Das Leben der Ellen Wolf

Von Victoria Eglau |
Eine 81jährige Frau, die sich mit aller Vehemenz in ihre Rolle als Schauspielerin hineinwirft und auch als Mensch einfach strahlt - die Begegnung mit der Argentinierin Ellen Wolf hat den deutschen Theaterkritiker Jürgen Berger begeistert. Wie sich herausstellte, war Ellen Wolf auch noch eine jüdische deutsche Emigrantin, die ihre Lebensgeschichte erzählte. Jürgen Berger hat daraus ein Theaterstück gemacht: Jetzt kommt "Elsa" in Co-Produktion mit dem Berliner Maxim-Gorki-Theater in Buenos Aires auf die Bühne.
"Wir waren im Urlaub in Brasilien, bei Verwandten. Dort bekamen wir einen Anruf, so erfuhren wir es. Meine Mutter schaute mich an, und wir wussten Bescheid: Lili war tot. Dieser Blick meiner Mutter hat sich für immer in meine Erinnerung eingegraben."

"Ich bin losgefahren. Gefahren, gefahren, den ganzen Weg zurück von Sao Paolo nach Buenos Aires. Als wir ankamen, ging ich zu Lilis Nachbarn und holte den kleinen Sebastian ab, meinen Enkel."

So beginnt "Elsa", das Theaterstück, das auf dem Leben der Ellen Wolf basiert, und das eigentlich ein Stück über die Erinnerungsarbeit einer Familie ist. Eine Mutter, ihre Tochter und ihr Enkel treffen sich, um über das Verschwinden von Lili zu sprechen: Elsas älteste Tochter, Violetas Schwester und Sebastians Mutter. 1977, während der argentinischen Militärdiktatur, verschleppt und ermordet. Jahre später beschließt die Familie, über den Verlust zu reden und ihre Erinnerungen aufzuzeichnen. Carolina Adamovsky, Regisseurin von "Elsa":

"Mutter, Tochter und Enkel entschließen sich, die Geschichte zu erzählen, ihre Aussagen zu filmen und aufzunehmen, und sie in einer Zeitkapsel ins All zu schicken, damit die Menschheit in der Zukunft von diesen Geschehnissen erfährt."

"Im Stück geht es hauptsächlich um diese Lehrstelle in der Familie, die man bis heute im Prinzip nicht ausfüllen kann, weil da einfach ein wichtiger Mensch der Familie verschwunden ist."

Jürgen Berger, deutscher Theaterkritiker und Autor von "Elsa". Geboren wurde die Idee für das Stück nach einer Begegnung mit der 81jährigen Schauspielerin Ellen Wolf. Im vergangenen Jahr sahen Jürgen Berger und Armin Petras, Intendant des Berliner Maxim-Gorki-Theaters, die deutschstämmige Argentinierin in Buenos Aires auf der Bühne und waren begeistert. Armin Petras:

"Es ist vor allem ihre Person, die so unglaublich beeindruckend ist. Eine 81jährige Frau, die sich mit aller Vehemenz in ihre Rolle hineinwirft, und auch als Mensch einfach strahlt. Wie sich dann herausstellte, war das nicht nur eine tolle Schauspielerin und eine großartige Frau, sondern auch noch eine jüdische deutsche Emigrantin, die uns sozusagen ihre Lebensgeschichte versucht hat, zu erzählen. Die ist so unendlich lang, dass man sie gar nicht an einem Abend erzählen kann. Und darauf habe ich dem Jürgen gesagt, das ist doch toll, wir müssen unbedingt daraus gemeinsam ein Stück machen."

"Ich wusste, dass Jürgen ein Journalist ist, und er hat mich sehr viel ausgefragt, und ich dachte immer, er wird einen Artikel über eine in Deutschland geborene Jüdin schreiben. Und ich kam überhaupt nicht auf die Idee, dass er ein Theaterstück schreibt. Das haben die sich dann so ausgedacht. Zuerst dachte ich: Ja, nein, ja, nein. Und dann, ich bin ein Mensch, wenn er sich entschließt, dann entschließt er sich. Ich bin so veranlagt. Dann ist es so, okay."

Ellen Wolf, die in Stuttgart geboren wurde, als Zwölfjährige nach Argentinien kam und erst mit über 70 Schauspielerin wurde, brauchte doppelten Mut: Den Mut; das eigene Leben in einer Ausführlichkeit zu erzählen und preiszugeben, wie sie es noch nie getan hatte. Und den Mut, quasi sich selbst zu spielen und die Rolle der Elsa zu übernehmen: der Mutter, deren Tochter in einer linken Guerilla-Organisation aktiv war und deswegen von den Militärs ermordet wurde.

"Es war sehr schwierig, es fiel mir sehr schwer. Während ich den Text studierte, fielen mir immer noch Sachen ein. Ich konnte nicht auswendig lernen, meine Gedanken gingen die ganze Zeit ab. Dann bekam ich einen Coach, einen Souffleur, der mit mir arbeitete, und dann ging es. Ich hatte doch keine Zeit zum Nachdenken. Ich musste gesund bleiben und mich um euch Kinder und den Bauernhof kümmern. Euer Vater war ja zwei Jahre zuvor gestorben, und ich war jetzt wichtig","

antwortet Elsa im Theaterstück auf die Frage ihrer Tochter Violeta, warum sie nie Nachforschungen über Lilis Tod anstellte.

""Ich kenne eine Mutter, der heute noch die Tränen runter laufen, wenn sie an ihren verschwundenen Sohn denkt. Ich will so was nicht. Ich erzähle die Geschichte von Lili lieber wie eine Geschichte. Sonst werde ich krank."

Unbedingte Ehrlichkeit. Fast eine Art Selbstentblößung. Dass der Ehemann sie jahrelang betrog, auch das kommt zur Sprache. Es ist, als würde Ellen Wolf durch "Elsa" reinen Tisch machen mit ihrem Leben.

"A la longue war es gut. Ich hab die Tendenz, unangenehme Dinge zu vergessen. Und vielleicht ist es besser, man denkt an sie, wird fertig damit."

So wie Elsa und Violeta am Klavier Töne aneinander reihen, reihen sie und Sebastian, Elsas Enkel, Lilis Sohn, Erinnerungen und Gedanken aneinander. Mal sprechen sie in ein Mikrophon, mal stellen sie sich vor der Kamera auf, mal hört man ihre Stimme aus einem alten Kassettengerät, und mal sieht man die Protagonisten auf einer Leinwand. Trotz des schmerzlichen Anlasses gibt es auch heitere, ja sogar alberne Momente. In Wirklichkeit hat es diese persönliche Vergangenheitsbewältigung zu dritt nicht gegeben. Autor Jürgen Berger interviewte Ellen Wolf, ihre Tochter und den Enkel in Einzelgesprächen, brachte die Aussagen in Dialogform, und Carolina Adamovsky inszenierte das Ganze als Familientreffen. Wirkt die Handlung zunächst ein bisschen konstruiert, gewinnt sie im Laufe des Stückes an Natürlichkeit.

"Elsa", mit den Schauspielern Ellen Wolf, Gaby Ferrero und Javier Lorenzo, wird in den nächsten Wochen auf dem Spielplan des Theaters Espacio Callejón in Buenos Aires stehen - co-produziert mit dem Berliner Maxim-Gorki-Theater und dem Goethe-Institut.