Das Kruzifix – als Wandschmuck missverstanden
Die politisch Mächtigen in der unruhigen Provinz Judäa hatten im Jahr 30 ein Problem mit einem religiösen Prediger. Er kündigte das Ende der Not und Ungerechtigkeit durch das Eingreifen Gottes an. Die Machthabenden begriffen vielleicht besser als der Prediger selbst, dass es dann auch mit ihnen vorbei wäre.
Um sich seiner zu entledigen, machten sie einen kurzen Prozess und verurteilten ihn zur Kreuzigung. Die Kreuzigung galt als eine der widerlichsten Hinrichtungsarten. Sie sollte der Abschreckung dienen durch entsetzliches Leiden und Demütigung. Das Sterben konnte Tage dauern. Dass Jesus von Nazaret schon nach wenigen Stunden am Kreuz starb, ist wohl durch die vorausgehende Folter zu erklären. Späteren erschien es als das letzte Wunder eines kurzen Lebens.
Für Christen hatte dieses blutige Sterben am Kreuz freilich noch eine andere Dimension: Es wurde ihnen auf paradoxe Weise zum Geschehen des Heils. Sie und viele nach ihnen glaubten, dass der Kreuzestod den Tod selbst überwunden hatte und er ihnen die endgültige Rettung aus den Verstrickungen des Bösen ermöglichte.
Lange scheuten die Christen vor einer bildlichen Darstellung zurück. Es war ungeheuerlich genug, einen Gekreuzigten als Erwählten Gottes zu verkündigen. Auch noch darzustellen, wie er unter Qualen verreckte, wäre eine zu große Zumutung gewesen. Erst als das Römische Reich christlich wurde, wurde aus dem Werkzeug der Hinrichtung ein öffentliches Symbol. Kaiser Konstantin, so wird erzählt, habe vor einer Schlacht ein Kreuz gesehen und ihm sei verheißen worden: "In diesem Zeichen wirst Du siegen". Durch Jahrhunderte nahm man das sehr wörtlich und das Kreuz schmückte die Waffen der Soldaten, deren Gräber es später kennzeichnen sollte.
Denkwürdig ist, dass auch heute um das Kreuz noch kein Ermüdungsfrieden eingetreten ist und dass es in einer säkularen Gesellschaft Konflikte darüber gibt. Und vielleicht ist es auch ungewöhnlich, dass ein katholischer Theologe eher Verständnis für die Kritiker des Kreuzes in staatlichen Räumen aufbringt als für die Verteidiger. Zwar blieb uns jüngst das Argument aus dem bayerischen Kreuzstreit erspart, das Kreuz gehöre zum Brauchtum. Aber auch das Wort vom Kreuz als dem Symbol christlicher Tradition hinterlässt einen schalen Beigeschmack, denn es steht durchaus zu befürchten, dass man meint, das Symbol sei schon genug an Christlichkeit.
Dabei geht verloren, was hinter dem Kreuz steht: historisch der Tod des gequälten Juden aus Nazaret, für den Gläubigen der Anspruch Gottes auf die Welt und ihr Heil. Christen sollten eher besorgt sein, wenn das Kreuz nicht mehr "Ärgernis" wäre, wie der Apostel Paulus sagte. Denn die Logik des Kreuzes verläuft quer zu der Vernunft einer Welt, die weder von Schuld noch von Rettung reden will.
Christen stünde es daher gut an, misstrauisch und ungehalten zu sein, wenn ihr zentrales religiöses Symbol als ein diffuses politisches Emblem verwendet wird, das oft genug zum Wandschmuck verkommt. Sie werden auch fragen dürfen, wer eigentlich heute noch gegen wen in diesem Zeichen siegen will. Was das Kreuz bedeutet, ist politisch nicht verwertbar. Im Gegenteil: Es ist entwertet, leichter konsumierbar geworden, wo es als Symbol nicht religiös begründet wurde. Und das hat das Kreuz nicht verdient.
Rainer Kampling, katholischer Theologe, geboren 1953 im Münsterland. Studium der Katholischen Theologie, Lateinischen Philosophie und Judaistik. Seit 1992 Professor für Biblische Theologie und Neues Testament an der Freien Universität Berlin, Initiator und Leiter des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Masterstudiengangs Geschichte, Theorie und Praxis der Jüdisch-Christlichen Beziehungen.
Für Christen hatte dieses blutige Sterben am Kreuz freilich noch eine andere Dimension: Es wurde ihnen auf paradoxe Weise zum Geschehen des Heils. Sie und viele nach ihnen glaubten, dass der Kreuzestod den Tod selbst überwunden hatte und er ihnen die endgültige Rettung aus den Verstrickungen des Bösen ermöglichte.
Lange scheuten die Christen vor einer bildlichen Darstellung zurück. Es war ungeheuerlich genug, einen Gekreuzigten als Erwählten Gottes zu verkündigen. Auch noch darzustellen, wie er unter Qualen verreckte, wäre eine zu große Zumutung gewesen. Erst als das Römische Reich christlich wurde, wurde aus dem Werkzeug der Hinrichtung ein öffentliches Symbol. Kaiser Konstantin, so wird erzählt, habe vor einer Schlacht ein Kreuz gesehen und ihm sei verheißen worden: "In diesem Zeichen wirst Du siegen". Durch Jahrhunderte nahm man das sehr wörtlich und das Kreuz schmückte die Waffen der Soldaten, deren Gräber es später kennzeichnen sollte.
Denkwürdig ist, dass auch heute um das Kreuz noch kein Ermüdungsfrieden eingetreten ist und dass es in einer säkularen Gesellschaft Konflikte darüber gibt. Und vielleicht ist es auch ungewöhnlich, dass ein katholischer Theologe eher Verständnis für die Kritiker des Kreuzes in staatlichen Räumen aufbringt als für die Verteidiger. Zwar blieb uns jüngst das Argument aus dem bayerischen Kreuzstreit erspart, das Kreuz gehöre zum Brauchtum. Aber auch das Wort vom Kreuz als dem Symbol christlicher Tradition hinterlässt einen schalen Beigeschmack, denn es steht durchaus zu befürchten, dass man meint, das Symbol sei schon genug an Christlichkeit.
Dabei geht verloren, was hinter dem Kreuz steht: historisch der Tod des gequälten Juden aus Nazaret, für den Gläubigen der Anspruch Gottes auf die Welt und ihr Heil. Christen sollten eher besorgt sein, wenn das Kreuz nicht mehr "Ärgernis" wäre, wie der Apostel Paulus sagte. Denn die Logik des Kreuzes verläuft quer zu der Vernunft einer Welt, die weder von Schuld noch von Rettung reden will.
Christen stünde es daher gut an, misstrauisch und ungehalten zu sein, wenn ihr zentrales religiöses Symbol als ein diffuses politisches Emblem verwendet wird, das oft genug zum Wandschmuck verkommt. Sie werden auch fragen dürfen, wer eigentlich heute noch gegen wen in diesem Zeichen siegen will. Was das Kreuz bedeutet, ist politisch nicht verwertbar. Im Gegenteil: Es ist entwertet, leichter konsumierbar geworden, wo es als Symbol nicht religiös begründet wurde. Und das hat das Kreuz nicht verdient.
Rainer Kampling, katholischer Theologe, geboren 1953 im Münsterland. Studium der Katholischen Theologie, Lateinischen Philosophie und Judaistik. Seit 1992 Professor für Biblische Theologie und Neues Testament an der Freien Universität Berlin, Initiator und Leiter des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Masterstudiengangs Geschichte, Theorie und Praxis der Jüdisch-Christlichen Beziehungen.