Das Jammern der Alten

"Errötende Mörder" handelt vom Alter und der Grausamkeit des Alterns. Es ist ein heikles Thema für eine 66-jährige Schriftstellerin. Wahrscheinlich zündet Brigitte Kronauer deshalb ein Feuerwerk literarischer Anspielungen, als schützendes Blendwerk. Der Roman ist so beobachtungsgenau und sprachmächtig wie alle Werke der Autorin.
Eine echte Krise ist es nicht, in der sich der rund vierzigjährige Held zu Beginn von Brigitte Kronauers neuem Roman befindet. Er hat einfach nur ein wenig Skrupel. Nach zehnjähriger Ehe ist Jobst Böhme im Begriff, sich von seiner Frau zu trennen, der schönen, deutlich jüngeren Russin Natalja wegen.

Längst arbeitet sie in seinem Hamburger Elektro-Laden mit, zu seiner und der Kunden Zufriedenheit. Jobst Böhme muss sich nur noch den letzten Ruck geben, um die endgültige Trennung von seiner Frau mit Anstand über die Bühne zu bringen; jede Schrulle, jede Eigenart kommt ihm da recht, zum Beispiel wie affektiert sie immer den Finger abspreizt. Aber kann eine Scheidung jemals anständig sein?

Jobst Böhme erzählt einem Freund von seinem Konflikt. Der ist Schriftsteller und hat eine vermeintlich ideale Lösung. Er solle doch einfach für ein verlängertes Wochenende in die Schweizer Berge fahren. Dort werde er sich schon über alles klar werden. Großzügig überreicht er Böhme den Schlüssel seines Apartments.

Allerdings hat er eine Bitte. Der Freund möge doch in der Abgeschiedenheit der Alpen drei Roman-Manuskripte Korrektur lesen. Böhme schlägt ein. Und wie sich herausstellt, ist die Sache ein Teufelspakt.

Ohne dass er es richtig merkt, sitzt er in der Falle. Zwar dämmert ihm rasch, dass der Schriftsteller vermutlich Böses im Schilde führt und seine Abwesenheit dazu nutzen will, Natalja zu verführen. Dass aber auch seine Erfinderin, die Schriftstellerin Brigitte Kronauer, ein Spiel mit ihm treibt, kann er naturgemäß nicht wissen. Nur der Leser ahnt es.

Denn wofür sonst sollten die drei obskuren Romane, einer verstiegener als der andere, dienen, als den etwas einfältigen Helden durch Verwirrung zu läutern? Der erste handelt von einem leidenschaftlichen Sammler. Der ist nicht nur von seiner Frau, die als Reaktion auf seine Sammelwut einen ebenso leidenschaftlichen Geiz entwickelt hat, verlassen worden, er wird auch von einem äußerst zwielichtigen Gesellen heimgesucht.

Im zweiten Roman, dessen Titel mit dem des Buches identisch ist, gerät ein Midlife-Crisis geplagter Elektriker, kaum hat er sich zum Kauf einer 750er Honda entschlossen, in voller Lederkluft in eine typische Rentner-Gesellschaft. Der Bus, den er für einen Linienbus hielt, fährt über Land zur Rapsblüte. Es gibt kein Entrinnen.

Und während er das ebenso grauenhafte wie rührende Jammern und Wehklagen der Alten anhört, altert er selbst so schnell, wie es nur im Märchen möglich ist.

Der dritte Roman schließlich erzählt von einer Frau, die sich eine kleine Auszeit von ihrer Familie nimmt und dabei in Versuchung gerät. Das geht mächtig und schmachvoll schief.

"Errötende Mörder" handelt vom Alter und der Grausamkeit des Alterns. Es ist ein heikles Thema für eine 66-jährige Schriftstellerin. Wahrscheinlich zündet sie deshalb ein Feuerwerk literarischer Anspielungen: als schützendes Blendwerk. Der Roman ist so beobachtungsgenau und sprachmächtig wie alle Werke der Autorin.

Dennoch fragt man sich, ob ihr Schreiben an eine Grenze gekommen ist, ob ihm weniger Kunstfertigkeit nicht gut täte. Denn sie will ja die Gegenwart fassen und von der Wirklichkeit erzählen. Das große moralische Anliegen des Romans verschwindet fast vor lauter Zauberkunststücken: "Errötende Mörder" erkundet die Restbestände des Gewissens.


Rezensiert von Meike Feßmann


Brigitte Kronauer: Errötende Mörder
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2007, 333 Seiten, 21,50 Euro