Das Leben der Gauchos

Von Katja Bigalke |
Der Lasso schwingende Gaucho steht für Argentinien, dabei wird er immer weniger gebraucht. Es gibt in Argentinien zwar immer noch 150.000 Gauchos, die 55 Millionen Rinder, 25 Millionen Schafe und zwei Millionen Pferde betreuen, doch der klassische Gaucho ist verschwunden, der Mythos nur noch Teil der Folklore.
"Vorher war das Land in riesige Parzellen aufgeteilt, die waren nicht bewohnbar, es gab auch keine Zäune, der Gaucho versteckte sich dort vor der Gendarmerie und der Armee, dieser Gaucho, der sich versteckt, den gibt es nicht mehr. Ein paar von denen waren ja schon halbe Gauner."

Sieben Uhr morgens. Eine Farm in der argentinischen Provinz la Pampa, sechs Autostunden von Buenos Aires entfernt. Saftig grünes Land, soweit das Auge reicht. Hier weiden, so heißt es, die glücklichsten Rinder der Welt.

Im Morgendunst holt Cato sein Pferd von der Weide. Ein 55-jähriger Mann – groß, hager, dunkle Augen, weißes Haar. Er kann reiten wie ein Jockey, mit dem Lasso Kälber fangen, Rinder schlachten und häuten. Stolz nennt er sich einen Gaucho - auch wenn er mit Turnschuhen, zerbeulten Hosen und Streifenhemd wie ein gewöhnlicher Landarbeiter aussieht.

"Ich würde schon sagen, ich bin ein Gaucho. Aber ich könnte jetzt auch nicht genau erklären, warum. Der Gaucho ist halt einer der mit seinem Pferd und dem Hund auf dem Land arbeitet. Der Gaucho ist es ist gewöhnt zu reiten und sein Pferd gut zu behandeln."

Cato striegelt das Fell des cremefarbenen Schecken. Zärtlich klopft er ihm auf die Nüstern. Tiere sind ihm vertrauter als Menschen. Seit seinem dritten Lebensjahr kann er reiten, seitdem geht er nur ungern zu Fuß.
Er wirft dem Pferd den schmalen, durchgesessenen Sattel über. Befestigt an einem dicken Lederknubbel die kleine Satteltasche mit dem Reparaturwerkzeug. Früher hing an dieser Stelle die berühmte Boleadora, ein langes, ledernes Lasso mit einer Metallkugel am Ende.

"Das war um den Vogel Strauß zu fangen. Der ursprüngliche Gaucho hatte das immer dabei. Wenn man das mit Kraft wirft, dann funktioniert das wie ein Lasso nur kommt man viel weiter: bis zu 50 Meter und das wickelt sich dann im Idealfall um die Beine des Tieres, so konnte man die einfangen."

Die Boleadora schwingt Cato heute nur noch selten. Bei traditionellen Gaucho-Festen, die an die gute alte Zeit erinnern. An eine legendenumwobene Machoidylle, an kühne Reitern in farbigen Ponchos. Und heute?

"Ein normaler Tag für mich: ich stehe um sechs auf und dann wasche ich mich und mache das Feuer an. Dann trinke ich Mate. Ich trinke viel Mate das ist so eine Angewohnheit, Danach hole ich mein Pferd und dann machen wir eine Stippvisite auf dem Land, schauen ob irgendwas zu tun ist, ob irgendwo Futter fehlt oder ein Zaun kaputt ist. Dann holt man vielleicht ein bisschen Heu für die Tiere, das gibt man ihnen dann und dann geht es wieder zurück, dann trinkt man noch mal einen Mate."

Etwa 150.000 Gauchos gibt es in Argentinien. Sie kümmern sich um die 55 Millionen Rinder und 25 Millionen Schafe, die das Land zu einem der wichtigsten Fleischexporteure der Welt machen. Cato zeigt auf die Weiden, die ihn umgeben wie ein Meer. Es ist die Pampa und der weite, hellblaue Himmel, die ihn an seine Vorfahren erinnern. Über 300 Jahre ist der Gaucho hier zuhause. Nachkomme von Konquistadoren und Indios, der nichts besitzt außer Pferd, Sattel und was er am Körper trägt. Wenn er Hunger hat, erlegt er einfach junge Bullen. "Ein Amalgam aus Mensch und Erde" so beschreibt ihn die Literatur - Vergangenheit: Die Gegenwart des Gauchos ist monotone Landarbeit für 250 Dollar im Monat.
Cato schiebt seine Turnschuhe in die Steigbügel, pfeift nach den Hunden. Sofort kommen die drahtigen Kläffer - mehr Straßenköter als Jagdhunde - angeschossen.

"Der Hund hilft, wenn wir die Rinder einholen. Der läuft dann an die Spitze der Herde und umzirkelt die zwei, drei mal. Und dann kommen die Rinder rüber. Ein Hund in dieser Funktion ist so wichtig, weil das Pferd dann nicht ermüdet.
Ein Gaucho ohne Hund ist kein Gaucho. Er braucht einen Hund, ein Pferd, einen Sattel, ein Lasso und ein Messer, ich glaube, das ist die Basis."

Der Sattel sitzt, das Messer steckt. Los geht’s. Ein harter Vormittag steht bevor. Hundertfünfzig Rinder müssen zusammengetrieben werden. Um sie zu impfen gegen Maul-und Klauenseuche.

Nur hundert Meter von Catos Scheune entfernt, steht in einem Birkenwäldchen das Herrenhaus der Estanzia La Julia. Eine Allee mit alten Eukalyptusbäumen führt zu dem liebevoll renovierten Anwesen. Hier wohnen Catos Arbeitgeber, Julia und German, die patrones der Farm.

Die beiden, Anfang dreißig, sitzen in ihrer bunt gestrichenen Küche, trinken Tee. Mit den weiten Cargohosen und modischen Wollpullovern würden sie eher in ein unkonventionelles Cafe von Buenos Aires passen, wo sie auch aufgewachsen sind. Doch vor fünf Jahren habe sie die Estancia von Julias Mutter übernommen. Das bringt Pflichten mit sich. Auf dem Küchentisch liegt ein dicker Notizblock, Julia schreibt die Termine der Woche auf.

"Wir müssen zu einem Nachbardorf und noch eine Genehmigung zum Impfen holen. Dann müssen wir eine Liste von Vögeln machen, die hier ausgeräuchert werden müssen. Die sind nicht gut, die fressen uns den ganzen Samen für den Mais und das Gras weg. Dann müssen wir den Landarzt bezahlen. Wir müssen die dicken Kühe raussuchen, die in den Supermarkt kommen. Und noch eine neue Viehschleuse bauen. Und neue junge Kühe kaufen."

Julia und German gehören zu einer neuen Generation Estancieros. Sie haben Landwirtschaft studiert und wollen die wissenschaftlichen Methoden nun in der Praxis anwenden. Ihre Weiden verbessern sie mit hochwertigem Grassamen, die Flächen lassen sie gleichmäßig in Rotation abgrasen. Von Jahr zu Jahr vergrößern sie die Herde. Angefangen haben sie mit 100 Rindern, heute sind es 800. Die schlechte wirtschaftliche Situation in Argentinien zwingt sie zu diesem rasanten Wachstum.

"Wenn wir unsere dicken Kühe verkaufen, dann kaufen wir, wegen der Inflation in Argentinien, sofort neue Kühe. Wir versuchen nie für längere Zeit Bargeld in der Tasche zu haben. Kühe sind ein realer Wert. Es ist immer besser Tiere kaufen und die Herde zu vergrößern."

German zündet sich seine dritte Zigarette an diesem Morgen an. Ohne seinen geschäftlichen Tonfall könnte man ihn für einen relaxten Aussteiger auf dem Bauernhof halten. Aber Hippieträume kann sich das junge Paar nicht leisten.

"Heute ist das Land mehr eine Industrie. Man muss es bewirtschaften. Früher war das Land einfach rentabel, ohne dass man sich darum kümmern musste. Die Kühe standen auf der Weide, das Gras wuchs. Und ab und an hat man die Kühe eingeholt und verkauft. Heute muss man den Boden schon bis zum Maximum ausbeuten - sonst macht man keinen Gewinn mehr. Das Tier muss nah an deinen Magen angesiedelt sein."

Cato in seinem Element. So schüchtern der Gaucho auf ebener Erde wirkt, so souverän ist er im Sattel. Aufrecht, schnell und zielstrebig. Auf der endlosen Weide trennt er braune Herford- von schwarzen Aberdeen-Angus-Rindern, um sie zum Impfen zu treiben. Im Galopp dirigiert er sein Pferd durch das Chaos blökender Leiber. Er pfeift, schreit, schwingt den Lederriemen, begleitet vom Bellen der Hunde. Ein archaisches Bild in menschenleerer Weite.

An der Manga ist die Impfung der Kühe ist in vollem Gange. Die Manga ist die Viehschleuse der Farm, eine Umzäunung groß wie ein Tennisplatz mit schmalen, verriegelbaren Durchgängen. Etwa dreißig Rinder sind zusammen gepfercht. Am hinteren Durchgang steht der Tierarzt mit einer Spritze so dick wie eine Feldflasche. Darin: der Impfstoff gegen Maul und Klauenseuche. Cato, sein Sohn Raoul und Serrano, ein Nachbargaucho, treiben mit Lärm und Schlägen die Tiere zur Schleuse. Die Tiere blöken nervös, aus ihren Mäulern läuft Schaum. Stress und Enge sind sie nicht gewöhnt, sonst stehen sie unbehelligt auf den Weiden.

Jeweils drei Kühe passen hintereinander in die Schleuse. Wie am Fließband rammt der Arzt die Spritze in ihre Hintern. Wenn alles gut geht, dauert die Impfung eine Minute. Wenn nicht, winden sich die Tiere vor der Schleuse, versuchen über die Gatter zu entkommen. Dann greifen die Gauchos ein. Allen voran Raoul, Catos Sohn. Immer wieder schlägt der blasse, dickliche Junge mit voller Kraft auf die bockigen Rinder ein. Im Unterschied zu den vergötterten Pferden sind Kühe für den Gaucho nur zappelnde Steaks.

"Natürlich ist das Pferd wie der Hund der beste Freund des Menschen. Eine Kuh wird ein Jahr dick gemacht und dann kommt sie in den Supermarkt, die wird nur für 14 Monate gekauft. Auf einer Rinderfarm ist das ist ein Tier auf Zeit."

Julia und German kommen zur Viehschleuse, um die nächste Ladung Tiere zu übernehmen. Die beiden gucken skeptisch, von den alten, brutalen Gaucho-Methoden halten sie wenig. Wenn sie anwesend sind, sind Hunde und Pferde in der Viehschleuse verboten. Und geschlagen werden darf auch nicht. Verängstigte Tiere produzieren kein gutes Fleisch, sagen sie. Sie treiben die Tiere mit Schnalzen und Händeklatschen in die Schleuse. Wedeln mit ihren Jacken und schieben sie sanft voran. Bei Cato ernten sie dafür nur ein müdes Lächeln. Das ist neumodischer Stuss, meint der Gaucho.

"Die beiden sind das nicht gewöhnt schnell zu arbeiten. Die haben das gerne ein bisschen ruhiger. Die wollen mehr Besinnung für das Tier, weil sie meinen dass die so dicker werden, aber das sind einfach verschiedene Arten zu arbeiten. Wenn es schnell gehen soll, dann wird man so nicht fertig. Wenn man dem Tier Zeit zum denken gibt, dann passiert gar nichts. Das Tier muss schlicht machen, was der Mensch will. Mal mit mehr Druck, mal mit mehr Wissen - aber das Tier muss einen respektieren."

Julia und German schieben die Rinder in die Schleuse. Auf die Spritze folgt die Kastrierung. Ein kleiner Schnitt und aus Bullen werden Ochsen. Die pflaumengroßen Hoden landen in einem kleinen Eimer. Etwas antiseptisches Spray auf die Wunde, dann geht es zurück auf die Weide.
Dass Cato ihre neuen Methoden ignoriert, nehmen ihm Julia und German nicht besonders krumm. Sie haben sich arrangiert.

"Ich glaube Cato macht seine Arbeit mit Stolz. Es gibt auch viel Selbstliebe in dem, was er tut. Es ist ihm egal, ob etwas anstrengend ist, er ist ein Autodidakt, er war nur kurz an der Schule, kann also auch schreiben und lesen aber das meiste in seinem Leben hat er durch das Leben gelernt. Er versucht immer etwas besser zu machen, das ist zwar nicht immer perfekt, aber immerhin gut."
"Es ist auch ziemlich schwer, eine Person zu finden, die 100-prozentig zu einem passt. Cato arbeitet viel, ist kein Alkoholiker und fährt nicht ständig zum Dorf um dann erst drei Tage später wider zu kommen. Das ist nämlich ansonsten das Problem des argentinischen Gauchos."

Cato und sein Sohn haben ihr Vormittagssoll erfüllt. Verschwitzt und staubig schwingen sie sich auf ihre Pferde, reiten zurück: zum Mittagessen.

Auf der Hacienda. Neben dem Herrenhaus liegen die Wirtschaftgebäude. Hier wohnt Cato mit seinem Sohn. Der Eingang ist zugleich die Küche. Mit Gasherd, Spüle und einem großen Tisch in der Mitte. Cato gönnt sich einen Matetee.

Großzügig schüttet er die grünen Blätter in einen hohlen Kürbis – gießt eine erste Tasse heißes Wasser darüber. Durch ein silbernes Röhrchen saugt er das bittere Getränk aus dem Gefäß.

"Kann man auch mit Zucker trinken. Ich mag das auch ganz gerne süß - abends oder morgens ist das ganz angenehm."

Zum Mittag gibt es heute die frischen Bullenhoden. Cato holt den kleinen Eimer hervor, wäscht zwei Handvoll der blutigen Innereien. Seit seine Frau ihn verlassen hat, kocht Cato selbst. Mit einem langen Messer zerschneidet er die Hoden in steakdicke Scheiben.

Ein bisschen Pfeffer, Salz und Oregano, danach Zwiebeln und verquirlte Hühnereier.

Tischzeit. Raoul, der Sohn, schlurft aus dem Schlafzimmer. Nimmt schwerfällig Platz unter dem unübersehbaren Pferdeposter. Statt Pamela Anderson hängt in Catos Reich ein blonder Hafflinger an der Wand.

Stumm schaufelt der Sohn das Essen in sich hinein. Er wird auch ein Gaucho, sagt Cato. Raoul verdreht die Augen. Besonders verlockend scheint der Sohn diese Zukunftsaussichten nicht zu finden. Aber Cato ist Realist.

"Er will ja nichts lernen in der Schule – da geht er ja einfach nicht mehr hin. Und von irgendwas muss man ja leben oder? Und dann geht man eben arbeiten."

Cato arbeitet auf dem Land, seit er elf ist. Er mag seinen Job, fühlt sich als freier Mann.

"Ich ziehe das Land eindeutig vor. In der Stadt – um anzufangen – da kann ich keinen Mate trinken wie hier – hier ist der Mate exquisit und das Wasser weich in der Stadt hat es einen Chlorgeschmack und ich kriege Durchfall. Dann ist da der Lärm. Selbst um Mitternacht ist es extrem laut mit den Autos. Und der dritte Grund sind die Menschen. Hier kenne ich viele Menschen - in der Stadt gibt es kein Zusammenleben. Da sagt man nicht hey, Bruder wie geht es dir? 35. Es gibt zwar weniger Leute hier, aber es ist keine Zeit da, zu sich zu langweilen. Es gibt immer etwas zu tun: einen Zaun reparieren, die Kühe füttern. die Felder düngen."

Es ist ein einfaches Landleben ohne viel Aufregung. Ganz anders als in den Legenden - wie "El Gaucho Martín Fierro", dem riesigem Nationalepos aus dem Jahre 1872. Jeder Argentinier kennt die Geschichten von der Doma, dem rituellen Zureiten wilder Pferde, kennt El Baile, das Tanzfest am Wochenende, und natürlich den Asado, das Grillen opulenter Fleischstücke.

Cato zuckt die Schultern. Das Zureiten, die Doma, ist zum Show-Sport verkommen, Tanzfeste sind selten geworden und zum geliebten Asado kommt es nur, wenn die patrones German und Julia Besuch empfangen.
Und doch findet sich in Catos kleiner Hütte - zwischen Holzofen und Feldbett - der Beweis, dass hier ein waschechter Gaucho wohnt. Cato öffnet den Schrank.

"Das sind frische Bombachas, diese weiten Hosen mit Bund am Fuß. Das ist ein Schweinsledergürtel ... Mal schauen, ob ich noch etwas finde."

Ein Gaucho-Accessoire nach dem anderen holt Cato aus den hintersten Ecken seines Kleiderschranks hervor, legt es sich an.

"Hier hab ich noch so eine Gürtelschnalle mit den Initialen von meinem richtigen Namen Horatio Juan Arroz. Dann hier der kleine Lederbeutel, wo man das Geld hineintut und die Taschenuhr - die wird hier mit einer Kette am Gürtel fest gemacht. Die größeren Messer die werden hinten am Rücken festgesteckt - kleine Messer steckt man nach vorne."

"Und dann hab ich hier noch einen Poncho. Der Landarbeiter benutzt immer einen Poncho, wenn es spät wird abends. Anstelle einer Jacke – oder geht auch als Schal."

Cato steckt nun in voller Gaucho-Montur. So geht er sonst nur zu Tombolas oder Folklorefesten. Er schaut an sich herunter, lacht.

"Ein Gaucho mit Turnschuhen, das geht natürlich gar nicht."

Am Nachmittag bringen German und Julia mit dem Traktor Heuballen zu einer Herde am anderen Ende der Estancia. Über ausgetrocknete Feldwege geht es vorbei an Weiden. Links, rechts grasen schwarze, braune Kühe. So entsteht saftiges argentinisches Rindfleisch, sagt German. Aus grünem Gras, frischer Luft und zufriedenen Kühen.

German lädt das Heu neben der Wasserstelle ab, zieht die Fäden heraus, die die Ballen zusammenhalten.

"Das sind die Aufgaben des modernen Gauchos."

Scheu nähern sich die Rinder.

"Das sind kastrierte Jungstiere, das Fleisch lässt sich extrem gut exportieren. Die wiegen jetzt an die 500 Kilo und schmecken sehr gut."

90 US Cents gibt es für das Kilo lebend Rind. Etwa 700 Tiere verkaufen die jungen Farmer pro Jahr. Reich wird man damit nicht, aber man kommt über die Runden.

Julia hat als Kind die Sommerferien auf der Estancia verbracht. Sie zeigt auf einen kleinen Punkt am Horizont: Das Dorf "16 de Julio", damals benannt nach dem Hochzeitsdatum der Urgroßmutter, dem 16.Juli.

"Das Haus war damals schon dasselbe. Aber die Weiden reichten bis zu dem Dorf - das ist zehn Kilometer weiter weg."

5000 Hektar besitzt Julias Familie noch im 19. Jahrhundert. Heute sind davon – durch Misswirtschaft und Erbteilung – noch 1000 übrig geblieben. Nicht nur das hat sich geändert.

"Die Familie kam im Sommer mit dem Zug aus der Hauptstadt und wurde mit dem Pferdewagen geholt. Mit ihrem enormen Gepäck. Die waren nur im Sommer hier. Die kannten das Land gar nicht im Winter. Die kamen hier mit ihren weißen Kleidern und den englischen Hüten angereist. Eine echte Teaparty eben. Den Leuten hier haben die noch nicht mal die Hand gegeben."

Julias Mutter spricht nur selten mit dem Gaucho. So ist sie erzogen: Herr und Knecht, Befehl und Ausführung. Die beiden jungen Farmer setzen mehr auf modernes Miteinander.

"Wir glauben, dass sich die Generationen vorher ziemlich überlegen gefühlt haben gegenüber den Menschen vom Land. Die haben ihre Angestellten nicht wirklich respektiert, der Besitzer kam dann angereist und hat die Arbeiter aber nie gegrüßt oder so, Wir sind da schon eine andere Generation."

Die untergehende Sonne taucht die Pampa in ein schönes Orange. Zeit den Generator anzustellen. Strom gibt’s immer nur am Abend. Der kleine Motor tuckert. Die Lichter gehen an, die Wasserpumpen laufen jetzt für die Duschen.

Cato schaut mit seinem Freund Serrano, dem Nachbargaucho, im Herrenhaus bei Julia und German vorbei. Erschöpft vom Tag strecken sie ihre Beine aus, machen es sich bequem auf dem eleganten Louis XIV Sofa im Salon. Wenn Julia und German zum Essen laden, wechseln sie in den großzügigen Wohntrakt von Julias Mutter, der eigentlichen Gutsbesitzerin. Die lebt die meiste Zeit des Jahres in Buenos Aires. Auf dem Land verfügt sie über sieben geräumige Zimmer. Der Luxus der früheren Tage ist am Interieur zu erkennen: Biedermeier, Art Deco, schwere Ölgemälde.

Julia steht in der Küche schiebt ein Blech voll Millanesa, die argentinische Variante des Wiener Schnitzels, in den Ofen, präpariert einen Mate für den Besuch. German sitzt im Salon, diskutiert mit den Gästen über Sojaanbau und Gürteltiere.

Die beiden Gauchos haben ähnliche Familiengeschichten. Viel Leid, große Armut. Cato ist eins von 18 Kindern. Von seinen Geschwistern leben heute noch sechs. Serranos Vater wird umgebracht, als der Sohn fünf Jahre alt ist. Mit zehn geht der Junge arbeiten. Biographien vom Land.
"Wir haben eh immer gearbeitet auf dem Feld. Und dann hab ich hier auf dem Nachbargut angefangen als Gaucho, das hab ich dann einen Monat versucht und dann war ich die nächsten 41 Jahre dort. Ich kenne jetzt schon die vierte Generation an Patrones: Gerade hat die jüngste Tochter ein Baby bekommen. Aber ihr Land ist heute vermietet."

Wenig Lohn, zerrüttete Familien, Einsamkeit. Immer weniger sind die Vorzüge des Gaucholebens wert. Die neue Zeit bringt die Sehnsucht nach einem anderen Leben mit sich. Und man wird nicht mehr gebraucht – so wie früher.

"Es gibt Licht und Fernsehen und Autos. Als ich klein war gab es das alles nicht früher war das anders - aber es war schön – man ist sehr früh aufgestanden, mit der Sonne. Dann ist man raus aufs Feld. Man hat alles per Pferd gemacht. Es gab gar keinen Traktor, wir haben das alles mit der Hand gemacht gesät und so. 30. Heute ist alles automatisch. 32. Der Gaucho kann kaum noch überleben. So wie Cato und ich das machen, das ist seltener geworden. Ich arbeite jetzt auch mit Maschinen. Und der Gaucho wird weniger wichtig."

Selbst das Gefühl von Unendlichkeit geht verloren, sagt Cato. Die letzte Illusion des Gauchos.

"Früher gab es mehr Freiheit. Es gab größere Flächen und weniger Zäune, also mehr Ausdehnung, um frei zu sein. Als ich jünger war, da war eine Parzelle 570 Hektar groß da musste man früh raus mit dem Pferd um das zu kontrollieren und jetzt gehört dieses Land drei verschiedenen Besitzern – das ist weniger Freiheit."

Julia nickt. Auch für sie neigt sich eine Epoche dem Ende zu.

"Die letzten Gauchos, die noch richtig so sind, wie man sich das vorstellt, die sind heute 50 oder älter. Die Jüngeren wünschen sich mehr Komfort. Der Sohn will jetzt ein Traktorist werden, weil da kann man mehr Geld mit verdienen."

Julia holt eine CD aus dem Regal. Alte Gaucho-Weisen. Sie drückt auf die Play Taste des Recorders. Cato und Serrano werden ganz andächtig. Das ist ihre Musik. Von früher. Die kann ihnen keiner nehmen.