Das Lachen der Scheherazade

Von Kurt Kreiler |
Eine Frau "mit dem Träumerblick der Dichterin und dem scharfen Auge der Denkerin" hat die Schriftstellerin Elsa Sophia von Kamphoevener sich selbst genannt. Sie zog im Alter von knapp fünf Jahren mit ihren Eltern nach Konstantinopel, schrieb über 20 Romane und Erzählungen, wurde aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch ihre Rundfunkauftritte als Märchenerzählerin bekannt. Sie war eine preußische Scheherazade, eine Orientalin in Deutschland.
In einem geflickten schwarzen Kleid, groß und unnahbar, saß die 70-jährige Erzählerin vor dem Mikrofon, ließ die Beine baumeln und sprach ohne ein Nachlassen der Konzentration und ohne einen Versprecher oft eine Stunde lang. Draußen, vor den Radiogeräten, lauschten die Hörer der 50er Jahre. Die Stimmenvielfalt der "Baronin", ihr feiner Humor und ihr poetisches Waffenklirren sicherten ihr einen Auftritt als preußische Scheherazade.

Auch erfand sich die alte Dame ständig neu. Aus den 20 Jahren, die sie im Osmanischen Reich verbracht hatte, machte sie 40 - aus sich selbst, der juwelengeschmückten Offizierstochter der Jahrhundertwende, eine Reiterin in der Verkleidung des jungen Mannes.

Kurt Kreiler zeichnet die Biografie Elsa Sophia von Kamphoeveners nach, unterscheidet Wahrheit und Dichtung, vergleicht Kamphoeveners Fassungen mit den Quellen - mit unbekannten Tondokumenten der Erzählerin.

14.06.1878: Elsa Sophia Kamphoevener geboren (Kalenderblatt)

Orientalische Lügen: Die märchenhafte Welt der Elsa Sophia von Kamphoevener

Auszüge aus dem Sendungsmanuskript

Eine Frau "mit dem Träumerblick der Dichterin und dem scharfen Auge der Denkerin" hat die Schriftstellerin Elsa Sophia von Kamphoevener sich selbst genannt.

Geboren wurde sie am 14. Juni 1878 in Hameln, zog im Alter von knapp fünf Jahren mit ihren Eltern nach Konstantinopel, verließ 1906 die Türkei, bezog abwechselnd Wohnung in Bad Kissingen, Wiesbaden, Stuttgart und München, gründete einen Verlag, schrieb über zwanzig Romane und Erzählungen, aber wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch ihre Rundfunkauftritte einer großen Öffentlichkeit bekannt. Auch im hohen Alter war sie eine Meisterin der Verwandlungen und Verkleidungen, eine preußische Scheherazade, eine Orientalin in Deutschland, ein Geschöpf zwischen Dichtung und Wahrheit. Gestorben ist die Kamphoevener im Juli 1963 in Marquartstein.

Für die kleine Elsa Sophia wurde Konstantinopel zur Heimat. Sie thronte auf den Knien eines jungen türkischen Soldaten, der die Kamphöveners zu bewachen hatte, war umgeben von griechischer und armenischer Dienerschaft, lernte türkisch, griechisch und russisch plaudern - und erlauschte ihre ersten Märchen.

Elsa Sophia aber muss als Zwölfjahrige von ihrer Familie Abschied nehmen, um in Hildesheim eine Höhere-Töchter-Schule zu besuchen. Das "orientalische Kind" fühlt sich im kalten Deutschland völlig verloren und verlangt nachhause zurück.

Erst als Sechzehnjährige durfte Elsa Sophia wieder in ihre geliebte Traumstadt Konstantinopel zurückkehren. Aus dem kleinen Mädchen war eine temperamentvolle junge Dame geworden, die gerne in Gesellschaften ging und glänzend Konversation betrieb.

Eine junge Frau, als Tochter eines hohen deutschen Offiziers in Konstantinopel aufgewachsen, verbringt die Jahre des Fin de Siècle im Kreis der Hautevolée zwischen preußischen und osmanischen Militärs, Diplomaten, Eisenbahn-Erbauern und Kaufleuten - sie besitzt durch ihren Vater Zugang zum Sultanspalast und befreundet sich, wenn man ihrer Aussage glauben darf, mit der ältesten Tochter des Sultans.

Schon um 1925 hatte Elsa Sophia begonnen, im privaten Kreis orientalische Märchen zu erzählen, deren Elemente sie, wie ein Zeitungsartikel vermerkt, "auf Märkten und Basaren zwischen Konstantinopel und Bagdad und Kairo erlauschte". Später, während des Zweiten Weltkriegs, wird sie sich freiwillig an die Front melden, um deutschen Soldaten türkische Märchen zu erzählen.

1933 zieht sie allein nach Berlin, tritt in die NSDAP ein, wird aber bald darauf wieder aus der Mitgliederliste gestrichen, weil sie keine Beiträge zahlt. Nach 1937 arbeitet sie als Lektorin bei der Filmgesellschaft "Tobis", lässt sich 1939 von ihrem vierten Mann scheiden, meldet sich 1942 freiwillig an die Front, um als "Kamerad Märchen" deutschen Soldaten türkische Märchen zu erzählen. 1944 erlebt sie die Totalausbombung, flieht 1945 aus Berlin, sucht Zuflucht im süddeutschen Raum. Ihr einziger Sohn ist in den letzten Kriegstagen ums Leben gekommen. 1952 zieht sie zu ihrer Freundin Ilse Wilbrandt, einer Professorenwitwe, nach Marquardtstein in der Nähe des Chiemsees.

Elsa Sophia von Kamphoevener entsteigt als Phoenix aus der Asche, ein orientalisches Wunder, eine Erzählerin, wie man in Deutschland noch keine gehört hat. Gleichzeitig ist sie eine einsame Frau, die, hoheitsvoll und scheu, jeden Kontakt mit ihren Brüdern und der Familie des Sohnes meidet.


Lieferbare Bücher und CDs

Elsa Sophia von Kamphoevener: Das Lachen der Scheherazade
"Es war einmal, und es war einmal nicht..." Orientalische Märchen, erzählt von Elsa Sophia von Kamphoevener. Über 27 Stunden auf 2 MP3-CDs.
Zweitausendeins Verlag, 39,90 Euro

Selbst wenn Elsa Sophia von Kamphoevener aus ihrem Leben ein eigenes Märchen gemacht hat, so verstand sie es als Autorin und Erzählerin, einen bis dahin weitgehend unbekannten Märchenschatz nach Deutschland zu vermitteln: "Es war einmal, und es war einmal nicht", so beginnen viele türkische Märchen, und Elsa Sophia von Kamphoevener gibt den Ambivalenzen, dem Schwebenden mit ihrer faszinierenden Stimme Ausdruck. Kraftvoll, suggestiv und wunderbar frei erzählt sie ihre Geschichten, sie liest nicht vom Blatt, sondern spricht immer frei.

Und so ist jede Aufnahme singulär, denn sie ist eine Meisterin der Improvisation. Türkische Hirtenmärchen, arabisch-sizilianische Legenden, Liebesgeschichten und historische Erzählungen: Sie erzählt mit einer Leidenschaft, die nicht nur Kinder, sondern vor allem Erwachsene in ihren Bann zieht. (In Buchform wurden die Märchen Bestseller, ihre Radiosendungen waren Straßenfeger.) Zum ersten Mal liegt nun eine vollständige Hörausgabe der von ihr erzählten Märchen vor.


Elsa Sophia von Kamphoevener: An Nachtfeuern der Karawan-Serail: Märchen und Geschichten Alttürkischer Nomaden
3 Bände, Rowohlt Verlag, ISBN: 978-3499124006, 19,95 Euro

Als Jüngling verkleidet, erlauschte Baronin von Kamphoevener an den Lagerfeuern türkischer Hirten orientalische Geschichten, die aus dem ewigen Märchenvorrat der Menschheit zu stammen scheinen. Trotz des strikten Verbots schrieb sie das Gehörte auf, aus Verpflichtung einem kostbaren Besitz gegenüber. Heitere und listige, erotische und melancholische Geschichten mit dem ganzen Zauber und der Weisheit orientalischen Fabulierens.


Orientalische Märchen. 2 CDs: Der fliegende Fisch / Der Zedernbaum & andere Märchen
Universal Music, ISBN: 978-3829116657, 8,90 Euro


Orientalische Märchen, Folge 2
Deutsche G (Universal), ASIN: B000024ZDR, 8,95 Euro