Das Politikum aus der Lästerecke

Von Anne-Dore Krohn |
Die Wahrheits-Seite der "Taz" ist als Forum für ungehemmtes Lästern bekannt. Der Artikel "Polens neue Kartoffel" aus der Rubrik "Schurken, die die Welt beherrschen wollen" ist nun aus der Tratschecke in die Politik geraten. Lech Kaczynski, um den es hier ging, hat ein geplantes Treffen mit Merkel und Chirac in letzter Minute abgesagt. Offiziell wegen einer Magenverstimmung.
Zitat aus der "Taz": "Seit Lech Kaczynski als Zwölfjähriger mit seinem Zwillingsbruder Jarosalaw für den Spielfilm "von zweien, die den Mond stahlen" allerlei krumme Streiche ausheckte, ist ihm sogar der Mond näher als Deutsch- oder Russland. Dass die zwei vorne wie hinten sauber sind, haben sie bewiesen: Lech, der öffentliche Hinterteile an Warschaus Männern mehrmals verbot, mehr noch Jaroslaw, der mit der eigenen Mutter zusammenlebt, aber wenigstens ohne Trauschein."

Die Satire aus der Lästerecke der "Taz" hat sich zur Staatsaffäre entwickelt: Polens Regierung ist empört. Der Artikel sei geschmacklos und ekelhaft. Die deutsche Regierung wurde aufgefordert, klare Kritik an dem Text zu äußern, Polens Außenministerin Anna Fotaya verglich die auch in Polen als linksliberal bekannte "Taz" sogar mit dem Nazi-Hetzblatt "Der Stürmer".

Anna Fotaya: "Das ist eine Vermischung von Politik und Obszönität. Solche Verbindung muss die Assoziierung mit historischen Fakten wecken, z.B. mit der politischen Sprache, die vom Stürmer genützt wurde."

Lech Kaczynski hat ein geplantes Treffen mit Merkel und Chirac in letzter Minute abgesagt. Offiziell wegen einer Magenverstimmung, doch eine medizinische Notbehandlung, so hieß es, sei nicht nötig gewesen. Hartnäckige Gerüchte hielten sich, dass die Satire dem Präsidenten buchstäblich auf den Magen geschlagen sei.

Bascha Mika, Chefredakteurin der "Taz", rechtfertigt die Satire als journalistische Form der Kritik:

"Ich bin davon überzeugt, dass Satire ganz hart an die Grenzen gehen muss. Und dann kann man sich immer noch überlegen: Überschreitet sie diese Grenzen, wird sie wirklich geschmacklos? Und ich gebe gerne zu, dass man darüber streiten kann, ob nicht auch unsere Satire über Lech Kaczynski an einigen Stellen ins Geschmacklose abgleitet."

Die Warschauer Korrespondentin der "Taz" wird geschnitten. Aber auch andere Korrespondenten müssen in diesen Tagen jedes Wort auf die Goldwaage legen, so Thomas Rautenberg, ARD-Korrespondent in Warschau:

"Man überlegt genau, was man sagt und was man nicht sagt, nicht weil man Angst hat, sondern weil ich einfach der festen Überzeugung bin, dass der Inhalt dieser Geschichte es überhaupt nicht wert ist, dass daraus eine Staatsaffäre wird. Und wenn es tatsächlich so sein sollte, dass der Präsident sich zurückgezogen hat von diesem Gipfel wegen dieses Artikels, dann ist das ein ganz großer Fehler gewesen, denn nicht die "Taz" macht europäische Politik, sondern die Präsidenten machen europäische Politik."