Das Mauerpuzzle
30 Jahre lang symbolisierte die Berliner Mauer den Kalten Krieg. Den Gegensatz zwischen Ost und West. Als dann im Winter 89 der Abrissbefehl kam, konnte es nicht schnell genug gehen mit dem Verkauf der bemalten Stücke. Sie wurden weltweit verschenkt und versteigert. An der Grenzlinie zwischen Ost und West in Berlin muss man inzwischen nach den Überbleibseln suchen.
Juni 1961, Walter Ulbricht, Staatsratsvorsitzender der DDR:
"Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten."
Januar 1989, Erich Honecker, Staatsratsvorsitzender der DDR
"Die Mauer wird in 50 oder auch 100 Jahren bestehen bleiben."
9. November 1989, Günter Schabowski, zuständig für Kommunikation im Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei der DDR.
"Bitte? Ab sofort? Das tritt nach meiner Kenntnis sofort in Kraft. Unverzüglich."
Die Mauer hat ausgedient. 10 315 Tage teilte sie Berlin.
Die Nacht auf den 12. November. Das erste Mauerteil am Potsdamer Platz wird per Kran herausgebrochen.
Wie die Mauer verschwand
Fürstenberg nördlich von Berlin an einem Waldsee, 17 Jahre später. In einer Turnhalle sind Sportboote untergestellt. Und vier Mauerteile aus Berlin. Vom Potsdamer Platz. Ihr Besitzer: Hans Martin Fleischer. Früher Mauerspecht, jetzt Angestellter beim Berliner Senat. 44 Jahre alt. Er schließt das Eisentor auf, nimmt eine Leiter, lehnt sie gegen die verhüllten Betonelemente, klettert hinauf und löst die blaue Plastikplane.
"Das ist also die erste Lücke der Berliner Mauer am Potsdamer Platz."
29. Dezember 1989: Die Übergangsregierung der DDR beschließt die Mauer "zurück zu bauen". In der Innenstadt und auch im Hinterland, alles soll weg. Abriss.184 km Beton in und um Berlin, 154 km Grenzzäune, 144 km Signal- und Sperrzäune, 87 km Sperrgraben.
Zuvor: Mitte November macht der Amerikaner Barry Stuppler, Münzsammler und Milliardär, der DDR-Regierung das Angebot, die gesamte Mauer für 50 Millionen Dollar zu kaufen. Ein verblüffendes Angebot. Die DDR lehnt ab. Sie will Ihre Mauer selbst zu Gold machen, beauftragt die Außenhandelsfirma Limex mit dem Verkauf der bemalten Mauerteile. Hans-Martin Fleischer will Mauerteile kaufen.
"Als ich den Verkaufskatalog der Limex durchblätterte, war zu sehen, dass die ersten Stücke der Maueröffnung vom Potsdamer Platz eben noch nicht verkauft worden waren und diese Stücke habe ich dann sozusagen für mich selbst erst einmal mit einer Kaufoption blockiert."
385 000 Euro sollen vier bemalte Mauerteile kosten. Geld, das Fleischer nicht hat, noch nicht. Er wird Mauerspecht.
"Und ich habe mir dann richtig gutes Werkzeug besorgt. Mehrere Meißel, denn die wurden relativ schnell stumpf beim Spechten und einen ziemlich guten Hammer und die Meißel waren immer frisch geschärft, drei Stück, hab die sogar noch."
Die Stücke will er mit nach Japan nehmen, dort verkaufen. 1000 Yen für ein 20 Gramm Bröckchen. 10 Westmark. Fleischer meißelt am Potsdamer Platz.
Die Mauer steht auf DDR-Territorium. Und auch einen Meter westlich des Walls befindet man sich offiziell noch in der Deutschen Demokratischen Republik. Das macht die Sache ziemlich kompliziert für die Mauerspechte. Denn Grenztruppen, die den jetzt kostbar gewordenen Beton bewachen, konfiszieren das Werkzeug.
"Und wenn man also einen beherzten Schritt nach hinten machte, war man sozusagen auf der sicheren Seite. Dann konnten sie einem das Werkzeug nicht abnehmen. Wenn man nicht schnell genug war, dann war das eben weg und dann warfen die DDR-Grenzer Hämmer und Meißel durch irgendein bereits geschlagenes Loch in den Todesstreifen. Dass da so ein Häufchen mit Mauerspechtwerkzeugen zu sehen war."
Ein Jahr nach der Maueröffnung ist schon fast nichts mehr übrig vom hermetischen Ring um die westdeutsche Exklave. Die Mauer, der Kontrollstreifen dazwischen, Drahtverhau, Scheinwerfer, Warnschilder, Durchfahrtssperren: Fast alles weg. Einen Monat früher als geplant. Im November 1990 werden die letzten innerstädtischen Mauerteile im Wedding abgerissen.
Wo die Mauer auftauchte
Ein bemaltes Mauersegment. Das perfekte Gastgeschenk. Zum Beispiel für UN-Generalsekretär Kofi Annan, drei Mauerblöcke. Der Vatikan bekommt eines, Ronald Reagan ebenfalls. Städte wie Tallin, Riga und Jerusalem. Die Kennedy Familie erhält ebenfalls eines. Mauerstück Nummer 41 vom Grenzwall am Potsdamer Platz. Das ist noch ein Geschenk der DDR-Regierung. Verschenkt und verkauft: 360 Mauerteile: jedes 3,60 Meter hoch, 1,20 Meter breit, bis zu 22 cm dick und knapp drei Tonnen schwer. Die berühmten Stücke aus der Innenstadt werden zur limitierten Auflage erklärt, sollen meistbietend an den Mann gebracht werden.
"Mein Name ist Dr. Willfried Angerstein. Ich bin Diplom-Physiker von Beruf und jetzt 75 Jahre alt. Ich bin wendebedingt im Gesundheitsministerium gelandet als persönlicher Referent des Staatssekretärs und so zu dem Kuratorium gekommen. Aufgabe des Kuratoriums zur Verwendung der Erlöse aus dem Verkauf von Segmenten der Berliner Mauer war es, die Einnahmen aus dem Verkauf zu verwalten und zu verteilen."
Das Geld war für das marode DDR-Gesundheitswesen eingeplant und für die Denkmalpflege.
"Es hat überhaupt nur eine Versteigerung gegeben und die fand in Monaco statt, organisiert durch die Firma "LeLe", damals in Berlin West ansässig, heute nicht mehr auffindbar."
Bemalte Mauerteile als Kunstobjekte. 23. Juni 1990, 9 Uhr abends, Monte Carlo. Zur Versteigerung im gediegenen Hotel "Metropole Palace" sind 81 Mauerstücke ausgerufen. Mit Zertifikat. "LeLe", das Kreuzberger Auktionshaus, richtet aus. Ein Happening. Mindestgebot 50.000 Franc.
Pascal Märkli, Schweizer Geschäftsmann. Zwei Teile: "Herz links" und "Herz rechts", bemalt von Mauersprayer Kiddy Citny, 377.000 Franc. Stehen nun in einer Waldrandsiedlung im Kanton Basel-Land.
Madame Hennessy, Gattin des gleichnamigen Cognacfabrikanten, hat sich für ihren Garten in Westfrankreich ein Mauerteil mit rotem Grafitti-Herz ersteigert. Sie bekommt davon "Gänsehaut".
Der König von Tonga greift ebenso zu wie Bill Gates. Letzterer wollte einen Mercedes und bekam vom Automobilkonzern ein Mauerteil gratis dazu. Nun steht es in der Zentrale von Microsoft.
Hans Martin Fleischer will, dass die drei Mauerteile auf die er das Vorkaufsrecht hält bei dieser Gelegenheit gleich mitversteigert werden. Von der Auktion erwartet er ein sattes Sümmchen. Hochglanz-Präsentationsbooklets werden in Druck gegeben.
"Und dann haben wir überlegt, diese Stücke in einer besonderen Auktion mit anzubieten, was aber dann daran scheiterte: Kurz vorher hatten in Südfrankreich Rechtsradikale einen jüdischen Friedhof verwüstet mit Hakenkreuzen und hier ist ja auch eines zu sehen, ein ziemlich großes. Das ging dann einfach nicht."
Plötzlich war sie wieder da: die Geschichte. Roter Schriftzug "Estonia", Estland, ein dickes Hakenkreuz mit schwarzer Farbe ist auf seinem Mauerteil zu sehen. Und dann steht dort auch noch Hitler-Stalin Pakt. In den geheimen Zusatzprotokollen dieses Vertrages hatten die beiden Diktatoren beschlossen, nach dem Krieg Polen untereinander aufzuteilen. Und die Einverleibung der baltischen Staaten. Ende der Unabhängigkeit auch von Estland.
1,8 Millionen Westmark sind bei der Versteigerung der "unproblematischen Stücke" in Südfrankreich zusammen gekommen. 2,1 Millionen insgesamt hat das Kuratorium eingenommen.
"Zwei Westberliner bildende Künstler, die die Mauer auf Westberliner Seite bemalt hatten, erfuhren von den Auktionserlösen in Monaco etwa in Höhe von 1,8 Millionen Mark und wollten an diesem Gewinn beteiligt werden. Die Auktionsfirma LeLe war nicht bereit, das Geld herauszugeben. Das hat zu Prozessen bis weit in die 90er Jahre hineingeführt."
Erst 2002, nach dem Rechtsstreit, überwies das Finanzministerium die Hälfte der Mauereinnahmen an das Kuratorium. Jetzt konnte Geld an die Antragsteller aus dem Wendejahr, an Krankenhäuser, Altenheime und Denkmalämter, fließen, zum Beispiel 180.000 Euro an ein Krankenhaus in Plauen.
Wem die Mauer nutzt(e)
Nach der Wiedervereinigung, Januar 1991: Die unbemalten, nackten Mauerreste sind mittlerweile von der NVA in den Besitz der Bundeswehr übergegangen. Oberstleutnant Jürgen Pund wird zum obersten Beauftragten beim "Abrüstungs- und Rekultivierungskommando" ernannt. Für 20.000 Mark verkauft er unbemalte Hinterlandmauersegmente. Er lobt die Qualität der Segmente. Einem Journalisten des Volksblatts diktiert er am 30. Januar ins Mikrofon:
"Wenn man die zusammen stellt und ein Dach drauf setzt, hat man eine prima Garage."
Lichtmasten gibt es für zehn Mark das Stück, Postensprechanlagen für 80 Mark, schwarz-rot-goldene Grenzsäulen für 300 Mark.
Volker Pawlowski, Trockenbauingenieur aus Westberlin kommt 1993 auf seine Geschäftsidee mit der Mauer. Er erfindet die Clip Card. Berlin Postkarten mit Orginal-Mauersteinchen in angeklebter Plastikkapsel. Und weil bemalte Mauerteile rar sind, kümmert er sich selbst um die Bemalung.
Vor dem 9. November. Die Nationale Volksarmee bewacht die Mauer, kümmert sich darum, dass sie in sicherem Zustand bleibt, bestellt Nachschub, neue Segmente. Der letzte Auftrag der NVA an das zuständige Betonwerk ist auf den 29. Dezember 1988 datiert. 17. November 1989, neun Tage nach der ersten Lücke in der Mauer: Die NVA storniert alle Lieferanforderungen. Winkelstützwandelemente, so heißen die Mauerteile in der Behördensprache, werden nicht mehr benötigt.
Unter dem Zeichen 30/4665/89 erhält das zuständige Baustoffkombinat am 22. November die Abbestellung. Das Betonwerk steht in Malchin, eine Kleinstadt knapp zwei Autostunden von Berlin entfernt. Gerhard Falk, jetzt Rentner, ist dort in den 80er Jahren Produktionsdirektor.
"Die Grundform dieser L-Schalen Elemente, die dann später auch bei der Mauer eingesetzt wurden, wurde ja mal entwickelt für die Landwirtschaft in der Region. Daraus wurden eigentlich Gärfuttersilos gemacht, in denen das Futter für die Kühe vorbereitet wurde."
25 Millionen Mark Umsatz macht das Betonwerk pro Jahr. 5 Millionen davon sichern die Aufträge der NVA. Die knapp 400 Mitarbeiter im Werk wissen, was sie da produzieren, sagt Falk. Darüber geredet, wird nicht.
"Die L-Schalen, die wir für die Mauer produziert haben, die hatten oben am Kopfende ein U-Profil als Anschluss wo nachher noch ein, ich sag mal, ein Übersteigschutz dran geschweißt wurde."
Seit 2005 ist das Betonwerk endgültig dicht. Von den Investoren aus der Zeit davor ist keiner übrig geblieben, sagt Gerhard Falk. Ausgeschlachtete Werkhallen, selbst die Schienen auf denen die Waggons in Richtung Berlin rollten, hat jemand abmontiert. Durch den Betonboden auf dem Verladehof bohrt sich Löwenzahn. In einer Ecke auf dem Hof liegen noch Mauerelemente, verwittert mit abgeschlagenen Ecken: Fehlerhaft und ausrangiert, stellt Falk nach kurzem, prüfenden Blick fest.
"Ich habe nach der Wende ein Haus gebaut und brauchte ein paar Teile um eine Böschung abzustützen und da noch genug Dinger herum lagen, die ja keiner mehr abgenommen hat, habe ich sie einfach bei meinem Haus mit verwendet."
"Und sie war ja auch sehr zuverlässig dank unserer Qualität, die wir geliefert haben."
In Malchin holt sich im Winter '89 der Schrotthändler ein Dutzend Mauerteile gratis im Betonwerk ab. Der Rest. Produktionsdirektor a.D. Gerhard Falk:
"Der Beton wurde zerbrochen, die Bewährung wurde zu Schrott, zumindest das was auf unserem Betriebsgelände hier noch rum gelegen hat. Was mit den vielen anderen passiert ist, die wir im Laufe der vielen Jahre produziert haben, wo die geblieben sind, das entzieht sich meiner Kenntnis."
Das, was von der Mauer in Berlin nicht verschenkt oder verkauft werden kann, kommt in den Schredder. Zermalmt zu 0,2 Millimeter großen Bröckchen. Untergrundmaterial für neue Straßen in Berlin und Brandenburg:
Die neue Wilhelmstraße, die nahe des Brandenburger Tors Richtung Süden, nach Kreuzberg führt.
Ein Waldweg in Groß Glienicke
2000 Tonnen Mauerschutt liegen unter den sanften Hügeln des Golfclubs Seeburg bei Potsdam
Der Wegfall der Mauer
Nach dem Mauerfall kommt der Rausch. Berlin träumt davon, endlich wieder an die Großstadtkultur der 20er Jahre anschließen zu können. Die Berliner Regierung will Berlin zur Global City machen. Eine Stadt, die auf gleicher Augenhöhe mit den europäischen Metropolen um internationale Firmenzentralen buhlt. Professor Harald Bodenschatz, Stadtentwicklungsexperte an der Technischen Universität Berlin.
"Zunächst gab es eine große Euphorie, das kann man sich heute kaum noch vorstellen, nach 1989/1990: alles schaute auf Berlin und man dachte, dass ist die Boomstadt schlechthin und Berlin würde in kürzester Zeit auf die Höhe von Paris und London empor schnellen."
"Das bedeutete, dass Berlin in eine ganz neue Geschwindigkeit des Stadtumbaus hineinkatapultiert worden ist und gleichzeitig eine neue Rolle im Konzert der europäischen Städte suchen musste."
Entlang der Mauer gibt es riesige Brachlandschaften, die plötzlich mitten in der Stadt liegen. Einzigartig für eine Großstadt.
"Die Mauer war ja nicht nur eine Mauer, sondern sie war ein breiter Streifen mit Todesstreifen und allem drum und dran. Was sollte dort geschehen. Es gab die Vorstellung dort einen Grünzug mitten durch die Stadt zu legen. Es gab natürlich die Vorstellung die Straßen wieder miteinander zu vernetzen und das war auch nicht so schwierig, weil die Straßen noch auf beiden Seiten vorhanden waren, sind fast alle offen gehalten worden. Und insbesondere im Zentrum war aber deutlich, dass der Grünstreifen keine Zukunft hat, weil dort doch sehr großes Interesse war zu investieren von Seiten deutscher und ausländischer Investoren."
Großbanken, Versicherungsgesellschaften, internationale Unternehmen wie Daimler Chrysler oder Sony wollen in die neue Innenstadt investieren. Nicht nur da, wo die Mauer stand: Am Potsdamer Platz oder am Brandenburger Tor. Hot Spot Flächen sind auch der Gendarmenmarkt, der Leipziger Platz, der Alexanderplatz und vor allem die Friedrichstraße.
"Die Immobilienpreise gingen in den Himmel."
Die Friedrichstraße wird plötzlich, 1990 zum teuersten Fleck in Deutschland. Quadratmeterpreise für Gewerbeflächen bis zu 40 000 D-Mark. Das Ostberliner Planungsrecht ist außer Kraft gesetzt. Investoren werden an der Stadtplanung beteiligt. Eine Sondersituation. Berlin hofft sich so schnell zu sanieren. Visionen ohne Grenzen. Stararchitekten präsentieren auf der Ausstellung "Berlin morgen" 1990 ihre Ideen vom neuen Berlin. Hochhausketten und viel Glas.
"Das Problem ist, die meisten kannten ja Berlin nicht, was jenseits der Mauer war, und sie mussten ganz schnell so tun, als ob sie alles kennen und da die großen Visionen entwickeln, zum Beispiel eine Brücke über das Brandenburger Tor."
Die Euphorie ist Mitte der 90er Jahre vorbei. Der gefühlte Boom hat vor allem Leerstand produziert. Leerstand, der die Immobilienpreise in der Stadt immer noch drückt. Der Rausch ist schnell ausgeschlafen.
Was die Mauer hinterließ
Am historischen Ort zwischen Ost - und Westberlin ist kaum noch was zu finden von der Mauer. Man muss sie suchen, kann sie aber finden:
Das Reststück der Grenzmauer 75 in der Nähe des Martin Gropius Baus.
Die East Side Gallery in Friedrichshain, an der Spree.
Die Mauer am Invalidenfriedhof.
Das Mauerstück an der Bernauer Straße
In der Nähe des Checkpoint Charlie. Friedrichstraße Ecke Kochstraße. Ein nachgebautes Kontrollhäuschen der westalliierten Grenzposten. Ein paar Schritte weiter: ein echtes Mauerteil, in der Zimmerstraße.
Ein Indiz, dass man sich auf dem Grenzstreifen befindet, ist, wenn die Straße nach einer Schneise plötzlich Kopfsteinpflaster hat, wie die Gleimstraße im Prenzlauer Berg. Die Wahrscheinlichkeit, dass man dann im Osten ist, ist groß. Aber diese Merkmale schwinden. Andernorts macht die Stadt mit einer Doppelreihe aus Kopfsteinpflaster deutlich: Hier war die Mauer. Hinterm Reichstag zum Beispiel.
Wer sucht, findet die Berliner Mauer auch an anderen Orten, dort wo man es gar nicht erwartet.
In den Galleries Lafayette zum Beispiel. Eingansbereich. Neben Seidenschals und Designersonnenbrillen steht ein Mauersegment vom Wall an der Bernauer Straße. Farblich passend zu den Farben der Saison: Kaufhausdirektor Thierry Prevost:
"Letztes Jahr habe ich von Freunden gehört, dass es eine Auktion gab in Berlin und das die Stadt drei große Mauerteile verkaufen wollte. Ich war nicht in Berlin, aber ich habe sofort jemanden geschickt und der hat für uns dieses Stück gekauft."
Preis: 10.000 Euro. Die frische Farbgebung hat es Prevost angetan. Lila und helles Grün, eine Comicgestalt, die Hälfte des Kopfes. Zitronengelber Teint, blaue Augen. Die Kunden gehen überwiegend stumm vorbei an dem Mauersegment. Trotz Metallplakette mit Aufschrift. Hält man es vielleicht nicht für echt? Oh doch, versichert der Kaufhausdirektor.
"Es gibt auch, das ist lustig, Einige die probieren ein Stück davon zu nehmen, mitzunehmen. Das haben wir schon gehabt. Touristen, die versuchen ein Stück davon zu nehmen."
Das Wachpersonal ist angewiesen, nämliche Versuche an der Lafayette-Mauer zu unterbinden. Werkzeug ist zu beschlagnahmen.
"Berlin ist verbunden mit der Mauer. Und alle Freunde, die zu mir nach Berlin kommen fragen sofort: Wo ist die Berliner Mauer, wo war die Berliner Mauer, wo können wir noch ein Mauerstück sehen?"
Jetzt ist sie auch im Luxuskaufhaus an der Friedrichstraße. Geschichte nebenbei.
"Ich denke, das ist nur Dekoration."
"Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten."
Januar 1989, Erich Honecker, Staatsratsvorsitzender der DDR
"Die Mauer wird in 50 oder auch 100 Jahren bestehen bleiben."
9. November 1989, Günter Schabowski, zuständig für Kommunikation im Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei der DDR.
"Bitte? Ab sofort? Das tritt nach meiner Kenntnis sofort in Kraft. Unverzüglich."
Die Mauer hat ausgedient. 10 315 Tage teilte sie Berlin.
Die Nacht auf den 12. November. Das erste Mauerteil am Potsdamer Platz wird per Kran herausgebrochen.
Wie die Mauer verschwand
Fürstenberg nördlich von Berlin an einem Waldsee, 17 Jahre später. In einer Turnhalle sind Sportboote untergestellt. Und vier Mauerteile aus Berlin. Vom Potsdamer Platz. Ihr Besitzer: Hans Martin Fleischer. Früher Mauerspecht, jetzt Angestellter beim Berliner Senat. 44 Jahre alt. Er schließt das Eisentor auf, nimmt eine Leiter, lehnt sie gegen die verhüllten Betonelemente, klettert hinauf und löst die blaue Plastikplane.
"Das ist also die erste Lücke der Berliner Mauer am Potsdamer Platz."
29. Dezember 1989: Die Übergangsregierung der DDR beschließt die Mauer "zurück zu bauen". In der Innenstadt und auch im Hinterland, alles soll weg. Abriss.184 km Beton in und um Berlin, 154 km Grenzzäune, 144 km Signal- und Sperrzäune, 87 km Sperrgraben.
Zuvor: Mitte November macht der Amerikaner Barry Stuppler, Münzsammler und Milliardär, der DDR-Regierung das Angebot, die gesamte Mauer für 50 Millionen Dollar zu kaufen. Ein verblüffendes Angebot. Die DDR lehnt ab. Sie will Ihre Mauer selbst zu Gold machen, beauftragt die Außenhandelsfirma Limex mit dem Verkauf der bemalten Mauerteile. Hans-Martin Fleischer will Mauerteile kaufen.
"Als ich den Verkaufskatalog der Limex durchblätterte, war zu sehen, dass die ersten Stücke der Maueröffnung vom Potsdamer Platz eben noch nicht verkauft worden waren und diese Stücke habe ich dann sozusagen für mich selbst erst einmal mit einer Kaufoption blockiert."
385 000 Euro sollen vier bemalte Mauerteile kosten. Geld, das Fleischer nicht hat, noch nicht. Er wird Mauerspecht.
"Und ich habe mir dann richtig gutes Werkzeug besorgt. Mehrere Meißel, denn die wurden relativ schnell stumpf beim Spechten und einen ziemlich guten Hammer und die Meißel waren immer frisch geschärft, drei Stück, hab die sogar noch."
Die Stücke will er mit nach Japan nehmen, dort verkaufen. 1000 Yen für ein 20 Gramm Bröckchen. 10 Westmark. Fleischer meißelt am Potsdamer Platz.
Die Mauer steht auf DDR-Territorium. Und auch einen Meter westlich des Walls befindet man sich offiziell noch in der Deutschen Demokratischen Republik. Das macht die Sache ziemlich kompliziert für die Mauerspechte. Denn Grenztruppen, die den jetzt kostbar gewordenen Beton bewachen, konfiszieren das Werkzeug.
"Und wenn man also einen beherzten Schritt nach hinten machte, war man sozusagen auf der sicheren Seite. Dann konnten sie einem das Werkzeug nicht abnehmen. Wenn man nicht schnell genug war, dann war das eben weg und dann warfen die DDR-Grenzer Hämmer und Meißel durch irgendein bereits geschlagenes Loch in den Todesstreifen. Dass da so ein Häufchen mit Mauerspechtwerkzeugen zu sehen war."
Ein Jahr nach der Maueröffnung ist schon fast nichts mehr übrig vom hermetischen Ring um die westdeutsche Exklave. Die Mauer, der Kontrollstreifen dazwischen, Drahtverhau, Scheinwerfer, Warnschilder, Durchfahrtssperren: Fast alles weg. Einen Monat früher als geplant. Im November 1990 werden die letzten innerstädtischen Mauerteile im Wedding abgerissen.
Wo die Mauer auftauchte
Ein bemaltes Mauersegment. Das perfekte Gastgeschenk. Zum Beispiel für UN-Generalsekretär Kofi Annan, drei Mauerblöcke. Der Vatikan bekommt eines, Ronald Reagan ebenfalls. Städte wie Tallin, Riga und Jerusalem. Die Kennedy Familie erhält ebenfalls eines. Mauerstück Nummer 41 vom Grenzwall am Potsdamer Platz. Das ist noch ein Geschenk der DDR-Regierung. Verschenkt und verkauft: 360 Mauerteile: jedes 3,60 Meter hoch, 1,20 Meter breit, bis zu 22 cm dick und knapp drei Tonnen schwer. Die berühmten Stücke aus der Innenstadt werden zur limitierten Auflage erklärt, sollen meistbietend an den Mann gebracht werden.
"Mein Name ist Dr. Willfried Angerstein. Ich bin Diplom-Physiker von Beruf und jetzt 75 Jahre alt. Ich bin wendebedingt im Gesundheitsministerium gelandet als persönlicher Referent des Staatssekretärs und so zu dem Kuratorium gekommen. Aufgabe des Kuratoriums zur Verwendung der Erlöse aus dem Verkauf von Segmenten der Berliner Mauer war es, die Einnahmen aus dem Verkauf zu verwalten und zu verteilen."
Das Geld war für das marode DDR-Gesundheitswesen eingeplant und für die Denkmalpflege.
"Es hat überhaupt nur eine Versteigerung gegeben und die fand in Monaco statt, organisiert durch die Firma "LeLe", damals in Berlin West ansässig, heute nicht mehr auffindbar."
Bemalte Mauerteile als Kunstobjekte. 23. Juni 1990, 9 Uhr abends, Monte Carlo. Zur Versteigerung im gediegenen Hotel "Metropole Palace" sind 81 Mauerstücke ausgerufen. Mit Zertifikat. "LeLe", das Kreuzberger Auktionshaus, richtet aus. Ein Happening. Mindestgebot 50.000 Franc.
Pascal Märkli, Schweizer Geschäftsmann. Zwei Teile: "Herz links" und "Herz rechts", bemalt von Mauersprayer Kiddy Citny, 377.000 Franc. Stehen nun in einer Waldrandsiedlung im Kanton Basel-Land.
Madame Hennessy, Gattin des gleichnamigen Cognacfabrikanten, hat sich für ihren Garten in Westfrankreich ein Mauerteil mit rotem Grafitti-Herz ersteigert. Sie bekommt davon "Gänsehaut".
Der König von Tonga greift ebenso zu wie Bill Gates. Letzterer wollte einen Mercedes und bekam vom Automobilkonzern ein Mauerteil gratis dazu. Nun steht es in der Zentrale von Microsoft.
Hans Martin Fleischer will, dass die drei Mauerteile auf die er das Vorkaufsrecht hält bei dieser Gelegenheit gleich mitversteigert werden. Von der Auktion erwartet er ein sattes Sümmchen. Hochglanz-Präsentationsbooklets werden in Druck gegeben.
"Und dann haben wir überlegt, diese Stücke in einer besonderen Auktion mit anzubieten, was aber dann daran scheiterte: Kurz vorher hatten in Südfrankreich Rechtsradikale einen jüdischen Friedhof verwüstet mit Hakenkreuzen und hier ist ja auch eines zu sehen, ein ziemlich großes. Das ging dann einfach nicht."
Plötzlich war sie wieder da: die Geschichte. Roter Schriftzug "Estonia", Estland, ein dickes Hakenkreuz mit schwarzer Farbe ist auf seinem Mauerteil zu sehen. Und dann steht dort auch noch Hitler-Stalin Pakt. In den geheimen Zusatzprotokollen dieses Vertrages hatten die beiden Diktatoren beschlossen, nach dem Krieg Polen untereinander aufzuteilen. Und die Einverleibung der baltischen Staaten. Ende der Unabhängigkeit auch von Estland.
1,8 Millionen Westmark sind bei der Versteigerung der "unproblematischen Stücke" in Südfrankreich zusammen gekommen. 2,1 Millionen insgesamt hat das Kuratorium eingenommen.
"Zwei Westberliner bildende Künstler, die die Mauer auf Westberliner Seite bemalt hatten, erfuhren von den Auktionserlösen in Monaco etwa in Höhe von 1,8 Millionen Mark und wollten an diesem Gewinn beteiligt werden. Die Auktionsfirma LeLe war nicht bereit, das Geld herauszugeben. Das hat zu Prozessen bis weit in die 90er Jahre hineingeführt."
Erst 2002, nach dem Rechtsstreit, überwies das Finanzministerium die Hälfte der Mauereinnahmen an das Kuratorium. Jetzt konnte Geld an die Antragsteller aus dem Wendejahr, an Krankenhäuser, Altenheime und Denkmalämter, fließen, zum Beispiel 180.000 Euro an ein Krankenhaus in Plauen.
Wem die Mauer nutzt(e)
Nach der Wiedervereinigung, Januar 1991: Die unbemalten, nackten Mauerreste sind mittlerweile von der NVA in den Besitz der Bundeswehr übergegangen. Oberstleutnant Jürgen Pund wird zum obersten Beauftragten beim "Abrüstungs- und Rekultivierungskommando" ernannt. Für 20.000 Mark verkauft er unbemalte Hinterlandmauersegmente. Er lobt die Qualität der Segmente. Einem Journalisten des Volksblatts diktiert er am 30. Januar ins Mikrofon:
"Wenn man die zusammen stellt und ein Dach drauf setzt, hat man eine prima Garage."
Lichtmasten gibt es für zehn Mark das Stück, Postensprechanlagen für 80 Mark, schwarz-rot-goldene Grenzsäulen für 300 Mark.
Volker Pawlowski, Trockenbauingenieur aus Westberlin kommt 1993 auf seine Geschäftsidee mit der Mauer. Er erfindet die Clip Card. Berlin Postkarten mit Orginal-Mauersteinchen in angeklebter Plastikkapsel. Und weil bemalte Mauerteile rar sind, kümmert er sich selbst um die Bemalung.
Vor dem 9. November. Die Nationale Volksarmee bewacht die Mauer, kümmert sich darum, dass sie in sicherem Zustand bleibt, bestellt Nachschub, neue Segmente. Der letzte Auftrag der NVA an das zuständige Betonwerk ist auf den 29. Dezember 1988 datiert. 17. November 1989, neun Tage nach der ersten Lücke in der Mauer: Die NVA storniert alle Lieferanforderungen. Winkelstützwandelemente, so heißen die Mauerteile in der Behördensprache, werden nicht mehr benötigt.
Unter dem Zeichen 30/4665/89 erhält das zuständige Baustoffkombinat am 22. November die Abbestellung. Das Betonwerk steht in Malchin, eine Kleinstadt knapp zwei Autostunden von Berlin entfernt. Gerhard Falk, jetzt Rentner, ist dort in den 80er Jahren Produktionsdirektor.
"Die Grundform dieser L-Schalen Elemente, die dann später auch bei der Mauer eingesetzt wurden, wurde ja mal entwickelt für die Landwirtschaft in der Region. Daraus wurden eigentlich Gärfuttersilos gemacht, in denen das Futter für die Kühe vorbereitet wurde."
25 Millionen Mark Umsatz macht das Betonwerk pro Jahr. 5 Millionen davon sichern die Aufträge der NVA. Die knapp 400 Mitarbeiter im Werk wissen, was sie da produzieren, sagt Falk. Darüber geredet, wird nicht.
"Die L-Schalen, die wir für die Mauer produziert haben, die hatten oben am Kopfende ein U-Profil als Anschluss wo nachher noch ein, ich sag mal, ein Übersteigschutz dran geschweißt wurde."
Seit 2005 ist das Betonwerk endgültig dicht. Von den Investoren aus der Zeit davor ist keiner übrig geblieben, sagt Gerhard Falk. Ausgeschlachtete Werkhallen, selbst die Schienen auf denen die Waggons in Richtung Berlin rollten, hat jemand abmontiert. Durch den Betonboden auf dem Verladehof bohrt sich Löwenzahn. In einer Ecke auf dem Hof liegen noch Mauerelemente, verwittert mit abgeschlagenen Ecken: Fehlerhaft und ausrangiert, stellt Falk nach kurzem, prüfenden Blick fest.
"Ich habe nach der Wende ein Haus gebaut und brauchte ein paar Teile um eine Böschung abzustützen und da noch genug Dinger herum lagen, die ja keiner mehr abgenommen hat, habe ich sie einfach bei meinem Haus mit verwendet."
"Und sie war ja auch sehr zuverlässig dank unserer Qualität, die wir geliefert haben."
In Malchin holt sich im Winter '89 der Schrotthändler ein Dutzend Mauerteile gratis im Betonwerk ab. Der Rest. Produktionsdirektor a.D. Gerhard Falk:
"Der Beton wurde zerbrochen, die Bewährung wurde zu Schrott, zumindest das was auf unserem Betriebsgelände hier noch rum gelegen hat. Was mit den vielen anderen passiert ist, die wir im Laufe der vielen Jahre produziert haben, wo die geblieben sind, das entzieht sich meiner Kenntnis."
Das, was von der Mauer in Berlin nicht verschenkt oder verkauft werden kann, kommt in den Schredder. Zermalmt zu 0,2 Millimeter großen Bröckchen. Untergrundmaterial für neue Straßen in Berlin und Brandenburg:
Die neue Wilhelmstraße, die nahe des Brandenburger Tors Richtung Süden, nach Kreuzberg führt.
Ein Waldweg in Groß Glienicke
2000 Tonnen Mauerschutt liegen unter den sanften Hügeln des Golfclubs Seeburg bei Potsdam
Der Wegfall der Mauer
Nach dem Mauerfall kommt der Rausch. Berlin träumt davon, endlich wieder an die Großstadtkultur der 20er Jahre anschließen zu können. Die Berliner Regierung will Berlin zur Global City machen. Eine Stadt, die auf gleicher Augenhöhe mit den europäischen Metropolen um internationale Firmenzentralen buhlt. Professor Harald Bodenschatz, Stadtentwicklungsexperte an der Technischen Universität Berlin.
"Zunächst gab es eine große Euphorie, das kann man sich heute kaum noch vorstellen, nach 1989/1990: alles schaute auf Berlin und man dachte, dass ist die Boomstadt schlechthin und Berlin würde in kürzester Zeit auf die Höhe von Paris und London empor schnellen."
"Das bedeutete, dass Berlin in eine ganz neue Geschwindigkeit des Stadtumbaus hineinkatapultiert worden ist und gleichzeitig eine neue Rolle im Konzert der europäischen Städte suchen musste."
Entlang der Mauer gibt es riesige Brachlandschaften, die plötzlich mitten in der Stadt liegen. Einzigartig für eine Großstadt.
"Die Mauer war ja nicht nur eine Mauer, sondern sie war ein breiter Streifen mit Todesstreifen und allem drum und dran. Was sollte dort geschehen. Es gab die Vorstellung dort einen Grünzug mitten durch die Stadt zu legen. Es gab natürlich die Vorstellung die Straßen wieder miteinander zu vernetzen und das war auch nicht so schwierig, weil die Straßen noch auf beiden Seiten vorhanden waren, sind fast alle offen gehalten worden. Und insbesondere im Zentrum war aber deutlich, dass der Grünstreifen keine Zukunft hat, weil dort doch sehr großes Interesse war zu investieren von Seiten deutscher und ausländischer Investoren."
Großbanken, Versicherungsgesellschaften, internationale Unternehmen wie Daimler Chrysler oder Sony wollen in die neue Innenstadt investieren. Nicht nur da, wo die Mauer stand: Am Potsdamer Platz oder am Brandenburger Tor. Hot Spot Flächen sind auch der Gendarmenmarkt, der Leipziger Platz, der Alexanderplatz und vor allem die Friedrichstraße.
"Die Immobilienpreise gingen in den Himmel."
Die Friedrichstraße wird plötzlich, 1990 zum teuersten Fleck in Deutschland. Quadratmeterpreise für Gewerbeflächen bis zu 40 000 D-Mark. Das Ostberliner Planungsrecht ist außer Kraft gesetzt. Investoren werden an der Stadtplanung beteiligt. Eine Sondersituation. Berlin hofft sich so schnell zu sanieren. Visionen ohne Grenzen. Stararchitekten präsentieren auf der Ausstellung "Berlin morgen" 1990 ihre Ideen vom neuen Berlin. Hochhausketten und viel Glas.
"Das Problem ist, die meisten kannten ja Berlin nicht, was jenseits der Mauer war, und sie mussten ganz schnell so tun, als ob sie alles kennen und da die großen Visionen entwickeln, zum Beispiel eine Brücke über das Brandenburger Tor."
Die Euphorie ist Mitte der 90er Jahre vorbei. Der gefühlte Boom hat vor allem Leerstand produziert. Leerstand, der die Immobilienpreise in der Stadt immer noch drückt. Der Rausch ist schnell ausgeschlafen.
Was die Mauer hinterließ
Am historischen Ort zwischen Ost - und Westberlin ist kaum noch was zu finden von der Mauer. Man muss sie suchen, kann sie aber finden:
Das Reststück der Grenzmauer 75 in der Nähe des Martin Gropius Baus.
Die East Side Gallery in Friedrichshain, an der Spree.
Die Mauer am Invalidenfriedhof.
Das Mauerstück an der Bernauer Straße
In der Nähe des Checkpoint Charlie. Friedrichstraße Ecke Kochstraße. Ein nachgebautes Kontrollhäuschen der westalliierten Grenzposten. Ein paar Schritte weiter: ein echtes Mauerteil, in der Zimmerstraße.
Ein Indiz, dass man sich auf dem Grenzstreifen befindet, ist, wenn die Straße nach einer Schneise plötzlich Kopfsteinpflaster hat, wie die Gleimstraße im Prenzlauer Berg. Die Wahrscheinlichkeit, dass man dann im Osten ist, ist groß. Aber diese Merkmale schwinden. Andernorts macht die Stadt mit einer Doppelreihe aus Kopfsteinpflaster deutlich: Hier war die Mauer. Hinterm Reichstag zum Beispiel.
Wer sucht, findet die Berliner Mauer auch an anderen Orten, dort wo man es gar nicht erwartet.
In den Galleries Lafayette zum Beispiel. Eingansbereich. Neben Seidenschals und Designersonnenbrillen steht ein Mauersegment vom Wall an der Bernauer Straße. Farblich passend zu den Farben der Saison: Kaufhausdirektor Thierry Prevost:
"Letztes Jahr habe ich von Freunden gehört, dass es eine Auktion gab in Berlin und das die Stadt drei große Mauerteile verkaufen wollte. Ich war nicht in Berlin, aber ich habe sofort jemanden geschickt und der hat für uns dieses Stück gekauft."
Preis: 10.000 Euro. Die frische Farbgebung hat es Prevost angetan. Lila und helles Grün, eine Comicgestalt, die Hälfte des Kopfes. Zitronengelber Teint, blaue Augen. Die Kunden gehen überwiegend stumm vorbei an dem Mauersegment. Trotz Metallplakette mit Aufschrift. Hält man es vielleicht nicht für echt? Oh doch, versichert der Kaufhausdirektor.
"Es gibt auch, das ist lustig, Einige die probieren ein Stück davon zu nehmen, mitzunehmen. Das haben wir schon gehabt. Touristen, die versuchen ein Stück davon zu nehmen."
Das Wachpersonal ist angewiesen, nämliche Versuche an der Lafayette-Mauer zu unterbinden. Werkzeug ist zu beschlagnahmen.
"Berlin ist verbunden mit der Mauer. Und alle Freunde, die zu mir nach Berlin kommen fragen sofort: Wo ist die Berliner Mauer, wo war die Berliner Mauer, wo können wir noch ein Mauerstück sehen?"
Jetzt ist sie auch im Luxuskaufhaus an der Friedrichstraße. Geschichte nebenbei.
"Ich denke, das ist nur Dekoration."