Das kalte Blau von Blicken
Um ganz großes Kino geht es in Albert Ostermaiers Gedichtsammlung "Polar", dessen Titel spiegelbildlich zwei Bedeutungen beinhaltet: arktisch, die Polargebiete betreffend und das französische Kino der 60er und 70er Jahre. Unglaublich wie Ostermaiers subtiler Sprachschliff den Angstschweiß seiner Filmhelden in unsere Nase zu lenken vermag.
Albert Ostermaiers Textgebilde sind Seismographen, die den vielfältigen Erschütterungen im Innern auflauern, sie gierig aufsaugen und den Herzschlägen der Sprache überantworten. Bereits mit der Gedichtsammlung "Herz Vers Sagen" war ein Programm zu erkennen, das sich den nervösen Zuckungen der Sinnesorgane verpflichtet fühlt und sich nicht scheut, das Herz als klassisches Inventar lyrischen Sprechens zu bedienen. Titel wie "fremdkörper hautnah" (1997), "Heartcore" (1999) und "Solarplexus" (2004) haben dazu beigetragen, das Credo des Autors innerhalb eines Jahrzehnts anschaulich zu machen, ohne dabei den Leser zu schonen.
Denn kalt und reichlich schmerzvoll geht es in Ostermaiers Texten schon zu. Aber - und das mag paradox klingen - auch recht vergnüglich. Wie heißt es im Gedicht "stay" aus "Solarplexus": "die/luft strömt durch meinen/perforierten körper tanzen/tanzen nur mit den lidern". Mit "Solarplexus", dem "Sonnengeflecht" des menschlichen Nervensystems, gelang es ihm die oft geschmähte Herzmetapher ideenreich zu erweitern. Sein Blick macht sich diese Errungenschaft fortan zu nutze und nistet sich genau da ein, wo sich Übergänge und Grenzen andeuten und das Herz zu schmerzen beginnt.
In der vorliegenden Gedichtsammlung "Polar" widmet sich der 1967 geborene und 2003 mit dem Kleistpreis geehrte Autor einer weiteren Königsdisziplin: dem Auge. Bereits in "Autokino" von 2001 verschränkte sich der Bereich dieses Sinnesorgans mit dem der Grenze. Das Autokino als Grenzstation wird zur Arena, in der das Leben als "kleiner billiger film" aufscheint, der nicht mehr "nachsynchronisiert" werden muss. Um ganz großes Kino geht es indessen in "Polar", dessen Titel spiegelbildlich zwei Bedeutungen beinhaltet: arktisch, die Polargebiete betreffend und das französische Kino der 60er und 70er Jahre.
Bei aller Eiseskälte ein Traumkapitel in der Nachkriegsgeschichte des Films, das mit Namen wie Jean-Pierre Melville und Alan Delon verbunden ist. So spielen Ostermaiers Texte mit unvergesslichen Szenen, Kameraeinstellungen, deren Dauer heute das Budget jeden Regisseurs strapazieren würde und mit dem kalten Blau von Blicken, für die nicht allein Delon verantwortlich zu machen ist. Wenngleich dieser stets einen Augen-Blick zu lang in die Kamera sah, so dass sich im Gedicht "le samouraï" selbst die Glühbirne "an die kälte seiner augen" vergeudet.
Unglaublich wie Ostermaiers subtiler Sprachschliff den Angstschweiß seiner Filmhelden in unsere Nase zu lenken vermag - "die angst lässt sich nicht aus den/hemden waschen ihr geruch bleibt am/kragen hängen sie steigt knopf für knopf/bis unter das kinn sein kehlkopf schmerzt" ("un flic et son étoile") - und wie die Kälte langsam in uns aufsteigt, wenn da steht: "ich seh den schnee wie er in deinen/augen fällt wie mein spiegelbild/vereist in deinen blicken" ("la sirène").
Flankiert wird Ostermaiers grandiose Gedichtsammlung von filmischen Abbildungen, die motivische Klassiker zeigen sowie einem Nachwort, das demjenigen auf die Sprünge hilft, der das französische Kino aus den Augen verloren hat.
Rezensiert von Carola Wiemers
Albert Ostermaier: Polar
Mit einem Nachwort von Michael Althen.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, 139 Seiten, 20,80 Euro.
Denn kalt und reichlich schmerzvoll geht es in Ostermaiers Texten schon zu. Aber - und das mag paradox klingen - auch recht vergnüglich. Wie heißt es im Gedicht "stay" aus "Solarplexus": "die/luft strömt durch meinen/perforierten körper tanzen/tanzen nur mit den lidern". Mit "Solarplexus", dem "Sonnengeflecht" des menschlichen Nervensystems, gelang es ihm die oft geschmähte Herzmetapher ideenreich zu erweitern. Sein Blick macht sich diese Errungenschaft fortan zu nutze und nistet sich genau da ein, wo sich Übergänge und Grenzen andeuten und das Herz zu schmerzen beginnt.
In der vorliegenden Gedichtsammlung "Polar" widmet sich der 1967 geborene und 2003 mit dem Kleistpreis geehrte Autor einer weiteren Königsdisziplin: dem Auge. Bereits in "Autokino" von 2001 verschränkte sich der Bereich dieses Sinnesorgans mit dem der Grenze. Das Autokino als Grenzstation wird zur Arena, in der das Leben als "kleiner billiger film" aufscheint, der nicht mehr "nachsynchronisiert" werden muss. Um ganz großes Kino geht es indessen in "Polar", dessen Titel spiegelbildlich zwei Bedeutungen beinhaltet: arktisch, die Polargebiete betreffend und das französische Kino der 60er und 70er Jahre.
Bei aller Eiseskälte ein Traumkapitel in der Nachkriegsgeschichte des Films, das mit Namen wie Jean-Pierre Melville und Alan Delon verbunden ist. So spielen Ostermaiers Texte mit unvergesslichen Szenen, Kameraeinstellungen, deren Dauer heute das Budget jeden Regisseurs strapazieren würde und mit dem kalten Blau von Blicken, für die nicht allein Delon verantwortlich zu machen ist. Wenngleich dieser stets einen Augen-Blick zu lang in die Kamera sah, so dass sich im Gedicht "le samouraï" selbst die Glühbirne "an die kälte seiner augen" vergeudet.
Unglaublich wie Ostermaiers subtiler Sprachschliff den Angstschweiß seiner Filmhelden in unsere Nase zu lenken vermag - "die angst lässt sich nicht aus den/hemden waschen ihr geruch bleibt am/kragen hängen sie steigt knopf für knopf/bis unter das kinn sein kehlkopf schmerzt" ("un flic et son étoile") - und wie die Kälte langsam in uns aufsteigt, wenn da steht: "ich seh den schnee wie er in deinen/augen fällt wie mein spiegelbild/vereist in deinen blicken" ("la sirène").
Flankiert wird Ostermaiers grandiose Gedichtsammlung von filmischen Abbildungen, die motivische Klassiker zeigen sowie einem Nachwort, das demjenigen auf die Sprünge hilft, der das französische Kino aus den Augen verloren hat.
Rezensiert von Carola Wiemers
Albert Ostermaier: Polar
Mit einem Nachwort von Michael Althen.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, 139 Seiten, 20,80 Euro.