Das Phänomen Haffner
Kalter Krieger, Vorkämpfer der Entspannung, Sturmgeschütz der APO. Die Dissertation über Sebastian Haffner beschreibt den publizistischen Werdegang des 1999 verstorbenen wirkmächtigen Autors und macht auch seine weltanschaulichen Wandlungen deutlich.
Das Leben eines Mannes zu beschreiben, der zu den größten deutschen Publizisten des 20. Jahrhunderts zählt und dessen frühe Autobiografie "Geschichte eines Deutschen" noch vor wenigen Jahren die Bestsellerlisten anführte: Das ist eine Aufgabe, in deren Angesicht dem Biografen eigentlich die Knie weich werden müssen. Jürgen Peter Schmied hat diese Herausforderung angenommen, indem er eine Ehrfurcht gebietende Materialfülle verarbeitet hat: Haffners Schriften aus über 50 Jahren, seinen Nachlass im Bundesarchiv, den er sogar selbst erschlossen hat (!), seine Tagebücher, Nachlässe von Weggefährten, Gespräche mit Haffners Kindern und mit Menschen, die ihn erlebt haben. So genau hat niemand vor ihm das Phänomen Haffner untersuchen können.
Herausgekommen ist aber keine Biografie. Mit seinem Titel kündigt der Verlag etwas an, was der Autor nicht halten kann. Das ist ärgerlich. Denn es handelt sich um eine Dissertation, eine wissenschaftliche Untersuchung des publizistischen Werdegangs des Mannes, der mit bürgerlichem Namen Raimund Pretzel hieß. Wenn man von den frühen Jahren absieht (Herkunft, Jugend, Studium, der Dandy im Berlin der ausgehenden 1920er-Jahre), dann streut Schmied fast verschämt nur einige wenige Kurzinformationen über Haffners Privatleben ein, als ob zu viel Privates die wissenschaftliche Sachlichkeit seiner Arbeit störe. Von einem Biografen hätte man (und sei es aus der Perspektive seiner Kinder) weit mehr erfahren wollen, welcher Mensch sich hinter dem Publizisten verbirgt. Schmied aber, den Doktoranden, interessierte der Publizist: "What made him tick?"
Schmied beschreibt Haffners mutigen Schritt, aus Liebe zu einer Frau, die in Nazideutschland als Jüdin galt, 1938 ins Exil nach Englang zu gehen – und den phänomenalen Erfolg, bald zu einem der einflussreichsten Journalisten der britischen Wochenzeitung "Observer" aufzusteigen, obwohl er erst lernen musste, Englisch zu schreiben. In Kommentaren und Kolumnen erklärt Haffner die Weltlage und gibt Handlungsanleitungen für die Politik. Er lässt keinen Zweifel, dass seine Sicht die richtige ist – und hat keine Skrupel, einige Jahre später die Dinge ganz anders zu sehen und mit ebenso breiter Brust seine neue Sicht zu verkünden. Schmied zeichnet dies mit einer Fülle von Zitaten nach und stellt die Zitate in den historischen Kontext (über den er gut informiert ist). Auf diese Weise erzeugt er eine gehörige Distanz zwischen seinen Haffner-kundigen Lesern und dem berühmten Publizisten.
Irgendwann fragt man sich unwillkürlich, ob Haffner mit seinen Kommentaren wirklich seriös und zurechnungsfähig war. Kann man einmal grell vor der sowjetischen Gefahr warnen und dann den Friedenswillen der Sowjets preisen? Kann man Adenauer einmal als überforderten Politiker von geringem Format darstellen und ihn dann als größten Staatsmann seit Bismarck rühmen? Vor allem die Radikalität, mit der sich Haffner seit seiner Rückkehr nach (West-) Berlin in den 50 Jahren wandelte, ist schwer nachvollziehbar. Kalter Krieger, Vorkämpfer der Entspannung, Sturmgeschütz der APO. Immer mit durchschlagenden Argumenten.
Schmied macht das Irritierende an diesen Wandlungen kenntlich. Das Problem an seiner Darstellung ist jedoch, dass er nicht weiterkommt. Er findet keine eigene Erklärung dafür, dass Haffner trotz seiner Widersprüchlichkeiten eine so große Überzeugungskraft hatte. Regelrecht gereizt beschreibt Schmied Haffners publizistische Husarenritte aufseiten der Studentenbewegung und seine Parteinahme für die neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition nach 1969. Hier wird Schmieds kritische Analyse zu einer Abrechnung mit Haffner, die einen schalen Beigeschmack hinterlässt.
Dass Haffner gerade durch seine kühnen Schwenks und seine Perspektivwechsel historische Zusammenhänge erkannte, die sich den üblichen Erklärungsmustern entzogen und dass er daraus seine Erklärungskraft zog: Dieser Gedanke kommt bei Schmied (vorsichtig ausgedrückt) zu kurz. Allzu deutlich ärgert er sich über seinen "Protagonisten", wie er ihn des Öfteren bezeichnet.
Das Buch ist nicht schlecht geschrieben, aber es fehlt (was Haffner für unabdingbar gehalten hätte): die gedankliche Pointe zur Erklärung des Phänomens Haffner, der Spannungsbogen in der Darstellung. Deshalb wird die Lektüre mit zunehmender Dauer ermüdend, und es überwiegt am Ende der Eindruck, dass noch einmal ein Geschichtswissenschaftler eine Abrechnung mit jenem Publizisten vornimmt, der die Zunft so sehr geärgert hat. Ist der Verdacht ganz abwegig, dass es ein Anliegen seines "verehrten akademischen Lehrer(s), Professor Dr. Klaus Hildebrand" war, einen arbeitshungrigen Junghistoriker an die Materialfront zu schicken, um noch einmal gegen den Mann zu Felde zu ziehen, gegen den zu Lebzeiten Haffners die Älteren bereits manche Schlacht geschlagen haben?
Besprochen von Winfried Sträter
Jürgen Peter Schmied, Sebastian Haffner. Eine Biographie,
C.H. Beck, München , 2010, 683 Seiten,
29,95 Euro
Links bei dradio.de:
Gespräch mit Jürgen Peter Schmied auf dem Blauen Sofa der Frankfurter Buchmesse 2010
Ein Großer der deutschen Publizistik - Jürgen Peter Schmied: "Sebastian Haffner"
Müßiggang gegen Weltherrschaft
Sebastian Haffner: "Das Leben der Fußgänger"
Herausgekommen ist aber keine Biografie. Mit seinem Titel kündigt der Verlag etwas an, was der Autor nicht halten kann. Das ist ärgerlich. Denn es handelt sich um eine Dissertation, eine wissenschaftliche Untersuchung des publizistischen Werdegangs des Mannes, der mit bürgerlichem Namen Raimund Pretzel hieß. Wenn man von den frühen Jahren absieht (Herkunft, Jugend, Studium, der Dandy im Berlin der ausgehenden 1920er-Jahre), dann streut Schmied fast verschämt nur einige wenige Kurzinformationen über Haffners Privatleben ein, als ob zu viel Privates die wissenschaftliche Sachlichkeit seiner Arbeit störe. Von einem Biografen hätte man (und sei es aus der Perspektive seiner Kinder) weit mehr erfahren wollen, welcher Mensch sich hinter dem Publizisten verbirgt. Schmied aber, den Doktoranden, interessierte der Publizist: "What made him tick?"
Schmied beschreibt Haffners mutigen Schritt, aus Liebe zu einer Frau, die in Nazideutschland als Jüdin galt, 1938 ins Exil nach Englang zu gehen – und den phänomenalen Erfolg, bald zu einem der einflussreichsten Journalisten der britischen Wochenzeitung "Observer" aufzusteigen, obwohl er erst lernen musste, Englisch zu schreiben. In Kommentaren und Kolumnen erklärt Haffner die Weltlage und gibt Handlungsanleitungen für die Politik. Er lässt keinen Zweifel, dass seine Sicht die richtige ist – und hat keine Skrupel, einige Jahre später die Dinge ganz anders zu sehen und mit ebenso breiter Brust seine neue Sicht zu verkünden. Schmied zeichnet dies mit einer Fülle von Zitaten nach und stellt die Zitate in den historischen Kontext (über den er gut informiert ist). Auf diese Weise erzeugt er eine gehörige Distanz zwischen seinen Haffner-kundigen Lesern und dem berühmten Publizisten.
Irgendwann fragt man sich unwillkürlich, ob Haffner mit seinen Kommentaren wirklich seriös und zurechnungsfähig war. Kann man einmal grell vor der sowjetischen Gefahr warnen und dann den Friedenswillen der Sowjets preisen? Kann man Adenauer einmal als überforderten Politiker von geringem Format darstellen und ihn dann als größten Staatsmann seit Bismarck rühmen? Vor allem die Radikalität, mit der sich Haffner seit seiner Rückkehr nach (West-) Berlin in den 50 Jahren wandelte, ist schwer nachvollziehbar. Kalter Krieger, Vorkämpfer der Entspannung, Sturmgeschütz der APO. Immer mit durchschlagenden Argumenten.
Schmied macht das Irritierende an diesen Wandlungen kenntlich. Das Problem an seiner Darstellung ist jedoch, dass er nicht weiterkommt. Er findet keine eigene Erklärung dafür, dass Haffner trotz seiner Widersprüchlichkeiten eine so große Überzeugungskraft hatte. Regelrecht gereizt beschreibt Schmied Haffners publizistische Husarenritte aufseiten der Studentenbewegung und seine Parteinahme für die neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition nach 1969. Hier wird Schmieds kritische Analyse zu einer Abrechnung mit Haffner, die einen schalen Beigeschmack hinterlässt.
Dass Haffner gerade durch seine kühnen Schwenks und seine Perspektivwechsel historische Zusammenhänge erkannte, die sich den üblichen Erklärungsmustern entzogen und dass er daraus seine Erklärungskraft zog: Dieser Gedanke kommt bei Schmied (vorsichtig ausgedrückt) zu kurz. Allzu deutlich ärgert er sich über seinen "Protagonisten", wie er ihn des Öfteren bezeichnet.
Das Buch ist nicht schlecht geschrieben, aber es fehlt (was Haffner für unabdingbar gehalten hätte): die gedankliche Pointe zur Erklärung des Phänomens Haffner, der Spannungsbogen in der Darstellung. Deshalb wird die Lektüre mit zunehmender Dauer ermüdend, und es überwiegt am Ende der Eindruck, dass noch einmal ein Geschichtswissenschaftler eine Abrechnung mit jenem Publizisten vornimmt, der die Zunft so sehr geärgert hat. Ist der Verdacht ganz abwegig, dass es ein Anliegen seines "verehrten akademischen Lehrer(s), Professor Dr. Klaus Hildebrand" war, einen arbeitshungrigen Junghistoriker an die Materialfront zu schicken, um noch einmal gegen den Mann zu Felde zu ziehen, gegen den zu Lebzeiten Haffners die Älteren bereits manche Schlacht geschlagen haben?
Besprochen von Winfried Sträter
Jürgen Peter Schmied, Sebastian Haffner. Eine Biographie,
C.H. Beck, München , 2010, 683 Seiten,
29,95 Euro
Links bei dradio.de:
Gespräch mit Jürgen Peter Schmied auf dem Blauen Sofa der Frankfurter Buchmesse 2010
Ein Großer der deutschen Publizistik - Jürgen Peter Schmied: "Sebastian Haffner"
Müßiggang gegen Weltherrschaft
Sebastian Haffner: "Das Leben der Fußgänger"