Das Märchen von Adenauer und de Gaulle

Von Klaus Manfrass |
Die Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag des Elysée-Vertrages zwischen Deutschland und Frankreich findet der Historiker Klaus Manfrass aufgeblasen und übertrieben. Seiner Ansicht nach sollen die zahllosen Veranstaltungen die noch immer harten Interessenkonflikte zwischen den Ländern übertünchen.
Liebe Politiker, liebe Medien, bitte hört auf zu feiern. Wir haben genug der Rituale und Beschwörungen, die so wenig mit der historischen Realität zu tun haben.

Die 50-jährige Wiederkehr der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages war Anlass vieler offizieller Begegnungen, vieler Presseberichte und ganzen Serien von Dokumentationen. Der Tenor lautete: "Charles de Gaulle und Konrad Adenauer haben die damalige Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland in eine dauerhafte Freundschaft und Partnerschaft verwandelt. Und diese bilden das Fundament des vereinigten Europas, das uns den Frieden, wirtschaftliche Prosperität und die Gemeinschaftswährung des Euro beschert hat."

Soweit die offizielle Deutung, gebetsmühlenartig wiederholt, bis man die Namen de Gaulle und Adenauer wirklich nicht mehr hören mochte. Warum dieses Gefühl des Überdrusses und Unbehagens?

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Öffentlichkeit auf eine bestimmte Sichtweise der Vergangenheit festgelegt werden soll. Doch diese widerspricht den historischen Tatsachen. Und die Verstimmung wird mit jedem Tag größer. Denn mit der Beschwörung eines überholten Mythos der Gemeinsamkeit wird verdeckt, wie groß in der Euro-Krise der Interessengegensatz zwischen Deutschland und Frankreich tatsächlich ist. Und das läuft letzten Endes deutschen Interessen zuwider.

Es spricht nichts dagegen, an den eindrucksvollen Auftritt der beiden Staatsmänner zu erinnern, aber: De Gaulle und Adenauer als eine Art Gründerväter-Mythos oder als "Trans-National-Heilige" zu zelebrieren – das bitte nicht.

Die Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen hatte längst vor dem Elysée-Vertrag stattgefunden, und viele waren daran beteiligt. Auf deutscher Seite neben Adenauer auch Persönlichkeiten wie Carlo Schmid oder Theodor Heuß, auf französischer Seite Robert Schuman, Jean Monnet und andere. Das waren allesamt Vorkämpfer der Idee einer europäischen Gemeinsamkeit, die von de Gaulle anschließend entschieden bekämpft wurden.

Auch das Euro-Europa wollte de Gaulle sicher nicht. Er plante einen europäischen Machtblock unter französischer Führung, eine eigenständige Kraft im Ost-West-Antagonismus. Aber als die deutsche Politik dieser Initiative eine Absage erteilte und erteilen musste, war das gesamte Projekt praktisch gescheitert.

So blieb vom Elysée-Vertrag nur noch eine Art Gerippe – dieses hat zwar seither recht gut funktioniert. Doch auch die verpflichtenden regelmäßigen Konsultationen haben die harten Interessenkonflikte, wie in der Umwelt- und Atompolitik, nicht verhindert. Und wenn die Kontroversen stärker werden, werden auch die überwunden geglaubten Vorurteile wieder aus der Rumpelkammer geholt. Wir erleben es gerade wieder.

Deshalb, liebe Politiker und liebe Medien, erzählt uns nicht immer wieder das Märchen von Adenauer und de Gaulle und ihrem Elysée-Vertrag. Und noch wichtiger: Erzählt es Euch nicht immer wieder gegenseitig.

Es taugt nicht als Symbol für die deutsch-französische Verständigung und Zusammenarbeit. Es hilft uns auch nicht, die entstandenen Spannungen und Konflikte zu verstehen und nach Lösungen zu suchen.

Der Geist weht ohnehin da, wo er will. An den Universitäten etwa, in der Forschung, in der Kultur, bei den Intellektuellen und in der Musik findet längst eine konstruktive Zusammenarbeit statt. Völlig unabhängig vom Elysée-Vertrag.

Liebe Politiker, gebt uns ausreichend Möglichkeit, die Fragen des deutsch-französischen Verhältnisses in seiner ganzen Tiefe und Konflikthaltigkeit zu erforschen, etwas darüber zu lernen, nicht nur an den Schulen, uns darüber in aller Breite und Widersprüchlichkeit zu informieren. So gebührt es einer aufgeklärten, fundiert informierten politischen Öffentlichkeit in einem demokratischen Gemeinwesen. Dann können wir uns ein eigenständiges Urteil bilden. Und dann sind wir auch in der Lage, die Fehler Eurer politischen Entscheidungen zu erkennen und zu beurteilen.

Klaus Manfrass hat seit Anfang der 1960er-Jahre in Paris gelebt und mehr als 30 Jahre am Deutschen Historischen Institut Paris im Bereich Zeitgeschichte gearbeitet. Besonders geprägt hat ihn seine Zeit im heutigen Maison Heinrich-Heine der damaligen Cité Universitaire. Das deutsche Haus wurde noch vor dem Elysée-Vertrag eingeweiht und ist ein wichtiges Element deutsch-französischer Universitätskontakte. Später arbeitete Klaus Manfrass für die DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik). Ende 2006 verließ er Paris und lebt jetzt im Ruhestand in Oberbayern.
Klaus Manfrass
Klaus Manfrass© privat