Das Liebesleben der Vögel

Markus Bennemann im Gespräch mit Britta Bürger |
Viele Vögel seien prinzipiell treu, aber der eine oder andere Seitensprung sei doch drin, sagt Marcus Bennemann, Autor des Buches "Die Evolution im Liebesrausch. Das bizarre Paarungsverhalten der Tiere".
Britta Bürger: Im Allgemeinen gelten Vögel als sehr treue Partner, die häufig lebenslang zusammenbleiben. Nach der Lektüre des neuen Buches von Markus Bennemann hat man allerdings den Eindruck, das ist ein Mythos. Der Harem der Strauße, das Liebesnest der Laubenvögel, die Prostitution der Pinguine – das Liebesleben der Vögel ist alles andere als prüde. Und damit erst mal schönen guten Tag, Herr Bennemann!

Markus Bennemann: Guten Tag, Frau Bürger!

Bürger: Sind die treuen Vögel tatsächlich eher die Ausnahme?

Bennemann: Man muss es fürchten. Also die Wissenschaftler haben da den gleichen Spezialbegriff mittlerweile, den sie auch auf uns anwenden, und zwar den der sozialen Monogamie. Das heißt, viele Vögel sind prinzipiell treu, aber so der eine oder andere Seitensprung ist dann doch leider drin.

Bürger: Und diese Treueausnahme ist zum Beispiel einer der ganz großen, der Albatros.

Bennemann: Der Albatros ist ein besonders schönes und ja romantisches Beispiel für die Vogelliebe, weil da beide Partner eigentlich die ganze Zeit alleine über die Weiten des Ozeans schweben, aber sich dann doch immer wieder auf einer kleinen Insel, in dem Fall der Wanderalbatrosse im tiefsten Südatlantik, treffen, um sich zu paaren und ihre Jungen aufzuziehen. Ich habe das die erfolgreichste Fernbeziehung in der Tierwelt genannt, weil die wirklich von so einem unsichtbaren Band die ganze Zeit gehalten werden, obwohl die – also heißt es zumindest – sogar den ganzen Erdball umkreisen bei ihren Reisen.

Bürger: Und die Weibchen legen dann nur ein einziges Ei, das ist ja unvorstellbar.

Bennemann: Die legen ein einziges Ei, aus dem allerdings ein riesiges, enormes Küken erwächst, das zeitweise – das füttern die Eltern, eben deswegen müssen sie so lange Reisen machen, ständig mit Tintenfisch, den sie aus dem Meer holen. Und das wird riesig groß, das wird, glaube ich, fast so doppelt so groß wie die Eltern selbst, ein riesiger, flaumiger Kegel, der da aus dem Inselkraut ragt. Und nach und nach verliert es dann aber das Gewicht und macht das halt, um diese Metamorphose zum erfolgreichen Vogel und Segelflieger durchzumachen.

Bürger: Und dieser kleine Albatros, der wird dann ganz schön gepeppelt, nämlich bis zu insgesamt 80 Kilo Oktopus werden da herangeflogen von den Eltern.

Bennemann: Der Oktopus ist letzten Endes wahrscheinlich der Grund für die Treue dieser Vögel, weil die prüfen sich erst mal. Es sind Vögel, die sich richtiggehend verloben. Die treffen sich jedes Jahr auf dieser Insel und tanzen miteinander. Das hat man vielleicht schon mal so in Dokumentationen gesehen, die strecken dann den Schnabel nach oben oder beugen so die Flügel gen Himmel, und die führen jedes Jahr so kleine Tänze auf, um herauszufinden, passen wir zueinander, sind wir füreinander geschaffen, denn wir müssen uns ja sehr aufeinander verlassen können, wir müssen unser Küken mit diesen Unmengen von Tintenfisch, die wir aus den Weiten des Ozeans anschaffen müssen, füttern. Deswegen diese lange Verlobungsphase und deswegen dann auch diese enge Bindung.

Bürger: Die Albatrosse lassen sich also sehr viel Zeit bei der Suche nach der großen Liebe, alle anderen Vögel – so darf man hier wohl sagen – vögeln auf vielfältige Weise. Sie haben dabei jede Menge Angeber beobachtet. Welches Imponiergehabe der Vögel hat Sie besonders beeindruckt?

Bennemann: Ja, also da gibt es zum Beispiel den Strauß, haben Sie am Anfang schon genannt, der stampft auf seine Angebetete zu und bläht seinen Hals auf, der dazu in der Paarungszeit auch noch rosarot ist. Dann führt er einen ganz hübschen Tanz auf, lässt sich kurz nieder – das ist so ein Wechselspiel aus Drohgebärde und Unterwürfigkeit. Ganz toll und nicht nur mit körperlichen Vorzügen prahlend machen das die Laubenvögel. Das sind so kleine Vögel, die bauen sich so richtige kleine Hütten. Und davor sind dann auch so ganz bunte Käferpanzer und Blüten ausgelegt, also unheimlich geschmückt. Es sind reine Liebesnester, so wie die Playboy-Mansion ungefähr, und zwar bauen die diese Laubenvögel nur, um den Weibchen zu imponieren und sie, ja, sozusagen für eine Nacht rumzukriegen, und danach müssen sie wieder weg.

Bürger: Das klingt jetzt so, als seien Vögel ja besonders kreativ. Haben die denn tatsächlich einen Sinn für Ästhetik?

Bennemann: Also bei diesen Laubenvögeln muss man das ganz deutlich bejahen. Diese Käferpanzer, buntschillernd, die Blüten, Steine, Muscheln, das ist alles ganz ordentlich, in ganz ordentlichen Haufen vor diesen kleinen Hütten ausgelegt. Und zum Teil, es gibt dann Vögel, die haben auch ein blau glänzendes Gefieder, Seidenlaubenvögel heißen die, sehr schön anzusehen, und die bevorzugen auch die Farbe Blau. Die schaffen dann alle möglichen blauen Gegenstände – das können auch mal irgendwelche Filmrollen von Naturfotografen sein oder Kulispitzen – zu dem Nest und zum Teil malen die die sogar richtig an. Die zerkauen dann blaue Beeren und malen die Wände ihres Nestes, ja, also wie ein Innendekorateur, malen die blau an. Das ist ganz irre. Klar, die haben einen Sinn für Ästhetik, die sind toll, diese Lauben, wenn man die sieht.

Bürger: Die Trauersteinschmätzermännchen – ist ja alleine schon ein toller Name – Trauerstein ...

Bennemann: Ja, ein Zungenbrecher.

Bürger: ... schmätzermännchen, die tragen für ihre Weibchen riesige Haufen von kleinen Steinen zusammen. Viel Arbeit, klingt so ein bisschen nach Bodybuildung, was beeindruckt die Weibchen daran?

Bennemann: Also Sie haben es tatsächlich auf den Kopf getroffen, es ist Bodybuildung. Ich weiß nicht, wenn man im Fitnessstudio ist, da gibt es ja immer die Jungs, die so nicht auf dem Laufband sind, sondern nur an diesen ganz schweren Hanteln und an diesen ganz schweren Maschinen, die sind da auch meistens den ganzen Tag und erfreuen sich dann – mal anzunehmen – an den weiblichen Blicken, die dann auf ihre Muskeln fallen. Ganz ähnlich machen das diese Vögel. Die schleppen jede Menge Steine durch die Luft, häufen die zu riesigen Haufen an, die aber gar keinen Sinn haben im Grunde. Sie sind nicht für den Nestbau da, die sind für gar nichts da, außer eben, um dem Weibchen zu imponieren, zu zeigen: Wenn ich will, kann ich ganz toll für dich sorgen, ich habe nämlich sehr viel Kraft, bin sehr ausdauernd und bin deswegen ein toller Vater für deine Kinder.

Bürger: Das Liebesleben der Vögel ist eines der Themen unserer Vogelwoche hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Markus Bennemann. Nach einem Buch über die raffiniertesten Morde im Tierreich hat er jetzt auf unterhaltsame Weise – das haben wir schon gehört – das bizarre Paarungsverhalten der Tiere erkundet und darunter auffallend viele Vögel beobachtet. Anscheinend gibt es aber in der Vogelwelt, Herr Bennemann, auch so was wie unglückliche Singles. Sie beschreiben männliche Nachtigallen, die nächtelang durchsingen als traurige Junggesellen, die verzweifelt eine Partnerin suchen. Woran liegt das denn, wenn Vögel keine Partner finden?

Bennemann: Tja, dann singen bei den Nachtigallmännchen sie wohl nicht schön genug und gekonnt genug oder vielleicht auch nicht aggressiv genug. Bei Nachtigallen ist es tatsächlich so, das sind die Vögel mit dem größten Gesangsrepertoire ...

Bürger: 200 Strophen.

Bennemann: Ja, also unheimlich viel, und die variieren die auch ganz frei. Es gibt dann richtige Gesangsduelle, die zwischen den Besitzern angrenzender Reviere so ausgetragen werden. Und das ist wie so ein kleines Jazzduell. Da singt einer was vor und der andere singt entweder das Gleiche oder er nimmt so eine andere Strophe, die dann irgendwie dazu passt. Und es ist wirklich also wie so eine Jazzimprovisation. Und wer da glänzt, bei dem merken die Weibchen: Oh, der kann sich besonders viele Strophen merken, der kann auch improvisieren, das heißt, beim Nestbau und bei der Verpflegung der Jungen kann er auch improvisieren und kann sich wahrscheinlich auch viele Orte merken, wo es Insekten gibt, wo gerade Maden und Engerlinge im Boden stecken, das ist also ein schlauer Kopf. Es gibt nur eine Methode für die Männchen, die Weibchen noch mehr zu beeindrucken, und die ist eigentlich bei so, bei Vögeln, bei denen es so auf schönen Gesang ankommt, eigentlich gemein, nämlich: Männchen, die anderen Männchen ständig dazwischensingen, also so richtig aggressiv dazwischendudeln, die werden von den Weibchen noch mehr geachtet, weil die halt zeigen, also im Zweifelsfall bin ich auch bereit, dass hier nicht nur durch schönen Gesang auszutragen, sondern von mir gibt es auch mal einen Schnabelhieb und einen Flügelschlag, und dann lösen wir das so.

Bürger: Sie beschreiben das Paarungs- und Sexualverhalten der Tiere in Ihrem Buch ja mit einem Vokabular, als ginge es um uns Menschen, das ist jetzt auch an den Beispielen, glaube ich, deutlich geworden. Das ist teilweise sehr, sehr amüsant, aber natürlich auch heikel. Wenn Sie zum Beispiel von transsexuellen Hühnern schreiben und sich prostituierenden Pinguinen, von Transvestiten, Samenräubern und Heiratsschwindlern. Wo war da für Sie selbst die Grenze, wann ist so ein Vergleich von Vogel und Mensch statthaft und wo ist es dann doch vielleicht ein bisschen übertrieben?

Bennemann: Also Wissenschaftler hören das natürlich gar nicht gerne, das ist ja sozusagen die Hauptsünde der Populärliteratur, das Vermenschlichen und das Verniedlichen der Tierwelt. Andererseits gibt es natürlich ganz frappierende Parallelen, und zum Teil habe ich mir das auch nicht selbst ausgedacht, diese Begrifflichkeit, also die Fakten sind alle streng wissenschaftlich recherchiert, nicht von mir, sondern von all den Leuten, die in der Welt herumreisen und Vögel tatsächlich beobachten. Aber manchmal fallen denen selbst – geht gar nicht anders – diese Begriffe ein. Zum Beispiel, es gibt ein Beispiel, bei Kolibris, da lassen die Männchen, die leben ja von Nektar, und bestimmte Männchen, die auch wieder Reviere haben, die lassen die Weibchen nur von ihren Blüten trinken, wenn die Weibchen sich davor bereit erklären, sich mit ihnen zu paaren. Und da hat damals schon Larry Wolff, mit dem habe ich dann auch selbst geredet, weil da ein deutscher Wissenschaftler eben das Verhalten so ein bisschen anders sah, aber der hat das selbst in seinem Bericht damals ganz ausdrücklich "prostitution behaviour", also Prostitution unter Kolibris genannt.

Bürger: Aber ich kann mir dennoch vorstellen, dass es vonseiten der Forscher, die Sie kontaktiert haben, Sie als jemand jetzt ohne eine wissenschaftliche Institution im Rücken, dass es da doch auch Skepsis gab.

Bennemann: Das gab es, wie ich sagen muss, sehr, sehr selten. Die Leute haben dann meistens doch sehr viel mehr Humor, und sie sind vor allen Dingen unglaublich hilfsbereit. Ich habe ja, ich schreibe denen mein Anliegen, ich sage ihnen: Ich schreib ein Buch für einen Verlag, bin aber selbst kein ausgebildeter Biologe, Sie sind Spezialist für diese Tiere, bitte sagen Sie mir doch, habe ich hier Unsinn geschrieben oder wie ist diese Verhaltensweise zu erklären, welches Detail kann ich da vielleicht noch einfügen. Die haben alle mitgemacht. Da hat sich jeder sofort bereit erklärt, weil die dann gesagt haben, das ist der Weg, wie unsere Berichte, die ja dann oft in wissenschaftlichen Zeitschriften und in verstaubten Regalen verschwinden, wie unsere Berichte doch noch sozusagen auch eine etwas breitere Öffentlichkeit finden. Ganz selten mal, dass jemand gesagt hat, na ja, so können Sie das nicht darstellen, das geht doch nicht.

Bürger: Das Liebesleben der Vögel beschreibt Markus Bennemann ausführlich in seinem bei Eichborn erschienen Buch "Die Evolution im Liebesrausch. Das bizarre Paarungsverhalten der Tiere". Herr Bennemann, ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Bennemann: Frau Bürger, vielen Dank!