Das Raubtier in der Frau
Die israelische Schriftstellerin Alona Kimhi schreibt satirisch und bitter über die drei Freundinnen und ihre Probleme mit der Männerwelt. Am Ende des Romans verwandelt sich die Heldin Lilly ganz kafkaesk in eine Tigerin. Mithilfe karikaturenhafter Figuren und einer absurden Handlung schildert Kimhi den israelischen Lebensstil und das Geschlechterverhältnis in allen Facetten.
Lilly hatte es schon immer mit den Zähnen. Die Tochter von Holocaustüberlebenden kommt mit einem kompletten Milchgebiss auf die Welt. Zeichen zukünftiger Größe, mutmaßen die stolzen Eltern. Aber Lilly entwickelt sich ganz unauffällig. Mit Dreizehn dann schlägt sie sich beim Masturbieren die Vorderzähne aus.
So fließen die Ersparnisse der Eltern, Kleindarsteller eines jiddischen Theaters, statt in ihre künstlerische Ausbildung in die Praxis eines rumänischen Zahnarztes. Der befingert seine Patientin nicht nur im Mund, sondern auch unter dem Rock. Lilly, weder kleinlich noch wählerisch, beschließt, später Dentalhygienikerin zu werden.
"Lilly die Tigerin" heißt der neue Roman der israelischen Autorin Alona Kimhi. Lilly, mittlerweile eine junge Frau, wiegt 112 Kilogramm und ist mit sich und der Welt zufrieden. Mehr oder weniger. Der Zahnarzt, bei dem sie inzwischen arbeitet, behandelt sie ähnlich wie einst sein Kollege.
Lillys Liebhaber ist Offizier der israelischen Armee. Wenn er am Wochenende abgeschlafft aus dem besetzten Westjordanland heimkehrt, muss Lilly ihm ihr üppiges Hinterteil entgegenrecken, etwas Arabisch stammeln, und schon steht er wieder stramm. Lilly, eine sehr körperliche Frau, schätzt geballte Männlichkeit. Dennoch wird sie verlassen, weil sie nicht in das Hochzeitskleid passt.
Lilly ist die Ich-Erzählerin und eine der drei Heldinnen des Romans. Ihre beste Freundin heißt Ninusch. Eine hypnotische Schönheit, solange sie den Mund nicht aufmacht, Seele von Frau, die jeden, der sie darum bittet, mit Oralsex verwöhnt. Ninusch wird regelmäßig von ihrem eifersüchtigen Freund Leon verprügelt. Natürlich nur, weil er sie über alles liebt. Er spendiert ihr auch ein neues Gebiss, denn Ninusch, die aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel eingewandert ist, trägt schrecklich schwarze Stummel im Mund. Ihrer Karriere ist das nicht förderlich, sie arbeitet als Prostituierte und Leon will doch das berufliche Fortkommen seiner Geliebten unterstützen.
Die Dritte im Frauenbunde ist Michaela, eine resolute Taxifahrerin. Von ihrem Mann verlassen und der gemeinsamen Kinder beraubt, freundet sie sich mit Lilly an und verliebt sich in Ninusch.
Schauplatz der von Kimhi turbulent angelegten Geschichte ist Tel Aviv. Die Autorin zeichnet die Mittelmeermetropole als eine Großstadt wie jede andere auch: hässlich, laut und kaputt. Satirisch schildert sie israelischen Lebensstil. Rotzig, provokant, dabei psychologisch versiert, porträtiert Alona Kimhi Machotum, Konsumwahn, Karrieredenken und Neurosen einer Einwanderergesellschaft, deren Mythen nur mehr Anlass zu Witzen geben.
Tragisch ist nichts, bitter und melodramatisch dagegen Vieles. Im Kern geht es der Autorin um das Geschlechterverhältnis. In aberwitzigen Szenen beschreibt sie das Verhältnis zwischen Mann und Frau in allen Facetten: Zuneigung, Abhängigkeit, Fürsorglichkeit, Gewalt, Sex, Ausbeutung. Ihre Figuren, verzerrt bis an den Rand der Karikatur, werden zum Personal eines fantastischen Comics. Die absurde Handlung bekommt so eine Zwangsläufigkeit, die jeden herkömmlichen Roman zum Einsturz bringen würde. Kimhi aber, die sich als feministische Autorin versteht, hat in bester Kolportagetradition einen klugen, streitbaren und unterhaltsamen Roman über starke Frauen geschrieben.
Ihre Protagonistinnen sind zwar gebeutelt, doch vitale, stolze Geschöpfe. Sie leiden unter sexbesessenen, beschränkten Männern. Nicht, weil diese an sich brutal oder dumm sind, sondern weil die gegebenen Machtverhältnisse kaum etwas anderes zulassen. Kimhi zeigt, wie Frau sich behauptet. Wie sie pragmatisch, mit Humor und Tatkraft, ihr Leben in die Hand nimmt. Oder in die Tatze: Lilly macht eine schleichende Metamorphose durch. Nachdem ein japanischer, transsexueller Philosoph ihr ein Tigerbaby geschenkt hat, verliert sie ihr Fett, obwohl ihr Appetit zunimmt. Ihre Sinne schärfen sich, ihre Kraft wächst. Auch ihre Zähne verändern die Form.
Kimhi kennt ihren Kafka. Dessen männlicher Held Gregor Samsa findet sich zu Beginn seiner Geschichte in einen Käfer verwandelt. Kimhi persifliert "Die Verwandlung". Am Ende ihres Romans ist aus Lilly eine Tigerin geworden. Sie fühlt sich zunehmend wohl in ihrer neuen Haut, pardon, ihrem neuen Fell. Nimmt Rache an den Männern und macht sich dann, von der taxifahrenden Freundin mit einer Landkarte ausgerüstet, auf den Weg nach Bengalen. Dorthin, wo Tiger geschützt sind.
Alona Kimhi: Lilly die Tigerin
Aus dem Hebräischen von Ruth Melcer
Carl Hanser Verlag, München 2006
357 Seiten, 19,90 Euro
So fließen die Ersparnisse der Eltern, Kleindarsteller eines jiddischen Theaters, statt in ihre künstlerische Ausbildung in die Praxis eines rumänischen Zahnarztes. Der befingert seine Patientin nicht nur im Mund, sondern auch unter dem Rock. Lilly, weder kleinlich noch wählerisch, beschließt, später Dentalhygienikerin zu werden.
"Lilly die Tigerin" heißt der neue Roman der israelischen Autorin Alona Kimhi. Lilly, mittlerweile eine junge Frau, wiegt 112 Kilogramm und ist mit sich und der Welt zufrieden. Mehr oder weniger. Der Zahnarzt, bei dem sie inzwischen arbeitet, behandelt sie ähnlich wie einst sein Kollege.
Lillys Liebhaber ist Offizier der israelischen Armee. Wenn er am Wochenende abgeschlafft aus dem besetzten Westjordanland heimkehrt, muss Lilly ihm ihr üppiges Hinterteil entgegenrecken, etwas Arabisch stammeln, und schon steht er wieder stramm. Lilly, eine sehr körperliche Frau, schätzt geballte Männlichkeit. Dennoch wird sie verlassen, weil sie nicht in das Hochzeitskleid passt.
Lilly ist die Ich-Erzählerin und eine der drei Heldinnen des Romans. Ihre beste Freundin heißt Ninusch. Eine hypnotische Schönheit, solange sie den Mund nicht aufmacht, Seele von Frau, die jeden, der sie darum bittet, mit Oralsex verwöhnt. Ninusch wird regelmäßig von ihrem eifersüchtigen Freund Leon verprügelt. Natürlich nur, weil er sie über alles liebt. Er spendiert ihr auch ein neues Gebiss, denn Ninusch, die aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel eingewandert ist, trägt schrecklich schwarze Stummel im Mund. Ihrer Karriere ist das nicht förderlich, sie arbeitet als Prostituierte und Leon will doch das berufliche Fortkommen seiner Geliebten unterstützen.
Die Dritte im Frauenbunde ist Michaela, eine resolute Taxifahrerin. Von ihrem Mann verlassen und der gemeinsamen Kinder beraubt, freundet sie sich mit Lilly an und verliebt sich in Ninusch.
Schauplatz der von Kimhi turbulent angelegten Geschichte ist Tel Aviv. Die Autorin zeichnet die Mittelmeermetropole als eine Großstadt wie jede andere auch: hässlich, laut und kaputt. Satirisch schildert sie israelischen Lebensstil. Rotzig, provokant, dabei psychologisch versiert, porträtiert Alona Kimhi Machotum, Konsumwahn, Karrieredenken und Neurosen einer Einwanderergesellschaft, deren Mythen nur mehr Anlass zu Witzen geben.
Tragisch ist nichts, bitter und melodramatisch dagegen Vieles. Im Kern geht es der Autorin um das Geschlechterverhältnis. In aberwitzigen Szenen beschreibt sie das Verhältnis zwischen Mann und Frau in allen Facetten: Zuneigung, Abhängigkeit, Fürsorglichkeit, Gewalt, Sex, Ausbeutung. Ihre Figuren, verzerrt bis an den Rand der Karikatur, werden zum Personal eines fantastischen Comics. Die absurde Handlung bekommt so eine Zwangsläufigkeit, die jeden herkömmlichen Roman zum Einsturz bringen würde. Kimhi aber, die sich als feministische Autorin versteht, hat in bester Kolportagetradition einen klugen, streitbaren und unterhaltsamen Roman über starke Frauen geschrieben.
Ihre Protagonistinnen sind zwar gebeutelt, doch vitale, stolze Geschöpfe. Sie leiden unter sexbesessenen, beschränkten Männern. Nicht, weil diese an sich brutal oder dumm sind, sondern weil die gegebenen Machtverhältnisse kaum etwas anderes zulassen. Kimhi zeigt, wie Frau sich behauptet. Wie sie pragmatisch, mit Humor und Tatkraft, ihr Leben in die Hand nimmt. Oder in die Tatze: Lilly macht eine schleichende Metamorphose durch. Nachdem ein japanischer, transsexueller Philosoph ihr ein Tigerbaby geschenkt hat, verliert sie ihr Fett, obwohl ihr Appetit zunimmt. Ihre Sinne schärfen sich, ihre Kraft wächst. Auch ihre Zähne verändern die Form.
Kimhi kennt ihren Kafka. Dessen männlicher Held Gregor Samsa findet sich zu Beginn seiner Geschichte in einen Käfer verwandelt. Kimhi persifliert "Die Verwandlung". Am Ende ihres Romans ist aus Lilly eine Tigerin geworden. Sie fühlt sich zunehmend wohl in ihrer neuen Haut, pardon, ihrem neuen Fell. Nimmt Rache an den Männern und macht sich dann, von der taxifahrenden Freundin mit einer Landkarte ausgerüstet, auf den Weg nach Bengalen. Dorthin, wo Tiger geschützt sind.
Alona Kimhi: Lilly die Tigerin
Aus dem Hebräischen von Ruth Melcer
Carl Hanser Verlag, München 2006
357 Seiten, 19,90 Euro