Leben in einer Demenz-WG
Wir werden immer älter und mit steigendem Alter nimmt die Gefahr, an einer Demenz zu erkranken, deutlich zu. Entscheidend sind dann die richtige Pflege und Unterbringung - zum Beispiel in einer Wohngemeinschaft.
"Also, ich fand mein Leben immer schön. Auch dass ich hier jetzt noch gelandet bin, das ist ganz gut für mich, weißte, dass du nicht Zuhause sitzt und Däumchen drehst und bloß ins Fernsehen kiekst."
Unter dem Mantel von Martha Walter blitzt eine blaue Chiffonbluse im Leo-Look hervor. Fast ein Jahrhundert ist die Dame alt, die ihren wahren Namen nicht nennen will. Klein, mit grauen Locken und aufmerksamen Augen hinter der großen Brille. So steht sie da, auf ihren Rollator gestützt, draußen vor dem Eingang einer kleinen, bezaubernd schönen Jugendstilvilla im Berliner Westen. Ihrem Zuhause. Eine Demenz-WG.
"Ist nicht einfach, alt zu werden…"
Seit anderthalb Jahren wohnt Martha Walter jetzt hier. Sie wirkt zufrieden, raucht ihre zweite Zigarette des Tages. Die kleine Sünde gönnt sich die 94-Jährige, bereits seit einem dreiviertel Jahrhundert.
"Feuerzeug klackt. Sie zieht an der Zigarette."
Nur weil sie nicht mehr alleine wohnen kann und deshalb in einer betreuten Wohngemeinschaft lebt, denkt Martha Walter noch lange nicht daran, das Rauchen aufzugeben. Muss sie auch nicht, sagt Sabine Thiemann. Sie ist die Leiterin des Pflegeteams in der Albrechtstraße:
"Deswegen ziehen ja auch Bewohner in Wohngemeinschaften, dass die Lebensqualität ja eine andere ist als in einem Pflegeheim oder Zuhause eventuell. Es gehört einfach zur Lebensqualität dazu, eben einfach auch seine Laster auszuleben. Das ist ja auch ein wichtiger Teil von demjenigen, das er gerne raucht und das soll er auch weiter machen. "
Einen guten Alltag haben und selbst bestimmt leben – auch gegen Ende des Lebens – das ist das Hauptanliegen der derzeit sieben Mitbewohnerinnen dieser WG. Sie alle haben eine Demenz-Diagnose. So wie die Freundin von Werner Kienzler:
"Schön ist zum Beispiel, dass es nicht zu einer bestimmten Zeit Frühstück gibt. Letztendlich können die runterkommen, wann sie wollen und können frühstücken. Manchmal vergisst sie auch, dass sie hier unten war und dann frühstückt sie halt zweimal."
Erste Senioren-WG gab es in Berlin
1996 wurde in Berlin die erste Senioren-WG Deutschlands gegründet, inzwischen gibt es etwa 600 solcher Gemeinschaften in der Hauptstadt, davon rund 350 für Menschen mit Demenz. Deutschlandweite Zahlen fehlen.
"Wollen wir draußen bleiben oder gehen wir wieder rein? Warte mal, ich muss das erst umstellen, und danke für die Zigarette."
Es ist Nachmittag: Die Kaffeemaschine brodelt und der Apfelkuchen duftet. Sechs der derzeit sieben WG-Bewohnerinnen sitzen am großen hölzernen Tisch, der die Gemeinschaftsküche fast ausfüllt. Stuck an der Decke, ein kitschiges Stillleben mit Rehen an der Wand. Gemütlich wirkt das. Rosemarie Halscheidt hat Besuch von ihrem Sohn.
"Du hast vorhin Wäsche zusammengelegt, so was, glaube ich. Im Keller. / Im Keller. Ja, das habe ich gemacht. / Wäsche zusammen gefaltet? / Ja, natürlich. / Gut. / Gefaltet, Stapel."
Ein weiterer Gast kommt – Monika Bierbaum-Luttermann.
"Ha, noch ein neues Gesicht. / Na, neu ja nicht. / Na, neu nicht - wir kennen uns doch! / Ein bisschen, ne?"
"Ha, noch ein neues Gesicht. / Na, neu ja nicht. / Na, neu nicht - wir kennen uns doch! / Ein bisschen, ne?"
Alle WG-Bewohnerinnen sind dement. Jede in einem unterschiedlichen Ausmaß. Klar ist nur: die Betroffenen entgleiten sich selbst – wie auch ihren Mitmenschen. Das Gedächtnis, das Denken, die Orientierung und die Sprache leiden, der Antrieb und das Verhalten ändern sich – vieles ist einfach weg.
"Muss ich ehrlich sagen, habe ich vergessen. Mit 94 hört das auf. Ich habe neulich zu meiner Mutter gesagt, wer bist du denn?"
Betreute Wohngemeinschaft ist eine alternative Wohnform
Die ambulant betreute Wohngemeinschaft ist eine alternative Wohnform für erkrankte Menschen, die nicht mehr zuhause leben können aber auch in kein Heim wollen, erklärt Hans-Jürgen Freter von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft:
"Das ist die Idee, kleiner Wohnmöglichkeiten, wo Menschen individuell mitbestimmen können, was sich am Alltagsleben orientiert und nicht an der Pflege orientiert. Die ist natürlich auch immer wichtig. Also möglichst normal zu leben und die individuellen Bedürfnisse der Leute aufzugreifen."
Die Haustür der Stadtvilla abzuschließen und den Bewohnerinnen damit den Ausgang zu verwehren, würde dem Grundsatz der Selbstbestimmung widersprechen. Die Pfleger haben deshalb einiges mehr zu tun – und stets einen Blick hinaus auf die 30 Meter lange Einfahrt zum Haus. Eine alte Dame hat sich auf den Weg gemacht.
"Jetzt beobachte ich sie. Wie weit sie geht. Naja, wenn sie nachher abbiegt, dann muss ich hinterherlaufen, dann haben wir sie nicht mehr im Blickfeld dann wird’s zu gefährlich. Aber ansonsten lassen wir sie schon so weit wie möglich selbständig bis zur Straße laufen."
Nun könnte man denken, eine Demenz-WG sei eigentlich nichts anderes als ein Pflegeheim, nur eben etwas kleiner. Das ist aber falsch, erklärt Hans-Jürgen Freter.
"Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Faktor für Selbstbestimmung – im Heim können sie das Personal nicht auswählen. Dieser Pflegedienst ist für Pflege und Betreuung zuständig."
Um alles andere muss sich die Familie selbst kümmern, erzählt Samuel Halscheit.
"Ich habe zum Beispiel die Gardinen aufgehängt, einen neuen Geschirrspüler gekauft, einen neuen Trockner gekauft und ich habe auch mal Glühbirnen ausgetauscht."
Andere organisieren Grillfeste oder Ausflüge. Angela Wittmann, Tochter einer Bewohnerin, ist Sprecherin der Angehörigen.
"Es gibt Angehörigen- und Betreuertreffen, die finden in der Regel viermal im Jahr statt. Da besprechen wir die normalen Abläufe, was ansteht. Im Augenblick müssen wir darüber sprechen, dass wir hier renovieren müssen."
"Jetzt beobachte ich sie. Wie weit sie geht. Naja, wenn sie nachher abbiegt, dann muss ich hinterherlaufen, dann haben wir sie nicht mehr im Blickfeld dann wird’s zu gefährlich. Aber ansonsten lassen wir sie schon so weit wie möglich selbständig bis zur Straße laufen."
Nun könnte man denken, eine Demenz-WG sei eigentlich nichts anderes als ein Pflegeheim, nur eben etwas kleiner. Das ist aber falsch, erklärt Hans-Jürgen Freter.
"Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Faktor für Selbstbestimmung – im Heim können sie das Personal nicht auswählen. Dieser Pflegedienst ist für Pflege und Betreuung zuständig."
Um alles andere muss sich die Familie selbst kümmern, erzählt Samuel Halscheit.
"Ich habe zum Beispiel die Gardinen aufgehängt, einen neuen Geschirrspüler gekauft, einen neuen Trockner gekauft und ich habe auch mal Glühbirnen ausgetauscht."
Andere organisieren Grillfeste oder Ausflüge. Angela Wittmann, Tochter einer Bewohnerin, ist Sprecherin der Angehörigen.
"Es gibt Angehörigen- und Betreuertreffen, die finden in der Regel viermal im Jahr statt. Da besprechen wir die normalen Abläufe, was ansteht. Im Augenblick müssen wir darüber sprechen, dass wir hier renovieren müssen."
Einfach mal machen lassen
In der WG-Küche wird das Abendessen vorbereitet. Pizza soll es geben, so der Wunsch einer Bewohnerin. Vorsichtig schneidet eine der alten Damen Paprika in Streifen, ihre Mitbewohnerin spült nebenbei schon mal ab. Die Pflegehilfskraft Gudrun Wilkening lässt die beiden Frauen machen.
"Wenn jemand so da steht, dann frag ich, wollen Sie? Ja! Dann lass ich die Finger weg."
Alles, was die Eigenständigkeit der Bewohnerinnen erhält, ist gut. Auch wenn das nicht immer leicht auszuhalten ist und Geduld braucht – auf Seiten des Pflegepersonals.
"Wir haben in den Wohngemeinschaften wirklich die Zeiten dafür, um den Leuten die Zeit für die Aktivitäten zu lassen."
Für die Angehörigen ist das anders. Sie müssen sich umstellen, die vertauschten Rollen akzeptieren und lernen, dass sie sich kümmern müssen. Angela Wittmann.
"Es ist ja nicht nur Kümmern, wenn man hier Präsenz zeigt, sondern es passiert auch eine Menge hinter den Kulissen. Also der Verwaltungsaufwand, der mit meiner Mutter und ihrer Unterbringung hier verbunden ist, der ist schon nicht ganz ohne."
In einer ambulant betreuten WG kommt noch anderes dazu. Hans-Jürgen Freter.
"Die Möglichkeit, jetzt die Dinge individuell zu gestalten, bringt auch Anforderungen an die Angehörigen. Sie müssen zeitlich und von ihren Kräften her in der Lage sein, das hinzukriegen. Also man braucht schon kommunikative Fähigkeiten dazu, auch weil es vieles zu regeln gilt und man will die Sachen fair aufteilen und muss versuchen, bei Meinungsverschiedenheiten einen Ausgleich zu finden."
Angela Wittmanns Mutter ist seit acht Jahren hier. Die Tochter hat schon allerhand erlebt:
"Dann stimmt das Team plötzlich nicht mehr oder die Pflegedienstleitung wechselt, dann kracht es auch schon mal richtig im System. Das ist für uns Angehörige wie auch alle anderen Beteiligten schon nochmal eine extra Belastung. Weil gleichzeitig geht das Leben ja auch weiter, und Sie können ja nicht sagen, okay, wir diskutieren die Nummer hier jetzt erstmal aus und lassen erstmal stehen und liegen. Geht ja nicht, weil Sie haben acht Leute, die wollen versorgt werden."
Eine WG, die Engagement abverlangt, aber dafür es den Bewohnern ermöglicht, den Tag so zu verbringen, wie sie möchten. So gut es eben geht.