Zeitzeugen erinnern sich
Vor 71 Jahren öffneten sich die Tore des KZ Buchenwald: Für die KZ-Häftlinge eine Befreiung, für die Deutschen der Weg in die bittere Erkenntnis. Freiwillig traten Günter Schweinitzer und Wolfgang Held, beide damals 14 Jahre alt, den Weg der Einsicht an. Henry Bernhard lässt sie in alten Aufnahmen zu Wort kommen: Buchenwald 1945.
Wolfgang Held: "Wir kannten ja die Buchenwald-Häftlinge, die hier in der Stadt nach den Bombenangriffen Aufräumungsarbeiten gemacht haben und ziemlich böse behandelt worden sind. Ich habe das gesehen, viele haben das gesehen, wie die Häftlinge in ihren gestreiften Häftlingsanzügen, wie sie geprügelt oder geschlagen worden sind wegen geringer Sachen, wie sie Hunger hatten, Kartoffelschalen gegessen haben. Das eigene Gewissen wurde damals von den meisten Menschen wahrscheinlich nur dadurch beruhigt, dass man sagte: Es sind Volksfeinde!"
Günter Schweinitzer: "Ich entsinne mich nur, dass einer unserer Lehrer uns mal so nebenbei zu verstehen gab, dass man mit der russisch-polnischen Intelligenz auf besondere Weise verfuhr. Er sprach nicht von Töten, aber man konnte annehmen, dass er das meinte, dass er also hier von einer massenhaften Liquidation von Intellektuellen sprach."
Wolfgang Held: "Ich weiß genau, als 1945 die Amerikaner eingezogen waren und der Krieg für uns hier in Weimar vorbei war: Das große, unvergeßliche erste Friedenserlebnis für mich war, eine ganze Nacht durchzuschlafen!"
Günter Schweinitzer: "Also ich entsinne mich, daß dieser 16. April ein sonniger Tag war; aus dem Fenster sah ich in den Vormittagsstunden einen großen Zug Weimarer Bürger die Ettersburger Straße hinaufziehen. Es hieß, dass diese Leute zum Buchenwald marschieren sollten, um sich dort anzuschauen, was die Nazis dort angerichtet hatten."
US-Wochenschau: "1.200 civilians walked from the neighboring city of Weimar to begin a forced tour of the camp. There are many smiling faces, and, according to observers, at first the Germans acted as if all this was something being staged for their benefit.”
Günther Schweinitzer: "Ich folgte dem Zug in einem Abstand von mehreren Hundert Metern. Im Chausseegraben lagen dann noch vereinzelt Häftlingsleichen."
"Nackte Skellette, die Menschen gewesen sind"
Wolfgang Held: "Da war ich dabei! Da war ich mit oben. Nicht, dass ich wußte … Ich war schon vorher oben, als dieser Zug, als diese riesige Menschenschlange sich da hochbewegte, war ich schon oben im Lager. Was mir im Gedächtnis geblieben ist, war ein großer Berg von Leichen. Sehr schlimm riechend, es war ja warm! Ein füchterlicher Gestank und ein Berg von Leichen. Ich hatte ja noch nie im Leben so viele tote Menschen auf einmal gesehen. Ich hatte einmal beim Bombenangriff in Weimar den ersten toten Menschen meines Lebens gesehen. Und plötzlich mit einem Schlag nackte Skellette, die Menschen gewesen sind."
US-Wochenschau: "They see the woodshed … an covered bodies are stacked in layers, and the stench is overpowering.”
Günter Schweinitzer: "Während wir vor diesem Wagen standen, beklommen und erschreckt, wurden wir gefilmt von einer Kamerafrau, die für amerikanische Wochenschauen arbeitete."
US-Wochenschau: "The tour continues with a forced inspection of the camp’s living quarters, where the stench, filth and misery defy description.”
Wolfgang Held: "Diese dreistufigen Pritschen mit den lebendigen Skeletten, Menschen, an denen nur noch die Augen lebten! Wissen sie: Als ich durch diesen Gang ging, und sie sehen, da liegen wirklich bis zum Skelett abgemagerte Menschen Reihe an Reihe, dicht an dicht, und an ihnen bewegen sich nur die Augen mit ihnen! Die Augen, der Blick verfolgt sie, aber sie können keinen Finger rühren! Also diese Augen werde ich nie, nie vergessen! Und da brach wirklich für mich wirklich eine Welt zusammen, weil: Ein System, das das anrichtet, das ist die Hölle!"
US-Wochenschau: "The camera records the change in facial expressions as the Weimar citizen leave the parchment display.”
Günter Schweinitzer: "Und ich erinnere mich, dass ich dort erstmalig hörte den Satz: Aus Weimar, der Stadt der Dichter und Denker, sei nun die Stadt der Richter und Henker geworden. Ich habe für meinen Teil sehr frühzeitig, eigentlich schon an diesem Tage, die Mitschuld an diesen Dingen akzeptiert - als Angehöriger des Volkes, das letztendlich dieses Lager und was darin geschah, zu verantworten hatte."
Wolfgang Held: "Aber im Übrigen waren diese Menschen dort eigentlich alle bemüht begreiflich zu machen: Ihr Jungen seid an dem, was hier ist, nicht schuld. Schuldig werdet ihr erst, wenn ihr das nochmal zulaßt! Und das war für mich eigentlich meine Lebensmaxime."