Das Lächeln der Angela M.

Von Rainer Burchardt |
Da war es wieder, das sphinxhafte Lächeln der Angela M. Die Bundeskanzlerin gemeinsam mit George Bush bei dem traditionellen Bühnenbild des Weißen Hauses vor dem Kamin. Der US-Präsident, nahezu in der Pose eines Polithooligans, erklärt sich gerade ebenso distanz- wie rücksichtslos zu einem großen Fan der deutschen Bundeskanzlerin, wählt Vokabeln und Verben, die allenfalls ein verklemmter Liebhaber auswendig gelernt bei einem Candlelight-Diner seiner neuen Flamme entgegenschleudern würde.
Mit einer Mischung aus Amüsiertheit und peinlichem Geschmeicheltsein nimmt die solcherart umworbene Bundeskanzlerin diese politisch-distanzlose Liebeserklärung hin und tut, was an ihr in den letzten Monaten so oft, auch bei anderen Gelegenheiten zu beobachten ist: Sie lächelt verschmitzt und irgendwie auch listig in sich hinein. Man sieht ihr an, dass sie die Regeln kennt, dass sie weiß, wie wenig man persönlich auf derartige Floskeln geben soll. Dass vor möglicher persönlicher Sympathie dann doch noch das taktische Kalkül rangiert.

Die Wirkung ist für Bush geradezu fatal: Er wirkt wie ein sich abstrampelnder Liebhaber, der Beute machen will. Das ist nicht einmal gleiche Augenhöhe. Welch ein Kontrast zu den Begegnungen mit Gerhard Schröder, damals traf Raubtierlächeln auf Schmallippigkeit. Dagegen wirkte dieses gemischte Duo wie ein Schmierentheater – und mit ihrer Mimik lässt Angela Merkel keinen Zweifel an der Gewissheit aufkommen, dass sie diese Chose durchschaut – und sie spielt ihren Part auf ihre Weise. Ein Theaterkritiker würde formulieren: Die Frau in der ihr klassisch zugedachten Rolle der Naiven spielt den eingebildeten Protagonisten glatt an die Wand.

Auch ein George Bush kann irren, nicht nur als Bellizist sondern auch als Bel Ami – doch da steht er nun wahrlich in Sachen Angela Merkel nicht allein. Inzwischen hat sich eine stattliche Reihe namhafter Autorinnen und Autoren an Biographien über die erste deutsche Machthaberin abgearbeitet. Da wurde viel Erklärendes und Erhellendes über Daten, Fakten und Leistungen geliefert, doch eine nachvollziehbare Erklärung über ihr, wie es nicht nur einmal heißt "erfrischendes, ja mädchenhaftes und doch wenig durchschaubares Lächeln" fehlt. Stattdessen immer wieder die angeblich stets nach unten zeigenden Mundwinkel, ihre schlechte Frisur, die nun jedoch permanent gestylt wirke – kurz und schlecht: Die im Wortsinne oberflächliche Fassade wurde wohl in der deutschen Politik noch niemals so radikal unter die Lupe genommen wie Angela Merkels Erscheinungsbild. Sie lasse den Blick hinter die Fassade nicht zu, resümiert gleichermaßen anerkennend wie frustriert eine Biographin.

Aber, so ließe sich ergänzen, sie gibt Vermutungen weiten Raum. Es ist diese Mischung aus subtiler Abgeklärtheit und professionellem Geschick, die Freund und Feind irritieren muss. Inzwischen hat wohl auch der letzte Neunmalkluge erkannt, dass man diese Frau nicht unterschätzen darf. Um es so zu formulieren: Kalt lächelnd hat sie Politgrößen wie Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz und die Unionsverschwörer des so genannten Andenpaktes bei ihrem offenbar unaufhaltsamen Aufstieg in der Partei aus dem Wege geräumt. Selbst einen vermeintlichen Politgiganten wie Gerhard Schröder hat sie inzwischen in ihrem Trophäenschrank platzieren können.

Doch selbst nach diesem Triumph musste sie erst von einer ausländischen Journalistin öffentlich aufgefordert werden, ihre klammheimliche Freude offen erkennen zu geben. Aber selbst da blitzte nur für einige Sekunden ein freies Lächeln auf. Ob es echt war? Man weiß es nicht.

In der deutschen Machtpolitik ist Angela Merkel inzwischen die unumstrittene Nummer eins. Dabei läuft es auch in ihrem Umfeld nicht immer nach dem Motto: "Immer nur lächeln, immer vergnügt" ab – doch die augenblicklich wieder aufheulenden Wölfe der Unionsmeute, denen die Regierung zu sozialdemokratisch ist, wird sie müde lächelnd im Zaume halten können. Im Zweifel verlässt sie sich dann auf die Unterstützung der Sozialdemokraten – früher hätte die Formel gelautet: Zu dieser Politik gibt es keine Alternative.

Zu Angela Merkel auch nicht – jedenfalls zurzeit. Und das weiß sie natürlich sehr genau. Und so wird sie weiter lächeln, rätselhaft und wissend - auch wenn die Trümmer der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik über ihren Kopf purzeln. Ihr großes Vorbild Margret Thatcher schwenkte bei solcher Gelegenheit die Handtasche – Angela Merkel braucht keine Accessoires – sie hat ihr Lächeln.

Der Schriftsteller Moritz Rinke formulierte kürzlich in einem Essay, er finde, Angela Merkel könne sehr schön lächeln. Ja hat er denn die dahinter steckende intelligente List nicht erkannt? Angesichts der realen politischen Lage könnte man natürlich auch sagen: Sie lächelt halt, weil es zum Weinen nicht ganz reicht. Noch nicht.

Prof. Rainer Burchardt lehrt an der Hochschule Kiel im Bereich Medien- und Kommunikationsstrukturen. Er hat zudem seit längerer Zeit eine Honorarprofessur an der Hochschule Bremen inne. Rainer Burchardt war zuvor seit Juli 1994 Deutschlandfunk-Chefredakteur.
Vor seiner fast zwölfjährigen Tätigkeit beim Deutschlandfunk war Burchardt langjähriger ARD-Korrespondent in Brüssel, Bonn, Genf und London. Unter anderem schrieb er für "DIE ZEIT", Sonntagsblatt und andere Zeitungen und ist Vorstandmitglied der Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche".
Der ehemalige Chefredakteur des Deutschlandfunks, Rainer Burchardt.
Rainer Burchardt© Deutschlandradio