Das KZ als Bordell
Zwangsprostitution unter der Nazi-Herrschaft war lange Zeit ein Tabuthema. Erst seit kurzem beschäftigen sich Historiker damit. Der tschechische Autor Arnost Lustig versucht sich an einer literarischen Verarbeitung des Stoffes - und scheitert an seiner eigenen Unentschlossenheit. Zwar vermittelt er reichlich historische Fakten, vergisst dabei aber Figurenentwicklung und dramaturgische Notwendigkeiten.
Ein heikles Thema: der Staat als Zuhälter, Zwangsprostitution unter der Naziherrschaft. Erst in jüngerer Zeit beschäftigen sich damit vorsichtig Kultur- und Geschichtswissenschaft.
Als literarischen Stoff entdeckte dieses Tabuthema der Israeli Yehiel Dinur bereits in den frühen 50er Jahren. Nun greift es der tschechische Autor Arnošt Lustig auf: Sein Roman "Deine grünen Augen" erzählt vom Schicksal der 15-jährigen "Feldhure" Hanka Kaudersová. Als tschechische Jüdin wird sie ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Sie putzt gerade die Krankenstation, als eine Selektion stattfindet - junge Frauen werden für den Dienst in Feldbordellen ausgewählt. Hanka, die ihre Angehörigen in den ersten zweieinhalb Wochen in Auschwitz verloren hat, entscheidet in Sekundenschnelle, sich zur Verfügung zu stellen. Sie verschweigt, dass sie Jüdin ist und behauptet, bereits achtzehn Jahre alt zu sein. So gelangt sie ins Feldbordell Nr. 232 Ost, irgendwo am Ufer des San, östlich von Auschwitz. Dort hat sie täglich ein Dutzend Soldaten zu bedienen. Und überlebt.
Lustigs Ich-Erzähler, auch er ehemaliger KZ-Häftling, begegnet Hanka nach Kriegsende in der gemeinsamen Heimatstadt Prag. Er verliebt sich in die junge, zurückhaltende Frau, wirbt geduldig um sie und erzählt ihre Geschichte:
"Dies ist die Geschichte meiner Liebe. Sie handelt von der Liebe fast genauso wie vom Töten; sie erzählt davon, was ein fünfzehnjähriges Mädchen durchmachte, davon, was es bedeutet, die Wahl zwischen Weiterleben und Umgebrachtwerden zu haben, die Wahl zwischen der Gaskammer oder - als Arierin - dem freiwilligen Eintritt in ein Feldbordell. Sie handelt davon, was Erinnerung und Vergessen leisten können und was nicht."
Autor Arnošt Lustig, 1926 in Prag geboren, war selbst Häftling in Theresienstadt, Auschwitz und Buchenwald. In Prag arbeitete er als Rundfunkredakteur und Drehbuchautor. 1968, nach Einmarsch der Sowjets, musste Lustig seine Heimat verlassen. Er wurde Professor für Literatur in Washington, seine Arbeiten wurden mit Preisen bedacht.
Doch "Deine grünen Augen" ist kein guter Roman - und dennoch wichtig. Nicht allein wegen des Versuchs, das vernachlässigte Thema "Zwangsprostitution unter den Nazis" zu literarisieren, sondern weil das Scheitern des Romans zeigt, dass die literarische Darstellung des Holocaust nach wie vor eine ästhetische, politische und emotionale Gratwanderung ist.
Wer heute einen Roman über den Holocaust schreibt, weiß zuviel, läuft Gefahr, Bilder von Bildern zu replizieren, Realität durch eine Art Mehrfachbelichtung in Fiktion zu überführen - die sich dann als Realität ausgibt.
Lustig tut genau das. Er gibt vor, realistisch zu schreiben. Lässt in seine Schilderungen viele historische Details einfließen, beschreibt Waffen und Ausrüstung der Soldaten, die Technik des industriellen Massenmordes in Auschwitz, Essensrationen für Häftlinge und deren Krankheiten, sowie Appelle, Hinrichtungen und Grausamkeiten der Wachmannschaften. Die Angst seiner Heldin macht er spürbar, ihre Zerrissenheit zwischen Ekel, Scham und dem Willen, zu überleben.
Er entscheidet sich aber nicht zwischen der suggerierten Authentizität des Geschilderten und den dramaturgischen Erfordernissen einer fiktiven Romanhandlung. Pseudohistorische Informationen werden in substanzlose Dialoge gestreut. Figuren entwickeln sich nicht, bleiben platte Abziehbilder. Das gilt für Hankas Leidensgenossinnen im Bordell ebenso wie für diverse deutsche Soldaten, einen Rabbi, tschechische Mitläufer oder den obligatorischen amerikanischen Offizier im Nachkriegsprag. Besonders Lustigs Klischeenazis, die seitenlang ihre verquasten Weltherrschaftsfantasien ausbreiten, passen in einen schlechten Hollywoodfilm, nicht aber in ein gutes Buch.
Lustig kann sich nicht entscheiden, was ihm wirklich wichtig ist, welche Erzählperspektive, welcher Zeitrahmen. Anstatt bei den Erlebnissen seiner Hauptfigur zu bleiben, dehnt er den erzählerischen Fokus aus. Weniger wäre mehr. So aber liefert er zu den beschriebenen Gräueltaten auch Nazi-Ideologie und Psychologie und Poesie und Theologie. Und produziert Kitsch. Am Ende schüttet Hanka Zyklon B in den Flachmann jenes garstigen SS-Oberführers, der sich so gerne von ihr fesseln ließ. Ob er vor Kriegsende noch daraus getrunken hat, interessiert weder die weibliche Hauptfigur, noch den Autor. Wie sollte es dem Leser da anders ergehen?
Rezensiert von Carsten Hueck
Arnošt Lustig: "Deine grünen Augen"
Deutsch von Silvia Morawetz und Werner Schmitz
Berlin Verlag. Berlin 2007
285 Seiten. 22,00 Euro.
Als literarischen Stoff entdeckte dieses Tabuthema der Israeli Yehiel Dinur bereits in den frühen 50er Jahren. Nun greift es der tschechische Autor Arnošt Lustig auf: Sein Roman "Deine grünen Augen" erzählt vom Schicksal der 15-jährigen "Feldhure" Hanka Kaudersová. Als tschechische Jüdin wird sie ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Sie putzt gerade die Krankenstation, als eine Selektion stattfindet - junge Frauen werden für den Dienst in Feldbordellen ausgewählt. Hanka, die ihre Angehörigen in den ersten zweieinhalb Wochen in Auschwitz verloren hat, entscheidet in Sekundenschnelle, sich zur Verfügung zu stellen. Sie verschweigt, dass sie Jüdin ist und behauptet, bereits achtzehn Jahre alt zu sein. So gelangt sie ins Feldbordell Nr. 232 Ost, irgendwo am Ufer des San, östlich von Auschwitz. Dort hat sie täglich ein Dutzend Soldaten zu bedienen. Und überlebt.
Lustigs Ich-Erzähler, auch er ehemaliger KZ-Häftling, begegnet Hanka nach Kriegsende in der gemeinsamen Heimatstadt Prag. Er verliebt sich in die junge, zurückhaltende Frau, wirbt geduldig um sie und erzählt ihre Geschichte:
"Dies ist die Geschichte meiner Liebe. Sie handelt von der Liebe fast genauso wie vom Töten; sie erzählt davon, was ein fünfzehnjähriges Mädchen durchmachte, davon, was es bedeutet, die Wahl zwischen Weiterleben und Umgebrachtwerden zu haben, die Wahl zwischen der Gaskammer oder - als Arierin - dem freiwilligen Eintritt in ein Feldbordell. Sie handelt davon, was Erinnerung und Vergessen leisten können und was nicht."
Autor Arnošt Lustig, 1926 in Prag geboren, war selbst Häftling in Theresienstadt, Auschwitz und Buchenwald. In Prag arbeitete er als Rundfunkredakteur und Drehbuchautor. 1968, nach Einmarsch der Sowjets, musste Lustig seine Heimat verlassen. Er wurde Professor für Literatur in Washington, seine Arbeiten wurden mit Preisen bedacht.
Doch "Deine grünen Augen" ist kein guter Roman - und dennoch wichtig. Nicht allein wegen des Versuchs, das vernachlässigte Thema "Zwangsprostitution unter den Nazis" zu literarisieren, sondern weil das Scheitern des Romans zeigt, dass die literarische Darstellung des Holocaust nach wie vor eine ästhetische, politische und emotionale Gratwanderung ist.
Wer heute einen Roman über den Holocaust schreibt, weiß zuviel, läuft Gefahr, Bilder von Bildern zu replizieren, Realität durch eine Art Mehrfachbelichtung in Fiktion zu überführen - die sich dann als Realität ausgibt.
Lustig tut genau das. Er gibt vor, realistisch zu schreiben. Lässt in seine Schilderungen viele historische Details einfließen, beschreibt Waffen und Ausrüstung der Soldaten, die Technik des industriellen Massenmordes in Auschwitz, Essensrationen für Häftlinge und deren Krankheiten, sowie Appelle, Hinrichtungen und Grausamkeiten der Wachmannschaften. Die Angst seiner Heldin macht er spürbar, ihre Zerrissenheit zwischen Ekel, Scham und dem Willen, zu überleben.
Er entscheidet sich aber nicht zwischen der suggerierten Authentizität des Geschilderten und den dramaturgischen Erfordernissen einer fiktiven Romanhandlung. Pseudohistorische Informationen werden in substanzlose Dialoge gestreut. Figuren entwickeln sich nicht, bleiben platte Abziehbilder. Das gilt für Hankas Leidensgenossinnen im Bordell ebenso wie für diverse deutsche Soldaten, einen Rabbi, tschechische Mitläufer oder den obligatorischen amerikanischen Offizier im Nachkriegsprag. Besonders Lustigs Klischeenazis, die seitenlang ihre verquasten Weltherrschaftsfantasien ausbreiten, passen in einen schlechten Hollywoodfilm, nicht aber in ein gutes Buch.
Lustig kann sich nicht entscheiden, was ihm wirklich wichtig ist, welche Erzählperspektive, welcher Zeitrahmen. Anstatt bei den Erlebnissen seiner Hauptfigur zu bleiben, dehnt er den erzählerischen Fokus aus. Weniger wäre mehr. So aber liefert er zu den beschriebenen Gräueltaten auch Nazi-Ideologie und Psychologie und Poesie und Theologie. Und produziert Kitsch. Am Ende schüttet Hanka Zyklon B in den Flachmann jenes garstigen SS-Oberführers, der sich so gerne von ihr fesseln ließ. Ob er vor Kriegsende noch daraus getrunken hat, interessiert weder die weibliche Hauptfigur, noch den Autor. Wie sollte es dem Leser da anders ergehen?
Rezensiert von Carsten Hueck
Arnošt Lustig: "Deine grünen Augen"
Deutsch von Silvia Morawetz und Werner Schmitz
Berlin Verlag. Berlin 2007
285 Seiten. 22,00 Euro.