Das Nokia-Debakel

Von Rainer Bittermann |
Für die Arbeitnehmer des Nokia-Werkes in Bochum ist die bevorstehende Schließung ihrer Arbeitsstätte eine Katastrophe, für die Ruhrregion insgesamt bedeutet sie einen schweren Rückschlag, denn die meisten der einst von Kohle und Stahl geprägten Städte haben den Strukturwandel noch längst nicht erfolgreich abgeschlossen.
Arbeitsplatzverluste in der Größenordnung, wie sie jetzt in Bochum drohen, sind das letzte, was diese Region braucht. Insofern ist es verständlich, dass sich der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, der Sache sogleich mit markigen Klagen über "Subventions-Heuschrecken" und "hemmungslose Gewinnmaximierer" angenommen hat - auch wenn man solche Töne eher von Gewerkschaftsführern und Sozialdemokraten gewohnt ist, und weniger von CDU-Politikern, die ansonsten die Marktwirtschaft und deren freiheitliche Prinzipien besonders hochhalten.

Aber genau an diesen Prinzipien orientiert sich jenes Unternehmen mit seiner Entscheidung, die Handy-Produktion in Deutschland einzustellen. Und vermutlich wären die Finnen gar nicht in unser Land gekommen, wenn ihnen nicht großzügige Subventionen in Aussicht und letztlich auch zur Verfügung gestellt worden wären. Fördergelder in Höhe von nahezu 100 Millionen Euro sind auch für ein hochprofitables Unternehmen wie Nokia ein willkommenes Geschenk. Kaum ein anderes Unternehmen in Nordrhein-Westfalen hat mehr Subventionen erhalten - in der Hoffnung, die Ansiedlung werde dauerhaft Arbeitsplätze, Investitionen und Steuermehreinnahmen garantieren: Gut gemeint, aber auch ein wenig naiv.

Leider ist es – um den Bonner Arbeitsmarktexperten Hilmar Schneider zu zitieren – mit Subventionen genauso wie mit Geschenken im Privatleben. Man kann zwar hoffen, dass der Beschenkte sich als dankbar erweist, verlangen aber kann man es nicht - schon gar nicht von Unternehmen, deren Ziel es in erster Linie ist, Gewinne zu machen. Dankbarkeit gegenüber Landesregierungen, Verantwortung gegenüber Arbeitnehmern, Rücksicht auf strukturschwache Kommunen – das alles zählt wenig bis gar nichts in der globalisierten Wirtschaftswelt, in der eiskalt kalkuliert wird und in der man dorthin zieht, wo die Kosten geringer, die Subventionen höher und die Absatzchancen größer sind.

Diese Erfahrung ist nicht neu: Die Beschäftigten in den Motorola-Betrieben in Schleswig-Holstein haben sie machen müssen und die Mitarbeiter des Handy-Herstellers BenQ am Niederrhein ebenfalls. Der deutsche Siemens-Konzern hatte sich bereits zuvor aus der Handy-Fertigung verabschiedet.

All das nährt den Verdacht, dass Deutschland in dieser Sparte kein idealer Produktionsstandort mehr ist: Handys sind zwar technisch anspruchsvoll, aber in großen Stückzahlen einfach herzustellen. Hochqualifizierte Fachkräfte werden zur Produktion dieser Geräte nicht benötigt, Angelernte können das ebenso gut, und sie tun es bei geringerer Bezahlung. Das rechnet sich in osteuropäischen und asiatischen Billiglohnländern wesentlich besser als hierzulande.

Gut hat es sich auch in Deutschland gerechnet, aber 15 Prozent Rendite sind im harten Konkurrenzkampf offensichtlich zu wenig, wenn man anderswo 20 Prozent und mehr erzielen kann. Das ist eine bittere Erkenntnis für die Beschäftigten, die jetzt ihren Arbeitsplatz verlieren – zumal das Unternehmen, das nach außen immer großen Wert auf einen offenen Führungsstil gelegt hat, hier mit verdeckten Karten spielte, will heißen, die Geschäftsleitung hat über Monate hinweg die Belegschaft belogen, die Betriebsräte für dumm verkauft.

Jetzt, wo der Ruf ramponiert ist, sieht das Unternehmen erst recht keine Veranlassung mehr, das Vorgehen zu korrigieren und Schadensbegrenzung zu betreiben. Politiker wie Jürgen Rüttgers sollten deshalb nicht den Eindruck erwecken, als gebe es jetzt noch etwas zu retten. Und auch wenn einige Politiker jetzt Nokia-Handys zurückgeben – die Konzernleitung in Helsinki wird das kaum zu einer Rücknahme der Standortverlagerung veranlassen. Für sie ist die Rendite der Schlüssel zum Erfolg; gegen ethische und moralische Argumente dürfte man im hohen Norden deshalb weitgehend immun sein.

Besser beraten wären die Politiker, würden sie aus dem Nokia-Debakel Lehren ziehen und beispielsweise die Subventionspolitik auf den Prüfstand stellen: Unternehmen, die in Deutschland nur mit Hilfe von Subventionen überleben können, muss man nicht ins Land holen. Exporterfolge belegen, dass es hierzulande genügend Branchen gibt, in denen im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig gewirtschaftet werden kann. Sich auf eigene Stärken zu besinnen, ist allemal vorteilhafter als, wie im Fall Nokia, nur Wunden zu lecken.