Das neue Ägypten ist noch unsicherer
Erst am letzten Wochenende kam es in Kairo zu Straßenschlachten zwischen koptische Christen und Muslimen. Zwei Kirchen brannten, zwölf Menschen starben, rund 230 wurden verletzt. Wie reagieren Kopten in Deutschland auf diese Nachrichten?
Gottesdienst in der Glaubenskirche in Berlin-Lichtenberg: Hier treffen sie sich zweimal die Woche, manchmal auch öfter. Gebetet und gesungen wird auf Deutsch, Arabisch und auch auf Koptisch. Die riesige neugotische Kirche ist seit dreizehn Jahren Sitz der Berliner Kopten. Sie haben sie der evangelischen Landeskirche für einen symbolischen Preis abgekauft. Über hundert Familien gehören der Gemeinde an: Ägypter, Syrer, Iraker, Libanesen – und auch konvertierte Deutsche:
"Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde. Die sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Wir glauben an den Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn."
Zwei Stunden dauert der Gottesdienst normalerweise, heute jedoch länger. Denn Erzpriester Girgis El Moharaki will noch der Anschlagsopfer von Kairo gedenken:
"Gottesdienst ist heute für die Märtyrer. Wir beten zusammen, zehn Minuten, 15 Minuten."
Nach dem Gebet lädt Girgis El Moharaki die Gläubigen in den Gemeindesaal ein. Fast alle kommen. Die Leute wollen reden, sagt El Moharaki. Viele berichten ihm, dass ihre ägyptischen Verwandten sich vor der Revolution sicherer gefühlt hätten als jetzt.
"Wir haben auch muslimische Freunde. Wir möchten nichts gegen andere. Wir lieben alle Leute. Christus hat gesagt: Liebt alle anderen. Und wir lieben alle Leute!"
An den Wänden der Kirche hat Girges El Moharaki Plakate befestigt: "Helft uns", steht dort. Zu sehen sind Bilder von Kirchen im Nahen Osten und Artikel, die Berliner Zeitungen über die Gemeinde veröffentlicht haben. Nachdem im Januar Extremisten einen Bombenanschlag auf eine Kirche in Alexandria verübt und dabei 21 Menschen umgebracht hatten, beantragte der Berliner Geistliche sogar einmal Polizeischutz für eine Messe.
"Ich habe Angst um die Zukunft. Was bedeutet es? Was kommt? Ich verstehe nicht. Was ist passiert? Das ist eine Katastrophe!"
Erzpriester El Moharaki telefoniert regelmäßig mit koptischen Geistlichen in Ägypten. Sie haben ihm aufgetragen, der Gemeinde etwas auszurichten. Dass sie jetzt, nach der Revolution, frei sein wollen, so wie die Muslime auch - und dass sie sich dafür einsetzen wollen:
"Wir haben große Hoffnung. Wir haben große Hoffnung von Gott. Wir beten. Wir haben großen Glauben. Wir hoffen, von Gott alles kommt und passiert."
In diesen Tagen ist die Kirche voller als sonst. Auch Rami Girges, ein ägyptischstämmiger Amerikaner, der jetzt in Berlin als Englischlehrer arbeitet, kommt regelmäßig. Der 27-Jährige hat viele Verwandte in Ägypten und sorgt sich sehr.
"Ich habe keine Worte dafür. Mit verschlägt es die Sprache. Man weiß nicht, was man sagen soll und was man fühlen soll. Es ist eine sehr dramatische Situation."
Der 51-jährige Sozialarbeiter Ayad Shehata hat Ägypten 1979 verlassen. Damals, erinnert er sich, lebten Christen und Muslime friedlich zusammen.
"Das hat uns alle böse überrascht. Wir haben schon seit über 1500 Jahren zusammengelebt und das war das okay gewesen. In den letzten zwei, drei Jahren ist es schlimmer geworden. Ich persönlich weiß nicht, woher dieser Hass kommt. Ich habe keine Erklärung."
Ein Gerücht hat am Wochenende Demonstrationen und Brandanschläge ausgelöst: Einige Kairoer Muslime waren überzeugt, dass Kopten in einer Kirche eine junge Frau festhielten, die zum Islam übergetreten war. Ayad Shehata glaubt diese Geschichte nicht.
"Das ist nur Propaganda meiner Meinung nach. Was ist das: Eine Frau oder zehn oder 20 oder 100, die zum Christentum kommt oder andersherum? Was macht das aus? Das ist nur ein Anlass, um uns anzugreifen, mehr nicht."
So sehen es auch die meisten Muslime, ist Ayad Shehata sicher. Es sei eine kleine, radikale Minderheit, die die koptischen Christen verfolge, vor allem junge Männer. Sie werden von fundamentalistischen Imamen indoktriniert, glaubt der Sozialarbeiter.
"Die hetzen die Leute gegen die Kopten auf und manchmal auch gegen die Muslime, die nicht machen, was die anderen sagen."
Die alte Macht ist weg, die neue Demokratie funktioniert noch nicht richtig, sagt Ayad Shehata. Das Machtvakuum nutzen die Radikalen.
"In dieser Zeit, unsere Regierung ist nicht stark genug. Und wir haben auch nicht genug Polizisten auf den Straßen."
Ramses Atalla nickt beifällig. Der Maschinenbauingenieur glaubt, dass sich gerade die jungen Leute von der Revolution zu viel versprochen haben. Jetzt aber sehen sie, dass der Umsturz bisher weder neue Jobs noch höhere Einkommen gebracht hat.
"Die jungen Leute sind total enttäuscht. Sie haben keine Zukunft. Und sie sind, habe ich manchmal so das Gefühl, voller Hass. Ist egal, voller Hass auf die jetzige Regierung, auf die alte Regierung. Es mangelt an Ausbildung, das ist ein Grund."
Experten rechnen die jungen Gewalttäter dem so genannten "Salafismus" zu. Der Salafismus – das ist eine ultra-radikale Strömung, die sich von Saudi-Arabien aus verbreitet. Salafisten wollen den Islam so leben, wie er zu Lebzeiten Mohammeds praktiziert wurde. Sie verfolgen Andersgläubige, die ihnen per se als "Ungläubige" gelten, und sie verachten auch Muslime, die nicht strenggläubig sind. Salafisten predigen in vielen ägyptischen Moscheen und der Staat lässt sie gewähren, kritisiert Ramses Atallah.
"Die religiösen Leute, die hinter so was stecken, denen müsste man mal das Handwerk verbieten. Die Hassprediger dürfen nicht mehr in Moscheen predigen und Hass üben."
Erzpriester Girges El Moharaki wird demnächst wieder nach Ägypten fliegen. Wie immer, im traditionellen Gewand. Ein langer schwarzer Umhang, eine bestickte schwarze Kopfbedeckung. El Moharaki ist auf den ersten Blick als koptischer Priester zu erkennen. Hat er Angst? El Moharaki denkt nach, aber nur wenige Sekunden: Nein.
"Mein Leben ist bei Gott, in Gottes Hand."
"Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde. Die sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Wir glauben an den Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn."
Zwei Stunden dauert der Gottesdienst normalerweise, heute jedoch länger. Denn Erzpriester Girgis El Moharaki will noch der Anschlagsopfer von Kairo gedenken:
"Gottesdienst ist heute für die Märtyrer. Wir beten zusammen, zehn Minuten, 15 Minuten."
Nach dem Gebet lädt Girgis El Moharaki die Gläubigen in den Gemeindesaal ein. Fast alle kommen. Die Leute wollen reden, sagt El Moharaki. Viele berichten ihm, dass ihre ägyptischen Verwandten sich vor der Revolution sicherer gefühlt hätten als jetzt.
"Wir haben auch muslimische Freunde. Wir möchten nichts gegen andere. Wir lieben alle Leute. Christus hat gesagt: Liebt alle anderen. Und wir lieben alle Leute!"
An den Wänden der Kirche hat Girges El Moharaki Plakate befestigt: "Helft uns", steht dort. Zu sehen sind Bilder von Kirchen im Nahen Osten und Artikel, die Berliner Zeitungen über die Gemeinde veröffentlicht haben. Nachdem im Januar Extremisten einen Bombenanschlag auf eine Kirche in Alexandria verübt und dabei 21 Menschen umgebracht hatten, beantragte der Berliner Geistliche sogar einmal Polizeischutz für eine Messe.
"Ich habe Angst um die Zukunft. Was bedeutet es? Was kommt? Ich verstehe nicht. Was ist passiert? Das ist eine Katastrophe!"
Erzpriester El Moharaki telefoniert regelmäßig mit koptischen Geistlichen in Ägypten. Sie haben ihm aufgetragen, der Gemeinde etwas auszurichten. Dass sie jetzt, nach der Revolution, frei sein wollen, so wie die Muslime auch - und dass sie sich dafür einsetzen wollen:
"Wir haben große Hoffnung. Wir haben große Hoffnung von Gott. Wir beten. Wir haben großen Glauben. Wir hoffen, von Gott alles kommt und passiert."
In diesen Tagen ist die Kirche voller als sonst. Auch Rami Girges, ein ägyptischstämmiger Amerikaner, der jetzt in Berlin als Englischlehrer arbeitet, kommt regelmäßig. Der 27-Jährige hat viele Verwandte in Ägypten und sorgt sich sehr.
"Ich habe keine Worte dafür. Mit verschlägt es die Sprache. Man weiß nicht, was man sagen soll und was man fühlen soll. Es ist eine sehr dramatische Situation."
Der 51-jährige Sozialarbeiter Ayad Shehata hat Ägypten 1979 verlassen. Damals, erinnert er sich, lebten Christen und Muslime friedlich zusammen.
"Das hat uns alle böse überrascht. Wir haben schon seit über 1500 Jahren zusammengelebt und das war das okay gewesen. In den letzten zwei, drei Jahren ist es schlimmer geworden. Ich persönlich weiß nicht, woher dieser Hass kommt. Ich habe keine Erklärung."
Ein Gerücht hat am Wochenende Demonstrationen und Brandanschläge ausgelöst: Einige Kairoer Muslime waren überzeugt, dass Kopten in einer Kirche eine junge Frau festhielten, die zum Islam übergetreten war. Ayad Shehata glaubt diese Geschichte nicht.
"Das ist nur Propaganda meiner Meinung nach. Was ist das: Eine Frau oder zehn oder 20 oder 100, die zum Christentum kommt oder andersherum? Was macht das aus? Das ist nur ein Anlass, um uns anzugreifen, mehr nicht."
So sehen es auch die meisten Muslime, ist Ayad Shehata sicher. Es sei eine kleine, radikale Minderheit, die die koptischen Christen verfolge, vor allem junge Männer. Sie werden von fundamentalistischen Imamen indoktriniert, glaubt der Sozialarbeiter.
"Die hetzen die Leute gegen die Kopten auf und manchmal auch gegen die Muslime, die nicht machen, was die anderen sagen."
Die alte Macht ist weg, die neue Demokratie funktioniert noch nicht richtig, sagt Ayad Shehata. Das Machtvakuum nutzen die Radikalen.
"In dieser Zeit, unsere Regierung ist nicht stark genug. Und wir haben auch nicht genug Polizisten auf den Straßen."
Ramses Atalla nickt beifällig. Der Maschinenbauingenieur glaubt, dass sich gerade die jungen Leute von der Revolution zu viel versprochen haben. Jetzt aber sehen sie, dass der Umsturz bisher weder neue Jobs noch höhere Einkommen gebracht hat.
"Die jungen Leute sind total enttäuscht. Sie haben keine Zukunft. Und sie sind, habe ich manchmal so das Gefühl, voller Hass. Ist egal, voller Hass auf die jetzige Regierung, auf die alte Regierung. Es mangelt an Ausbildung, das ist ein Grund."
Experten rechnen die jungen Gewalttäter dem so genannten "Salafismus" zu. Der Salafismus – das ist eine ultra-radikale Strömung, die sich von Saudi-Arabien aus verbreitet. Salafisten wollen den Islam so leben, wie er zu Lebzeiten Mohammeds praktiziert wurde. Sie verfolgen Andersgläubige, die ihnen per se als "Ungläubige" gelten, und sie verachten auch Muslime, die nicht strenggläubig sind. Salafisten predigen in vielen ägyptischen Moscheen und der Staat lässt sie gewähren, kritisiert Ramses Atallah.
"Die religiösen Leute, die hinter so was stecken, denen müsste man mal das Handwerk verbieten. Die Hassprediger dürfen nicht mehr in Moscheen predigen und Hass üben."
Erzpriester Girges El Moharaki wird demnächst wieder nach Ägypten fliegen. Wie immer, im traditionellen Gewand. Ein langer schwarzer Umhang, eine bestickte schwarze Kopfbedeckung. El Moharaki ist auf den ersten Blick als koptischer Priester zu erkennen. Hat er Angst? El Moharaki denkt nach, aber nur wenige Sekunden: Nein.
"Mein Leben ist bei Gott, in Gottes Hand."