"Das kann doch nicht das Ende sein"

Von Patrick Stegemann |
Die beiden in Deutschland geborenen Autoren Lea Fleischmann und Chaim Noll haben die Bundesrepublik vor Jahren enttäuscht verlassen und eine neue Heimat in Israel gesucht. Dort fanden sie ein neues Verhältnis zu ihrem jüdischen Glauben. Und zu ihrem Geburtsland.
Meitar, im Norden der Negevwüste in Israel: Eine kleine Stadt, schmucke Häuser, gepflegte Vorgärten. Am Ende der von Einfamilienhäusern gesäumten Straße streift der Blick über die Wüstenlandschaft, im Norden beginnt das Westjordanland, in den sanften Hügeln sind mehrere kleine Dörfer zu erkennen. Ein Haus in der idyllischen Straße sticht mit seiner kräftig roten Fassade deutlich hervor.

Hier lebt der deutsch-israelische Schriftsteller Chaim Noll mit seiner Frau, der Malerin Sabine Kahane. 1954 in Berlin geboren, verlässt er 1984 die DDR, wandert Mitte der 90er nach Israel aus. Was er dem Land, in der er aufwuchs, hinterlässt, ist ein wütendes Pamphlet. In seinen "Nachtgedanken über Deutschland" rechnet er ab: Mit den SED-Wächtern seiner Kindheit im Osten, dem deutsch-nationalen Taumel nach der Wiedervereinigung, dem omnipräsenten Antisemitismus. Deutschland, schreibt er 1992, sei im Allgemeinen kein besonders judenfreundliches Land, verstockt und ängstlich schauten die Deutschen auf alles Fremde.

In Deutschland habe sich vieles verändert, sagt Noll heute - weit mehr als ein Jahrzehnt, nachdem er mit seiner Familie in Israel eine neue Heimat gefunden hat.

"Inzwischen sehen ich es als historisches Dokument, gerade im Zusammenhang mit den starken Veränderungen. Und für junge Generationen, die sich vielleicht gar nicht mehr vorstellen können, was wir da überhaupt für Probleme hatten und wie schwierig die Lage von Juden in Deutschland war, dass es das festhält. Und das sehr authentisch."

Nach seiner Ausreise besucht Noll die Bundesrepublik zehn Jahre lang nicht mehr, hört gar auf, Deutsch zu schreiben und deutsche Bücher zu lesen. 2006 veröffentlicht er gemeinsam mit der deutsch-israelischen Autorin Lea Fleischmann das Buch "Meine Sprache wohnt woanders". Für ihn die erleichterte Rückkehr in seine Muttersprache.

"Es ist eine Sprache, die sehr viel mit Judentum zu tun hat, weil solange Juden in Deutschland gelebt haben. Es gibt eine starke deutsch-jüdische Literatur über Jahrhunderte. Da gehöre ich gerne dazu."

Auch Lea Fleischmann, die bereits 1979 aus Westdeutschland nach Israel auswanderte, schreibt weiterhin auf Deutsch. Und auch sie legte die Gründe ihrer Ausreise in einem vielbeachteten Buch dar. In "Dies ist nicht mein Land" kritisiert die Tochter von Holocaustüberlebenden den deutschen Untertanengeist.

"Ich dachte damals, wenn in Deutschland sich die Verhältnisse ändern werden und radikale Partei an die Regierung kämen und neue Gesetze erlassen werden; die Beamten werden alles ausführen, wie sie es schon immer gemacht haben. Vielleicht diese Erkenntnis gemeinsam mit meiner persönlichen Familiengeschichte haben mich dann bewogen, dass ich dann gesagt habe, ich möchte in Deutschland nicht mehr leben."

Lea Fleischmann gibt mit 32 Jahren eine sichere Beamtenstellung im Frankfurter Schuldienst auf und wandert nach Israel aus. Erst in Israel nähert sie sich dem jüdischen Glauben, der für die in der 68er-Bewegung aktive Frau bis dahin kaum eine Bedeutung hatte.

"Über die hebräische Sprache begann ich überhaupt zu begreifen, was für ein Werk wir hier haben, was für ein geistiges Werk. Und dann natürlich die Atmosphäre in Jerusalem. Sehen sie, Jerusalem ist eine moderne Stadt, die aber gleichzeitig doch sehr stark von religiösen Gruppen geprägt ist. Es ist eigentlich diese religiöse Prägung, gibt ja dieser Stadt so seinen, ich würde sagen, einen ganz bestimmten Rhythmus."

Heute sei ein Leben ohne die jüdische Religion für sie nicht mehr denkbar. Ihre Hinwendung zum Glauben beeinflusst auch ihr schriftstellerisches Wirken, in ihren Büchern und Vorträgen in Deutschland versucht sie religiösen Laien den Gedanken des Judentums nahe zu bringen.

Auch Chaim Noll musste seinen Weg zum Judentum erst finden. Als Kind des berühmten DDR-Schriftstellers Dieter Noll gehörte er zur privilegierten Schicht der DDR, doch Religiosität und Judentum waren gerade hier verpönt und wurden so fast unmöglich. Nach seiner Ausreise in die BRD Mitte der 80er befasst er sich immer intensiver mit dem Judentum, lernt hebräisch und geht in die Synagoge. Auf seinem Weg zum Glauben bedeutete die Auswanderung nach Israel dennoch einen wichtigen Schritt.

"Israel hat uns dann natürlich nochmal den entscheidenden Kenntniszuwachs und die Sprachkenntnis usw. gegeben, dass man tatsächlich sagen kann, man ist im Judentum zuhause, man versteht es. Also das ist dann erst in Israel möglich gewesen vor dem Hintergrund der authentischen Atmosphäre der Orte, der Landschaften, der Luft, der Menschen."

Chaim Noll und Lea Fleischmann - zwei Deutsche, die ihr Geburtsland verließen, um eine neue Heimat in Israel zu finden. Mit wenig mehr als einigen Reisetaschen landeten sie damals in einem ihnen bis dahin völlig unbekannten Land. Was sie mitnahmen, war die Überzeugung, in Deutschland nicht mehr leben zu wollen und die Hoffnung, in Israel eine neue Heimat zu finden.

Bei allem Groll und aller Enttäuschung, die die beiden Autoren letztlich zur Ausreise bewogen: Ihrem Geburtsland blieben sie stets verbunden - durch ihre Sprache und nicht zuletzt durch ihren kritischen Blick auf die Bundesrepublik. Das jüdische Leben in Deutschland sei heute ein anderes, findet Lea Fleischmann.

"In Deutschland hat sich jüdisches Leben integriert. Ich gehöre auch nicht zu jenen, die sagen, man müsse auswandern. Ich denke, man kann auch in Deutschland als Jude und auch wenn man religiös ist, kann man also dort auch einen Weg finden."

Auch die deutsch-israelischen und deutsch-jüdischen Beziehungen haben sich im vergangenen Jahrzehnt stark verändert - zum Guten, glaubt Chaim Noll.

"Und von daher finde ich es ganz okay, und ganz richtig und auch historisch richtig, wenn wir das nun nicht mit dem Jahr 33 für ewig abgebrochen erklären, sondern sagen: Gut, das war natürlich ein katastrophaler Einbruch, überhaupt in der Menschheitsgeschichte, in der Menschheitskultur. Dennoch, kann das nicht das Ende sein."