"Das Land atmet jetzt auf"

Christos Katsioulis im Gespräch mit Marietta Schwarz |
Das Wahlergebnis könne die politische Landschaft in Griechenland weiter polarisieren und die Reformen bremsen, meint Christos Katsioulis, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen. Das Land brauche jetzt dringend Wachstumsimpulse, die wirtschaftliche Rezession sei dramatisch.
Marietta Schwarz: Das Schlimmste scheint vorerst abgewendet, die Gegner des Sparkurses haben in Griechenland nicht die Wahl gewonnen. Das linksextreme Bündnis Syriza wurde auf Platz zwei verwiesen, knapp vor dem Wahlsieger Nea Dimokratia. Die Märkte haben bislang ruhig darauf reagiert und die europäischen Politiker dieses Ergebnis mit sichtbarer Erleichterung aufgenommen.

Dennoch bleibt auch nach dieser Wahl die Frage, wie geht es weiter mit Griechenland, wie verfolgt eine neue Regierung, wenn sie denn mal steht, den Sparkurs, und, wird es ein Entgegenkommen der EU geben? Am Telefon ist der Politikwissenschaftler Christos Katsioulis, Leiter des Athener Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung. Guten Morgen, Herr Katsioulis!

Christos Katsioulis: Guten Morgen, Frau Schwarz.

Schwarz: Können Sie die Begeisterung oder zumindest Erleichterung vieler europäischer Politiker über den Wahlsieg der konservativen nachvollziehen?

Katsioulis: Erleichterung ja. Im Vorfeld sah es ja so aus, als wäre Syriza und insbesondere Alex Tspiras, der Gott-sei-bei-uns der europäischen Politik und würde dann den Chavez des Mittelmeeres machen, sobald er an die Macht kommt. Und vor diesem Hintergrund kann man die Erleichterung schon nachvollziehen.

Schwarz: Vor einem anderen Hintergrund nicht?

Katsioulis: Sehen Sie, die beiden Parteien, die jetzt mit Sicherheit an der Regierungsbildung beteiligt werden, Nea Dimokratia und Pasok, das sind die beiden Parteien, die von den Griechen, den Bürgerinnen und Bürgern, als die wahrgenommen werden, die Griechenland in diese Lage gebracht haben, und die in den vergangenen Jahren keine Reformen umgesetzt haben. So die Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler.

Das heißt, wir werden vermutlich eine weitere Polarisierung der griechischen Politik erleben, weil Syriza mit großer Wahrscheinlichkeit in der Opposition bleibt.

Schwarz: Ist denn Antonis Samaras, Führer der Nea Dimokratia überhaupt zu Reformen fähig, wenn er, wie sie gerade gesagt haben, das in den letzten Jahren nicht hinbekommen hat?

Katsioulis: Das ist die Frage. Er hat sich ja anfangs gegen das Memorandum ausgesprochen, dann hat er eine Kehrtwende vorgenommen und hat sich dafür ausgesprochen mit seiner Partei. Er ist bekannt dafür, dass er des Öfteren politische Schwenks vollzieht. Er hat nicht unbedingt die besten Verhältnisse in die konservativen Parteien Europas hinein.

Das hängt mit seiner Politik gegenüber der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien zusammen. Und die Frage wird vor allem sein, wird ihm seine Partei auf diesem Reformweg folgen?

Denn das hatten wir bei der Pasok erlebt nach 2010, dass die Partei und die Fraktion langsam, aber sicher abgebröckelt sind, weil sie diese Reformen nicht mittragen wollten und konnten.

Schwarz: Die Nea Dimokratia könnte jetzt mit der Pasok-Partei eine Regierung bilden. Die Pasok will die linksextreme Syriza mit einbeziehen, wogegen die sich aber gleich mal gewehrt hat. Also, wird eine Regierungsbildung wieder so schwer beziehungsweise unmöglich wie vor sechs Wochen?

Katsioulis: Sie wird nicht ganz so schwer wie vor sechs Wochen und ich vermute, dass alle Parteien - oder das die Parteien alles dafür tun werden, dass es nicht so unmöglich wird wie am 6. Mai. Weil allen deutlich ist, dass das Land eine Regierung braucht und insbesondere am 28. Juni beim europäischen Gipfel mit einer handlungsfähigen Regierung repräsentiert sein muss. Die Einbeziehung von Syriza in so eine Regierung, die Venizelos ja vorgeschlagen hat vonseiten der Pasok, ist ein kluger Schachzug.

Ich halte das für den richtigen Schachzug, um diese politische Polarisierung in den nächsten Jahren zu vermeiden und um deutlich zu machen, dass das ganze politische System Griechenlands hinter diesem Reformkurs steht. Ich vermute aber, es wird nicht gelingen, weil Syriza diese Oppositionsrolle einfach liegt und natürlich auch entgegenkommt.

Schwarz: Was bedeutet es denn für die Regierungsfähigkeit der alten Parteien, die Syriza in der Opposition zu haben?

Katsioulis: Das bedeutet, dass man im Zweifel immer damit rechnen muss, dass bei den nächsten Wahlen Syriza abräumt. Das heißt, dass sie weiterhin diese Stimmung gegen das Memorandum ausnutzen, dagegen Politik machen und dann, bei den nächsten Wahlen dann, den anderen Parteien keine Chance mehr lassen. Und das wird natürlich den Reformeifer in vielen Punkten sicherlich bremsen.

Schwarz: Stimmung ausnutzen heißt, auch Gewerkschaften mobilisieren, möglicherweise?

Katsioulis: Auch das, auch das. Das ist richtig. Viele der Gesetze, die jetzt erlassen worden waren, Senkung des Mindestlohns beispielsweise, Aufkündigung von Tarifabschlüssen, das hat einfach dazu geführt, dass die Gewerkschaften sich in Richtung Syriza bewegt haben, und da jetzt natürlich auch ihre neue Heimat zu finden glauben.

Schwarz: Guido Westerwelle hat angedeutet, dass die EU den Griechen zeitlich, aber nicht finanzielle entgegenkommen könnte. Wäre Athen damit ausreichend geholfen?

Katsioulis: Ich glaube, Zeit ist ein ganz wichtiger Faktor. Aber es ist nicht der alleinige Faktor. Es bedarf sicherlich auch der gezielten Wachstumsimpulse, um die griechische Wirtschaft wieder in einigen Punkten zumindest und in einigen Aspekten zum Laufen zu bringen. Im Moment ist die wirtschaftliche Rezession so dramatisch und überall sichtbar, dass es da sicherlich nicht ausreicht, wenn man einfach nur die Sparziele verlängert.

Schwarz: Herr Katsioulis, es gab ja viele Wahlen in Griechenland, aber keine war so entscheidend wie die gestrige, nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa. Ist das und war das zu spüren in Ihrem Land?

Katsioulis: In der Woche vor der Wahl war es so, dass die Stimmung wie gelähmt war. Die Leute haben dieser Wahl entgegengeblickt und man spürte förmlich die Unsicherheit und die Ungewissheit, die einen erwartete. Gestern, nach der Wahl, würde ich sagen, war es mehr Müdigkeit, die zu spüren war. Müdigkeit, verbunden mit einer gewissen Erleichterung. Ich habe die "Feiern" der Nea Dimokratia und der Syriza gesehen. Es waren erstaunlich wenige Leute, die sich da noch aufgerafft haben auf die Plätze. Es war niemand, der auf der Straße gefeiert hat, wie sonst bei den Wahlen, sondern man hatte einfach so den Eindruck, das Land atmet jetzt auf nach dieser Wahl.

Schwarz: Christos Katsioulis, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen. Herr Katsioulis, vielen Dank für diese Einschätzungen!

Katsioulis: Danke Ihnen, Frau Schwarz!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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