Das Jahrhundert der Gewalt
Die Wahrheit über das 20. Jahrhundert ist nicht die Idee des Fortschritts, sondern die Übermacht der Gewalt, verbunden mit dem Niedergang des Westens. Das ist, in zwei Sätzen, die These von Niall Ferguson, britischer Historiker mit Studenten in Oxford und an Harvard.
Er sucht in einer monumentalen Globaldarstellung die Krisen, Kriege und Katastrophen des 20. Jahrhunderts nicht nur zu vermessen, sondern auch zu erklären. Er beginnt mit der knappen Feststellung, das 20. Jahrhundert sei das im Weltmaßstab gesehen blutigste der Geschichte gewesen, Tiefpunkt der menschlichen Entwicklung, und entwickelt daraus die Frage nach den Gründen.
"Will man die extreme Gewalt des 20. Jahrhundert erklären und insbesondere die Frage beantworten, warum sie in bestimmten Zeiten, vor allem in den vierziger Jahren, namentlich in Mittel- und Osteuropa sowie in der Mandschurei und Korea, konzentriert auftrat, muss man … drei Faktoren berücksichtigen: Ethnische Konflikte, wirtschaftliche Unsicherheit und den Niedergang der Imperien."
Ferguson lässt keine der überlieferten Erklärungen gelten. Wirtschaftskrisen? Die marxistische Tradition hat sich immer auf diese Erklärung festgelegt als letzte Wahrheit über Markt und Kapitalismus. Aber, so wendet Ferguson ein, es ging im Europa der Industriellen Revolution den meisten Menschen besser als je zuvor, die Löhne stiegen und die Menschen lebten länger. Die großen Mächte Europas waren bis 1914 einander die besten Kunden und die größten Investoren, und jede Regierung, ob Berlin, Paris oder London, musste wissen, dass mit der ersten Stunde des Krieges mehr Verluste vorherbestimmt waren, als der erfolgreichste Krieg jemals wieder einbringen konnte. Die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre wirkte sich völlig gegensätzlich aus, aggressionsverstärkend in Deutschland, bremsend und den Pazifismus treibend in Großbritannien und Frankreich.
Ferguson akzeptiert, darin typisch britisch-exzentrisch, keine der gängigen Erklärungen. Zudem schaut er nicht allein auf Europa, sondern auf den Weltzusammenhang. Der Globalisierung der Märkte zu Beginn des 21. Jahrhunderts ging die Globalisierung der Politik und ihrer Kriege voraus. Ferguson spricht, anders als sein Harvard Kollege Professor Samuel Huntington, nicht vom "Zusammenprall der Kulturen", aber er meint wohl ähnliches, wenn er, an zweiter Stelle seines Erklärungsversuchs, Abstoßung und Anziehung verschiedener Völker und Rassen in den Mittelpunkt stellt. Das hat mit dem Zweiten Weltkrieg nicht geendet. Die Kriege der Jugo-Nachfolge, die Massentötungen in Zentralafrika, die blutigen Vernichtungsaktionen im Sudan - sie sind Teil eines Dramas, das sich immer wiederholt, mal im verborgenen, mal unter dem Blick des weltweiten Fernsehens. In der Mitte des 20. Jahrhunderts, so Ferguson, habe ein Rückschlag stattgefunden gegen Assimilation und Rassenvermischung. Das ist, wie Huntingtons Thesen, nicht politisch korrekt – aber leider ein mögliches anthropologisches Erklärungsmuster jenseits der Politik, der Ereignis- und der Wirtschaftsgeschichte. Darin liegt auch die Warnung, die Ferguson den selbstzufriedenen und kaum noch in Ernstfallkategorien denkenden atlantischen Nationen zukommen lässt:
"Indem ich die Periode zwischen 1904 und 1953 das Zeitalter des Hasses nenne, möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Komplexität dieses gefährlichsten aller menschlichen Gefühle lenken."
Ferguson scheut sich nicht, weitgehend alleine mit seiner Analyse zu stehen. Statt das Zeitalter der Befreiung und der Emanzipation zu feiern, sieht er die Entfesselung der Gewalt als Folge des Niedergangs der Großreiche, ob Habsburg, die Osmanen, das Zarenreich, das französische Empire oder das British Empire.
"Die Gewalt war zum großen Teil eine Folge von Niedergang und Fall der großen Vielvölker-Imperien, die um 1900 die Welt beherrscht hatten."
Die These hat viel für sich. Man muss sich nur erinnern, dass große Teile des Mittleren Ostens, solange sie noch unter den Osmanen zu leben hatten, sehr viel weniger bluteten als seitdem, von Irak und Libanon bis zum Heiligen Land.
Endlich: der Niedergang des Westens. Dass sich die Gleichgewichte der Macht und der Wirtschaftskraft vom Atlantik zum Pazifik verschieben, von den Satten zu den Hungrigern, von den 15-Dollar-pro-Stunde-Verdienern zu den 5-Dollar-am-Tag-Verdienern, wird seit 15 Jahren jeden Tag offenkundiger. Francis Fukuyama rief am Ende des Kalten Krieges das "Ende der Geschichte" aus. Das war nicht nur verfrüht, wie sich seitdem zeigte, sondern beruhte, so Ferguson, auf einem grundlegenden Irrtum. Kein asiatisches Land hat sich, von äußeren Anpassungen wie Nadelstreifen und MacFood abgesehen, in ein westliches Land verwandelt. Stattdessen gibt es eine säkulare historische Gewichtsverlagerung, die den Todeszuckungen der alten Reiche, eingeschlossen Überanstrengung und Niedergang der amerikanischen Dominanz, folgte und folgt.
Ferguson erwarb Rang und Harvard-Ruf mit einer Reihe von Büchern über die großen Fragen des Staatensystems und der Weltwirtschaft. In Deutschland wurde er vor allem bekannt durch ein merkbar exzentrisches Buch über den Ersten Weltkrieg: "Der falsche Krieg". Mit seinem jüngsten Buch knüpft er an die Thesen vom europäischen Bürgerkrieg an, die seit etwa zwei Jahrzehnten den Blick öffneten auf den weiteren Kontext des Zweiten Weltkriegs. Er wollte nicht eine weitere Darstellung diplomatischer Manöver, militärischer Aktionen und blutiger Folgen liefern.
"Stattdessen begann ich mich zu fragen , ob es tatsächlich so etwas wie DEN Zweiten Weltkrieg gegeben hat, oder ob es nicht richtiger wäre, von einer Vielzahl regionaler Konflikte zu sprechen."
Wann begann das alles? Mit dem Spanischen Bürgerkrieg, dem deutschen Überfall auf Österreich? Der Sudetenkrise 1938, dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Prag, dem Polenfeldzug? Den sieben Monaten "Sitzkrieg" folgte der Blitzkrieg im Westen - ein Jahr später der Überfall auf die Sowjetunion. Ferguson kritisiert die vorherrschend europa- und deutschlandzentrische Sicht und weitet den Blick für die Machtkämpfe in Fernost, nicht zuletzt um Rohstoffe und Öl, Öl, Öl. Aus dem Blickwinkel des Pazifiks gesehen, war das Geschehen in Europa fern und wenig wichtig – und so hat auch Washington bis in den Zweiten Weltkrieg hinein die Lage zwischen Pazifik und Atlantik beurteilt. Erst im Rückblick, weil Hitler die USA angriff und Churchill die amerikanische Politik in Richtung Europa lenkte, geriet das monumentale Geschehen in Asien aus dem Blickfeld. Europa war der Schauplatz der Europäer. Aber, so Ferguson:
"Das alles hatte kaum eine Beziehung zu den von Japan angezettelten Kriegen… Außerdem tobten vor, während und nach diesen zwischenstaatlichen Konflikten Bürgerkriege vor allem in China, Spanien, auf dem Balkan, in der Ukraine und in Polen. Und kaum war dieser angebliche Weltkrieg beendet, brach über den Nahen Osten und Asien eine neue Welle der Gewalt herein, die von Historikern euphemistisch Entkolonialisierung genannt wird."
Das alles ist ein großes Programm, und Ferguson nimmt den Leser mit auf die Schauplätze. Aber nicht nur. Er jagt ihm auch einen gehörigen Schrecken ein. Denn noch ist die Geschichte der Gewalt und der Kriege nicht zu Ende. Vielleicht kommt sie zurück.
"Bei der Arbeit an dem vorliegenden Buch hat sich mir die Frage gestellt, ob man den globalen Krieg, den ich beschreibe, wirklich als beendet ansehen kann."
Ein halbes Jahrhundert lang hat man geglaubt, dass die Übergewalt nuklearer Waffen die Menschen zu Zurückhaltung und Frieden zwingen würde. Das war das Gesetz des Kalten Krieges. Aber es gilt nicht länger, die Europäer ahnen, dass sie nicht auf einer friedensgarantierten Insel leben. Terror, Massenvernichtungswaffen, Chaosstaaten – sie drohen mit Fortsetzung des Großen Krieges. Eine Welt ohne Weltordnung.
Es ist in der Tat keine Frohbotschaft, mit der Ferguson nach vielen hundert Seiten das Kolossalgemälde enden lässt – und wenigstens das lange Schlusskapitel zur Gegenwart sollte man, wenn man alles Vorige nur überfliegt, gründlich lesen. Das Ganze ist, kompetent übersetzt und trotz des banalen Titels, ein Buch des heroischen Pessimismus. Im Zeitalter der Globalisierung öffnet diese große Studie den Blick für das brutale Welttheater der Vergangenheit und vertieft das Verständnis der Gegenwart und ihrer Ungewissheiten. Nicht "Ende der Geschichte" nach Fukuyama ist angesagt, sondern, nach Shakespeare, "sound and fury", Lärmen und Donnern, oder, nach Ferguson:
"Der Mensch bleibt der schlimmste Feind des Menschen. Wir werden ein neues Jahrhundert kriegerischer Auseinandersetzungen nur dann vermeiden können, wenn wir die Antriebe verstehen, die das Leid des letzteren verursacht haben – jene dunklen Kräfte, die in Zeiten wirtschaftlicher Krise ethnische Konflikte und imperiale Rivalitäten heraufbeschwören und unser gemeinsames Menschsein negieren. Es sind Kräfte, die sich in uns noch immer regen."
Niall Ferguson: Welt im Krieg
Was ging schief im 20. Jahrhundert?
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt und Klaus Binder
Propyläen Verlag, Berlin 2006
"Will man die extreme Gewalt des 20. Jahrhundert erklären und insbesondere die Frage beantworten, warum sie in bestimmten Zeiten, vor allem in den vierziger Jahren, namentlich in Mittel- und Osteuropa sowie in der Mandschurei und Korea, konzentriert auftrat, muss man … drei Faktoren berücksichtigen: Ethnische Konflikte, wirtschaftliche Unsicherheit und den Niedergang der Imperien."
Ferguson lässt keine der überlieferten Erklärungen gelten. Wirtschaftskrisen? Die marxistische Tradition hat sich immer auf diese Erklärung festgelegt als letzte Wahrheit über Markt und Kapitalismus. Aber, so wendet Ferguson ein, es ging im Europa der Industriellen Revolution den meisten Menschen besser als je zuvor, die Löhne stiegen und die Menschen lebten länger. Die großen Mächte Europas waren bis 1914 einander die besten Kunden und die größten Investoren, und jede Regierung, ob Berlin, Paris oder London, musste wissen, dass mit der ersten Stunde des Krieges mehr Verluste vorherbestimmt waren, als der erfolgreichste Krieg jemals wieder einbringen konnte. Die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre wirkte sich völlig gegensätzlich aus, aggressionsverstärkend in Deutschland, bremsend und den Pazifismus treibend in Großbritannien und Frankreich.
Ferguson akzeptiert, darin typisch britisch-exzentrisch, keine der gängigen Erklärungen. Zudem schaut er nicht allein auf Europa, sondern auf den Weltzusammenhang. Der Globalisierung der Märkte zu Beginn des 21. Jahrhunderts ging die Globalisierung der Politik und ihrer Kriege voraus. Ferguson spricht, anders als sein Harvard Kollege Professor Samuel Huntington, nicht vom "Zusammenprall der Kulturen", aber er meint wohl ähnliches, wenn er, an zweiter Stelle seines Erklärungsversuchs, Abstoßung und Anziehung verschiedener Völker und Rassen in den Mittelpunkt stellt. Das hat mit dem Zweiten Weltkrieg nicht geendet. Die Kriege der Jugo-Nachfolge, die Massentötungen in Zentralafrika, die blutigen Vernichtungsaktionen im Sudan - sie sind Teil eines Dramas, das sich immer wiederholt, mal im verborgenen, mal unter dem Blick des weltweiten Fernsehens. In der Mitte des 20. Jahrhunderts, so Ferguson, habe ein Rückschlag stattgefunden gegen Assimilation und Rassenvermischung. Das ist, wie Huntingtons Thesen, nicht politisch korrekt – aber leider ein mögliches anthropologisches Erklärungsmuster jenseits der Politik, der Ereignis- und der Wirtschaftsgeschichte. Darin liegt auch die Warnung, die Ferguson den selbstzufriedenen und kaum noch in Ernstfallkategorien denkenden atlantischen Nationen zukommen lässt:
"Indem ich die Periode zwischen 1904 und 1953 das Zeitalter des Hasses nenne, möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Komplexität dieses gefährlichsten aller menschlichen Gefühle lenken."
Ferguson scheut sich nicht, weitgehend alleine mit seiner Analyse zu stehen. Statt das Zeitalter der Befreiung und der Emanzipation zu feiern, sieht er die Entfesselung der Gewalt als Folge des Niedergangs der Großreiche, ob Habsburg, die Osmanen, das Zarenreich, das französische Empire oder das British Empire.
"Die Gewalt war zum großen Teil eine Folge von Niedergang und Fall der großen Vielvölker-Imperien, die um 1900 die Welt beherrscht hatten."
Die These hat viel für sich. Man muss sich nur erinnern, dass große Teile des Mittleren Ostens, solange sie noch unter den Osmanen zu leben hatten, sehr viel weniger bluteten als seitdem, von Irak und Libanon bis zum Heiligen Land.
Endlich: der Niedergang des Westens. Dass sich die Gleichgewichte der Macht und der Wirtschaftskraft vom Atlantik zum Pazifik verschieben, von den Satten zu den Hungrigern, von den 15-Dollar-pro-Stunde-Verdienern zu den 5-Dollar-am-Tag-Verdienern, wird seit 15 Jahren jeden Tag offenkundiger. Francis Fukuyama rief am Ende des Kalten Krieges das "Ende der Geschichte" aus. Das war nicht nur verfrüht, wie sich seitdem zeigte, sondern beruhte, so Ferguson, auf einem grundlegenden Irrtum. Kein asiatisches Land hat sich, von äußeren Anpassungen wie Nadelstreifen und MacFood abgesehen, in ein westliches Land verwandelt. Stattdessen gibt es eine säkulare historische Gewichtsverlagerung, die den Todeszuckungen der alten Reiche, eingeschlossen Überanstrengung und Niedergang der amerikanischen Dominanz, folgte und folgt.
Ferguson erwarb Rang und Harvard-Ruf mit einer Reihe von Büchern über die großen Fragen des Staatensystems und der Weltwirtschaft. In Deutschland wurde er vor allem bekannt durch ein merkbar exzentrisches Buch über den Ersten Weltkrieg: "Der falsche Krieg". Mit seinem jüngsten Buch knüpft er an die Thesen vom europäischen Bürgerkrieg an, die seit etwa zwei Jahrzehnten den Blick öffneten auf den weiteren Kontext des Zweiten Weltkriegs. Er wollte nicht eine weitere Darstellung diplomatischer Manöver, militärischer Aktionen und blutiger Folgen liefern.
"Stattdessen begann ich mich zu fragen , ob es tatsächlich so etwas wie DEN Zweiten Weltkrieg gegeben hat, oder ob es nicht richtiger wäre, von einer Vielzahl regionaler Konflikte zu sprechen."
Wann begann das alles? Mit dem Spanischen Bürgerkrieg, dem deutschen Überfall auf Österreich? Der Sudetenkrise 1938, dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Prag, dem Polenfeldzug? Den sieben Monaten "Sitzkrieg" folgte der Blitzkrieg im Westen - ein Jahr später der Überfall auf die Sowjetunion. Ferguson kritisiert die vorherrschend europa- und deutschlandzentrische Sicht und weitet den Blick für die Machtkämpfe in Fernost, nicht zuletzt um Rohstoffe und Öl, Öl, Öl. Aus dem Blickwinkel des Pazifiks gesehen, war das Geschehen in Europa fern und wenig wichtig – und so hat auch Washington bis in den Zweiten Weltkrieg hinein die Lage zwischen Pazifik und Atlantik beurteilt. Erst im Rückblick, weil Hitler die USA angriff und Churchill die amerikanische Politik in Richtung Europa lenkte, geriet das monumentale Geschehen in Asien aus dem Blickfeld. Europa war der Schauplatz der Europäer. Aber, so Ferguson:
"Das alles hatte kaum eine Beziehung zu den von Japan angezettelten Kriegen… Außerdem tobten vor, während und nach diesen zwischenstaatlichen Konflikten Bürgerkriege vor allem in China, Spanien, auf dem Balkan, in der Ukraine und in Polen. Und kaum war dieser angebliche Weltkrieg beendet, brach über den Nahen Osten und Asien eine neue Welle der Gewalt herein, die von Historikern euphemistisch Entkolonialisierung genannt wird."
Das alles ist ein großes Programm, und Ferguson nimmt den Leser mit auf die Schauplätze. Aber nicht nur. Er jagt ihm auch einen gehörigen Schrecken ein. Denn noch ist die Geschichte der Gewalt und der Kriege nicht zu Ende. Vielleicht kommt sie zurück.
"Bei der Arbeit an dem vorliegenden Buch hat sich mir die Frage gestellt, ob man den globalen Krieg, den ich beschreibe, wirklich als beendet ansehen kann."
Ein halbes Jahrhundert lang hat man geglaubt, dass die Übergewalt nuklearer Waffen die Menschen zu Zurückhaltung und Frieden zwingen würde. Das war das Gesetz des Kalten Krieges. Aber es gilt nicht länger, die Europäer ahnen, dass sie nicht auf einer friedensgarantierten Insel leben. Terror, Massenvernichtungswaffen, Chaosstaaten – sie drohen mit Fortsetzung des Großen Krieges. Eine Welt ohne Weltordnung.
Es ist in der Tat keine Frohbotschaft, mit der Ferguson nach vielen hundert Seiten das Kolossalgemälde enden lässt – und wenigstens das lange Schlusskapitel zur Gegenwart sollte man, wenn man alles Vorige nur überfliegt, gründlich lesen. Das Ganze ist, kompetent übersetzt und trotz des banalen Titels, ein Buch des heroischen Pessimismus. Im Zeitalter der Globalisierung öffnet diese große Studie den Blick für das brutale Welttheater der Vergangenheit und vertieft das Verständnis der Gegenwart und ihrer Ungewissheiten. Nicht "Ende der Geschichte" nach Fukuyama ist angesagt, sondern, nach Shakespeare, "sound and fury", Lärmen und Donnern, oder, nach Ferguson:
"Der Mensch bleibt der schlimmste Feind des Menschen. Wir werden ein neues Jahrhundert kriegerischer Auseinandersetzungen nur dann vermeiden können, wenn wir die Antriebe verstehen, die das Leid des letzteren verursacht haben – jene dunklen Kräfte, die in Zeiten wirtschaftlicher Krise ethnische Konflikte und imperiale Rivalitäten heraufbeschwören und unser gemeinsames Menschsein negieren. Es sind Kräfte, die sich in uns noch immer regen."
Niall Ferguson: Welt im Krieg
Was ging schief im 20. Jahrhundert?
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt und Klaus Binder
Propyläen Verlag, Berlin 2006