Eine Hochburg der Kultur in der Provinz
Für die knapp 500 Einwohner des Ortes Hilchenbach-Lützel am Fuße der Ginsberger Heide ist das Pfingstfestival KulturPur eine Zäsur im Ablauf des Jahres. In der "Deutschlandrundfahrt" erzählen Anwohner und Organisatoren von ihren Erlebnissen aus 25 Jahren Festivalgeschichte.
Im Tal fahren drei vollbesetzte Trecker mit Anhängern die Straße entlang. Sie halten an einer Wiese bei einem großen Abfallcontainer, um ihre Fracht abzuladen. Den ganzen Vormittag über war eine Gruppe freiwilliger Helfer unterwegs im Ortsteil Ruckersfeld, um Müll einzusammeln, der achtlos am Wegesrand in den Wald geworfen wurde. Der alljährliche Frühjahrsputz des Ortes gehört mittlerweile zur Tradition in den Stadtteilen von Hilchenbach.
"78 haben wir das das erste Mal gemacht, 1978. Wir waren wohl die ersten im Siegerland, die überhaupt sauber machten. Weil wir hier in Ruckersfeld unsere große Feier vorbereitet haben."
Klaus Vitt kennt die Gegend in und auswendig. Der zupackende Senior war lange Jahre Vorsitzender des Heimatvereines Ruckersfeld, bevor er das Amt einem Jüngeren überließ.
"Wir haben eine 900-Jahr-Feier damals gehabt, 1979. Und dann war das Erste, was wir gesagt haben: Wenn wir schon so feiern, dann wollen wir das Dorf sauber haben. Sonst gehen die Leute hier runter und dann heißt es: Was haben die denn für'n Gemüll? Denn jeder, der hierher fährt, der wirft seinen Unrat einfach ins ... irgendwohin. Das tangiert ihn peripher. Einfach zack! ... Damals haben wir ganze Karren voll weggefahren. Das war schlimm. Da gab's Leute, die schmissen ihre Autoreifen, zehn, fünfzehn, zwanzig Stück, einfach in den Berg. Und dann gab's welche, die haben ein ganzes Schlafzimmer da unten im Berg abgeladen. Und wenn man dann im Dorf selber wohnt, dann sieht das nicht gerade schön aus."
Am heutigen Tag wandern die Reste eines Steingrills, Fahrradreifen, viel Plastik und der Verpackungsmüll einer Fast-Food-Kette in den Container.
Kleinstadt mit beachtlichem Kulturangebot
Gudrun Roth ist seit drei Jahren für die Organisation des Frühjahrsputzes verantwortlich. Sie arbeitet im Rathaus der Stadt Hilchenbach als Beauftragte für bürgerschaftliches Engagement. Seit Mittag fährt sie von Ortsteil zu Ortsteil, um die Ergebnisse der Sammelaktion zu begutachten und den Helfern für ihren Einsatz zu danken. Und: Nein, der Ort putzt sich nicht extra für die Besucher von KulturPur heraus, dem Festival, das seit 25 Jahren in seiner unmittelbaren Nachbarschaft stattfindet. Die Festivalbesucher sind oben auf der Ginsberger Heide. Von Hilchenbach im Tal bekommen sie meist kaum etwas zu sehen. Das liegt aber nicht nur an ihnen.
"Man muss ja sehen, dass man eine Karte kriegt! Man muss ja wirklich Gas geben, und jetzt schnell überlegen, sonst sind die Karten weg. Das ist hier echt ein Run auf die Karten. Sonst hat man Pech. Wobei es auch reizvoll ist, wenn man nur so da oben sitzt. Man hört es ja auch außerhalb des Zeltes. Oder man trifft sich halt mit Freunden auf ein Bier und hört dann da oben und ist in der Natur. Das hat einfach einen besonderen Reiz."
Das Freizeitangebot in Hilchenbach ist für eine Kleinstadt beachtlich. Es gibt Freibäder hier, ein Kino, ein Theater, und im Winter ist sogar ein Skilift oben auf der Ginsberger Heide in Betrieb, mit Rodelbahn und Langlaufloipe. Ein Festival wie KulturPur ist aber was Besonderes.
"Wir haben vier Kinder und als die klein waren, sind wir total gerne da hoch ge... da sind wir natürlich gefahren, und dann war draußen so viel: Walk Acts, und dann gab's immer Zirkus – wie hieß der? Liberté? – also so dressierte Hühner und einfach so schöne Sachen. Und die waren immer alle ganz begeistert. Jugendkunstschule, da konnte man was machen. War so viel mit Aktion, und was überhaupt nicht Eintritt oder Geld kostete. Und darum auch so ein Treffen, andere, die man länger nicht (gesehen hat): Ach, ihr auch hier! Das hat einfach einen besonderen Charme."
Backen für das gesamte Dorf
Nach getaner Arbeit sammeln sich die freiwilligen Helfer der Aufräumaktion im "Backes". Im Inneren der alten Backstube duftet es nach Waffeln, Kaffee und Würstchen. Ein großer Steinofen füllt den Raum des alten Fachwerkhauses zu einem Drittel aus. Irgendwann in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde er gebaut. Damals hat das ganze Dorf in diesem Ofen sein Brot gebacken. Und auch heute heizen die Ruckersfelder ihren Ofen noch drei- bis viermal im Jahr an.
"Diesen Ofen, der wird mit Brot vollgeworfen. Aber bevor das geschieht, müssen wir erst den Ofen heizen. Der wird also ungefähr bis auf 300 Grad erhitzt, so dass er oben und unten eine relativ gleiche Wärme hat. Und wenn das geschehen ist und der Ofen sauber gemacht ist von Asche und Glut, dann wird das Brot eingeschoben, aber vorher gefrischt, und dann fängt es an zu backen. Ungefähr 40, das kommt auf die Größe an, 40-50 Brote kriegen wir dann da rein."
Klaus Vitt hat jahrelang mitgeholfen den Ofen zu betreiben. Nach einem traditionellen Sauerteigrezept backen sie darin wie früher das so genannte Schanzenbrot.
"Schanzen, das sind die Entästungen von den Bäumen, und die werden in Bündeln zusammengebunden und kommen dann hier rein, werden angezündet, und dann erhitzt der Ofen auf die ca. 300 Grad. Und die 300 Grad müssen wir auch haben, denn wenn das Brot eingeschossen ist, verliert er sehr schnell an Wärme und dadurch brauchen wir die Hitze."
Die fertigen Schanzenbrote werden im Ort verkauft. Der Erlös kommt dem Heimatverein und dem Erhalt der Backstube zu Gute.
Keine Ruhe vor dem Sturm: der Auftritt der Simple Minds
Auch wenn noch viele Traditionen in den Ortsteilen gepflegt werden, der Wandel ist hier nicht aufzuhalten.
"Die gesamte Region hat vom kulturellen Standpunkt her einen ganz anderen Touch bekommen. Früher war die Region landwirtschaftlich geprägt, da waren viele landwirtschaftliche Hauptbetriebe, Nebenbetriebe. Das ist stark rückläufig, da ist sehr wenig nur noch. Jedes Tal wird noch weitgehend landwirtschaftlich bearbeitet, ja, aber die einzelnen Betriebe sind doch sehr geschrumpft. Und insofern sind natürlich andere Dinge mehr in den Vordergrund gekommen. Da ist also der Tourismusaspekt mehr in den Vordergrund getreten und auch, sag ich mal, solche kulturelle Gesichtspunkte sind halt aufgekommen."
Friedhelm Stötzel macht auf dem Festival Werbung für die Region. Er hilft auf einem Stand des Tourismusbüros der Stadt Hilchenbach aus. Nach ein paar Jahren in Köln zog es den Familienvater wieder zurück in sein Heimatdorf. Seit über 30 Jahren ist er hier bereits Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Als Brandschutzbeauftragter hat er deshalb schon viele Veranstaltungen von KulturPur live erlebt.
"Letztes Jahr sind wir an dem Tag oben gewesen, als dieser massive Sturm über Pfingsten war, wo dann die Simple Minds spielten, und wo wir die Rolle hatten, nach Schluss der Veranstaltung alle Festivalbesucher in den Zelten zu belassen, weil der Sturm halt gemeldet war. Und dann hörte aber Jim Kerr mit seinem Konzert so rechtzeitig auf, dass alle raus waren und eigentlich auch in den Bussen waren, und dann kam der Sturm. Ich war auch einer derjenigen, die dann am Zelt die Planen mit festgezurrt haben, damit das Zelt auch standhielt."
Am Pfingstmontag 2014 zog das Sturmtief Ela über Nordrhein-Westfalen hinweg. Böen mit Geschwindigkeiten von bis zu 145 Kilometern in der Stunde entwurzelten vor allem im Ruhrgebiet und in Düsseldorf mehrere tausend Bäume. Das Siegerland wurde von dem Sturm nur gestreift. Trotzdem erinnert sich Friedhelm Stötzel noch gut an die angespannte Lage während des Auftritts.
"Das war nicht ohne. Das ist einem von der Gefährlichkeit gar nicht so bewusst geworden. Also das war schon ... Wenn das da mal zu einer Katastrophe geführt hätte, hätte das natürlich einen sehr negativen Touch für das ganze Festival gegeben. Weil da gibt's keinen Schutz, das ist mitten im Wald. Man kann die Leute nicht irgendwo in Sicherheit bringen."
Zehn Tage dauert es, bis alle Zelte aufgebaut sind
Bei Jens von Heyden laufen alle logistischen Fäden zusammen. Er ist Organisationsleiter im Kulturbüro des Landkreises Siegen-Wittgenstein und begleitet KulturPur von Anfang an. Damals, 1991, war er vor allem für die Licht- und Tontechnik verantwortlich.
"Ich sag immer so im Spaß, ich bin eigentlich der Mitarbeiter, der wahrscheinlich am längsten da oben war, also von der reinen Zeit her gesehen. Weil ich natürlich schon da oben war, wenn da die Zelte aufgebaut werden, am Anfang das Einmessen. D.h. ich hatte da relativ von Aufbauanfang bis Abbauende eigentlich immer damit zu tun und war dann derjenige, der auch vor Ort war."
Begonnen hat das Festival mit nur einem Zelt, erinnert sich der Mittfünfziger. Heute sind es drei große Bühnenzelte, die mehrere tausend Zuschauer fassen. Dazu kommen etliche kleinere für die begleitende Gastronomie. Zehn Tage dauert es, bis die ganze Zeltstadt aufgebaut ist.
"Man fängt ja im Prinzip bei Nichts an. Wenn man in einer Halle oder in einem Gebäude so eine Veranstaltung durchzieht, dann ... wesentliche Parts sind da ja schon vollzogen, das heißt, es gibt ein Gebäude, es gibt eine Bühne, es gibt Stühle, es gibt Strom, und das bauen wir im Prinzip von Anfang an auf, das heißt, es ist ein Rasenplatz, und alles – Gebäude, inklusive der Ausstattung usw. – wird dort oben ja auch gebaut."
Mehr als 70 schwer beladene LKW fahren auf die Ginsberger Heide, randvoll mit Technik und Material für das Festival. Wie man die Belastung des Platzes, des Waldes und des angrenzenden Naturschutzgebietes trotzdem in Grenzen halten kann, darüber macht sich das Team immer wieder Gedanken.
"Wir konnten die Abfallmenge in den letzten fünf Jahren, ich meine, um 30 Prozent reduzieren, durch Einsatz von wiederverwendbarem Geschirr, durch teilweise biologisch abbaubare Behältnisse, durch Pfandsysteme usw. Wir konnten auch den Energieverbrauch dort oben reduzieren. Da hilft natürlich wieder die Technik. Unser Ansinnen war es immer, so wenig wie möglich Spuren zu hinterlassen. Und ich denke mal, das ist sehr, sehr gut gelungen."
Im Siegerland wurden auch die Niederlande gegründet - gewissermaßen
Um den Marktplatz von Hilchenbach herum stehen alte Fachwerkhäuser, der Boden ist mit Kopfsteinpflaster belegt. Ein Bach plätschert am Rathaus vorbei. Eine Schautafel zeigt die Umgebung der Kleinstadt im Rothaargebirge. Davor steht Wolfgang Suttner, der seit 25 Jahren das Zelttheaterfestival KulturPur organisiert. Mit seinen lockigen grauen Haaren, dem offenen schwarzen Sakko und einem roten Schal wirkt er wie eine Mischung aus Manager und Künstler.
"Hier ist der Hof Ginsberg, ein altes Forsthaus, sehr schön. Und hier ist die Ginsburg. Und die Ginsburg ist das Stammhaus der Nassau-Oranier. Die haben nichts Geringeres gegründet als die Niederlande. Und hier oben auf dem Gelände, da wo das Festival ist, war vor 450 Jahren oder wann war hier das Aufmarschgebiet der Truppen von Nassau-Oranien, um die Niederlande von Spanien zu befreien. Also die Entstehung der Niederlande ist hier."
Elf Kilometer sind es vom Zentrum der Kleinstadt bis hierher. Die Straße vom Tal windet sich an den bewaldeten Hängen des Rothaargebirges entlang, vorbei an einem Gourmet-Restaurant und einem Sexclub, immer weiter die Anhöhe hinauf. Während der Fahrt in seinem silbernen Coupé erzählt Wolfgang Suttner von den Anfängen des Festivals.
"Die Idee war rauszugehen in die Natur. Ganz tief im Wald musste das sein. Und da haben wir gedacht, das wär eine gute Idee, dort gehen wir hin. Da gibt es unglaublich viele landschaftliche Schönheiten. Da gibt es das Forsthaus, da gibt es die Burg, da gibt es einen Aussichtsturm und und und. Das ist wirklich sehr schön da oben. Aber liegt halt auf 600 Meter Höhe, wir werden das gleich sehen, da wird jetzt noch mehr Schnee liegen gleich. Wir hatten schon Festivals, wo es geschneit hat. Im letzten Jahr hatten wir durchgehend 40 Grad im Schatten. Das hab ich noch nie erlebt. Es war dermaßen heiß. Wir hatten auch schon Jahre, die waren komplett verregnet. Aber die letzten sechs Jahre waren toll."
Wo Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen
Das Wetter spielt vor allem für das Festival draußen eine große Rolle. Um die Bühnenzelte herum treten Kleindarsteller, Puppenspieler, Pantomimen und Artisten auf. Spielgeräte, Karussells oder Klangkörper warten unter freiem Himmel darauf, von Erwachsenen und Kindern entdeckt und ausprobiert zu werden. Die bunte Vielfalt lockt an den Veranstaltungstagen jedes Jahr mehr Besucher nach oben auf den "Giller", wie die Hilchenbacher die Anhöhe auch nennen.
"Wir sind jetzt praktisch auf den höchsten Stufen des Rothaargebirges und die Dörfer liegen ungefähr 200 Meter tiefer. Das ist richtig Bergland hier."
Wolfgang Suttner ist im Hauptberuf Kulturreferent für den Landkreis Siegen-Wittgenstein. Seit 1989 leitet er das Kulturbüro mit Sitz in Siegen. Von Anfang an wollte er mehr Kultur in die Provinz bringen, die Attraktivität der Region steigern und ihr, abseits von Großstädten wie Köln oder Frankfurt, ein eigenes kulturelles Profil geben. Das Kulturbüro will dabei nicht nur Geldgeber sein für Kultureinrichtungen im Landkreis, sondern organisiert auch selbst Veranstaltungen. Eine davon ist seit 1991 das Festival KulturPur.
"Ich finde auch, dass Kultur zunehmend die Aufgabe hat, andere Erlebniswelten zu bringen als diese ganz steifen Situationen in einem total perfekten Theater oder in einem Klassikkonzert, wo man steif geschnürt da sitzt und sich nicht bewegen kann."
Oben auf dem Giller ist viel Platz, um sich zu bewegen. Wanderwege durchziehen die Wälder rund um die Ginsberger Heide, die an diesem Morgen in dichten Nebel gehüllt ist. Das andere Ende des Platzes ist nicht zu sehen.
"Und wenn man jetzt hier dieses große, stille Gelände sieht und es ist nichts da – wir sagen immer: Das Festival findet da statt, wo Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen. Hier ist wirklich nichts los."
Jubiläumsfestival mit Eric Burdon, Jan Delay, UB40
"Wir gehen jetzt über den Sportplatz. Hier steht das kleine Zelt, Zelttheater, wie wir das nennen. Klein heißt: Kapazität von 600 Sitzplätzen, 1000 Stehplätze, mit eigener Bühne, eigener Crew. Das ist eine richtige Mannschaft, die dieses Zelt betreut. Und jetzt kommen wir hier auf ein Gebiet neben der Laufbahn, wo die Gastro-Fläche ist, riesengroß, bis dorthin, wo man im Nebel nix mehr sieht."
Seit über 80 Jahren wird die Freifläche auf der Ginsberger Heide von der Turngemeinde Hilchenbach-Grund genutzt. Einmal im Jahr gibt es hier einen Leichtathletik-Wettkampf, an dem Sportler aus der ganzen Region teilnehmen. Über die Pfingsttage richtet sich KulturPur auf dem Sportareal ein. Zum 25. Jubiläum konnten Wolfgang Suttner und sein Team wieder viele bekannte Künstler für das Festival gewinnen. Die Musikerlegende Eric Burdon hat zugesagt. Jan Delay, UB40 und der österreichische Liedermacher und Alpenrocker Hubert von Goisern geben ein Konzert. Christoph Maria Herbst kommt für eine Lesung, Wortakrobat Willy Astor unterhält mit schrägen Liedern und Geschichten.
"Das Festival ist ausgelastet zu 90 Prozent. Du kannst nicht alles gut verkaufen, weil man ja auch Experimente macht. Und was wir auch machen, ist ein großes, freies Programm für die Familien. Das ist etwas, was das Land Nordrhein-Westfalen auch mitfinanziert. Wir versuchen, durch kleine Theaterformen, die kleine Sachen spielen oder ganz besondere Walk Acts haben, die Familien, wenn die ganz junge Kinder haben, die jungen Familien auch in die Kultur reinzubringen."
Kabarettabende, Poetry-Slams, Schauspiel, Oper, Varieté – es gibt kaum ein Genre, das auf dem Giller noch nicht vertreten gewesen wäre. Das Konzept hat sich bewährt. Der Zulauf ist ungebrochen.
"Die kommen aus ganz Deutschland, im Wesentlichen natürlich auch aus der Umgebung. Und solche Nummern wie Jan Delay bringt 2.300, 2.400 verkaufte Tickets, ist dann voll, und ich wunder mich immer, wo die Leute herkommen. Und wenn es dann furchtbar regnet, kommen sie auch – also fantastisch."
Gutes Händchen für Künstler
Hartmut Kriems: "Wir waren zu viert. Das war der Wolfgang Suttner, der Kulturreferent des Kreises Siegen-Wittgenstein, das war der Michael Townsend, der war Kulturreferent der Stadt Kreuztal, hier unserer Nachbarstadt, und das war der Stephan Schliebs, der also Teil der Kulturarbeit für die Stadt Siegen gemacht hat, und ich. Und wir kannten uns von verschiedenen anderen Zusammenhängen, indem wir gemeinsam auf Messen waren. Und es kam dann die Idee auf, Mensch, können wir vier nicht zusammen mal eine größere Sache machen."
Hartmut Kriems war 1991 einer der vier Gründerväter des Festivals. Er und Wolfgang Suttner lernten sich bereits während ihrer Zivildienstzeit im Ruhrgebiet kennen. Nach dem Studium machte Suttner ihn auf die Stellenausschreibung des Gebrüder-Busch-Kreises in Hilchenbach aufmerksam. Der Kulturverein organisiert seit den 60er-Jahren einen großen Teil des Kulturprogramms in der Stadt und suchte einen neuen Leiter. Hartmut Kriems bekam die Stelle und blieb. An die Aufbruchstimmung bei der Gründung von KulturPur vor 25 Jahren kann er sich bis heute erinnern.
"Es fanden ja Veranstaltungen statt, die also in den kleineren Räumen, hier in den kleineren Theatern so nicht stattfanden, die wir aber da oben in dieses Zelt wunderbar reinmachen konnten, das war so ein großes Pantomimentheater, das Théatre de la mie de Pain. Dann hatten wir auch Rockveranstaltungen, es war ein großes Clownstheater aus Russland, aus Kiew da, und dann ein Figurentheater aus Tschechien, Theater Drak war das. Und da war richtig was los."
Das Geheimnis des Erfolges lag aber auch darin, dass sie ein gutes Händchen dafür hatten, wie man mit Künstlern umgeht, sagt der Pionier von damals.
"Und das ist von Anfang an gelungen, dass wir immer den persönlichen Kontakt zu den Künstlern gesucht haben, und die Künstler auch über die Veranstaltung hinaus betreut haben. Das wurde immer sehr gelobt vom Management der Künstler und von den Künstlern selbst, dass sie hier in ein wunderbar gemachtes Nest gekommen sind und vor allen Dingen an Spielorte gekommen sind, wo sie also ihre ganze Kraft verströmen konnten."
Ute Lemper wollte erst nicht im Zelt auftreten
BAP, Marla Glen, Juliette Gréco, Roger Chapman, Marianne Faithfull, Konstantin Wecker, Bob Geldof, 2Raumwohnung, Annett Louisan – nur einige der nationalen und internationalen Künstler bei KulturPur. Viele kamen sofort. Manche mussten erst überredet werden.
"Wir haben Neugierde geweckt. Es gab auch schwierige Künstler, die sich geziert haben: Nee, Zelt, da kommen wir nicht! Usw. Die dann aber hinterher ganz das Gegenteil von dem gesagt haben, was sie vorher gedacht haben. Also ich denke an Ute Lemper, die hat hier gesungen zusammen mit der Philharmonie und ihrer Band. Die war also hellauf begeistert hinterher, hat aber am Anfang sehr große Bedenken gehabt."
Die Philharmonie Südwestfalen ist jedes Jahr auf dem Giller zu Gast. Für das Jubiläumsjahr steht ein "Mords-Abend" auf dem Programm mit Musik, in der sich alles um das Dunkle und Böse in Oper, Kino oder Musical dreht.
"Egal, was wir machen, es ist immer ausverkauft. Weil die Leute zwar hier auch in die Konzertsäle gehen und man vom Musikgenuss in einem Konzertsaal sicherlich mehr erlebt als in einem Zelt, wo etliche Nebengeräusche sind. Da sind die Aggregate, die zwar in einiger Entfernung stehen, aber man hört immer ein Brummen. Aber hier geht es eben auch um die Atmosphäre, die die Leute genießen wollen. In dem Zelt zusammen, ja, vielleicht auch der Geruch vom Gras ringsum, Bäume sind grün, all diese Sachen, das ganze Ambiente, das ist eben das, was die Leute schätzen und lieben. Und da schaut man schon mal über das ein oder andere, was da störend wirken könnte, hinweg."
Ambiente und Atmosphäre sind Worte, die häufig fallen, wenn es darum geht, das Festival zu beschreiben. Von Anfang an waren es aber auch Veranstaltungen, die versuchten, ein bisschen innovativ oder verrückt zu sein, die einen bleibenden Eindruck beim Publikum hinterlassen haben.
"Zum Beispiel 'Die kleine Tierschau'. Die war hier beim ersten Programm, die kommen jetzt wieder. Bin mal gespannt, was die wiedererkennen, ob sie sich noch gut erinnern können oder wie das war."
Bei der kleinen Tierschau sind keine Tiere auf der Bühne. Die beiden Musiker aus Stuttgart treten gern in skurrilen, grell überzeichneten Kostümen auf, als Cowboys, Schlümpfe, Rockstars oder in Tiergewändern.
"Da waren sehr komische Sachen dabei. Ich hab jetzt keine Erinnerung an die Lieder, aber es war eine sehr schräge Veranstaltung."
Selbst der Förster macht mit
Hubertus Melcher: "Ich wohne direkt vor dem Festivalgelände, man könnte fast sagen, ich wohne im Festivalgelände. Also aus meinem Schlafzimmer habe ich Blick auf die großen KulturPur-Zelte, und die großen Boxen hängen 30, 40 Meter neben unserm Haus."
Mit seinem gestutzten Vollbart sieht Hubertus Melcher aus wie ein typischer Vertreter seines Berufsstandes. Auf seinem khakifarbenen Hemd prangt der Schriftzug seines Arbeitgebers "Wald und Holz", der Landesforstverwaltung von Nordrhein-Westfalen. Der Förster betreibt oben auf der Ginsberger Heide eines von insgesamt fünf Jugendwaldheimen des Landes.
"Ich wohne hier oben mit meiner Familie im Jugendwaldheim als Heimleiter und bekomme so seit 25 Jahren hautnah das Festival mit – ich bin also seit 26 Jahren hier als Heimleiter tätig – und bin vielleicht einer der ganz wenigen, die wirklich vom ersten Jahr an so ganz direkt mit der Durchführung des Festivals vertraut sind."
Seine Hauptaufgabe sieht Hubertus Melcher normalerweise darin, Besuchern den respektvollen Umgang mit der Ressource Wald zu lehren. Aber das verantwortungsvolle Zusammenspiel von Mensch, Tier und Vegetation weicht während des Festivals anderen Herausforderungen.
"Also uns hat dieses Festival damals schon, ich muss das so sagen, überrollt. Wir wussten überhaupt nicht, was auf uns zukam. Das war schon, das muss ich sagen, anfangs der Knaller. Wir mussten erst lernen, damit umzugehen, keine Frage. Also wenn nachts im Speiseraum irgendeine Musikergruppe auf dem Tisch da Step getanzt hat, dann war das nicht das, was wir von den Schulklassen kannten, die vorher bei uns zu Besuch waren."
Walk Acts machen den Flair aus
Schulklassen kommen wegen des Waldes, Festivalbesucher eigentlich nicht – aber sie lassen sich verführen. Die Umgebung wird oft in einzelne Programmpunkte miteinbezogen. Auf einer Laternenwanderung begegnen sie zum Beispiel theatral inszenierten Stationen aus den Grimm'schen Märchen. Oder werden von einem falschen Förster auf eine etwas andere Art und Weise durch den Wald geführt:
Dirk Bielefeldt: „Denken Sie einmal an die vielen kleinen Zecken, die jetzt in den Bäumen hocken, jederzeit bereit, sich auf einen warmblütigen Spaziergänger herabfallen zu lassen und sich ihm für eine gewisse Zeit anzuschließen. Ich möchte Sie daher bitten, bei ihrem nächsten Waldspaziergang Kopf und Hals einmal unbedeckt zulassen, um dem oft völlig ausgehungerten Spinnentier die Möglichkeit zur Nahrungsaufnahme zu geben. Sehen Sie, so wie der Herr dort! Als wahrer Naturfreund hat er sogar gleich auf den Großteil seiner Haare verzichtet! So ist es richtig. An ihm sollten wir uns ein Beispiel nehmen."
Hubertus Melcher: "Walk Acts, sowas kannte ich vorher gar nicht. Ich habe in den ersten Jahren wirklich viele Tränen vergossen, aber nicht der Trauer, sondern Tränen vor Lachen, wenn wir Dirk Bielefeldt haben auftreten sehen als Polizisten, der die Ginsberger Heide beschützt und Besuchergruppen verfolgt als Walk Act. ... Diese Walk Acts machen einen ganz großen Flair dieses Festivals aus, dass auf einmal Leute auftreten, großes Gelächter da ist und irgendwelcher Unsinn oder sonstwas verbreitet wird. Die kleinen Auftritte von kleinen Gruppen draußen auf einer Bühne, die Familien machen Picknick drumherum, ist schon irgendwie schön anzusehen."
Der Mischwald aus Buchen, Eichen, Fichten und Douglasien erstreckt sich auf dem Rothaargebirge bis hinunter in die Täler. Kaum zu glauben, dass der Name des Rothaargebirges weder etwas mit der Farbe Rot und schon gar nicht mit roten Haaren zu tun hat. Der Name könnte auf die Wendung "rod hardt" zurückgehen, was so viel heißt wie "gerodete Höhe". Vielleicht ein Hinweis darauf, wie begehrt das Holz hier schon früher als Rohstoff war. Heute hingegen ist der Kreis Siegen-Wittgenstein mit 70 Prozent Bewaldung der am dichtesten bewaldete Kreis der ganzen Bundesrepublik und wird von einem Netz aus Wanderwegen durchzogen.
"Hier sind viele Wandergruppen unterwegs, viele Einzelwanderer. Überhaupt ist die Ginsberger Heide, wo das KulturPur-Festival stattfindet, eins der beliebtesten, wenn nicht das beliebteste Naherholungsgebiet hier im Siegerland. An einem schönen Sonntag bei gutem Wetter kommen hier viele, viele Menschen, um zu wandern, um spazieren zu gehen, um zur Ginsburg zu laufen, auf den Giller Aussichtsturm zu steigen, auf den Spielplatz des Forstamtes zu gehen, Gastronomie ganz in der Nähe für Kaffee, Kuchen oder ein Siegerländer Krüstchen. Auf dem Sportplatz wird Fußball gespielt oder Boule gespielt. Also ist ein wirklich intensiv genutztes Naherholungsgebiet, und auch deshalb kommen, denke ich, viele gerne auf die Ginsberger Heide zu dem KulturPur-Festival. Das ist einfach hier in der Region so ein Begriff. Wir gehen mal 'auf den Giller', wie das so schön gesagt wird."
Hosenträger für Gilbert Bécaud? Kein Problem
Das Kulturfestival bringt den Alltag von Hubertus Melcher gehörig durcheinander. Das Jugendwaldheim ist über eine Tür direkt mit seinem Wohnhaus verbunden. Statt Schülergruppen zieht in dieser Zeit das Helferteam des Kulturbüros Siegen-Wittgenstein dort ein und verwandelt das zweistöckige Gebäude in die Schaltzentrale des Festivals vor Ort.
"Aufenthaltsräume für die Schüler werden zu Büro, Umkleideräume zu Materialräumen des Kulturbüros, die Küche kocht nicht für 30 Schüler, sondern verpflegt 150 bis 200 Personen, die in diesem Helferteam sind, und auch die Künstler werden zum Teil bei uns im Haus verpflegt. Die Besucher des Festivals gehen bei uns im Haus, ich sag's mal so platt, aufs Klo, sprich: Wir haben im Keller eine große Toilettenanlage, die eben von den Besuchern auch in dieser Zeit genutzt wird. Und daran sieht man schon, dass KulturPur-Festival für unser Haus schon so eine, ja, ich nenne das auch mal Hauptbelastungszeit ist, wo die Nerven halten müssen bei unserm Hausteam, wo die Technik halten muss. Aber ist natürlich auch für uns mal eine ganz spannende Abwechslung."
Und diese "Abwechslung" hat natürlich in den 25 Jahren so manche Anekdote hervorgebracht.
"Ich erinnere mich an eine Situation, das war Mitte der 90er-Jahre, lang ist's her, es klopft an der Tür und die Frage war: Mensch, Gilbert Bécaud braucht unbedingt einen Hosenträger. Kannst du uns nicht aushelfen? Oder es stand auch schon mal ein Stuhl aus unserm Wohnzimmer auf einer Bühne, weil man da nicht so einen Stuhl aus der Gastronomie, so einen Plastikstuhl brauchen konnte, sondern einen schicken Stuhl haben wollte, und dann stand halt unser Holzstuhl aus dem Wohnzimmer mal auf der Bühne."
Kaum Beschwerden seitens der Anwohner
In Hilchenbach-Grund gehen die Aufräumarbeiten gerade zu Ende – nicht extra wegen des Festivals, aber irgendwie doch auch schon. Auch in dem Ortsteil im Tal unterhalb der Ginsberger Heide war der Frühjahrsputz erfolgreich.
"Da haben wir ein Fass gefunden, das ist ein Jauchefass, das lag in einer alten Schlucht, wo früher der Müll reingeschmissen wurde. Da ist das Fass her, und da ist aber so viel Erde drin, da ist Wasser durchgeflossen und hat Erde reingespült. Das machen wir jetzt sauber und tun es denn bei dem Eisenschrott."
In Gummistiefeln kratzt Udo Schimski mit einem Spaten die Erde aus dem Fass und häuft sie auf einen Flecken Rasen vor der Alten Schule des Dorfes. Der 67-Jährige kümmert sich als Hauswart um das kleine Dorfgemeinschaftshaus mit seinem Kapellenturm, das schon lange nicht mehr als Schule benutzt wird. Heute versammeln sich die 380 Einwohner des Ortes hier zu Trauerfeiern oder zum Public Viewing.
Von hier aus ist das Gelände der Ginsberger Heide nur über einen Wanderweg durch den Wald vorbei an der Ginsburg zu erreichen. Eine direkte Zufahrt gibt es nicht. Trotzdem gehört das Festivalgelände offiziell noch mit zum Ortsteil Grund, erzählt Jörg Heiner Stein, der auch zur Aufräumaktion erschienen ist. Er arbeitet im Rathaus von Hilchenbach als Bürgerbeauftragter. Dafür, dass jedes Jahr zu Pfingsten mehrere 10.000 Menschen in den Ort einfallen, sind bis jetzt erstaunlich wenige Klagen aus den angrenzenden Ortsteilen auf seinem Schreibtisch gelandet, findet er.
"Es gab mal im Lauf der Jahre eine akustische Beschwerde, dass der Schall eben auch weit dringt. Auch dann in den Abendstunden noch. Das war aber eine Einzelbeschwerde, so dass man da eigentlich sagen kann, dass das kein Problem darstellt. Und ansonsten die Resonanz auf KulturPur ist eine sehr positive, die die Leute hat erkennen lassen über die Jahre, dass es für uns auch eine Werbung ist und eben ein super Angebot direkt um die Ecke. Das ist eine sehr schöne, jährlich wiederkehrende Sache."
Wasser auf der Sportanlage
Nicht alle Anwohner in Grund teilen die Begeisterung für das Festival in gleichem Maße. Udo Schimski, auch Mitglied des Turnvereins, betrachtet skeptisch die Folgen der tonnenschweren Aufbauten des Festivals für den Platz.
"Ja – KulturPur, klar. Das Gebiet, wo KulturPur stattfindet, das ist Grund, ich bin selbst Grunder, und wir sehen es gar nicht so gerne, weil wir auf diesem Platz, wo KulturPur stattfindet, dort richten wir ein Sportfest aus. Deshalb sind wir da gar nicht so erfreut drüber. Weil wir werden da Nachteile haben. Aber es ist nicht mehr wegzudenken, KulturPur hat einen guten Ruf, aber für uns schlecht. Für unseren Verein ist es schlecht. Die Sportanlage wird immer mehr verdichtet und das Wasser steht drauf. Für uns ist es schlecht.
Es ist ein fester Bestandteil geworden. Ist ja auch schön. Wird ja auch was geboten. Wenn Sie so fragen. Wir sind vom Turnverein, das ist unser Überleben da oben. Das Fest müssen wir machen, sonst können wir nicht überleben."
Mit einem Traktor wird das Jauchefass über den Boden gezogen und in den bereitgestellten Abfallcontainer gehievt. Währenddessen feiern die ersten Helfer in der Alten Schule bei einem Kaffee das Ende ihrer diesjährigen Aufräumaktion.
Jörg Heiner Stein ist seit 25 Jahren jedes Mal zu Besuch bei KulturPur. Wie viele andere Hilchenbacher freut er sich mit seinen Kindern über das Nachmittagsprogramm auf der Wiese oder trifft sich oben mit Bekannten und genießt das Flair der belebten Ginsberger Heide. Positive Langzeiteffekte für die Stadt wie gestiegener Umsatz oder mehr Übernachtungen kann er zwar nicht beziffern. Aber Hilchenbach wäre ohne das Festival um eine Attraktion ärmer, findet er. Gibt es Nachteile durch KulturPur?
"Was man wahrnimmt, gerade hier so als anliegendes Dorf, ist natürlich viel Verkehr, der dann zu den Veranstaltungen hin und wieder abfließt, ganz viel mit Bussen. Das wird immer hervorragend organisiert. Die Züge werden hochtaktiger gefahren bis zu Lützel. Also man nimmt das hier schon wahr, dass dann durchaus Durchgangsverkehr herrscht auf die Ginsberger Heide."
Museale Tradition trifft moderne Kultur
In dem kleinen Saal der Alten Schule hängen Erinnerungsstücke aus der Dorfgeschichte an den Wänden. An der einen Stirnseite erinnert ein Wandbild mit der Ginsburg an ein Dorfjubiläum von 1995. An der anderen Seite hängt eine Reihe von Kuhschellen. Die Schellen sind hier im Ort entstanden, erklärt Udo Schimski. In der Schmiede von Wilhelm Krämer, dem letzten Schellenschmied von Grund.
"Der Opa Krämer, hier ist er. Und das ist noch gar nicht so lange her. Wir haben zum Beispiel, der Winchenbach und ich, wir haben da noch mitgeholfen, die Schellen zu rollen. Und diese Schellen, die haben eine Bedeutung. Passen Sie mal auf. – Gib mir mal was Längeres! – Diese Schellen wurden den Kühen umgebunden. Die wurden auf den Berg getrieben und dort geweidet, weil es hier zu wenig Futter gab. Und deshalb kam der Hirte. Der hat diese Tiere mitgenommen auf den Berg, wo KulturPur stattfindet. ... Und da wurden die Kühe gehütet. – Jetzt gucken Sie hier: Wenn ich jetzt diese nehme. [schlägt eine Schelle an] Das war die Kuh, die am ruhigsten war, ganz ruhig. Und dieses hier, das war ein kleines Tier, was immer abhaute. Ein freches, weil man das hörte. Und so konnte der genau feststellen a) welche Kuh ist wo. Der konnte mal ein Nickerchen machen, da wusste er genau: Ah, die Kuh ist da, und die Kuh ist da. Und die Kleine – ist wieder weggelaufen."
Bis nach Amerika hat Wilhelm Krämer seine Messingschellen mit dem besonderen Klang damals verkauft. Die Schmiede steht heute nicht mehr in Grund. Sie wurde abgebaut und im Freilichtmuseum Hagen wieder aufgebaut.
Zwischen dem Schellenschmied aus Grund und dem Festival KulturPur liegen Welten. Dabei ist es gerade die Spannung zwischen den musealen Traditionen des Ortes, der landschaftlichen Schönheit des Rothaargebirges und dem bunten Kulturprogramm auf dem Giller, die für das Gelingen des Festivals entscheidend sind. In einer beliebigen Großstadt hätte KulturPur längst nicht das gleiche Flair. Und auch für Hilchenbach und seine dörflichen Gemeinden ist das Festival ein Gewinn. Die Kleinstadt wird nach außen attraktiver, und manche Bewohner sind sogar ein bisschen stolz, an einem Ort mit so einem großen Event zu leben.
15 Seiten Verpflegungswünsche der Stars
"So wir gehen jetzt auf den Zaun zu, der uns vom Hochmoor trennt. Das hat uns der Naturschutz hier aufgebaut, weil sie sagen: Achtung, Naturschutzgebiet! Hochmoor, seltene Pflanzen! Wenn wir jetzt weitergehen würden Richtung Skihang zu, würden wir hier im Hochmoor einsinken. Und wir hatten vor einigen Jahren Probleme mit unseren Naturschutzkollegen, die uns gesagt haben, sie hätten eine erhöhte Nährstoffzufuhr festgestellt. Die Brennnesseln wären so gut gewachsen. Da habe ich den Kollegen gefragt, was das denn soll? Da sagt er: Da pissen tausende von Leuten hin! Und daraufhin haben wir die Toilettenkapazität erhöhen müssen."
Festivalchef Wolfgang Suttner schlägt sich seit 25 Jahren mit vielen Problemen herum. Sponsoren finden, interessante Darbietungen und Künstler – darunter gerne auch Experimentelles, um zu zeigen, wie Kultur sich weiterentwickelt. Die Sonderwünsche mancher Stars berücksichtigen, wenn deren Verträge mal wieder 15 Seiten für die gewünschte Verpflegung enthalten. Und sich dem Lob und der Kritik von Publikum, Künstlern und Mitarbeitern stellen.
"Was die Künstler eben auch lieben und die Mitarbeiter ist, dass hier so eine Community entsteht auf die Zeit. Da sitzt man dann vor dem Haus oder auf der Wiese, Künstler sind dabei, hier vorne ist meistens das Catering. Und da hat schon Gary Moore gesessen, da haben The Whalers gesessen, BAP letztes Jahr, Mike Rutherford von Genesis und ganz viele große Leute. Und das, was wir tun, ist, eine sehr intensive Betreuung der Künstler zu machen. Wir versuchen, denen so ein Stück Urlaub zu vermitteln hier oben. Und das hat zum Beispiel bei Adel Tawil von Ich&Ich dazu geführt, dass er auf alle Fälle immer wiederkommen will. Und das ist was, was man bei so einem mittelgroßen Festival natürlich braucht, dass sich das so ein bisschen rumspricht."
(Musik Ich&Ich, live vom Festival): "Wir sind wieder zurück im Siegerland, und ich muss sagen, es fühlt sich gut an."
Opernhaus auf der Wiese
Im Jubiläumsjahr erhebt sich das große weiße Zelttheater sieben Tage lang in den Himmel über der Ginsberger Heide. 22 Meter hoch sind seine vier tragenden Masten. Und während drinnen die Musik spielt, es draußen langsam dämmert und die weiße Zeltplane stimmungsvoll beleuchtet wird, schleichen sich vielleicht auch wieder einige wagemutige junge Füchse neugierig zwischen die Zuschauer. So verbinden sich Kultur und Natur auf dem Festival zu einem Gesamterlebnis, schwärmt der für die Öffentlichkeitsarbeit des Kulturbüros zuständige Andreas Schmidt.
"Das Wort vom Gesamterlebnis trifft es schon sehr genau. Ich nenn es ganz gerne kathedraleskes Theaterzelt – weil es wirklich, wenn man drin ist, eine Kuppel hat, die sich über einem aufbaut, die teilweise illuminiert ist, ansonsten eben blau schimmert, wie ein Sternenhimmel, wenn da was ist. Es ist kein open air Konzert wie jetzt Wacken oder Rock am Ring, das kann man nicht sagen. Es ist eigentlich ein Opernhaus mitten in der Wiese. Es ist aber genauso gut ein internationaler Zirkus, den man da oben sieht. Es sind verschiedene Facetten, die da zusammentreffen, die eine Stimmung ausmachen, die man ich weiß nicht wo sonst noch in Deutschland findet. Ich weiß es wirklich nicht."
Und dass dieses Festival seit 25 Jahren weitgehend reibungslos in einer kleinen Stadt wie Hilchenbach stattfinden kann, dafür möchte Andreas Schmidt den Anwohnern auch einmal Danke sagen.
"Es ist tatsächlich nicht leicht, wenn man da 50-60.000 Leute am Wochenende einfallen hat, da die Geduld zu beweisen, wenn da wild geparkt wird oder man nicht mehr durchkommt, nicht mehr nach Hause kommt. Und trotzdem noch zu sagen, ich mag das Festival, ich finde es gut und ich geh da selber hin, das, finde ich, kann man auch mal sagen, das ist sehr nett von den Menschen, die da oben uns jedes Jahr aufs neue – 'ertragen' ist das falsche Wort, aber 'willkommen heißen' wäre vielleicht das richtige."
Neue Trends finden und umsetzen
Eine Woche vor dem Start treiben Arbeiter die ersten meterlangen Stahlnägel in den Boden der Ginsberger Heide, an denen die Zelte aufgespannt werden. Sobald das Festival läuft, kann Wolfgang Suttner sich etwas zurücklehnen. Er weiß, dass er sich auf die Mannschaften von der Technik, der Gastronomie, der Künstlerbetreuung und der Security voll verlassen kann. Und danach beginnt schon die Planung für das nächste Jahr. Denn die Lust darüber nachdenken, wie er das Festival zu einer einzigartigen Erlebniswelt für die Besucher hier im Siegerland machen kann, ist ihm noch lange nicht vergangen.
"Wir haben viele Leute hier gehabt, die wir dann verpflichten konnten, bevor sie ganz groß wurden. Und das ist der Spaß, den man am Festivalmachen hat, dass man auch ständig neue Trends findet und sie auch umsetzt. Die Leute sind begeistert und manche Sachen laufen wie verrückt. Manche auch nicht. Und ich denke, das ist auch das, was das Team begeistert. Also ins Gelingen verliebt zu sein."