"Das Militär verspricht eine gewisse Stabilität"
Nach Einschätzung des Pakistan-Kenners Gunter Mulack ist das Militär nach wie vor die einzige gut organisierte und strukturierte Macht in Pakistan. Es wache mit Argusaugen darüber, wie die heutigen Parlamentswahlen verlaufen - und verspreche eine gewisse Stabilität im Land.
Korbinian Frenzel: Pakistan ist ein Land, aus dem wir selten gute Sachen berichten. Wir erzählen vom Terror, von Korruption, von einem Land, das am Abgrund zu stehen scheint. Es gibt heute eine kleine gute Nachricht: Das Land wählt, und erstmals seit der Unabhängigkeit hat es eine Regierung geschafft, die ganze Wahlperiode durchzustehen, ohne vorzeitigen Wechsel, ohne Militärputsch. Was jetzt kommt, mit diesen Wahltagen, ist allerdings ziemlich offen, Grund genug für uns, Fragen zu stellen an Gunter Mulack, den Direktor des Deutschen Orientinstitutes. Von 2005 bis 2008 war er deutscher Botschafter in Pakistan, und jetzt er am Telefon. Guten Morgen, Herr Mulack!
Gunter Mulack: Guten Morgen!
Frenzel: 120 Menschen sind während des Wahlkampfs bei Anschlägen umgekommen, das waren meistens die Taliban, die das zu verantworten hatten. Sind die radikalislamischen Terroristen schon jetzt eigentlich die Gewinner dieser Wahl, noch vor der Auszählung?
Mulack: Nein, das glaube ich nicht, denn was man hört jetzt, dass es schon lange Schlangen gibt an den Wahllokalen, so haben sie es eben nicht geschafft, durch den Terror die Menschen davon abzuhalten, zur Wahl zu gehen und jedenfalls der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass irgendwie dieses ewige Weiter-so jetzt aufhört und man vielleicht irgendwelche neuen Gesichter auch wählen wird wie den Imran Khan. Es hat heute Morgen auch wieder eine Bombe gegeben in Karatschi gegen die Awami National Party, auch ein paar Tote, aber damit müssen wir auch während des Tages rechnen natürlich.
Frenzel: Ist das denn eine Wahl, bei der die Menschen in Pakistan in der Tat wirklich eine Wahl haben zwischen unterschiedlichen Politikangeboten? Sie haben ja schon den Namen des Shooting Stars Imran Khan genannt. Ist er jemand, der ein alternatives Politikkonzept anbietet?
Mulack: Jedenfalls der einzige, der ein jüngeres Gesicht bringt, der noch nicht in Regierungsverantwortung war. Die anderen beiden Parteien, die PPP und die Pakistan Muslem League, Nawaz Sharif, die haben sich ja immer wieder abgelöst. Und wenn man sich überlegt, dass jetzt wieder die Gleichen antreten, wie Nawaz Sharif, der schon in den 90er-Jahren zweimal Premierminister war, dann von Musharraf damals gestürzt wurde, dann ist das schon etwas grotesk. Es ist so, als wenn unsere alten Bundeskanzler noch mal zu den Wahlen herangeschleppt würden und kandidieren würden.
Also, das zeigt eben diesen Mangel an neueren Wegen für die Zukunft. Und der einzige, der das verspricht, ist der Imran Khan, deswegen hat er eine gewisse Chance bei den jüngeren Wählern und auch bei den Frauen als populärer Kricketspieler, gewählt zu werden. Aber er hat eben keine Parteiorganisation hinter sich wie die anderen. Er kann also natürlich auch nicht die Abgabe der Stimmen so gut beeinflussen, wie die das können.
Frenzel: Und er ist auch jemand, der durchaus problematisch ist, gerade aus westlicher Perspektive. Er schlägt einen ziemlich antiamerikanischen Ton an, er betont die Religion, den Islam sehr stark – müssen wir vor einem solchen Politiker nicht auch ein bisschen Angst haben, dass Pakistan sich dann in eine ganz andere Richtung bewegen könnte?
Mulack: Nein. Das glaube ich nicht. Also, ich kenne ihn persönlich, ich habe ihn auch mehrfach getroffen. Das ist natürlich ein bisschen populistisch, aber wer macht das nicht vor den Wahlen, dass man versucht, dem Volke so ein bisschen nach dem Munde zu reden. Der Antiamerikanismus ist in der Tat sehr stark angestiegen in Pakistan, 80 Prozent der Pakistaner werden heute die Amerikaner als das Hauptproblem bezeichnen, und nicht die Taliban oder irgendwelche anderen Probleme – neben natürlich den Wirtschaftsproblemen. Das zweite ist eben, natürlich ist es ein Land, die Islamische Republik Pakistan, das gegründet wurde für die Muslime, was sich als Super-Muslimstaat versteht, und deswegen ist es klar, wenn man an die Religion appelliert, dann geht das immer. Und vor allen Dingen bietet man dann auch keine Angriffsflächen gegenüber Taliban oder anderen Organisationen. Von denen gibt es ja leider viel zu viele in diesem Land.
Frenzel: Ist eigentlich auch die Frage zu stellen, ob es ganz egal ist, wer gewinnt? Bleibt es nicht am Ende das Militär, das die Zügel in der Hand hält?
Mulack: Jein. Aber es ist schon richtig. Das Militär im Hintergrund ist nach wie vor die einzige gut organisierte und strukturierte Macht und wacht natürlich mit Argusaugen darüber, wie die Wahlen laufen und wer gewählt wird. Dass das Militär jetzt nicht übernommen hat von der alten Regierung Zardari oder die gestürzt hat, zeigt eben auch, wie schlecht die Lage ist in Pakistan, denn diese wirtschaftlichen Probleme, zwölf Stunden Stromausfall pro Tag und, und, und, die enorme Korruption, praktisch keine Steuereinnahmen – alles das wollte sich das Militär nicht jetzt gerade aufladen, aber es wird weiter überwachen. Und der jetzige Oberbefehlshaber Kayani, General Kayani, der ist doch, würde ich sagen, relativ vernünftig. Und letztlich ist es dem Militär lieber, eine schwache zivile Regierung zu haben, und es kann dann hinter den Kulissen weitermachen.
Frenzel: Sollte uns das auch lieber sein, aus westlicher Perspektive, sage ich mal, mit dem Zynismus, der ja häufig an den Tag gelegt wird. Lieber eine schwache Regierung mit einem starken Militär, das wir irgendwie einschätzen können in der Art und Weise, was sie vorhaben, wie sie Politik machen?
Mulack: Sicherlich. Sicherlich kann man das so sehen. Und wir haben ja auch sogar gesehen, dass Musharraf versucht hat, zurück zu kommen und sich als Retter des Vaterlandes zu gerieren. Das hat aber nicht so geklappt, wie er sich das vorstellte. Er hat eben auch die Bodenhaftung verloren und hat sich völlig überschätzt und wurde jetzt erst mal unter Hausarrest gesetzt, aber ich glaube auch, das Militär in einem Land, das über nukleare Waffen verfügt, das ein Schlüsselland ist auch in seiner geostrategischen Position zwischen Indien und Afghanistan und Grenzen auch zu Iran, das Militär verspricht eine gewisse Stabilität.
Frenzel: Sie haben einige der Probleme, der ganz konkreten Alltagsprobleme schon genannt, die Stromversorgung zum Beispiel. Wie würden Sie denn Pakistan beschreiben? Ist das ein Land in der Tat am Abgrund, in Richtung Failed State?
Mulack: Es ist und war immer in seiner Geschichte ein Land, das große Krisen durchlaufen hat und es hat deswegen aber auch eine Politikerkaste, die sehr erfahren ist, wie man mit Krisen umgeht. Also Krisenmanagement verstehen sie. Und sich durchzuwursteln trotz all dieser Probleme, die vielleicht jedes andere Land wirklich in den Abgrund reißen würden, das hat die Geschichte gezeigt, das können sie. Also ich bin da insoweit guten Mutes. Es wird keinen richtigen Aufschwung geben, man wird sich weiterhin durchwursteln, aber den totalen Abfall in den Abgrund, der sich auftut, daran glaube ich auch nicht.
Frenzel: Das sagt Gunter Mulack, ehemals Botschafter in Pakistan, heute Direktor des Deutschen Orientinstitutes. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Mulack: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Gunter Mulack: Guten Morgen!
Frenzel: 120 Menschen sind während des Wahlkampfs bei Anschlägen umgekommen, das waren meistens die Taliban, die das zu verantworten hatten. Sind die radikalislamischen Terroristen schon jetzt eigentlich die Gewinner dieser Wahl, noch vor der Auszählung?
Mulack: Nein, das glaube ich nicht, denn was man hört jetzt, dass es schon lange Schlangen gibt an den Wahllokalen, so haben sie es eben nicht geschafft, durch den Terror die Menschen davon abzuhalten, zur Wahl zu gehen und jedenfalls der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass irgendwie dieses ewige Weiter-so jetzt aufhört und man vielleicht irgendwelche neuen Gesichter auch wählen wird wie den Imran Khan. Es hat heute Morgen auch wieder eine Bombe gegeben in Karatschi gegen die Awami National Party, auch ein paar Tote, aber damit müssen wir auch während des Tages rechnen natürlich.
Frenzel: Ist das denn eine Wahl, bei der die Menschen in Pakistan in der Tat wirklich eine Wahl haben zwischen unterschiedlichen Politikangeboten? Sie haben ja schon den Namen des Shooting Stars Imran Khan genannt. Ist er jemand, der ein alternatives Politikkonzept anbietet?
Mulack: Jedenfalls der einzige, der ein jüngeres Gesicht bringt, der noch nicht in Regierungsverantwortung war. Die anderen beiden Parteien, die PPP und die Pakistan Muslem League, Nawaz Sharif, die haben sich ja immer wieder abgelöst. Und wenn man sich überlegt, dass jetzt wieder die Gleichen antreten, wie Nawaz Sharif, der schon in den 90er-Jahren zweimal Premierminister war, dann von Musharraf damals gestürzt wurde, dann ist das schon etwas grotesk. Es ist so, als wenn unsere alten Bundeskanzler noch mal zu den Wahlen herangeschleppt würden und kandidieren würden.
Also, das zeigt eben diesen Mangel an neueren Wegen für die Zukunft. Und der einzige, der das verspricht, ist der Imran Khan, deswegen hat er eine gewisse Chance bei den jüngeren Wählern und auch bei den Frauen als populärer Kricketspieler, gewählt zu werden. Aber er hat eben keine Parteiorganisation hinter sich wie die anderen. Er kann also natürlich auch nicht die Abgabe der Stimmen so gut beeinflussen, wie die das können.
Frenzel: Und er ist auch jemand, der durchaus problematisch ist, gerade aus westlicher Perspektive. Er schlägt einen ziemlich antiamerikanischen Ton an, er betont die Religion, den Islam sehr stark – müssen wir vor einem solchen Politiker nicht auch ein bisschen Angst haben, dass Pakistan sich dann in eine ganz andere Richtung bewegen könnte?
Mulack: Nein. Das glaube ich nicht. Also, ich kenne ihn persönlich, ich habe ihn auch mehrfach getroffen. Das ist natürlich ein bisschen populistisch, aber wer macht das nicht vor den Wahlen, dass man versucht, dem Volke so ein bisschen nach dem Munde zu reden. Der Antiamerikanismus ist in der Tat sehr stark angestiegen in Pakistan, 80 Prozent der Pakistaner werden heute die Amerikaner als das Hauptproblem bezeichnen, und nicht die Taliban oder irgendwelche anderen Probleme – neben natürlich den Wirtschaftsproblemen. Das zweite ist eben, natürlich ist es ein Land, die Islamische Republik Pakistan, das gegründet wurde für die Muslime, was sich als Super-Muslimstaat versteht, und deswegen ist es klar, wenn man an die Religion appelliert, dann geht das immer. Und vor allen Dingen bietet man dann auch keine Angriffsflächen gegenüber Taliban oder anderen Organisationen. Von denen gibt es ja leider viel zu viele in diesem Land.
Frenzel: Ist eigentlich auch die Frage zu stellen, ob es ganz egal ist, wer gewinnt? Bleibt es nicht am Ende das Militär, das die Zügel in der Hand hält?
Mulack: Jein. Aber es ist schon richtig. Das Militär im Hintergrund ist nach wie vor die einzige gut organisierte und strukturierte Macht und wacht natürlich mit Argusaugen darüber, wie die Wahlen laufen und wer gewählt wird. Dass das Militär jetzt nicht übernommen hat von der alten Regierung Zardari oder die gestürzt hat, zeigt eben auch, wie schlecht die Lage ist in Pakistan, denn diese wirtschaftlichen Probleme, zwölf Stunden Stromausfall pro Tag und, und, und, die enorme Korruption, praktisch keine Steuereinnahmen – alles das wollte sich das Militär nicht jetzt gerade aufladen, aber es wird weiter überwachen. Und der jetzige Oberbefehlshaber Kayani, General Kayani, der ist doch, würde ich sagen, relativ vernünftig. Und letztlich ist es dem Militär lieber, eine schwache zivile Regierung zu haben, und es kann dann hinter den Kulissen weitermachen.
Frenzel: Sollte uns das auch lieber sein, aus westlicher Perspektive, sage ich mal, mit dem Zynismus, der ja häufig an den Tag gelegt wird. Lieber eine schwache Regierung mit einem starken Militär, das wir irgendwie einschätzen können in der Art und Weise, was sie vorhaben, wie sie Politik machen?
Mulack: Sicherlich. Sicherlich kann man das so sehen. Und wir haben ja auch sogar gesehen, dass Musharraf versucht hat, zurück zu kommen und sich als Retter des Vaterlandes zu gerieren. Das hat aber nicht so geklappt, wie er sich das vorstellte. Er hat eben auch die Bodenhaftung verloren und hat sich völlig überschätzt und wurde jetzt erst mal unter Hausarrest gesetzt, aber ich glaube auch, das Militär in einem Land, das über nukleare Waffen verfügt, das ein Schlüsselland ist auch in seiner geostrategischen Position zwischen Indien und Afghanistan und Grenzen auch zu Iran, das Militär verspricht eine gewisse Stabilität.
Frenzel: Sie haben einige der Probleme, der ganz konkreten Alltagsprobleme schon genannt, die Stromversorgung zum Beispiel. Wie würden Sie denn Pakistan beschreiben? Ist das ein Land in der Tat am Abgrund, in Richtung Failed State?
Mulack: Es ist und war immer in seiner Geschichte ein Land, das große Krisen durchlaufen hat und es hat deswegen aber auch eine Politikerkaste, die sehr erfahren ist, wie man mit Krisen umgeht. Also Krisenmanagement verstehen sie. Und sich durchzuwursteln trotz all dieser Probleme, die vielleicht jedes andere Land wirklich in den Abgrund reißen würden, das hat die Geschichte gezeigt, das können sie. Also ich bin da insoweit guten Mutes. Es wird keinen richtigen Aufschwung geben, man wird sich weiterhin durchwursteln, aber den totalen Abfall in den Abgrund, der sich auftut, daran glaube ich auch nicht.
Frenzel: Das sagt Gunter Mulack, ehemals Botschafter in Pakistan, heute Direktor des Deutschen Orientinstitutes. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Mulack: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.