konferenz. Warum dieses Motto?

Detjen: ... , weil sich der Ort oder die Orte des Politischen verändern. Wir beschäftigen uns ganz grundsätzlich mit der Frage, wie funktioniert eigentlich Politik im 21. Jahrhundert, im Zeitalter von Globalisierung, von Digitalisierung. Und wir erinnern uns daran, dass Politik ja ganz ursprünglich etwas mit Orten zu tun hat, mit der Polis, mit dem Stadtstaat. Da sind am Ort Beziehungsgeflechte entstanden, die dann zu der Politik geführt haben, sich in die Politik ausgeprägt haben, wie wir sie bis heute leben. Aber wie funktioniert das eigentlich in einer Welt, die im wahrsten Sinne des Wortes immer ortloser wird, in der nationale Grenzen, Verfassungsgrenzen immer weniger eine Rolle spielen, in der Kommunikation, wenn wir gerade das Internet anschauen, im wahrsten Sinne des Wortes ortlos geworden ist, weltumfassend geworden ist. Das alles sind die Beobachtungen, die uns dazu veranlasst haben, die Frage aufzuwerfen, wo ist eigentlich heute der Ort des Politischen, wo finden wir ihn, und das alles in der Annahme, dass wir mit unserem Medium selbst ein Ort des Politischen, ein Ort des politischen Gesprächs und Diskurses sind.

Brink: Plaudern Sie doch mal ein bisschen aus Ihrer Praxis. Wie hat sich denn die Berichterstattung verändert?

Detjen: Sie verändert sich immer wieder. Der Deutschlandfunk ist in den 70er-, 80er-Jahren sehr stark als politisches Medium geprägt worden. Damals war Bonn der Regierungssitz, keine halbe Autofahrstunde hier von unserem Funkhaus im Süden Kölns entfernt. Das ist heute ganz anders. Berlin, die Berliner Republik hat Politik verändert. Wenn wir die weltumspannende Finanzkrise, wenn wir die europäische Schuldenkrise anschauen, dann sehen wir, wie da ganz andere Akteure auftreten, wie da ganz andere Mächte in Erscheinung treten, auf den Wirtschaftsmärkten, auf den Finanzmärkten, die wir mit dem klassischen Instrumentarium des politischen Journalismus so gar nicht mehr in den Griff bekommen und wo wir uns immer wieder die Frage stellen, wie können wir das eigentlich vermitteln, wie können wir das als politische Journalisten erklären. Das sind die Herausforderungen und auch die Wandlungsprozesse, die wir hier als politisches Medium jeden Tag mit begleiten.

Brink: Es gibt ja einen Trend zur Berichterstattung a la Boulevard und auch einer damit einher gehenden Oberflächlichkeit. Sie haben aber eben gerade erwähnt, dass es auch einen Trend gibt zur Erklärung. Gibt es den wirklich?

Detjen: Ja! Ich glaube, dass auch da ein Stück Medienwandel stattgefunden hat. Es hat eine Zeit gegeben - ich erinnere mich, ich bin 1999 nach Berlin gekommen als politischer, als Parlamentskorrespondent in eine Zeit, in der gerade das Parlament nach Berlin umgezogen ist, viele Redaktionen neu gegründet wurden, verjüngt wurden, neue Journalisten nach Berlin kamen und eine unglaubliche Beschleunigung stattgefunden hat, eine Jagd nach den exklusiven Meldungen. Das hat sich, glaube ich, entgegen mancher Unkenrufe doch deutlich verändert. Wir haben gelernt, dass Journalismus als Qualitätsjournalismus da in Zukunft eine Chance haben wird, wo er nicht nur die schnelle Nachricht verbreitet, die im Zeitalter des Internets zur Massenware geworden ist, sondern wo Journalismus seine Kompetenz zur Vertiefung, zur Erklärung der Welt ausspielen kann, und das ist etwas, was wir als öffentlich-rechtliche Medien ganz besonders gut kennen. Das ist unser Auftrag, das ist unsere Aufgabe und das ist auch unsere Zukunft.

Brink: Die Gretchenfrage gerade für einen jungen Journalisten: Was sagen Sie ihm? Was macht guten Journalismus aus?

Detjen: Kompetenz, die Kompetenz, die man sich aneignet, indem man immer wieder hartnäckig versucht, die Welt zu verstehen, sich die Kompetenz anzueignen, die Welt zu erklären, zu ordnen und sich dann aus einer profunden Kenntnis heraus auch eine Meinung zu bilden, die man als Journalist dann in Medien wie unserem äußern kann.

Brink: Der Chefredakteur des Deutschlandfunks, Stephan Detjen. Schönen Dank, Herr Detjen, für das Gespräch.

Detjen: Danke!
Mehr zum Thema