"Das ist wirklich eine explosive Mischung"

Moderation: Philipp Gessler |
Wenn man sich gegen Mohammed wende, wende man sich genau gegen das Spezifikum des Islams, erklärt die Religionssoziologin und Journalistin Anne Françoise Weber. Es gebe Leute, die mobilisieren wollen, die ein Interesse daran haben, dass die Beziehungen zum Beispiel zu den USA gestört sind.
Ralf bei der Kellen: Vor über drei Monaten erschien im Internet ein Ausschnitt aus einem Amateurvideo, in dem der Regisseur die Lebensgeschichte des Propheten Mohammed inszeniert - und zwar auf eine den Propheten diffamierende Art.

Laut Angaben des Nachrichtenmagazins "Focus" wurde der Film von einem koptischen Christen in Zusammenarbeit mit einer evangelikalen Gruppierung in den USA produziert.

In den vergangenen beiden Wochen führte diese 14-minütige Sequenz zu gewalttätigen Ausschreitungen in vielen Ländern der arabischen Welt. Die Bilanz: zerstörte westliche Botschaften und über 30 Tote. Ein Film versetzt die Welt in Aufruhr, und er belastet vor allem die Beziehungen zwischen Muslimen und Christen. Aber handelt es sich dabei nur um religiöse Empörung, oder stecken noch andere Motive dahinter?

Mein Kollege Philipp Gessler hat vor der Sendung mit der Religionssoziologin und Journalistin Anne Françoise Weber in Kairo gesprochen, und wollte zunächst von ihr wissen, ob denn die ausländischen Christen und Amerikaner in Kairo verängstigt sind.

Anne Françoise Weber: Also ich denke, verängstigt sind Mitarbeiter der Botschaften, vor allem der US-Botschaft, nicht unbedingt als gläubige Christen, sondern eben weil sie in dieser Botschaft arbeiten, deren Staat schon Ziel von Angriffen wurde.

Christen, denke ich, haben eher hier die lokalen zu fürchten, dass die Gewalt gegen Kopten neu angestachelt wird, zumal ja auch ein koptischer Mensch hinter diesem Video zu stecken scheint. Vor einigen Tagen wurde auch ein Christ wegen angeblich einem blasphemischen Video denunziert, inhaftiert, und sogar seine Mutter aus dem gemeinsamen Wohnhaus vertrieben.

Also ich denke, da kann es zu Gewalt kommen. Dass jetzt Ausländer, weil sie Christen sind, angegriffen werden, das kann ich mir weniger vorstellen, und habe ich auch nicht den Eindruck, dass das hier die Angst wäre.

Philipp Gessler: Wie erklären Sie sich denn diese Empörung der randalierenden Muslime? Hat diese Wut wirklich vor allem einen religiösen Hintergrund oder muss man da nicht eher soziale Ursachen vermuten, also etwa Frust über die eigene Armut oder mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten?

Weber: Also ich denke, das ist wirklich eine explosive Mischung. Und ein ganz wichtiger Faktor ist die Politik dabei, es gibt Leute, die sich mobilisieren lassen, die sich mobilisieren lassen auf einem religiösen Hintergrund, die frustriert sind, und es gibt andere, die mobilisieren wollen, die eben ein Interesse an Unruhen haben, ein Interesse daran haben, dass die Beziehungen zum Beispiel zu den USA gestört sind, dass es Konfrontationen gibt unter den Demonstranten.

Hier in Kairo waren ja auch frustrierte Fußballfans, die eben noch die Gewalttaten im letzten Februar im Kopf hatten und sich vor allem gegen die Polizei gewendet haben, da war jetzt nicht die Religion die erste Ursache. Ich denke, man muss dann wirklich immer die verschiedenen Faktoren gemeinsam anschauen und muss sich auch klar machen, dass jedes Land seine eigene Konstellation hat und in jedem Land es andere Gründe gibt, warum die Leute mobilisiert werden.

Gessler: Sie haben das ja angesprochen - was sind denn das für Leute, die diese randalierenden Menschen zu solchen Protesten oder gar zu Gewalt aufstacheln, und was haben diese Leute da im Hintergrund am Ende davon?

Weber: Es sind wohl doch vor allem Salafisten, in manchen Ländern ist ja auch die Frage, ob da nicht sogar Dschihadisten oder El-Kaida mitgespielt haben. Es sind Leute, die an einem muslimisch-christlichen Unfrieden interessiert sind. Auch der Fernsehmoderator, der hier in Kairo das Video oder Ausschnitte davon überhaupt ins Programm gebracht hat, scheint so einer zu sein, der einfach immer wieder darauf abhebt, dass Muslime und Christen nicht zusammenleben können.

Und, ja, so ein Video bestätigt dann natürlich seine Weltsicht und dient ihm dazu, seine Argumentation zu unterstützen. Diese Proteste stellen natürlich auch die Regierung infrage, daran haben die Salafisten möglicherweise auch ein Interesse, weil ihnen die Muslimbrüder vielleicht doch nicht genug in ihre Richtung gehen, und diese Fernsehbilder dementieren natürlich alles, was Positives über die arabische Welt während dieses arabischen Frühlings gesagt wurde.

Und auch daran sind Leute interessiert, dass es hier eben nicht eine Versöhnung oder eine Annäherung an den Westen gibt, sondern dass man sich als 150-prozentige Muslime generiert und wirklich sagt, Muslime und Andersgläubige können nicht zusammenkommen. Außerdem lenken natürlich solche Unruhen von anderem ab, auch von politischen Schwierigkeiten, also auch die Regierungsparteien könnten ein gewisses Interesse daran haben, dass die Leute dafür auf die Straße gehen und nicht dafür, dass sie Brot zu billigeren Preisen bekommen oder Benzin oder so etwas.

Gessler: Richtige wirtschaftliche Interessen kann eigentlich niemand an diesen Protesten haben, oder gibt es da sogar auch irgendwelche Verbindungen, die wir nicht verstehen hier im Westen?

Weber: Wirtschaftlich im Sinne von, dass aus diesen Protesten irgendein konkreter Gewinn gezogen wird, glaube ich nicht, aber politische Interessen können ja durchaus auch mit Wirtschaft verknüpft sein. Natürlich werden jetzt erst mal die Touristen abgeschreckt, aber wer weiß, vielleicht erkauft man sich damit auch Sympathien aus Saudi-Arabien, was ein großer Geldgeber ist. Also da mag es viele unterschwellige Motivationen geben.

Gessler: Wie erleben Sie das denn in der ägyptischen Gesellschaft? Haben der durchschnittliche Mann, die ganz normale Frau auf der Straße in Kairo Verständnis für diese Randale?

Weber: Also die, mit denen ich gesprochen habe, nicht wirklich. Sie haben alle Verständnis dafür, oder fühlen sich selbst auch beleidigt durch dieses Video und sagen, so etwas darf nicht sein, sie sagen aber auch gleichzeitig, der Islam ist keine Religion der Gewalt und es geht nicht, dafür auf die Straße zu gehen oder vielleicht noch friedlich zu demonstrieren, aber jedenfalls dafür keine Botschaften anzuzünden.

Und eine Frau sagte mir auch, sie sei wirklich sehr gläubig und der Islam sei ihr sehr wichtig, aber das Einzige, was sie machen würde gegen dieses Video, das wäre maximal, einen Kommentar irgendwo im Internet zu posten. Aber weiter würde sie da auf keinen Fall gehen.

Gessler: Frau Weber, Sie sind ja Religionssoziologin. Warum ist denn die Beleidigung des Propheten im Islam offenbar ein solch unerträgliches Vergehen für viele Muslime?

Weber: Also grundsätzlich war Mohammed natürlich nur Prophet, kann man immer sagen, im Vergleich zum Christentum, wo Jesus ja als Gott, Gottes Sohn empfunden wird, verstanden wird, aber er ist eben doch ein ganz besonderer Prophet, er ist das Siegel der Propheten. Er wird auch als Liebling Allahs bezeichnet, und viele Leute bezeichnen auch Mohammed als ihren Liebling.

Es gibt also wirklich eine affektive Bindung, die wir im rational-aufgeklärten Westen dann am ehesten noch bei evangelikalen Christen finden, die eben auch so eine ganz persönliche Beziehung zu Jesus haben. Das Tun und Lassen von Mohammed ist bis heute ein ganz starkes Vorbild, ist eine Leitlinie - ein gläubiger Muslim, der von Mohammed spricht, wird hier auch jedes Mal nach seinem Namen diese Segensformel sagen, also Allah segne ihn und spende ihm Heil.

Das bedeutet, es ist wirklich ein - ja, gottähnlich darf ich jetzt nicht sagen, das wäre nicht im Sinne der Theologie des Islam, aber es ist eine sehr, sehr wichtige Person, die schon übermenschliche Züge trägt, und das ist auf jeden Fall eine Beleidigung, sich gegen ihn zu wenden, und es ist natürlich auch ein Angriff auf das Spezifikum des Islams: Wenn man sich gegen Gott wendet, dann wendet man sich ja im Grunde auch gegen die anderen monotheistischen Religionen. Aber wenn man sich gegen Mohammed wendet, wendet man sich eben genau gegen das Spezifikum des Islams, und ich denke, da fühlen sich viele Leute besonders getroffen.

Gessler: Gibt es im Koran oder in den überlieferten Aussprüchen des Propheten irgendwelche Hinweise darauf, wie der Prophet Mohammed selbst mit Kritik umgegangen ist?

Weber: Es ist im Koran deutlich, dass Mohammed sich gegen Zweifler durchsetzen musste, dass er eben beweisen musste, dass er wirklich der Gottgesandte ist und dass es eine göttliche Offenbarung ist. Es gibt da eine Stelle, in der er sagt, ja, bringt doch zehn gleiche Suren so wie die Koran-Suren, die ich euch offenbare, und ihr werdet sehen, das geht nicht, das ist eben die göttliche Offenbarung, die ich hier mitteile.

Es gab auch Gefährten von ihm, die ihn einmal kritisiert haben, er habe zu kurz gefastet, und da hat er gesagt, ja, das stimmt, ich faste nicht den ganzen Tag, und ich schlafe auch mal und ich bin auch nicht unverheiratet, aber ich bin trotzdem der Gottesfürchtigste unter euch.

Also im Grunde, aus heutiger Perspektive, würde ich sagen, ist er damit ganz souverän umgegangen und hat gesagt, ja, ich habe meine menschlichen Seiten, aber trotzdem habe ich meine Botschaft und habe ich meine von Gott gegebene Rolle hier.

Gessler: Nun gilt ja die Kairoer Universität in der muslimischen Welt als eine große Autorität, und sie hat auch den Ruf, sie sei relativ tolerant. Kann man sich von dieser Seite eine Bewegung zu einer Aufklärung oder einer Reform des Islam erhoffen, oder ist das am Ende zu westlich gedacht?

Weber: Ja, die Aufklärung ging ja nun auch nicht von irgendeiner theologischen Fakultät in Tübingen oder sonst wo aus. Ich glaube, es ist nicht das Richtige, von so einer Institution, die einfach staatstragend ist und, wie Sie sagen, relativ moderat, da jetzt eine große Reform zu erwarten.

Ich würde auch tatsächlich immer auch von Reform sprechen als von Aufklärung, weil wir mit Aufklärung immer so ein westliches Schema anlegen, von dem man noch nicht so richtig sagen kann, ob das nicht der Islam doch in manchen Dingen auch schon längst durchlaufen hat, einfach weil die Leute hier sich ja auch auf die Werte der Aufklärung beziehen, das ist ja nun doch durchaus auch ein weltweites Phänomen.

Also es gibt sicher Reformansätze im Islam, das geht von einzelnen Denkern aus, Nasr Abu Zaid, ein Ägypter, war ein Wichtiger, der in der Koranauslegung da eben andere Wege gegangen ist, dafür auch ins Exil musste. Ich vermute, diese Denker, oder auch so Schulen, entwickeln sich tatsächlich eher in der Türkei, vielleicht in Zukunft auch in den neuen islamischen Theologiefakultäten in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern, als hier, wo wahrscheinlich dann doch die Konfrontation mit diesem ganz tief verwurzelten konservativen Glauben immer sehr stark sein wird.

Gessler: Vielen Dank, Frau Weber, für diese Einschätzung!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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