Das Leitmedium mit den vier Buchstaben

Von Michael Meyer · 01.01.2011
Vor zehn Jahren betrat Kai Diekmann die Kommandozentrale der "Bild"-Zeitung und formte sie nach seinem Geschmack. In dieser Zeit wurde er etliche Male Ziel von Satire und Spott - mal ertrug er das, mal schlug er zurück.
"Wenn man diese zehn Jahre überblickt, dann bleibt vor allem eines: Dass diese zehn Jahre rasend schnell vergangen sind, und dass es bei Bild keine Routine gibt. Jeder Tag ist anders, jeder Tag ist unglaublich fordernd, man macht die Erfahrung, dass Bild mit seinen großen Buchstaben, mit seiner Lautstärke, mit der Art und Weise, wie wir Themen zuspitzen, natürlich auch ununterbrochen in der Debatte ist … aber es keinen Moment gibt, dass man sagt: Das ist alles schon mal da gewesen, haben wir schon gehabt."

Kai Diekmann, 46 Jahre alt, und heute womöglich auf dem Zenit seiner Karriere, wirkt sichtlich entspannt. Er ist mit seinen zurückgegelten Haaren noch immer kein wirklicher Sympath – eignet sich aber auch nicht mehr zum klassischen Feindbild, zu dem ihn viele Linke stilisieren wollen. Lange vorbei sind die Zeiten, als Diekmann sich noch mit seinen Kritikern kabbelte, gnatzig auf eine Penis-Satire der taz reagierte und die Kollegen auf der anderen Seite der Springer-Zentrale, der Rudi-Dutschke-Straße in Berlin-Kreuzberg, sogar verklagte.

Später wechselte die Tonlage, Diekmann wurde Genosse der "taz" – der "einzig anderen wichtigen Boulevardzeitung in Deutschland", wie Diekmann sagt. Im Jahr 2003 lud die taz anlässlich ihres 25. Geburtstags ihre Lieblingsfeinde zum Blattmachen ein – und erstmals war in der taz ein langes Interview mit Helmut Kohl zu lesen, das Diekmann geführt hatte.

Doch all das ist lange her. Im letzten Jahr schrieb Diekmann 100 Tage lang einen launigen Blog, in dem er seine Sicht auf die Medienwelt verbreitete, Reste davon sind noch immer unter kaidiekmann.de im Internet zu lesen. Heute arbeitet man sich an Diekmann zwar nicht mehr so ab wie noch vor Jahren, aber dennoch ärgert sich Diekmann über manch verlogene Medienkritik, wie er es ausdrückt:

"Ich glaube, ich habe in keinem anderen Medium so detailliert über die Anwürfe gegen Nadja Benaissa, die Anklage im Zusammenhang mit der HIV-Erkrankung, in keiner anderen Publikation die Details so genau gelesen wie im Spiegel. Dass dann die Medienkritik am sogenannten Boulevard zu verbinden, das finde ich unehrlich."

Und dennoch scheint die bewusste Zuspitzung bei Bild noch immer extremer als bei manch anderen Medien: Kritikern an der Guttenberg-Reise nach Afghanistan wurde geraten, doch bitte mal die Klappe zu halten. Dem damaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin wurde auf einem Foto bei einer Demo ein Schlagstock angedichtet, an anderer Stelle wurde die Moderatorin Charlotte Roche von Bild geradezu genötigt, ein Interview zu geben(*).

Wegen dieser Geschichte erwirkte der Springer-Verlag sogar Gegendarstellungen – doch egal, was davon nun zutrifft oder nicht, auf jeden Fall müsse man bei handwerklichen Fehlern Kritik einstecken können, sagt Diekmann:

"Wer täglich Zeitung macht, der kommt doch gar nicht daran vorbei, dass einem Fehler passieren, und dann muss man dazu auch stehen und dann muss man damit auch verantwortlich umgehen. Das heißt aber nicht, dass bei einer Zeitung mit großen Buchstaben auch die Fehler besonders groß wären, sie sind nur besonders eindrucksvoll sichtbar.

Ich denke, dass wir genauso sorgfältig mit unseren Geschichten umgehen, wie das die Kollegen beim Stern, bei der FAZ oder beim Spiegel tun … wenn Sie in der Notwendigkeit stehen, einen Sachverhalt am Ende auf eine Schlagzeile zu bringen, dann müssen Sie eben sehr, sehr sorgfältig arbeiten, sonst fliegt ihnen das ganz schnell um die Ohren."

Bild hat in den zehn Jahren deutlich mehr Konkurrenz bekommen: Selbst bildungsbürgerliche Medien wie die Süddeutsche Zeitung oder die FAZ greifen gelegentlich mal in den Boulevard-Topf und stehen der Bild-Zeitung dann in nichts nach, wenn es um Emotionalisierung und Personalisierung geht. Ist das ein Problem für Bild?

"Das bedeutet schlicht und ergreifend, dass an anderen Stellen Raum für uns entsteht, in die wir dann stoßen können, ich bin eigentlich ganz froh, dass ich nicht mehr jeden Boulevard-Wettbewerb mitmachen muss. Was bestimme leichte Themen angeht, Zuspitzungen im Privatfernsehen, wo ich dann sage, da möchte ich mich mit meiner Zeitung nicht mehr dran beteiligen, denken Sie beispielsweise daran bei RTL das Supertalent, bestimmte Dinge noch bizarrer inszenieren kann, das gibt uns auf der anderen Seite Raum, Medien wie Spiegel oder FAZ herauszufordern, wenn es etwa darum geht, zu enthüllen, wie das Bombardement in Kundus wirklich stattgefunden hat."

Doch trotz derlei Scoops: Verglichen mit den 80er oder 90er Jahren ist Bild nicht mehr so politisch, meint zumindest einer der Kritiker der Bild, Steffen Grimberg, Medienredakteur der taz. Wenn nicht gerade wieder mal zweifelhafte Kampagnen gefahren werden, wie jene gegen Griechenland und die angeblich faulen und überbezahlten Griechen im Sommer dieses Jahres, ist Politik nicht mehr unbedingt das beherrschende Thema. Die Zeit, als es um die Jahrtausendwende auch für Intellektuelle schick war, die Bild zu lesen, sei jedenfalls lange vorbei, meint Grimberg:

"Bild hat unglaublich von einem gewissen Zeitgeist profitiert, der auch etwas mit der Berliner Republik, die 'Meute' raunte es über die Journalisten, ganz kollektiv, zusammenhing. Das heißt, dort war dann im Zeitgeist dieser Berliner Republik wo ja auch so ein gewisser 'Anything goes'- von Politik und Unterhaltung. Da war die BILD sicherlich so etwas wie ein Leitmedium, man sah an vielen Blättern, dass sich da aneinander abgearbeitet wurde, man versuchte sich in so einem nicht ganz ernst nehmen des Politikbetriebs … bis hin nachher zu dieser relativ merkwürdigen Koalition, gemeinsame Politik zu machen, ich erinnere nur an diesen rührenden Versuch, die Rechtschreibreform zu kippen, was ja ein großer Schulterschluss von Springer, Spiegel bis hin zur FAZ dann war, was am Ende natürlich nichts genützt hat."

Daneben sei die Bild, so Grimberg, nach wie vor ein verlässlicher Partner eines gewissen Grundkonservatismus, was auch an der Person Kai Diekmann und seinem Idol Helmut Kohl liege. Die Bild folgt bis heute den drei großen Ks: Kirche, Kohl und Konservative - meistens zumindest.

Neben der inhaltlichen Ausrichtung wird in den nächsten Jahren die technische Seite sehr wichtig werden, also: Wird das Online-Portal weiterhin so erfolgreich sein? Wird Bild auch auf dem iPad gut funktionieren? Überhaupt: Wird Bild auch für jüngere Leser noch attraktiv bleiben?

"Da gibt es ganz viele Herausforderungen der Zukunft, die noch nicht endgültig gelöst sind und beantwortet sind, sodass ich mich darauf freue, hier noch viele, viele, viele Jahre bei Bild Zeitung machen zu können."

Ein gewisser Grundoptimismus gehört zum Bild-Chefredakteur dazu, sonst könnte man den Job wohl auch nicht machen. Kai Diekmann will jedenfalls weiterhin daran arbeiten, dass seine Zeitung nicht von der "In" in die "Out"-Spalte rückt – so wie man es jeden Tag in der Bild auf der letzten Seite lesen kann.

(*) Hinweis: An dieser Stelle weicht die schriftliche Fassung von der gesendeten ab.