Deutschlands jüdische Landkarte
Wenn Sie wissen wollen, welche jüdischen Geschichten sich bei Ihnen um die Ecke abgespielt haben oder welches jüdische Café es dort heute gibt, können Sie unter jewish-places.de nachschlagen. Betreiber der neuen Internetseite ist das jüdische Museum Berlin.
1609 jüdische Orte in ganz Deutschland verzeichnet die Website: Furtwangen und Bad Dürrheim im Süden genauso wie Weimar und Erfurt im Osten, Geilenkirchen im Westen oder Elmshorn im Norden. Und sie lädt Spaziergänger ein, jüdische Vergangenheit und Gegenwart ihrer Region zu erwandern. Barbara Thiele ist im jüdischen Museum Berlin für digitale Projekte zuständig.
"Wir haben Personen, wir haben Spaziergänge, wir haben Orte und wir haben Einrichtungen."
Das Programm versucht, jüdisches Leben in Deutschland umfassend zu dokumentieren, die Geschichte genauso wie die Gegenwart. Sobald man auf eine der Kategorien klickt, öffnet sich eine geografische Karte, um sich zum Beispiel eine Personenbiografie anzusehen.
"Jetzt kann ich mir entweder direkt auf der Karte eine Person auswählen oder auf eine Liste klicken. Dann sehe ich gleich im Überblick, welche Person mich interessiert. Ich klicke mal eine Person an, Leo Trepp. Ich kann jetzt auf den Marker auf der Karte klicken und es öffnet sich auf der linken Seite ein sogenanntes Info Panel, so nennen wir das, wo man jetzt eine Abbildung von Leo Trepp sieht und man sieht hier ist eine Biografie mit zwölf Stationen."
Jüdisches Leben in Deutschland umfassend dokumentieren
Das Programm führt den Nutzer anhand der Stationen durch das Leben des letzten Rabbiners, der während der Naziherrschaft ordiniert wurde. Immer mit Bildern und einer Kartenansicht kann man nachverfolgen wie der 1913 in Mainz geborene Leo Trepp zuerst in Würzburg dann in Berlin studiert. Auf einem Foto lernen wir Esriel Hildesheimer kennen, den Begründer des neoorthodoxen Rabbinerseminars in Berlin. Dort studiert Trepp. 1936 wird er Landesrabbiner in Oldenburg, da regieren schon die Nationalsozialisten. Wir sehen den Innenraum der Oldenburger Synagoge. Dann wird er ins KZ Sachsenhausen verschleppte. Man entlässt ihn, 1938, mit der Auflage Deutschland zu verlassen. Er emigriert in die USA. Dort arbeitet er weiter als Rabbiner.
Später wird er immer wieder nach Deutschland kommen, um besonders Jugendlichen von seinen Erfahrungen als Jude in Deutschland zu berichten. Derartige Biografien gibt es bislang momentan nur 20, aber das Programm bietet sehr viel mehr.
"Ich könnte jetzt zum Beispiel meine Heimatstadt Nürnberg eingeben, in das Suchfeld, wie man das bei Google kennt, und die Karte springt jetzt automatisch nach Nürnberg und jetzt kriege ich die ganze Chronologie der jüdischen Geschichte oder des jüdischen Lebens in Nürnberg angezeigt und kriege auch noch einen Beschreibungstext."
Die Daten mehrerer Portale in einem zusammengefasst
Insgesamt bietet das Portal momentan etwa 8500 Einträge. Neben einigen Biografien und Stadtspaziergängen, Tausende Orte und Einrichtungen. Die erste Idee für ein solches einheitliches Portal entstand 2014, erklärt Barbara Thiel.
"Es wurde einfach festgestellt, dass es ganz, ganz viele Websites bereits im Netz gibt, die Orte jüdischen Lebens sammeln. Alemannia Judaika, Synagogeninfo. Es gibt das Steinheim Institut und so weiter. Und viele dieser Projekte sind oft so kleine Einmannprojekte, die irgendwann in den Neunzigern losgegangen sind und einen unglaublich reichhaltigen Schatz an Daten haben."
Jewish-places ist jetzt also der Versuch, all diese unterschiedlichen Projekte benutzerfreundlich im Netz zusammenzubinden. Was aber genau ist ein jüdischer Ort? Leontine Meijer van Mensch, die Programmdirektorin des Jüdischen Museums.
"Und es ist natürlich vor allem, wenn wir über die Gegenwart reden, ganz spannend. Ist ein jüdischer Ort ein jüdisches Restaurant? Ist ein jüdischer Ort ein Ort, wo junge Juden heutzutage zusammenkommen, um ein Bier zu trinken? Und wer sind wir als jüdisches Museum und auch die anderen Institutionen, um das von vornherein schon festzulegen. Und da hoffen wir uns als Museum, dass da auch eine dynamische Seite entsteht, wo auch gerade solche Fragen verhandelt werden."
Mitmachen erwünscht
Wem Wissenswertes zum jüdischen Leben unter den Nägeln brennt, der kann die Einträge ergänzen – egal, ob er Hobbyhistoriker, Wissenschaftler, Jude oder Nicht-Jude ist. Das funktioniert ganz ähnlich wie bei Wikipedia, sagt Leontine Meijer van Mensch.
"Ich kann was reinstellen und jemand anderes kann sagen, wo ja ist das ein jüdischer Ort? Ich finde diesen Ort viel jüdischer."
Wenn aber jeder mit ein paar Mausklicks Inhalte ändern oder neue hinzufügen kann, sind Fehler und auch gezielte Falschmeldungen möglich. Das nimmt das Projekt aber bewusst in Kauf. Das Potenzial der vielen Nutzer, die etwas zum Judentum wissen und beitragen können, sei gewaltig, sagt Leontine Meijer van Mensch.
"Leider ist es so, dass wir häufig über die Gefahren nachdenken, wenn wir über jüdische Geschichte und Gegenwart nachdenken, aber ich würde doch sehr stark die Potenziale, die diese Seite hat, noch mal hervorrufen wollen."
So wie die Programmchefin des jüdischen Museums darauf setzt, dass diejenigen, die das Portal verwenden, selber eigene Inhalte beisteuern, vertraut sie auch beim Schutz der Seite auf die Mithilfe der zukünftigen Nutzer.
"Die dann auch ein Auge darauf halten, weil es auch so ein geteiltes Eigentum ist. Man verbindet sich irgendwie mit dieser Seite, man verbindet sich mit dem, wofür es steht, was wir damit wollen."
Die Chancen dafür stehen gut, denn jüdisches Leben und jüdische Geschichte, gerade auch außerhalb der Großstädte, hat ab sofort eine gewichtige Adresse im Internet: jewish-places.de.