Das Leben eines Leichtathleten

Der französische Schriftsteller Jean Echenoz hat in "Laufen" die Lebensgeschichte des tschechischen Ausnahmeläufers Emil Zátopek festgehalten. Zu dessen spektakulärsten Leistungen zählten drei Olympiasiege 1952 in Helsinki.
Gut zwei Jahre ist es her, dass der letzte Roman von Jean Echenoz, "Ravel, auf Deutsch erschien. Keine Biografie, sondern ein Roman, der Ausschnitte eines Künstlerlebens mit höchster Sensibilität erzählt. Hinter dem Titel des neusten Buches dieses Autors, "Laufen", scheint sich ein gänzlich anderes Konzept zu verbergen, doch geht es auch hier wieder um eine Lebensgeschichte, diejenige des tschechischen Ausnahmeläufers Emil Zátopek, zu dessen spektakulärsten Leistungen der dreifache Olympiasieg 1952 in Helsinki gehört: innerhalb weniger Tage gewann er über 5000 und 10.000 Meter sowie im Marathon die Goldmedaille, und lange Zeit hielt er "sämtliche Weltrekorde über Langstrecken, von sechs Meilen bis zu dreißig Kilometern."

Und dennoch zeigt sich der vom Titel suggerierte Unterschied von Anfang an. Wenn man "Laufen" aufschlägt und noch den behutsamen, intimistischen Ton im inneren Ohr hat, den Echenoz in "Ravel" anschlägt, dann fragt man sich, was denn hier los sei. Stand dort der Protagonist vor dem fast unüberwindlichen Problem, die warme Badewanne verlassen zu müssen, um dann immerhin nach Amerika zu reisen, was ihn aber weit weniger als die Kälte des Badezimmers zu interessieren scheint, so lautet hier der erste Satz: "Die Deutschen sind in Mähren einmarschiert".

Nun waren sprachliche Schnörkel Echenoz' Sache noch nie, aber soviel Lakonie wie diesmal überrascht dann doch: "Sie sind zu Pferde, auf Motorrädern, in Wagen, in Lastern gekommen, aber auch in Kutschen, gefolgt von Infanterie- und Verpflegungseinheiten sowie noch einigen Halbkettenfahrzeugen von kleinerem Format, das war's." Das war's? Das soll Echnoz sein? Sollte der Berlin Verlag den Übersetzer gewechselt haben? Nein, es ist auch diesmal wieder der exzellente Hinrich Schmidt-Henkel, nur hat sich der Autor seiner so gänzlich anderen Figur mit einem ihr angemessenen Stil genähert.

Emil Zátopek war eben kein Künstler, sondern Läufer, er hat keine Kunstwerke geschaffen, sondern ist gelaufen, mehr, länger und schneller als seine Zeitgenossen. Und Echenoz gelingt es, aus diesem Stoff ohne jede Heroisierung, fast ohne Innenschau einen mitreißenden, mitunter äußerst komischen Roman zu schaffen, der den Leser fesselt, obwohl oder vielleicht gerade weil der Autor seiner Figur nie wirklich nahe kommt. Während uns die mitunter vertrackten Windungen von Ravels Künstlerseele detailliert offenbart wurden, bleiben wir hier letztlich Zuschauer.

Mit diesem Kunstgriff vermittelt Echenoz eindrücklich den nahezu stoischen Gleichmut seines Helden, der sich weder von den Tiefen des Lebens – Krieg, Lehrzeit in der Bata-Schuhfabrik, Schmerzen bei Training und Wettkampf, Zwangsarbeit im Uranbergwerk nach dem Prager Frühling – noch von seinen Triumphen und den Ovationen der Massen sonderlichen beeindrucken lässt. So heißt es nach dem unbegründeten Reiseverbot ins 'kapitalistische' Ausland lediglich: "Bleibt ihm nur, auf heimischen Boden zu tun, was er kann, man muss sich schließlich beschäftigen."

Doch gerade aus diesem scheinbaren Gleichklang blitzen die Augenblicke, in denen der Ehrgeiz oder die Empörung Emil Zátopek packen, umso deutlicher hervor, dass uns dieser Volksheld als Mann mit der Pudelmütze doch berühren kann.

Besprochen von Carolin Fischer

Jean Echenoz: Laufen. Roman.
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Berlin Verlag 2009.
126 S., 18 Euro

Service:
Jean Echenoz, geboren 1947 in Orange, Südfrankreich, lebt seit 1970 in Paris, wo er seit 1979 zahlreiche Romane bei dem renommierten Verlag Minuit veröffentlicht hat, die fast alle auch ins Deutsche übersetzt wurden. Für Ich gehe jetzt wurde er 1999 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.
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