"Das ist wissenschaftlich einwandfrei"
Der Psychologe Jens Asendorpf hat auf die Seriosität von vergleichenden Intelligenzmessungen hingewiesen. "Man vergleicht auch Pisa-Ergebnisse zwischen Nationen, das ist im Grunde auch nichts anderes", sagte Asendorpf nach den umstrittenen Äußerungen des Magdeburger Bildungsforschers Heiner Rindermann im Deutschlandradio Kultur.
Frank Meyer: Wir haben am 4. Dezember hier im Radiofeuilleton ein Gespräch über den aktuellen Stand der Intelligenzforschung mit dem Magdeburger Bildungsforscher Heiner Rindermann geführt. Es ging in diesem Gespräch darum, was Vergleichsstudien über Intelligenzmessungen in verschiedenen Ländern aussagen und ob es womöglich einen Zusammenhang zwischen menschlichen Genen und Intelligenz gibt. Dieses Gespräch hat für erheblichen Wirbel gesorgt, im Internet zieht sogar ein Rassismus-Vorwurf Kreise. Wir wollen diesem Thema jetzt weiter nachgehen - im Gespräch mit Jens Asendorpf. Er ist Professor für Psychologie an der Berliner Humboldt-Universität, er forscht im Bereich der Persönlichkeitspsychologie, und er ist Herausgeber des "European Journal of Personality", in dem Heiner Rindermann seine Untersuchung veröffentlicht hat.
Mein Kollege Ralf Müller-Schmid - Wissenschaftsredakteur im Deutschlandradio Kultur - hat heute mit Jens Asendorpf gesprochen und ihn gefragt: Kann man Intelligenzunterschiede messen?
Jens Asendorpf: Ja, da gibt es eine hundertjährige Tradition inzwischen, wie man Intelligenzunterschiede innerhalb einer Nation oder Kultur erfassen kann durch Intelligenztests. Das ist ja den meisten Hörern auch bekannt, wie so ein Test aufgebaut ist, das dauert meistens relativ lange, das sind sehr viele Fragen zu vielen Bereichen, die da abgefragt werden und der Gesamtsummenwert, das ist dann ein Intelligenz- Messwert, der wird dann umgerechnet in einen IQ-Wert, und der IQ-Wert einer Nation sollte 100 betragen, wenn es nicht stimmt, dann ist was am Test faul.
Ralf Müller-Schmid: Kann man denn überhaupt Intelligenzergebnisse, wie Sie sie jetzt beschrieben haben, zwischen Nationen vergleichen? Heiner Rindermann hat das ja getan, er hat in einer renommierten Fachzeitschrift, einer internationalen Fachzeitschrift, eine Tabelle veröffentlicht, wo eine ganze Reihe von Nationen, ich glaube über 50 sind es, tatsächlich in Bezug auf diesen Mittelwert der Intelligenz verglichen werden. Ist das wissenschaftlich einwandfrei?
Jens Asendorpf: Ja, das ist wissenschaftlich einwandfrei. Ich war auch Herausgeber dieses Artikels, ich kenne ihn sehr genau, und das ist ganz seriös. Man vergleicht auch Pisa-Ergebnisse zwischen Nationen, das ist im Grunde auch nichts anderes, man hat auch einen Test, nur keinen Intelligenztest, sondern vielleicht einen Lese-Rechtscheibtest, es gibt Mathematiktests, das ist das tägliche Brot von solchen Bildungsforschern…
Ralf Müller-Schmid: Lassen Sie mich da einhaken, das ist doch ein Unterschied, bei Pisa wird doch die Schulleistung bzw. der Grad der Schulbildung getestet, Intelligenz meint Ihrer Bedeutung nach etwas was viel weiter reicht, was viel weiter sozusagen die Persönlichkeit in ihrem Bestand beschreibt.
Jens Asendorpf: Ja, das ist ein Anspruch, aber eigentlich sind Intelligenztests auch nur so entwickelt worden, dass sie die Schulleistung möglichst gut vorhersagen, also mehr steckt eigentlich auch nicht dahinter.
Ralf Müller-Schmid: Wenn man natürlich jetzt Nationen miteinander vergleicht, dann liegt die Frage nahe, was sind die Ursachen dieser Unterschiede in den Intelligenzleistungen bzw. einfach, man muss ja sagen, in der Fähigkeit, diese Tests zunächst einmal zu absolvieren. Wir haben in unserem Gespräch Heiner Rindermann gefragt, ob es womöglich Zusammenhänge gibt zwischen menschlichen Genen und der dort in den Studien gemessenen Intelligenz und hören uns vielleicht jetzt mal an, was er damals dazu gesagt hat:
O-Ton Rindermann: "Ob sie genetisch unterschiedlich verteilt ist, wissen wir nicht so genau, also was wir genau wissen, dass die Intelligenz sich über verschiedene Länder hinweg stark unterscheidet in ihrem Mittelwert auch, und wir wissen auch sehr genau, dass auf individueller Ebene hierbei neben Umweltfaktoren auch genetische Faktoren relevant sind."
Ralf Müller-Schmid: Heiner Rindermann macht den Unterschied zwischen individueller Intelligenz und Intelligenz im Bezug auf Großgruppen, auf Nationen. Sprechen wir zunächst über die Individuen. Können wir davon ausgehen, dass unsere Gene bestimmen, wie intelligent wir sind?
Jens Asendorpf: Na, dass die das bestimmen, hat Herr Rindermann gar nicht gesagt, er hat nur gesagt, man weiß, dass hier ein bestimmter genetischer Einfluss besteht, und man weiß aus sehr vielen Zwillings- und Adoptionsstudien aus solchen Schätzungen, dass die Variabilität der Umwelt etwa genau soviel beiträgt zu Intelligenzunterschieden wie die Variabilität der Gene innerhalb eines Landes. Das ist also die Frage nach den Unterschieden innerhalb einer Nation, aber eigentlich wollen wir hinaus auf die Unterschiede zwischen Nationen, und das ist eine völlig andere Frage. Da kann man mit dieser Methode der Zwillings- und Adoptionsforschung auch gar nicht arbeiten, das hat Herr Rindermann in seinem Interview auch gesagt. Da haben wir gar keine Methoden, außer wir gucken uns Genfrequenzen an. Also ich vereinfache jetzt mal stark, nehmen wir an, es gibt ein Blutgruppengen, und es hat die drei Varianten A, B und O. Und diese Varianten können in Deutschland in bestimmten Proportionen vorkommen. O ist ziemlich selten, das weiß ich auch als Laie, und A und B sind sehr viel häufiger. Nun kann es sein, wenn man den Blick auf andere Kulturen richtet, dass diese Genfrequenzen unterschiedlich ausfallen, und man … da gibt es eine ganz rege Forschung bei den Genetikern darüber, wie bestimmte Genvarianten unterschiedlich verteilt sind. Und jetzt könnte man sich die Frage stellen, gibt es denn bekannte Gene, deren Frequenzen man kennt in verschiedenen Nationen, bei denen man dann diese Genhäufigkeit in Relation zum Mittelwert der Intelligenz dieser Nation setzen kann. Und die Antwort ist: Es gab eine Studie in "Science" letztes Jahr, die behauptet haben, es gebe so etwas, und das ist nicht repliziert worden, also man muss heutzutage sagen: Man weiß es nicht.
Ralf Müller-Schmid: Das heißt, man kann im Grunde darüber, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen genetischen Dispositionen, also zwischen unserem Genom, alles was da in der DNA hineingeschrieben ist, und dem was wir als Intelligenz verwirklichen in unserem Leben wissenschaftlich nicht dingfest machen.
Jens Asendorpf: Nein, das haben Sie jetzt verwechselt, Entschuldigung, aber das ist ja wieder die individuelle Ebene, die Sie angesprochen haben. Ich hab jetzt eben was über den Kultur- und den Nationenvergleich gesagt. Was den Vergleich von Nationen angeht, da wissen wir nichts. Was den vergleich von Personen innerhalb… also wenn wir Deutsche miteinander vergleichen, also innerhalb von Deutschland, dann können wir sehr viel aus Zwillingsstudien und Adoptionsstudien sagen. Aber solche Adoptionen sind zum Beispiel zwischen Kulturen viel zu selten, als dass man da Aussagen treffen könnte.
Ralf Müller-Schmid:
Lassen Sie uns dann beim Thema Vergleich zwischen den Nationen bleiben. Das ist dieser Aspekt des Themas, der auch für die Debatten gesorgt hat und für die Debatenn sorgt. Wenn wir in die Tabelle schauen, die Herr Rindermann veröffentlicht hat, dann finden wir zum Beispiel einen Wert, der nennt sich "All Cognitive Ability Sum", also der Durchschnitt der kognitiven Fähigkeiten. Da finden wir verschiedene Beträge, zum Beispiel bei Österreich den numerischen Wert von 101, bei Haiti den numerischen Wert von 59. Das liest sich ja erstmal so, als dass wir davon ausgehen könnten, dass die Haitianer nur annähernd halb so intelligent sind wie die Österreicher.
Jens Asendorpf: Ja, das wäre ein Fehlschluss, weil das keine Skala ist mit einem klaren Nullpunkt. Also man kann da gar nichts verdoppeln. Und da müsste man sich angucken, wie groß ist denn die Stichprobe in Haiti, 59 kommt mir da sehr, sehr niedrig vor. Was wir aber insgesamt wissen aus diesen nationenvergleichenden Studien ist, dass es durchaus Unterschiede gibt, jetzt im mittleren Niveau, aber die sind sehr klein. Das ist übrigens bei Pisa auch nicht so viel anders. Es werden ja immer Rankings berichtet, aber nicht die wirklichen Unterschiede. Was Intelligenz angeht, kann man so ganz grob sagen, dass die Unterschiede innerhalb eines Landes in Intelligenz viel, viel größer sind als die Unterschiede zwischen Ländern. Also, stellen Sie sich einen Globus vor, jedes Land hat eine unterschiedliche Farbe, innerhalb jedes Landes kann man sich angucken, wie groß sind die Unterschiede dort, und dann kann man sich angucken, wie weit unterscheiden sich jetzt die verschiedenen Farben in ihrer mittleren Intelligenz. Diese Unterschiede sind sehr klein im Verhältnis.
Ralf-Müller-Schmid: Trotzdem muss man sich als Wissenschaftler doch fragen, was kann man eigentlich mit solchen Daten dann anfangen? Bleiben wir ruhig noch einmal bei diesem Österreich-Gambia-Beispiel. Wenn ich jetzt zum Beispiel einen Bewerber habe aus Gambia und ich nehme die Tabelle zur Hand, und ich habe gleichzeitig einen aus Österreich, dann ist doch eigentlich klar, wenn ich das einigermaßen ernst nehme, was da drin steht, wie ich mich zu entscheiden habe.
Jens Asendorpf: Nein, überhaupt nicht, Sie wissen ja gar nichts über den Menschen, den Sie da vor sich haben. Es gibt ja hochintelligente Leute aus Gambia und äußerst dumme Deutsche. Oder Österreicher.
Ralf Müller-Schmid: Da muss ich einhaken, Herr Asendorpf, wenn hier vom Durchschnitt die Rede ist, dann muss er doch auf das Individuum, wenn auch nur eine durchschnittliche Aussagekraft besitzen. Sonst kann ich mir solche Zahlen ja sparen.
Jens Asendorpf: Wir haben ja eine konkrete Auswahlsituation, die Personalpsychologen dauernd haben, vor sich, und da testet man eben Personen, niemand würde davon ausgehen, dass derjenige ausgerechnet den Mittelwert hat. Weil man ja weiß, dass die Unterschiede innerhalb der Nationen sehr, sehr viel größer sind als die Unterschiede zwischen den Nationen. Und deswegen ist diese Unterscheidung zwischen Nationen jetzt für so einen konkreten Einzelfall völlig ohne praktischen Nutzwert.
Ralf Müller-Schmid: Also um das noch mal ganz klar zu stellen, solche Tabellen dienen wissenschaftlich, um Anhaltspunkte zu haben, um Vergleichsstatistiken zu führen, sie sind von praktisch keinem Nutzen, wenn man sich zum Beispiel ein Bild vom Individuum machen will.
Jens Asendorpf: Ja, überhaupt keinen Nutzen. Weil, wenn es um das Individuum geht, dann muss man sich das Individuum ansehen und nicht die Nation.
Ralf Müller-Schmid: Was ist das Erkenntnisinteresse einer Intelligenzforschung, die dennoch Nationenvergleiche betreibt?
Jens Asendorpf: Na ja, der Herr Rindermann hat zum Beispiel in seinen Statistiken gefunden, dass dieses mittlere Intelligenzniveau, immerhin 0,6, korreliert mit dem Bruttosozialprodukt. Das heißt, die reicheren Länder, und das ist ja vielleicht auch nicht überraschend, haben eine Bevölkerung, die besser abschneidet in solchen Intelligenztests. Und als Bildungsforscher interessiert man sich doch dafür, wie kommt denn so ein doch recht starker Zusammenhang zustande? Und dann kann man sich angucken, welche Unterschiede im Bildungssystem sind es denn, die hier vielleicht verantwortlich gemacht werden können. Also hier besteht wieder eine Parallele zu diesen Pisa-Studien, da versucht man ja auch rauszufinden, was ist es denn nun, was bestimmte Nationen zu einem besseren oder schlechteren Abschneiden bringt in solchen Nationenvergleichsstudien?
Ralf Müller-Schmid: Sie würden also sagen, es geht hier auf gar keinen Fall darum, zum Beispiel bestimmte Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren und ihnen zu unterstellen, dass sie von Natur aus weniger begabt, weniger intelligent seien.
Jens Asendorpf:Nein, Herr Rindermann ist ja ein Bildungsforscher, der redet überhaupt nicht von Natur, sondern was ihn interessiert ist, wie dann solche Intelligenz-Mittelwertskurven zusammenhängen mit bestimmten Merkmalen des Bildungssystems.
Ralf Müller-Schmid: Dennoch scheint ja international diese Debatte ungeheuer brisant zu sein, zuletzt hat der amerikanische Gen-Pionier James Watson eine internationale Welle der Empörung ausgelöst, als er meinte, die Intelligenz sei nach Ethnien unterschiedlich verteilt. Er hat sich dann entschuldigt, weil er sich falsch verstanden sah. In der embryonalen Forschung, in der Gentechnik ist es mittlerweile Konsens, dass Wissenschaftler hohem ethischen Standards gehorchen müssen, dass sie ihre Ergebnisse auch vor moralischen Erwägungen diskutieren müssen – brauchen wir so etwas auch für die Intelligenzforschung?
Jens Asendorpf: Ja, also jeder der da ein Interview führt, der muss natürlich damit rechnen, dass es in den falschen Hals gerät, und dass Leute dann ihr Süppchen damit kochen wollen, was immer sie kochen wollen. Da muss man sehr vorsichtig sein mit seinen Äußerungen. Auf der anderen Seite wird ja von der Gesellschaft auch gefordert, dass Wissenschaftler auch Auskunft darüber geben, was sie tun, und ich bin jetzt kein Freund davon, dass man das einfach vermeidet. Sondern man muss es eben seriös und sachlich darstellen.
Ralf Müller-Schmid: Professor Asendorpf, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Mein Kollege Ralf Müller-Schmid - Wissenschaftsredakteur im Deutschlandradio Kultur - hat heute mit Jens Asendorpf gesprochen und ihn gefragt: Kann man Intelligenzunterschiede messen?
Jens Asendorpf: Ja, da gibt es eine hundertjährige Tradition inzwischen, wie man Intelligenzunterschiede innerhalb einer Nation oder Kultur erfassen kann durch Intelligenztests. Das ist ja den meisten Hörern auch bekannt, wie so ein Test aufgebaut ist, das dauert meistens relativ lange, das sind sehr viele Fragen zu vielen Bereichen, die da abgefragt werden und der Gesamtsummenwert, das ist dann ein Intelligenz- Messwert, der wird dann umgerechnet in einen IQ-Wert, und der IQ-Wert einer Nation sollte 100 betragen, wenn es nicht stimmt, dann ist was am Test faul.
Ralf Müller-Schmid: Kann man denn überhaupt Intelligenzergebnisse, wie Sie sie jetzt beschrieben haben, zwischen Nationen vergleichen? Heiner Rindermann hat das ja getan, er hat in einer renommierten Fachzeitschrift, einer internationalen Fachzeitschrift, eine Tabelle veröffentlicht, wo eine ganze Reihe von Nationen, ich glaube über 50 sind es, tatsächlich in Bezug auf diesen Mittelwert der Intelligenz verglichen werden. Ist das wissenschaftlich einwandfrei?
Jens Asendorpf: Ja, das ist wissenschaftlich einwandfrei. Ich war auch Herausgeber dieses Artikels, ich kenne ihn sehr genau, und das ist ganz seriös. Man vergleicht auch Pisa-Ergebnisse zwischen Nationen, das ist im Grunde auch nichts anderes, man hat auch einen Test, nur keinen Intelligenztest, sondern vielleicht einen Lese-Rechtscheibtest, es gibt Mathematiktests, das ist das tägliche Brot von solchen Bildungsforschern…
Ralf Müller-Schmid: Lassen Sie mich da einhaken, das ist doch ein Unterschied, bei Pisa wird doch die Schulleistung bzw. der Grad der Schulbildung getestet, Intelligenz meint Ihrer Bedeutung nach etwas was viel weiter reicht, was viel weiter sozusagen die Persönlichkeit in ihrem Bestand beschreibt.
Jens Asendorpf: Ja, das ist ein Anspruch, aber eigentlich sind Intelligenztests auch nur so entwickelt worden, dass sie die Schulleistung möglichst gut vorhersagen, also mehr steckt eigentlich auch nicht dahinter.
Ralf Müller-Schmid: Wenn man natürlich jetzt Nationen miteinander vergleicht, dann liegt die Frage nahe, was sind die Ursachen dieser Unterschiede in den Intelligenzleistungen bzw. einfach, man muss ja sagen, in der Fähigkeit, diese Tests zunächst einmal zu absolvieren. Wir haben in unserem Gespräch Heiner Rindermann gefragt, ob es womöglich Zusammenhänge gibt zwischen menschlichen Genen und der dort in den Studien gemessenen Intelligenz und hören uns vielleicht jetzt mal an, was er damals dazu gesagt hat:
O-Ton Rindermann: "Ob sie genetisch unterschiedlich verteilt ist, wissen wir nicht so genau, also was wir genau wissen, dass die Intelligenz sich über verschiedene Länder hinweg stark unterscheidet in ihrem Mittelwert auch, und wir wissen auch sehr genau, dass auf individueller Ebene hierbei neben Umweltfaktoren auch genetische Faktoren relevant sind."
Ralf Müller-Schmid: Heiner Rindermann macht den Unterschied zwischen individueller Intelligenz und Intelligenz im Bezug auf Großgruppen, auf Nationen. Sprechen wir zunächst über die Individuen. Können wir davon ausgehen, dass unsere Gene bestimmen, wie intelligent wir sind?
Jens Asendorpf: Na, dass die das bestimmen, hat Herr Rindermann gar nicht gesagt, er hat nur gesagt, man weiß, dass hier ein bestimmter genetischer Einfluss besteht, und man weiß aus sehr vielen Zwillings- und Adoptionsstudien aus solchen Schätzungen, dass die Variabilität der Umwelt etwa genau soviel beiträgt zu Intelligenzunterschieden wie die Variabilität der Gene innerhalb eines Landes. Das ist also die Frage nach den Unterschieden innerhalb einer Nation, aber eigentlich wollen wir hinaus auf die Unterschiede zwischen Nationen, und das ist eine völlig andere Frage. Da kann man mit dieser Methode der Zwillings- und Adoptionsforschung auch gar nicht arbeiten, das hat Herr Rindermann in seinem Interview auch gesagt. Da haben wir gar keine Methoden, außer wir gucken uns Genfrequenzen an. Also ich vereinfache jetzt mal stark, nehmen wir an, es gibt ein Blutgruppengen, und es hat die drei Varianten A, B und O. Und diese Varianten können in Deutschland in bestimmten Proportionen vorkommen. O ist ziemlich selten, das weiß ich auch als Laie, und A und B sind sehr viel häufiger. Nun kann es sein, wenn man den Blick auf andere Kulturen richtet, dass diese Genfrequenzen unterschiedlich ausfallen, und man … da gibt es eine ganz rege Forschung bei den Genetikern darüber, wie bestimmte Genvarianten unterschiedlich verteilt sind. Und jetzt könnte man sich die Frage stellen, gibt es denn bekannte Gene, deren Frequenzen man kennt in verschiedenen Nationen, bei denen man dann diese Genhäufigkeit in Relation zum Mittelwert der Intelligenz dieser Nation setzen kann. Und die Antwort ist: Es gab eine Studie in "Science" letztes Jahr, die behauptet haben, es gebe so etwas, und das ist nicht repliziert worden, also man muss heutzutage sagen: Man weiß es nicht.
Ralf Müller-Schmid: Das heißt, man kann im Grunde darüber, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen genetischen Dispositionen, also zwischen unserem Genom, alles was da in der DNA hineingeschrieben ist, und dem was wir als Intelligenz verwirklichen in unserem Leben wissenschaftlich nicht dingfest machen.
Jens Asendorpf: Nein, das haben Sie jetzt verwechselt, Entschuldigung, aber das ist ja wieder die individuelle Ebene, die Sie angesprochen haben. Ich hab jetzt eben was über den Kultur- und den Nationenvergleich gesagt. Was den Vergleich von Nationen angeht, da wissen wir nichts. Was den vergleich von Personen innerhalb… also wenn wir Deutsche miteinander vergleichen, also innerhalb von Deutschland, dann können wir sehr viel aus Zwillingsstudien und Adoptionsstudien sagen. Aber solche Adoptionen sind zum Beispiel zwischen Kulturen viel zu selten, als dass man da Aussagen treffen könnte.
Ralf Müller-Schmid:
Lassen Sie uns dann beim Thema Vergleich zwischen den Nationen bleiben. Das ist dieser Aspekt des Themas, der auch für die Debatten gesorgt hat und für die Debatenn sorgt. Wenn wir in die Tabelle schauen, die Herr Rindermann veröffentlicht hat, dann finden wir zum Beispiel einen Wert, der nennt sich "All Cognitive Ability Sum", also der Durchschnitt der kognitiven Fähigkeiten. Da finden wir verschiedene Beträge, zum Beispiel bei Österreich den numerischen Wert von 101, bei Haiti den numerischen Wert von 59. Das liest sich ja erstmal so, als dass wir davon ausgehen könnten, dass die Haitianer nur annähernd halb so intelligent sind wie die Österreicher.
Jens Asendorpf: Ja, das wäre ein Fehlschluss, weil das keine Skala ist mit einem klaren Nullpunkt. Also man kann da gar nichts verdoppeln. Und da müsste man sich angucken, wie groß ist denn die Stichprobe in Haiti, 59 kommt mir da sehr, sehr niedrig vor. Was wir aber insgesamt wissen aus diesen nationenvergleichenden Studien ist, dass es durchaus Unterschiede gibt, jetzt im mittleren Niveau, aber die sind sehr klein. Das ist übrigens bei Pisa auch nicht so viel anders. Es werden ja immer Rankings berichtet, aber nicht die wirklichen Unterschiede. Was Intelligenz angeht, kann man so ganz grob sagen, dass die Unterschiede innerhalb eines Landes in Intelligenz viel, viel größer sind als die Unterschiede zwischen Ländern. Also, stellen Sie sich einen Globus vor, jedes Land hat eine unterschiedliche Farbe, innerhalb jedes Landes kann man sich angucken, wie groß sind die Unterschiede dort, und dann kann man sich angucken, wie weit unterscheiden sich jetzt die verschiedenen Farben in ihrer mittleren Intelligenz. Diese Unterschiede sind sehr klein im Verhältnis.
Ralf-Müller-Schmid: Trotzdem muss man sich als Wissenschaftler doch fragen, was kann man eigentlich mit solchen Daten dann anfangen? Bleiben wir ruhig noch einmal bei diesem Österreich-Gambia-Beispiel. Wenn ich jetzt zum Beispiel einen Bewerber habe aus Gambia und ich nehme die Tabelle zur Hand, und ich habe gleichzeitig einen aus Österreich, dann ist doch eigentlich klar, wenn ich das einigermaßen ernst nehme, was da drin steht, wie ich mich zu entscheiden habe.
Jens Asendorpf: Nein, überhaupt nicht, Sie wissen ja gar nichts über den Menschen, den Sie da vor sich haben. Es gibt ja hochintelligente Leute aus Gambia und äußerst dumme Deutsche. Oder Österreicher.
Ralf Müller-Schmid: Da muss ich einhaken, Herr Asendorpf, wenn hier vom Durchschnitt die Rede ist, dann muss er doch auf das Individuum, wenn auch nur eine durchschnittliche Aussagekraft besitzen. Sonst kann ich mir solche Zahlen ja sparen.
Jens Asendorpf: Wir haben ja eine konkrete Auswahlsituation, die Personalpsychologen dauernd haben, vor sich, und da testet man eben Personen, niemand würde davon ausgehen, dass derjenige ausgerechnet den Mittelwert hat. Weil man ja weiß, dass die Unterschiede innerhalb der Nationen sehr, sehr viel größer sind als die Unterschiede zwischen den Nationen. Und deswegen ist diese Unterscheidung zwischen Nationen jetzt für so einen konkreten Einzelfall völlig ohne praktischen Nutzwert.
Ralf Müller-Schmid: Also um das noch mal ganz klar zu stellen, solche Tabellen dienen wissenschaftlich, um Anhaltspunkte zu haben, um Vergleichsstatistiken zu führen, sie sind von praktisch keinem Nutzen, wenn man sich zum Beispiel ein Bild vom Individuum machen will.
Jens Asendorpf: Ja, überhaupt keinen Nutzen. Weil, wenn es um das Individuum geht, dann muss man sich das Individuum ansehen und nicht die Nation.
Ralf Müller-Schmid: Was ist das Erkenntnisinteresse einer Intelligenzforschung, die dennoch Nationenvergleiche betreibt?
Jens Asendorpf: Na ja, der Herr Rindermann hat zum Beispiel in seinen Statistiken gefunden, dass dieses mittlere Intelligenzniveau, immerhin 0,6, korreliert mit dem Bruttosozialprodukt. Das heißt, die reicheren Länder, und das ist ja vielleicht auch nicht überraschend, haben eine Bevölkerung, die besser abschneidet in solchen Intelligenztests. Und als Bildungsforscher interessiert man sich doch dafür, wie kommt denn so ein doch recht starker Zusammenhang zustande? Und dann kann man sich angucken, welche Unterschiede im Bildungssystem sind es denn, die hier vielleicht verantwortlich gemacht werden können. Also hier besteht wieder eine Parallele zu diesen Pisa-Studien, da versucht man ja auch rauszufinden, was ist es denn nun, was bestimmte Nationen zu einem besseren oder schlechteren Abschneiden bringt in solchen Nationenvergleichsstudien?
Ralf Müller-Schmid: Sie würden also sagen, es geht hier auf gar keinen Fall darum, zum Beispiel bestimmte Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren und ihnen zu unterstellen, dass sie von Natur aus weniger begabt, weniger intelligent seien.
Jens Asendorpf:Nein, Herr Rindermann ist ja ein Bildungsforscher, der redet überhaupt nicht von Natur, sondern was ihn interessiert ist, wie dann solche Intelligenz-Mittelwertskurven zusammenhängen mit bestimmten Merkmalen des Bildungssystems.
Ralf Müller-Schmid: Dennoch scheint ja international diese Debatte ungeheuer brisant zu sein, zuletzt hat der amerikanische Gen-Pionier James Watson eine internationale Welle der Empörung ausgelöst, als er meinte, die Intelligenz sei nach Ethnien unterschiedlich verteilt. Er hat sich dann entschuldigt, weil er sich falsch verstanden sah. In der embryonalen Forschung, in der Gentechnik ist es mittlerweile Konsens, dass Wissenschaftler hohem ethischen Standards gehorchen müssen, dass sie ihre Ergebnisse auch vor moralischen Erwägungen diskutieren müssen – brauchen wir so etwas auch für die Intelligenzforschung?
Jens Asendorpf: Ja, also jeder der da ein Interview führt, der muss natürlich damit rechnen, dass es in den falschen Hals gerät, und dass Leute dann ihr Süppchen damit kochen wollen, was immer sie kochen wollen. Da muss man sehr vorsichtig sein mit seinen Äußerungen. Auf der anderen Seite wird ja von der Gesellschaft auch gefordert, dass Wissenschaftler auch Auskunft darüber geben, was sie tun, und ich bin jetzt kein Freund davon, dass man das einfach vermeidet. Sondern man muss es eben seriös und sachlich darstellen.
Ralf Müller-Schmid: Professor Asendorpf, wir danken Ihnen für das Gespräch.