Das kurze Leben eines vergessenen Autors
Der Expressionist Walter Rheiner wurde 1895 in Köln geboren und nahm sich mit 30 vereinsamt und kaum beachtet das Leben. Einzig die erschütternde Novelle "Kokain" überdauerte. Das nun erschienene Hörbuch umfasst neben ihr auch Gedichte und Briefe.
Der Expressionist Walter Rheiner, mit bürgerlichem Namen Schnorrenberg, wurde 1895 in Köln geboren, mit 30 Jahren nahm er sich vereinsamt und kaum beachtet das Leben; einzig die erschütternde Novelle "Kokain" überdauerte. Nun will uns ein junger Hörbuchverlag auch seine Gedichte und Briefe nahe bringen.
"Ach, es ist nichts … Ein schwankender Hauch nur,
der an der Stirn verströmt. Ein Knisterwind
am Abendhügel. Scheit, das im Herd zerbrennt.
Oh, es ist nichts …!"
Man könnte dieses Gedicht Walter Rheiners irr-genialisch gedehnt deklamieren, Klaus Kinski hätte das gekonnt. Helmut Krauss ist dezenter, er nimmt sich zurück und betont das Trostlose und Desperate.
"Es ist nichts. Es ist ein trunkener Duft,
ein Phosphorlicht schimmernd im Stubenraum.
Nichts ist’s. Ein dunkler, halberstorbener Laut,
fernhin, ein kleiner Laut …"
Die Verse stammen aus Rheiners Nachlass, damit beginnt ein gelungenes Hörbuch über den vergessenen Autor: ausführlich werden uns – im Wechsel mit seinen charakteristischen Gedichten und Briefen – die verschiedenen Stationen seines kurzen Lebens vorgestellt. Im Mittelpunkt aber steht die erschütternde, wortgewaltige Novelle "Kokain".
Beschrieben wird die letzte Nacht des jungen drogensüchtigen Tobias, dessen Vorbild der Autor selbst ist. Rheiner, der 1914, offenbar auf Einwirkung von Johannes R. Becher, erstmals Kokain nahm, um dem Kriegsdienst zu entgehen, schrieb die Novelle 1918, sie ist sicher einer der ersten derart minuziösen und drastischen deutschen Texte über das ganze Elend der Rauschgiftsucht.
"… Und er? Verstand er zu leben? Wie lebte er denn?
[ … ] Er riegelte sich auf einem der Klosetts ein. Was war das für ein Leben? Ein Aasleben! O du verhasst-geliebtes Gift, Kokain, Kokain."
Mit ergreifendem Genie schildert Rheiner die Leiden, die Gedanken und Halluzinationen des jungen Tobias, seinen Drang nach immer neuen Injektionen und seine Angst vor der Entdeckung. Leider ist die Novelle mit einem überdeutlichen Sphärengeschliere unterlegt. Helmut Krauss liest sie einsichtig fast, schicksalsergeben, nur manchmal hört man die aufblitzende, verzweifelte Hoffnung des Süchtigen. Hier wird die Nacht, die doch in der Welt der Boheme verlockende Verheißung war, zum unentrinnbaren Verhängnis.
"Doch da er aufschaute, sah er die Nacht drohen hinter dem aromatischen Qualm, den sein Mund ausstieß – jene Nacht, seine Nacht, die mit schwarzem Faustschlag diese kurzen Minuten des heiteren Rausches zertrümmerte und sich selbst unerbittlich heranschob mit jenem neuen düsteren Qual-Rausch, dessen rhapsodischen Gesang, endlos gedehnt, sie ihm von jetzt an in die Ohren gellte."
Dabei hatte Rheiner in den Jahren 1917 bis 20 eine fruchtbare und relativ erfolgreiche Zeit, neben "Kokain" schrieb er an die 200 Gedichte und zahlreiche Kritiken. Und er fand einen Verlag in Dresden, der seine schmalen Gedichtbände herausgab. Trotzdem waren seine Geld- und Drogenprobleme nie zu lösen.
Davon zeugt der bittertraurige Briefwechsel zwischen ihm und seiner geliebten Frau Friederike Olle, genannt "Fo", mit der er zwei Kinder hatte. Aus Verzweiflung und Enttäuschung trennt sie sich von ihm, ihr Urteil fällt hart aus:
"Ich liebe Deine Gedichte wie Dich selbst, es ist mir aber rätselhaft, wie Du als Mann so viel Befriedigung darin finden kannst. Da, wo es sich um wirkliche literarische Arbeit handelt, hast Du bisher nichts geleistet."
Fo wird von Isabella Lewandowski einfühlsam interpretiert: ihr liebendes Verständnis, das in Anbetracht der Lage Empörung weichen muss. Ein langer Brief Rheiners zeigt das tiefe Labyrinth von Verzweiflungsentscheidungen und Selbstbetrug, in das er sich verrannt hat – Ulrich Tukur liest den Brief mit allen Nuancen: der falschen Hoffnung, der künstlichen Aufregung, dem verzweifelten Flehen. Und dem Selbstmitleid, das auch in den Gedichten erscheint.
"Ich bin der Fremdling, den ihr alle hasset,
Oh, fremd euch allen, die mich bös umdräun.
Ich bin der lange Mord, den ihr geschehen lasset,
Den eure frechen Fratzen niemals scheun."
Der Expressionismus ist für die einen "krude Sprachverwilderung", für die anderen "bewusste Sprachrevolution". Er war Rausch und Ekstase, in Dichtung und Leben. Etwas ekstatischer hätte man sich die Gedichte also schon gewünscht, Krauss liest sie manchmal zu träge. Und doch: Die Erinnerung an einen überaus talentierten "düsteren Dichter", wie Walter Rheiner sich nannte, ist mehr als verdienstvoll, "Kokain" ist ein in Stimmen und Zusammenstellung geglücktes Hörbuch.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Walter Rheiner: Kokain. Lyrik, Prosa, Briefe
Edition Apollon, Königs Wusterhausen 2010
2 CDs, 127 Minuten, 18 Euro
"Ach, es ist nichts … Ein schwankender Hauch nur,
der an der Stirn verströmt. Ein Knisterwind
am Abendhügel. Scheit, das im Herd zerbrennt.
Oh, es ist nichts …!"
Man könnte dieses Gedicht Walter Rheiners irr-genialisch gedehnt deklamieren, Klaus Kinski hätte das gekonnt. Helmut Krauss ist dezenter, er nimmt sich zurück und betont das Trostlose und Desperate.
"Es ist nichts. Es ist ein trunkener Duft,
ein Phosphorlicht schimmernd im Stubenraum.
Nichts ist’s. Ein dunkler, halberstorbener Laut,
fernhin, ein kleiner Laut …"
Die Verse stammen aus Rheiners Nachlass, damit beginnt ein gelungenes Hörbuch über den vergessenen Autor: ausführlich werden uns – im Wechsel mit seinen charakteristischen Gedichten und Briefen – die verschiedenen Stationen seines kurzen Lebens vorgestellt. Im Mittelpunkt aber steht die erschütternde, wortgewaltige Novelle "Kokain".
Beschrieben wird die letzte Nacht des jungen drogensüchtigen Tobias, dessen Vorbild der Autor selbst ist. Rheiner, der 1914, offenbar auf Einwirkung von Johannes R. Becher, erstmals Kokain nahm, um dem Kriegsdienst zu entgehen, schrieb die Novelle 1918, sie ist sicher einer der ersten derart minuziösen und drastischen deutschen Texte über das ganze Elend der Rauschgiftsucht.
"… Und er? Verstand er zu leben? Wie lebte er denn?
[ … ] Er riegelte sich auf einem der Klosetts ein. Was war das für ein Leben? Ein Aasleben! O du verhasst-geliebtes Gift, Kokain, Kokain."
Mit ergreifendem Genie schildert Rheiner die Leiden, die Gedanken und Halluzinationen des jungen Tobias, seinen Drang nach immer neuen Injektionen und seine Angst vor der Entdeckung. Leider ist die Novelle mit einem überdeutlichen Sphärengeschliere unterlegt. Helmut Krauss liest sie einsichtig fast, schicksalsergeben, nur manchmal hört man die aufblitzende, verzweifelte Hoffnung des Süchtigen. Hier wird die Nacht, die doch in der Welt der Boheme verlockende Verheißung war, zum unentrinnbaren Verhängnis.
"Doch da er aufschaute, sah er die Nacht drohen hinter dem aromatischen Qualm, den sein Mund ausstieß – jene Nacht, seine Nacht, die mit schwarzem Faustschlag diese kurzen Minuten des heiteren Rausches zertrümmerte und sich selbst unerbittlich heranschob mit jenem neuen düsteren Qual-Rausch, dessen rhapsodischen Gesang, endlos gedehnt, sie ihm von jetzt an in die Ohren gellte."
Dabei hatte Rheiner in den Jahren 1917 bis 20 eine fruchtbare und relativ erfolgreiche Zeit, neben "Kokain" schrieb er an die 200 Gedichte und zahlreiche Kritiken. Und er fand einen Verlag in Dresden, der seine schmalen Gedichtbände herausgab. Trotzdem waren seine Geld- und Drogenprobleme nie zu lösen.
Davon zeugt der bittertraurige Briefwechsel zwischen ihm und seiner geliebten Frau Friederike Olle, genannt "Fo", mit der er zwei Kinder hatte. Aus Verzweiflung und Enttäuschung trennt sie sich von ihm, ihr Urteil fällt hart aus:
"Ich liebe Deine Gedichte wie Dich selbst, es ist mir aber rätselhaft, wie Du als Mann so viel Befriedigung darin finden kannst. Da, wo es sich um wirkliche literarische Arbeit handelt, hast Du bisher nichts geleistet."
Fo wird von Isabella Lewandowski einfühlsam interpretiert: ihr liebendes Verständnis, das in Anbetracht der Lage Empörung weichen muss. Ein langer Brief Rheiners zeigt das tiefe Labyrinth von Verzweiflungsentscheidungen und Selbstbetrug, in das er sich verrannt hat – Ulrich Tukur liest den Brief mit allen Nuancen: der falschen Hoffnung, der künstlichen Aufregung, dem verzweifelten Flehen. Und dem Selbstmitleid, das auch in den Gedichten erscheint.
"Ich bin der Fremdling, den ihr alle hasset,
Oh, fremd euch allen, die mich bös umdräun.
Ich bin der lange Mord, den ihr geschehen lasset,
Den eure frechen Fratzen niemals scheun."
Der Expressionismus ist für die einen "krude Sprachverwilderung", für die anderen "bewusste Sprachrevolution". Er war Rausch und Ekstase, in Dichtung und Leben. Etwas ekstatischer hätte man sich die Gedichte also schon gewünscht, Krauss liest sie manchmal zu träge. Und doch: Die Erinnerung an einen überaus talentierten "düsteren Dichter", wie Walter Rheiner sich nannte, ist mehr als verdienstvoll, "Kokain" ist ein in Stimmen und Zusammenstellung geglücktes Hörbuch.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Walter Rheiner: Kokain. Lyrik, Prosa, Briefe
Edition Apollon, Königs Wusterhausen 2010
2 CDs, 127 Minuten, 18 Euro