Das Offizialprinzip
In europäischen Großstädten gehört Sicherheit mehr und mehr zum äußeren Erscheinungsbild. Es besteht in überwiegend männlichem, zumeist blau, grau oder schwarz uniformiertem Personal, das in U-Bahnen patrouilliert oder dekorativ vor Kaufhäusern steht.
Das äußere Erscheinungsbild ist nicht nur adrett, sondern unterstreicht eine Wehrhaftigkeit, von der auch Gebrauch gemacht werden soll. Das Personal gehört zu privaten Sicherheitsdiensten, die in der Öffentlichkeit agieren, neben Polizei und Strafjustiz als Garanten von Sicherheit gelten.
Wo liegt das Problem der Privatisierung von Sicherheit? Der Staat, dem der Einzelne seine Gewaltmittel als einem neutralen Dritten übertragen hat, soll die gleichmäßige Verteilung dieser Mittel in der Gesellschaft gewährleisten. Nur so ließ sich der Naturzustand – der Krieg aller gegen alle – zugunsten der Garantie größtmöglicher Freiheit beenden. Der Staat schützt Freiheit und stiftet so Sicherheit. Der Prozess der Privatisierung von Sicherheit führt wieder in den Naturzustand zurück.
Sicher kann sich dort nur der fühlen, der sich Gefahrenabwehr auch leisten kann. Folge ist, dass die Verteilung der Sicherheit ungleicher wird. Dies ist aber nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem. Es kommt auch darauf an, wer wie Straftaten aufklärt. Dies ist nicht nur ein Gerechtigkeits-, sondern ein Wahrheitsproblem.
Nur ein öffentliches Strafrecht kann von Verfassungs wegen auf Wahrheitssuche verpflichtet werden – die Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt schlechthin. Dazu gehört, dass die Aufklärung eines Sachverhalts an den subjektiven Rechten des Beschuldigten Halt machen muss. Es darf im Rechtsstaat keine Aufklärung um jeden Preis geben. Dies kann nur in einem öffentlichen, förmlichen Strafverfahren gelingen.
Es muss strenge Formen geben, in denen Beschuldigter und die anderen Prozessbeteiligten ihre Sicht der Dinge darlegen können. Der kürzlich eingeführte Deal – also der mauschelnde Vergleich im Strafprozess – spricht diesem Prinzip Hohn.
Wem es im Strafrecht auf Wahrheit ankommt, der muss der Privatisierung misstrauen. Aus ihr folgt eine nur selektive und durch eigene Sicherheitsinteressen geleitete Wahrnehmung der Wirklichkeit. Das Misstrauen ist erst recht begründet, wenn der Staat die einschneidendste Folge des Strafrechts selbst – nämlich die Strafe und ihren Vollzug – an Private abgibt. Im Vollzug der Strafe zeigt sich, wie tief die Menschenrechte im Staat verankert sind, und wie demokratisch verantwortlich diese Gesellschaft mit Straftätern umzugehen bereit ist.
Das kostet Geld. Die Bundesländer aber reagieren einseitig auf die hohen Kosten des Strafvollzuges. Entlastende Strafvollzugskonzepte – mehr offener Vollzug, mehr Geld- statt Freiheitsstrafe, mehr Integrationshilfe für Entlassene – finden kaum Gehör. Stattdessen sollen neue Gefängnisse gebaut werden – von privaten Trägern. Diese sind auch für Versorgung oder Arbeitsangebote im Vollzug zuständig. Es drängt sich der Verdacht auf, dass dann nach dem wirtschaftlichen Prinzip der Gewinnmaximierung eine Nachfrage nach möglichst vielen zu verwahrenden Straftätern entsteht.
Eine Politik, die darauf aus ist, maximale Sicherheit zu versprechen, bedient sich gern privater Angebote. Sie sind beliebig und wahltaktisch vorteilhaft, da sie das Sicherheitsgefühl verstärken. Und doch handelt es sich nur um Symbolpolitik. Aus dem Blick geraten die eigentlichen Funktionen eines aufgeklärten Strafrechts: Machtbegrenzung des Staates und rechtstaatlich geleitete Reaktion auf elementare Unrechtsverletzung – diese Zwecke darf das Strafrecht erfüllen. Mehr kann es nicht.
Das Strafjustizsystem ist keine gesellschaftliche Reparaturanstalt. Öffentliches Strafrecht dient der Freiheitssicherung und muss Unrecht öffentlich kenntlich machen. Dann erfüllt es seine öffentlichen Garantiefunktionen – aber das dürfte wohl Vergangenheit sein.
Peter Alexis Albrecht, geboren 1946, ist Jurist, Sozialwissenschaftler und Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsgebiete sind das Strafrecht in seinen Grundlagenbezügen zur Kriminologie, zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie sowie die Methoden empirischer Sozialwissenschaften zur Erforschung der Wirkungsweisen des Kriminaljustizsystems.
Veröffentlichungen u. a.: "Die vergessene Freiheit" (2. Auflage, 2006) und "Der Weg in die Sicherheitsgeselschaft – Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln" (2010).
Peter-Alexis Albrecht ist Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift "Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft".
Wo liegt das Problem der Privatisierung von Sicherheit? Der Staat, dem der Einzelne seine Gewaltmittel als einem neutralen Dritten übertragen hat, soll die gleichmäßige Verteilung dieser Mittel in der Gesellschaft gewährleisten. Nur so ließ sich der Naturzustand – der Krieg aller gegen alle – zugunsten der Garantie größtmöglicher Freiheit beenden. Der Staat schützt Freiheit und stiftet so Sicherheit. Der Prozess der Privatisierung von Sicherheit führt wieder in den Naturzustand zurück.
Sicher kann sich dort nur der fühlen, der sich Gefahrenabwehr auch leisten kann. Folge ist, dass die Verteilung der Sicherheit ungleicher wird. Dies ist aber nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem. Es kommt auch darauf an, wer wie Straftaten aufklärt. Dies ist nicht nur ein Gerechtigkeits-, sondern ein Wahrheitsproblem.
Nur ein öffentliches Strafrecht kann von Verfassungs wegen auf Wahrheitssuche verpflichtet werden – die Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt schlechthin. Dazu gehört, dass die Aufklärung eines Sachverhalts an den subjektiven Rechten des Beschuldigten Halt machen muss. Es darf im Rechtsstaat keine Aufklärung um jeden Preis geben. Dies kann nur in einem öffentlichen, förmlichen Strafverfahren gelingen.
Es muss strenge Formen geben, in denen Beschuldigter und die anderen Prozessbeteiligten ihre Sicht der Dinge darlegen können. Der kürzlich eingeführte Deal – also der mauschelnde Vergleich im Strafprozess – spricht diesem Prinzip Hohn.
Wem es im Strafrecht auf Wahrheit ankommt, der muss der Privatisierung misstrauen. Aus ihr folgt eine nur selektive und durch eigene Sicherheitsinteressen geleitete Wahrnehmung der Wirklichkeit. Das Misstrauen ist erst recht begründet, wenn der Staat die einschneidendste Folge des Strafrechts selbst – nämlich die Strafe und ihren Vollzug – an Private abgibt. Im Vollzug der Strafe zeigt sich, wie tief die Menschenrechte im Staat verankert sind, und wie demokratisch verantwortlich diese Gesellschaft mit Straftätern umzugehen bereit ist.
Das kostet Geld. Die Bundesländer aber reagieren einseitig auf die hohen Kosten des Strafvollzuges. Entlastende Strafvollzugskonzepte – mehr offener Vollzug, mehr Geld- statt Freiheitsstrafe, mehr Integrationshilfe für Entlassene – finden kaum Gehör. Stattdessen sollen neue Gefängnisse gebaut werden – von privaten Trägern. Diese sind auch für Versorgung oder Arbeitsangebote im Vollzug zuständig. Es drängt sich der Verdacht auf, dass dann nach dem wirtschaftlichen Prinzip der Gewinnmaximierung eine Nachfrage nach möglichst vielen zu verwahrenden Straftätern entsteht.
Eine Politik, die darauf aus ist, maximale Sicherheit zu versprechen, bedient sich gern privater Angebote. Sie sind beliebig und wahltaktisch vorteilhaft, da sie das Sicherheitsgefühl verstärken. Und doch handelt es sich nur um Symbolpolitik. Aus dem Blick geraten die eigentlichen Funktionen eines aufgeklärten Strafrechts: Machtbegrenzung des Staates und rechtstaatlich geleitete Reaktion auf elementare Unrechtsverletzung – diese Zwecke darf das Strafrecht erfüllen. Mehr kann es nicht.
Das Strafjustizsystem ist keine gesellschaftliche Reparaturanstalt. Öffentliches Strafrecht dient der Freiheitssicherung und muss Unrecht öffentlich kenntlich machen. Dann erfüllt es seine öffentlichen Garantiefunktionen – aber das dürfte wohl Vergangenheit sein.
Peter Alexis Albrecht, geboren 1946, ist Jurist, Sozialwissenschaftler und Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsgebiete sind das Strafrecht in seinen Grundlagenbezügen zur Kriminologie, zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie sowie die Methoden empirischer Sozialwissenschaften zur Erforschung der Wirkungsweisen des Kriminaljustizsystems.
Veröffentlichungen u. a.: "Die vergessene Freiheit" (2. Auflage, 2006) und "Der Weg in die Sicherheitsgeselschaft – Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln" (2010).
Peter-Alexis Albrecht ist Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift "Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft".

Peter Alexis Albrecht© privat