Wer interessiert ist, beim Projekt mitzuarbeiten oder Liebesbriefe für das Archiv zu spenden, kann sich unter https://liebesbriefarchiv.wordpress.com/ informieren oder eine Mail an liebesbriefarchiv@uni-koblenz.de schreiben.
"Mein kleiner Wildfang, verführe mir die Männer nicht"
06:32 Minuten
20.000 Liebesbriefe aus der Zeit seit 1750 hat das Liebesbriefarchiv in Koblenz gesammelt. Nicht bekannte Persönlichkeiten, sondern ganz gewöhnliche Menschen haben sie geschrieben. Und so erzählen sie auch eine Alltagskulturgeschichte der Liebe.(*)
"Meine liebe Franzi! Ich schreibe Dir diesen Brief auch spontan, weil ich einfach antworten muß, es brennt auf meinen Lippen, Dich in Deiner Sehnsucht nicht allein zu lassen, ich möchte Dich umschlingen und Deinen Atem trinken, jeden Schlag Deines Herzens spüren und mit Deinen Augen träumen."
Die Liebesgeschichte von Franzi und Arnold, Worte, die irgendwann irgendwem so viel bedeuteten, sie stecken nun sorgfältig dokumentiert in einer Archivkiste des Liebesbriefarchivs in Koblenz.
Etwa 20.000 Briefe – der älteste von 1750, der jüngste von 2017 – erzählen sich hier ihre Geschichten:
"Ich muß befürchten, daß ich Dir so ausführlich, wie Du zu mir sprichst in Deinen Briefen, garnicht antworten kann, ich hätte Dir soviel zu sagen, aber ich kann es heute einfach nicht aufs Papier bringen."
Sediment vergänglicher und vergangener Gefühle
Vom Willst-du-mit-mir-gehen-Zettelchen bis zum mehrseitigen Liebesgeständnis. Die einen unbeholfen und ungelenk geschrieben, die anderen in gekonnten Versen. Wiederum andere mit Kussmündern und getrockneten Blumen verziert, auf Papier, das schon vergilbt.
"Sei zärtlich geküßt, geküßt bis in die Tiefe Deines Körpers und verzeih, wenn die Briefe nicht länger sind. Franzi - Liebste Franzi! Dein Arnold."
Die Germanistin Andrea Rapp und einige Kolleginnen und Kollegen wollen dieses Sediment vergänglicher und vergangener Gefühle nun ins digitale Zeitalter überführen. Dafür müssen die Briefe nach Ort und Zeit dokumentiert, gescannt, eventuell anonymisiert, entziffert und abgetippt werden.
"Das ist natürlich eine Riesenaufgabe und sehr aufwendig", sagt Andrea Rapp. "Wir haben ja über 20.000 Briefe. Und das schaffen wir nicht mehr so nebenbei. Deswegen haben wir eben auch dieses neue Projekt beantragt, wo wir vor allem mit der Zivilgesellschaft, mit Bürgerinnen und Bürgern die Briefe erforschen wollen."
"Gruß und Kuss – Briefe digital. BürgerInnen erhalten Liebesbriefe" – heißt das Projekt der TU Darmstadt und Uni Koblenz, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.
"Wir wollen aber auch darüber hinausgehend mit den Leuten, die Träger dieser Kultur sind – das ist ja Alltagskultur – das gemeinsam erforschen. Wir wollen also wissen: Was interessiert die Leute eigentlich an diesen Briefen, was sind deren Forschungsfragen? Wie müssen wir die Briefe erschließen und analysieren, damit es sowohl für die Wissenschaft interessant ist, aber auch dann einen Transfer in die Zivilgesellschaft erlaubt?"
Das ungewöhnliche Archiv wurde vor etlichen Jahren von Rapps Kollegin Eva Lia Wyss ins Leben gerufen. Damals forschte sie zum Thema private und Briefsprache und startete einen öffentlichen Aufruf: die Bitte, ihr Liebesbriefe zuzusenden. Meist sind es Verwandte der Korrespondierenden, die sich bei ihr melden. Beim Sortieren des Nachlasses stoßen sie auf die süßen Worte, die in Kellerkisten oder auf Dachböden ihrer Bedeutungslosigkeit entgegenschlummern.
Viele Liebesbriefe stammen aus Kriegszeiten
Denn was Goethe, Mozart, John Lennon, Hemingway oder Karl Marx ihren Liebsten schrieben, ist bekannt. Wer keine Berühmtheit erlangt, dessen Briefe sind meist dem Vergessen vorherbestimmt: Nun können sie der Wissenschaft dienen.
"Aber es ist ja dennoch Kultur und Sprache und Gesellschaft, die von Bedeutung ist", sagt Rapp. "Ich denke, das ist ganz wichtig, um eine Gesellschaft zu betrachten, um Sprache zu verstehen. Da brauchen wir genau solche Quellen, da brauchen wir nicht nur die Geschichte der Mächtigen, sondern unser aller Geschichte, unser aller Sprache. Und das ist eben, was uns da wirklich antreibt, dass wir das erforschen und analysieren wollen."
Andrea Rapp blättert sich durch einige der Briefe, die sie aus den Archivkartons geholt hat.
Die meisten Briefe aus dem Liebesbriefarchiv stammen vom Anfang des letzten Jahrhunderts, aus Kriegszeiten, als viele Paare getrennt waren.
Auch Chats und Mails sammelt das Archiv
Aber auch digitale Nachrichten – Chats und Mails – aus den jüngeren Tagen speichert das Archiv mittlerweile.
"Ich habe den hier noch einmal rausgesucht. Es fängt an mit: Meine liebe kleine Frau. Dann mehrere Ausrufezeichen. Der ist von 1946, das ist kein aktueller Brief. In heiß entbrannter Liebe grüßt und küsst dich in Sehnsucht. Dein so und so. Na, mein kleiner Teufel, wie bist du nach Hause gekommen. Mein kleiner Wildfang, verführe mir die Männer nicht, sonst bekommen die anderen Frauen keine Männer mehr. Und so geht es immer weiter. Das finde ich schon sehr direkt und sehr offen. In so einer Beziehung, wenn man sich das vorstellt. Wenn man der Frau solche Dinge schreibt."
So explizit Gefühle zu offenbaren – das sei erst im 20. Jahrhundert aufgekommen, meint Rapp.
"Zuerst ist es noch sehr formell, dass die Braut dann angesprochen wird mit Liebes Fräulein Sowieso. Und nachher wird das dann informeller, auch wenn dann steht: Liebe Marielle, liebe Ingrid, da wird das Ganze dann doch lockerer. Und ab den 60er-, 70er-Jahren wird das Formelle doch sehr viel weniger. Also so etwas wie 'Ich liebe dich' kommt erst relativ spät auf."
Doch vieles ist in den Liebesbotschaften durch die Jahrzehnte hindurch gleich geblieben, ob nun die Begrüßungsfloskeln oder die Verabschiedung.
"Oft hat man Gruß und Kuss. Oder Grüße und Küsschen.."
Der Trend: kleine Botschaften statt großer Briefe
Oder eben die Kosenamen: Schatz, Bär oder Maus. Auch wenn sich nun durch das Smartphone einiges geändert hat:
"Meine These wäre, dass man sich öfter kleine Botschaften schreibt statt großer Briefe: Wenn man in der Straßenbahn zur Arbeit fährt, dass man schnell schreibt, ich bin unterwegs, ich denk aber an dich – und noch ein paar Herzchen. Postkarten schreiben, Briefe schreiben, das macht man auch noch. Das gibt es trotzdem noch."
Das Liebesbriefarchiv wird sich so oder so weiter füllen – ob nun mit liebevoll verzierten Papierbriefen – oder eben mit Reihen voller Herzemoticons. Auch Andrea Rapp hat schon etwas beigesteuert:
"Von mir selbst noch nicht. Ich müsste da auch noch mal suchen. Aber von meinen Großeltern hab ich Feldpostkarten erhalten, ganz wenige, und die gebe ich ins Archiv. Meine Eltern haben sich als Brieffreunde kennengelernt, aber diese Briefe sind leider nicht mehr da. Ich hätte die sehr gerne gehabt. Und ich habe auch meine Mutter noch danach fragen können. Sie hat aber gesagt, was ich gar nicht wusste: Sie hat die Briefe vernichtet, als mein Vater gestorben ist, aus Kummer. Sonst hätte ich die auch übergeben."
*Redaktioneller Hinweis: Eine Ortsangabe wurde korrigiert.