Das Klavierwerk von Nikolai Medtner

Schellackplatten für den Maharadscha

Der Pianist Severin von Eckardstein
Der musikalischen Märchenwelt Nikolai Medtners seit langem auf der Spur: Der Pianist Severin von Eckardstein © imago stock&people
Gast: Severin von Eckardstein, Pianist; Moderation: Julia Smilga |
In der russischen Klaviermusik der ausgehenden Romantik konkurrieren Rachmaninow und Skrjabin um die Gunst des Publikums, während ihr Zeitgenosse Nikolai Medtner vergleichsweise unbekannt ist. Neue Aufnahmen entreißen Medtner dem Vergessen.
Deutliche Ausprägungen, klare Zuordnungen: Ins Repertoire finden diejenigen Komponisten am leichtesten Eingang, die (vermeintlich) leicht zu charakterisieren sind. In der russischen Musik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, zumal der Klaviermusik, konzentriert sich das Interesse des Publikums auf die Antipoden Alexander Skrjabin und Sergej Rachmaninow – übersteigert bis zur Auflösung der Tonalität der eine, mitreißend und vergleichsweise konservativ der andere.

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Für den wenige Jahre jüngeren Nikolai Medtner scheint hier kein rechter Platz zu sein – ein wenig zwischen den Stühlen befand sich der russische Komponist mit deutsch-skandinavischen Wurzeln aus heutiger westeuropäischer Sicht schon von Anfang an, denn er wurde nach dem julianischen Kalender am 24. Dezember 1879, nach dem gregorianischen aber am 5. Januar 1880 geboren… Gestorben ist er 1951 in London.

Stationen eines Wanderlebens

Als Rachmaninow, sein lebenslanger Freund und Bewunderer, vor der Oktoberrevolution in den Westen flüchtete, kritisierte Medtner dies zunächst. Dann aber sah Medtner, wie das nicht unbeträchtliche Vermögen seiner Familie im Kommunismus nicht mehr zu halten war und verließ Russland nun selbst. Berlin, Paris und London waren die Stationen des folgenden Wanderlebens, durchaus erfüllt von erstaunlichen Begegnungen. Etwa denen mit dem Maharadscha von Mysore, für den Medtner Schellackplatten einspielte und ihm sogar sein Drittes Klavierkonzert widmete.
Die Hände des russischen Komponisten und Pianisten Sergej Rachmaninow auf der Tastatur im Spiel.
Mehr als zehn Finger stehen leider nicht zur Verfügung: Die Hände des Komponisten und Pianisten Sergej Rachmaninow, der mit Nikolai Medtner eng befreundet war.© imago stock&people
Erstaunlich ist aber auch, wem Medtner nicht begegnete, weil er es nicht wollte: So lehnte er etwa ein Treffen mit dem damals in Berlin einflussreichen Komponisten Franz Schreker ab, weil er dessen Musik nicht mochte. Medtner war konservativ, vor allem aber eigenbrötlerisch – ein Komponist, der nur für die Vision seiner Musik lebte.

Nachtwind in Noten

In seiner Einsamkeit wurde Medtner zu einem sehr produktiven Schöpfer, der neben zahlreichen Klavier-"Märchen" auch 14 Sonaten für sein Instrument schrieb, die inzwischen als einer der spannendsten russischen Geheimtipps der Klavierliteratur gelten und unter anderem von unerschrockenen Virtuosen wie Marc-André Hamelin gepflegt werden.
Von den älteren Pianisten haben sich etwa Emil Gilels und Vladimir Horowitz für Medtner eingesetzt, und Horowitz war es auch, mit dessen Aufnahme unser Studiogast diese Musik kennenlernte: Severin von Eckardstein. 2003 gewann er den Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel. Seitdem zählt er zu den führenden deutschen Pianisten seiner Generation. Medtners Musik, insbesondere die "Nachtwind"-Sonate (1910-12) hat Severin von Eckardstein für das Label Dabringhaus & Grimm eingespielt.
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