In dem vom Bebra-Verlag herausgberachten Buch "Berlin und Breslau – Eine Beziehungsgeschichte" befinden sich viele interessante Geschichten zu den "Schwester"-Städten. Das Buch will beide kreativen Städte einander näher bringen. Herausgeber sind Mateusz Hartwig und Uwe Rada.
Wo jeder ein Migrationskind ist
Wroclaw hat nach dem Zweiten Weltkrieg als weltweit einzige Stadt einen vollständigen Bevölkerungsaustausch erlebt. Heute wirbt das einstige Breslau damit, eine "Stadt der Begegnung" zu sein.
"Wrocław war schon immer multikulturell. Man sollte also den gegenseitigen Respekt beibehalten. Ich bin stolz, zu diesem Frieden beizutragen."
"Alle vier Konfessionen hier wollten dies. Es ist einzigartig in ganz Europa. Und ein positives Beispiel für alle."
Das Viertel der vier Konfessionen, auch Viertel des gegenseitigen Respekts genannt, umfasst circa zehn Hektar im Westen der Breslauer Altstadt. Auf 300-Meter-Luftlinie finden sich Gotteshäuser der römisch-katholischen, russisch-orthodoxen, evangelisch-augsburgischen und jüdischen Gemeinden.
"Wir wollten nach Gemeinsamkeiten suchen"
Lange noch, bevor hier 2005 eine gleichnamige Stiftung entstand, initiierten Vertreter der Gemeinden zusammen zahlreiche Projekte. Heute sind es über 500 Veranstaltungen jedes Jahr – zum Beispiel Lesungen, Konzerte oder Ausstellungen. Deren Ziel hat sich nicht geändert: Sie setzen auf interreligiösen und -kulturellen Dialog und Nächstenliebe.
Stanisław Rybarczyk, Vorstand der "Stiftung des gegenseitigen Respekts", erinnert sich:
"Wir wollten nach Gemeinsamkeiten suchen. Eines unserer wichtigsten Projekte war und ist ein Kindertreffen verschiedener Religionen. Die Kinder lernen sich dabei gegenseitig kennen. Sie werden sich ihres gemeinsamen Ursprungs bewusst. Sie treffen sich im Namen des einen Gottes und teilen miteinander das Gute und den Frieden. Ich weiß, dies wird hier nie enden."
Um 1900 profitierte der Handel von der Lage an der Oder, wo sich einst die altertümliche Bernsteinstraße und die Via Regia des Heiligen Römischen Reiches kreuzten. Von Stettin bis nach Rom und von Santiago de Compostela bis nach Kiew reisten Kaufmänner verschiedener Kulturen und Religionen.
Alles lag in Schutt und Asche
Bis zu seiner dritten Teilung im Jahr 1795 war die Union Polen-Litauen ein Vielvölkerstaat mit unterschiedlichsten Glaubensbekenntnissen. Die hiesige Religionsfreiheit war in ganz Europa bekannt und sogar politisch geschützt. So auch in Vratislavia, wie die Stadt auf Lateinisch hieß. Bis 1939 lebte hier die konfessionell vielfältige Gesellschaft friedlich miteinander. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag alles in Schutt und Asche.
Aus Breslau wurde Wrocław – weltweit die einzige Stadt, die durch Flüchtlinge, Vertriebene, Kriegsheimkehrer, Repatriierte aus Ostgalizien und den ehemaligen östlichen Grenzgebieten Polens einen vollständigen Bevölkerungsaustausch erlebt hat. So ist jeder hier ein Migrationskind. Und noch immer sucht sie sich selbst, meint Bente Kahan. Die norwegische Jüdin ist Künstlerin und hat eine Stiftung gegründet, die sich für den gegenseitigen Respekt und das kulturelle Erbe der Stadt einsetzt:
"Wir alle haben etwas repariert. Durch diese Veranstaltungen - man bringt etwas zurückgewonnene Geschichte. Es ist wichtig, dass wenn man in einer Stadt lebt, dass man fühlt, dass man ist traurig von dieser Vergangenheit, dass man lebt in Wahrheit. Ja!, also dass man kann die Zukunft ein bisschen inspirieren oder schauen die Weg; weil heute Europa geht wieder nach diesen Nationalismus."
"In Unterschieden eine Bereicherung sehen"
Für eine bürgerliche Gesellschaft ist die Zusammenarbeit unverzichtbar, meint der evangelische Pastor Marcin Orawski. Er ist offen für alle:
"Wenn wir etwas Gemeinsames aufbauen wollen, müssen wir lernen, in den Unterschieden eine Bereicherung zu sehen. Wir treten auch mit den Wrocławer Muslimen in Dialog. Manchmal streiten wir, aber das sind konstruktive Begegnungen. Heterogene Gesellschaften waren immer die tolerantesten. Und – auch die evangelische Kirche ist per se schon vielfältig."
Mit dem Viertel der vier Religionen ist Wrocław das europäische Gegenmodell zu der national-konservativen Regierung in Warschau. Es ist aber leider auch ein Ort, an dem rechtsextreme Töne erklingen können. Solche Tendenzen hätten aber keine große öffentliche Zustimmung, unterstreicht Manuela Pliżga-Jonarska, Koordinatorin für den interkulturellen Dialog der Stadt Wrocław. Sie ergänzt:
"Xenophobie und Rassismus sind in Polen strafbar. Wir wirken ihnen entgegen. Wir schulen alle, die für Bildung und Sicherheit verantwortlich sind. Wir wollen alle für den Dialog und für den gegenseitigen Respekt sensibilisieren."