Das Rebellendorf Ermershausen
Das Dorf Ermershausen im unterfränkischen Kreis Haßberge gehört zu den kleinsten Gemeinden Bayerns. Wer heute die dortige Idylle sieht, kann kaum glauben, dass im Mai 1978 2000 Polizisten den Ort hermetisch abriegelten, das Rathaus stürmten und in einer 20-minütigen Blitzaktion kistenweise die Gemeindeunterlagen beschlagnahmten.
Der Ort hatte sich wochenlang geweigert, die Unterlagen an die Großgemeinde Maroldsweisach, dem Ermershausen im Zuge der Gebietsreform zugeschlagen werden sollte, herauszugeben. Ermershausen hatte damals alle Kriterien für eine selbstständige Gemeinde erfüllt und sollte trotzdem "geopfert" werden. Einige dachten damals sogar an "Republikflucht" ins benachbarte Thüringen. Der "Freiheitskampf" der widerspenstigen Ermershäuser zog sich noch 16 Jahre hin.
Nach einer Umfrage, in der 1993 über 90 Prozent der Bürger für die Unabhängigkeit votierten, wurde dem Dorf am 1. Januar 1994 seine Eigenständigkeit zurückzugeben.
Eine weiß getünchte Kirche, ein helles Rathaus, eine Dorfstraße. Das ist Ermershausen in Unterfranken: 600 Menschen wohnen hier, die Grenze zu Thüringen liegt vor der Haustür. Ein Dorf, das endlich zur Ruhe gekommen ist. Denn die stürmischen Zeiten des Ortes sind längst vergangen.
Rotenhan: "Vor dem Rathaus steht noch die berühmte Freiheitsglocke, aber die ist auch mehr Symbol und ansonsten ist da nichts mehr."
Die Freiheitsglocke vor dem Rathaus erinnert an den 16 Jahre dauernden Kampf des Dorfes um die Selbständigkeit. Er beginnt im Mai 1978. Als ein Reporter des Bayerischen Rundfunks Ermershausen besucht, trifft er auf einen Ort im Ausnahmezustand.
Reporter Hans Friedrich (für die Welle Mainfranken vor dem Ermershäuser Rathaus, 18.5. 1978, Quelle: Schellenberger):
"Sirene, Glockengeläute, Schulkinder, die die Rathaustreppe mit Plakaten besetzt halten, Pulks empörter Bürger, das ist das Bild, das sich dem Durchfahrenden zur Zeit in der Gemeinde Ermershausen im Landkreis Haßberge bietet. Grund des Ganzen: Die Gebietsreform, die auch nach dem 1. Mai hier hohe Wellen schlägt."
In ganz Bayern wird die Anzahl der Gemeinden von 1972 bis 78 von rund 7000 auf etwa 2000 verringert. Die Gebietsreform soll die Verwaltung vereinfachen und helfen, Kosten zu sparen.
Auch Ermershausen soll in den Nachbarort Maroldsweisach eingemeindet werden, der nur zwei Kilometer entfernt liegt. Aber das Dorf wehrt sich gegen den Verlust der Selbständigkeit.
Es klagt beim Verwaltungsgericht, dann beim Verfassungsgericht des Freistaats. Die Klagen werden später abgewiesen, erinnert sich Altbürgermeister Adolf Höhn.
Höhn: "Gerichtstenor war: Ermershausen hat die Voraussetzung, kann jederzeit selbständig mit einer größeren Einheit in Verwaltung gehen, aber Ermershausen muss hinnehmen, dass es sein Vermögen und seine Steuerkraft in Maroldsweisach einbringt, um dort die Finanzkraft zu stärken. Da habe ich gesagt: So nicht! Wenn wir die Voraussetzung haben, um selbständig bleiben zu können, dann wollen wir es!"
Um die geplante Übergabe der Gemeindeakten an Maroldsweisach zu verhindern, haben die Bürger Wachposten aufgestellt – auch in der Nacht vom 18. auf den 19. Mai 1978.
Adolf Höhn: "”Die waren da am Rathaus und haben auf dem Bänkle gesessen und haben halt die Nacht durchgewacht, auf einmal kamen die angefahren, wollten in die Kirche springen, wollten Schutz sich suchen, weil sie gemerkt haben: Ist Polizei, und dann haben sie sie aus der Kirche rausgezerrt, und einer, das war der Nachbar, der hat da gerade Nachtdienst gemacht, der Wirt, und da hat der geschrieen: Hilfe, Hilfe, wir werden überfallen.""
Dorfbürgermeister Adolf Höhn reagiert sofort.
Höhn: "Da hab ich im Schlafzimmer das Fenster aufgemacht und habe zum Rathaus rübergeschaut. Da brennt eine Lichtgiraffe! Lauter weiße Helme sieht man da herumspringen, habe ich gesagt: Jetzt wird’s ernst. Da bin ich runter im Büro, habe mich ans Telefon gesetzt, habe Presse, Rundfunk, Fernsehen angerufen: Kommt sofort, da tut sich was."
Tatsächlich tut sich einiges im Dorf: Mehrere Hundertschaften der bayrischen Bereitschafts- und Landespolizei unter Leitung der Polizeidirektion Schweinfurt riegeln den Rathausplatz ab und holen die Ermershäuser Akten aus dem Rathaus. Das Dorf ist in hellem Aufruhr.
Lederer: "”Die Bevölkerung hat das ruck-zuck mitgekriegt, die haben mit Sicherheit geahnt, dass da was kommt jetzt, und man kann sagen innerhalb von Minuten war die ganze Ortsbevölkerung auf den Beinen.""
Aus Protest gegen den Polizeieinsatz kommt eine Gruppe von Dorfbewohnern auf eine radikale Idee.
Reinhard: "Ich weiß noch, Herbert, da haben wir doch noch gesagt, wir gehen nüber, wir gehen nüber in die DDR, hahaha, wir gehen nüber in die DDR, da sind wir noch hintergefahren, haben sie alle Angst gehabt, dass wir drüben über die Grenze nübergehen."
Die Grenze zur DDR ist keine drei Kilometer vom Dorf entfernt. Der Bundesgrenzschutz ist alarmiert. Altbürgermeister Höhn eilt den Abtrünnigen hinterher. Bevor die Lage an der Grenze eskaliert, kann er sie zur Rückkehr bewegen.
Höhn: "Und da habe ich gesagt: Um Gottes Willen, macht das nicht, bleibt drüben, wir werden wieder frei, wir geben nicht auf, sondern das ist nun passiert, dagegen wehren wir uns und werden das nicht hinnehmen das Ganze, da konnte ich sie doch überzeugen, dass sie wieder heim sind."
"Aber heim, was heißt das? Nach Hause in ein Dorf ohne eigenes Rathaus, ohne Bürgermeister, ohne Selbständigkeit? Fassungslos denkt Adolf Höhn an den Polizeieinsatz, den er als Überfall in Erinnerung hat."
Höhn: "Man war machtlos, war geschockt, das so was passiert in einem Rechtsstaat, und war eigentlich ohnmächtig, so hab ich’s noch in Erinnerung, und ich habe die Tränen auch nicht verwunden, und so geht es mir heute noch, das ist drin, das kommt immer wieder. Wenn man so ein Polizeiaufgebot sieht, wie man eine Gemeinde auslöscht, und mit den Bürgern so umgeht, das ist schon schlimm."
Angeordnet hatte den Polizeieinsatz der bayrische Innenminister Alfred Seidl. Zwölf Tage nach dem Einsatz rechtfertigt er sich in einer Landtagssitzung in München.
Seidl (Marchal-Archiv): "Ferner musste der Einsatz mit starken Kräften durchgeführt werden, um die Einwohner von Ermershausen von Anfang an von möglicherweise unüberlegtem Handeln abzuhalten und die Begehung von Straftaten zu verhindern. Der Einsatz von zwei Hundertschaften der bayrischen Bereitschaftspolizei und circa 60 Beamten der bayrischen Landespolizei, die später von Beamten der bayrischen Grenzpolizei abgelöst wurden, war daher notwendig."
Ein notwendiger Einsatz mit mehreren hundert Beamten - auf die Ermershäuser wirken diese Worte wie Hohn. Auch die Strategie der vorbeugenden Vermeidung von Widerstand ist langfristig nicht erfolgreich. Denn der Freiheitswillen der Ermershäuser ist ungebrochen – jetzt erst recht.
Höhn: "Durch diese Polizeiaktion hat sich das Dorf so eng zusammengeschlossen, weil das unmenschlich war so was, und wenn man so was durchgehen lässt, dann gibt’s das morgen wieder, weil dann macht das Schule, dann geht das weiter, so kann man nicht mit Menschen umgehen."
Nur: Warum will das Dorf die Eingemeindung nach Maroldsweisach eigentlich mit allen Mitteln verhindern? Das sei eine lange Geschichte, erzählt Heinz Höhn, der Cousin des Bürgermeisters.
Heinz Höhn: "Das Problem war ja auch: Wir waren im Landkreis Hofheim und oben auf dem Berg zwischen Ermershausen und Maroldsweisach war die Landkreisgrenze, das hat zum Landkreis Ebern gehört, wir haben mit denen, so hat man gesagt, wir haben mit denen, mit Maroldsweisach, noch nie was zu tun gehabt."
Zwei Orte, dazwischen ein Berg und eine Landkreisgrenze – und dann der Sport, natürlich.
Heinz Höhn: "Beispielsweise auch beim Fußballverband: Wir waren Gruppe Hofheim, Maroldsweisach war Gruppe Ebern, das war immer, wir haben ja einen ganzen Katalog aufgeschrieben, was nicht gepasst hat."
Schließlich hat Maroldsweisach viele Jahre lang einen SPD-Bürgermeister, während die Ermershäuser liberal-konservativ wählen. Auch um ihren umfangreichen Waldbesitz machen sich die Ermershäuser Sorgen. Rainer Freiherr von Andrian-Werburg, damals Oberregierungsrat am zuständigen Landratsamt in Haßfurt, hält diese Begründungen allerdings für etwas dürftig.
Freiherr von Andrian-Werburg: "Die unterschiedlichen Dinge, parteipolitische Zugehörigkeit auch, das glaube ich ist ziemlich vorgeschützt, man hat damals auch Untersuchungen gemacht und festgestellt, dass sehr viel und oft hin- und hergeheiratet wurde zwischen Ermershausen und Maroldsweisach, genauso, dass sie sich bei Fußballspielen oder bei Kirchweihen regelmäßig geprügelt haben, auch das ist glaube ich aktenkundig da, es ist eben wie bei vielen Nachbardörfern. Das waren keine Überlegungen, wie man Zielplanung gemacht hat."
"Für ihn ist die Sachlage klar: Das bayrische Volk hat den bayrischen Landtag gewählt, der hat die Gemeindegebietsreform beschlossen. Und dann geht es zügig an die Umsetzung."
Freiherr von Andrian-Werburg: "Wir können es uns nicht raussuchen als Verwaltung, was wir tun und was wir lassen wollen, sondern wir haben das zu erfüllen, was derjenige, der dazu befugt ist, beschlossen und angeordnet hat. Das ist ein wesentlicher Grundsatz, tragender Grundsatz, dass überhaupt Staat funktionieren kann."
Doch in Ermershausen funktioniert der Staat überhaupt nicht mehr. Als Zeichen des Protests gegen die feindliche Übernahme wird die Verwaltung der neuen Gemeinde von den Bürgern konsequent boykottiert.
Rotenhan: "Man hat vermieden, das Rathaus in Maroldsweisach zu besuchen, hat sich bemüht, wenn man wirklich was dringend brauchte, z.B. einen Pass, ihn woanders zu kriegen, ich weiß nicht, wie das damals gelaufen ist, damals hing während der ganzen Jahre das ganze Dorf voller Transparente, an jedem Haus hing ein Transparent – "Wir machen nicht mit!
Wenn Wahlen waren, wurde auf dem Marktplatz von Ermershausen vor dem Rathaus ein Klohäuschen aufgestellt, und die Bürger haben ihre Wahlzettel durch das Herz, was ja bekanntlich oben drin ist, reingeschmissen und so weiter. Also die haben sich halt jedes Jahr was Neues ausgedacht, um diese Flamme am Brennen zu halten."
Treibende Kraft des Widerstands ist Adolf Höhn, der als Bürgermeister außer Dienst den Kampf für die Selbständigkeit organisiert. Jedes Jahr versammelt sich das Dorf in den frühen Morgenstunden des 19. Mai, um an den denkwürdigen Polizeieinsatz von 1978 zu erinnern.
Höhn, Schellenberger Archiv, Nacht des Polizeiüberfalls, halb vier am frühen Morgen 19. Mai 1980, 12:38: "Was wurde uns überhaupt damals genommen? Ein paar Akten? Ein paar Möbel? Das war nicht alles. Es wurde uns die Achtung vor diesem Staat genommen, der nicht mit uns reden wollte, der nur seinen Willen durchsetzen wollte, der uns zu etwas pressen wollte, von dem wir wissen, dass es nicht gut für uns ist. Wir werden niemals, niemals, niemals aufgeben."
Im gemeinsamen Aufbegehren scharen sich die Ermershäuser um ihren Bürgermeister ohne Amt. Nachbarschaftliche Hilfe ist Ehrensache, jeder packt mit an, wenn es um das Wohl des Dorfes geht.
Höhn: "Wir hatten noch unsere Fahrzeuge da, wir haben den Winterdienst selbst organisiert, das haben die alle umsonst gemacht die Leute, freiwillig, und sonst haben wir die Gemeinde nie gebraucht, einen Ausweis haben sie gehabt, wenn nicht, haben sie ihn nicht verlängern lassen und haben keinen Kontakt mit Maroldsweisach aufgenommen in dieser Zeit, im Gegenteil, Feindschaften haben sich da gebildet."
So gehen die Jahre ins Land, und die Fronten bleiben verhärtet. Sebastian Freiherr von Rotenhan, dessen Adelsfamilie seit mehr als 800 Jahren eine wichtige Rolle in der Region spielt, will das nicht länger mit ansehen.
Rotenhan: "Wissen Sie, ich bin Landwirt, und wenn mein Mähdrescher nicht funktioniert und ich so tue, als ob er funktioniert, dann kommt halt die Ernte nicht rein, so einfach ist das. Und in Ermershausen wurde so getan, als funktioniert es, es funktionierte aber nicht, und da kann man nicht auf Dauer so tun, als ob das so sei."
Das schreibt er in einem Leserbrief an die örtlichen Zeitungen – und sorgt damit für einen Eklat. Rotenhan, selbst CSU-Mitglied, hat eine Idee.
Rotenhan: "Ich habe damals gesagt: Ich mache euch einen guten Vorschlag, ihr Leut, ihr habt jetzt zehn Jahre gekämpft ohne jeden Erfolg und wenn man mit dem Kopf gegen die Wand rennt, dann ist die Gefahr, dass man sein eigenes Genick bricht, größer, als dass die Wand einstürzt, also ich mache euch einen guten Vorschlag, ihr müsst euch eine neue Taktik ausdenken und ich rege an: Das ganze Dorf tritt in die CSU ein."
Die Ermershäuser sind skeptisch: Warum sollen sie gerade Mitglied der Partei werden, deren Landesregierung in München sie erst in die missliche Lage gebracht hat?
Rotenhan: "Dann kamen also so Argumente wie: nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber usw., aber dann haben wir da oben ein paar Nächte durchdiskutiert, und am Schluss hatte ich die Ermershäuser davon überzeugt, dass es das einzig Richtige ist, denn keine große Partei kann einen solchen Kampf, eine solche Auseinandersetzung innerparteilich lange aushalten, das Wesen einer Partei ist die Geschlossenheit. Und mir war klar: Wenn der ganze Haufen in Ermershausen in die CSU eintritt, dann kann die CSU auf Dauer nicht so tun, als wenn dieses Problem nicht da wäre."
Die Gründung des CSU-Ortsverbandes wird zum überwältigenden Erfolg – und der amtierende CSU-Landrat, ein jahrelanger Befürworter der Gemeindegebietsreform, hat nun ein Problem.
Heinz Höhn: "Und dann hatten wir also 278 Neumitglieder, wir haben 19 Delegierte zusammengebracht im Kreisverband Haßberge, das waren also glaube ich 15 Prozent, und wenn man natürlich weiß, dass jeder, der bei einer Staatspartei kandidieren will oder tätig ist, der will ja immer mit 99,9 Prozent, also mit seiner eigenen Enthaltung gewählt werden, und das war dann der Anfang vom Sieg."
CSU-Landrat Walter Keller verzichtet auf eine erneute Kandidatur – offiziell aus "gesundheitlichen Gründen". Stattdessen wird Rudolf Handwerker als neuer CSU-Landrat gewählt, auch mit den Stimmen aus Ermershausen. Die Dorfbewohner haben Handwerker ins Amt gehoben, nun möchten sie, dass er sich revanchiert.
Rotenhan: "Diese Botschaft hat er verstanden, und hat sich dann intensiv mit uns dafür eingesetzt, dass Ermershausen die Selbständigkeit zurück bekam, da bedurfte es einer Gesetzesänderung, die natürlich der Landtag beschließen musste, und drei Jahre nach seiner Wahl war Ermershausen wieder selbständig."
Am 1. Januar 1994 geht der Freiheitskampf von Ermershausen zu Ende. Seitdem ist der Ort wieder eigenständig: Im hellen Rathaus gleich neben der barocken Kirche tagt wieder der Gemeinderat, und auch im Jahr 15 nach der Unabhängigkeit ist der aktuelle Bürgermeister Werner Döhler zufrieden mit der Entwicklung seines Dorfes.
Döhler: "Wir haben noch alles: Wir haben Arzt, Apotheke, Tankstelle, KFZ, wir haben Frisör, wir haben zwei Bäckereien, zwei Edeka-Läden, Metzgerei, alles was gebraucht wird, und vor allem ein sehr gut funktionierendes Vereinsleben."
Zum Beispiel im Schäferhundeverein von Ermershausen. Im Vereinsheim, der so genannten Hundehütte, trifft sich am frühen Samstagabend eine Gruppe älterer Männer zum Schafkopfspielen.
Auch ein junger Mann aus Ermershausen ist kurz auf ein Bier vorbeigekommen. Er ist stolz auf die Selbständigkeit seines Heimatortes.
"Ja, wir können uns selbst verwalten, und für mich ist das sehr wichtig, weil wenn man sieht, diese ganzen großen Gebilde in der Wirtschaft, die schreien jetzt alle nach Geld und ich finde kleine Strukturen sind meiner Meinung nach besser wie große Strukturen."
Die Feindschaft mit dem Nachbarort Maroldsweisach hingegen: längst vergangen und vergessen.
"Es ist eigentlich mit Maro ein Verhältnis wie mit jeder anderen Gemeinde, vielleicht sogar noch, momentan sogar ein bisschen besser sogar noch, weil wir kriegen jetzt das Wasser wahrscheinlich auch von Maro und dadurch hat sich alles wieder eingependelt."
Auch der Bürgermeister von Maroldsweisach, Wilhelm Schneider, findet heute versöhnliche Worte.
Schneider: "Feindschaft ist mit Sicherheit nicht mehr vorhanden, es gibt vielleicht noch ein paar Hardliner, aber es zeigt sich ja im täglichen Leben, dass wir sehr gut miteinander auskommen mittlerweile, also wir haben gemeinsam eine Kläranlage, wir haben gemeinsam eine Grünschnittdeponie, wir haben gemeinsam einen Schulverband, und wir werden jetzt gemeinsam, gemeinsam wird Ermershausen von uns Wasser beziehen, also auch eine gemeinsame Wasserversorgung."
Ein Dorf, das erfolgreich für seine Freiheit kämpft,
zwei Gemeinden, die heute wieder miteinander kooperieren,
und eine Feindschaft, die längst vergessen ist
– die Geschichte von Ermershausen schließt mit einem Happy End. Eigentlich.
Denn seit das Dorf wieder selbständig ist, bröckelt der starke Zusammenhalt im Ort, hat Michael Blum beobachtet.
Blum: "Das, was ich als so besonders attraktiv und anheimelnd an Ermershausen empfunden habe, war eben, dass es eine große Familie war. Die kannten sich alle untereinander und waren eben geeint in ihrer Auseinandersetzung mit dem äußeren Feind. Es war beinahe ein wahr gewordener Traum von Marx und Engels, weil man hat aus sich heraus geleistet für das Gemeinwohl, das ist passiert, das war tagtägliche Praxis in Ermershausen. Und das ist nicht nur zerfallen, sondern auf einmal haben sich Gräben aufgetan, die sehr, sehr tiefgehend sind."
Es geht um politische Posten und Machtspiele, in denen sich am Ende alle Beteiligten übervorteilt fühlen.
Rotenhan: "Also der alte Bürgermeister Höhn und sein damaliger Stellvertreter, der Herr Schmucker, die haben sich ganz furchtbar zerstritten, das ist ein Jammer, der da im Dorf eigentlich stattgefunden hat, denn wissen Sie, die haben so lange zusammen gekämpft und solange zusammen gearbeitet und Einigkeit macht bekanntlich stark, und kaum war die Sache vorbei, dann haben sie sich in der Wolle gehabt."
Als Vorsitzender des CSU-Ortsverbandes will Florian Schmucker nach der Selbständigkeit von Ermershausen selbst neuer Bürgermeister werden. Stattdessen kommt Alt-Bürgermeister Adolf Höhn noch zweimal zum Zug – und sieht sich von seinem früheren Weggefährten hintergangen. Er baut einen eigenen Nachfolger auf, Schmucker dagegen scheitert.
Deshalb ist Schmucker heute ein verbitterter Mann, der von den Vorzügen der Selbständigkeit schon lange nichts mehr hören will.
Schmucker: "Die kleine Gemeinde Ermershausen mit 600 Einwohnern ist eigentlich für die Aufgaben zu klein, die sie eigentlich machen müsste, und der Filz innerhalb der Gemeinde ist so groß geworden in diesen Jahren seit 1994, das ist unvorstellbar."
Überall im Ort wittert der verhinderte Bürgermeister Kungelei – vom früher viel beschworenen Dorffrieden ist nicht mehr viel zu spüren. Der langjährige Stimmkreisabgeordnete und CSU-Bezirkschef Albert Mayer sucht nach einer Erklärung.
Meyer: "”Die haben sich wahrscheinlich in einen Rausch der Befreiungstheorie begeben und wie die Befreiung dann da war, war das alles gar nicht so schön, wie sie sich’s gedacht haben, nicht, die sind in eine Leere hineingestoßen, die haben sich so begeistert, die Begeisterung konnte dann gar nicht so erfüllt werden, wie sie das erwartet hatten, das hat sicherlich auch eine große Rolle mit gespielt, dass der Erwartungsdruck dann ins Leere ging.""
Man könnte auch sagen, dass nach 16 Jahren Ausnahmezustand der Dorfalltag wieder Einzug gehalten hat in Ermershausen. Alte Konflikte tauchen auf, und viele Ermershäuser gehen nun ihre eigenen Wege. Das tut am Anfang vielleicht noch ein bisschen weh. Denn auch an die neue Freiheit muss man sich erstmal gewöhnen.
Nach einer Umfrage, in der 1993 über 90 Prozent der Bürger für die Unabhängigkeit votierten, wurde dem Dorf am 1. Januar 1994 seine Eigenständigkeit zurückzugeben.
Eine weiß getünchte Kirche, ein helles Rathaus, eine Dorfstraße. Das ist Ermershausen in Unterfranken: 600 Menschen wohnen hier, die Grenze zu Thüringen liegt vor der Haustür. Ein Dorf, das endlich zur Ruhe gekommen ist. Denn die stürmischen Zeiten des Ortes sind längst vergangen.
Rotenhan: "Vor dem Rathaus steht noch die berühmte Freiheitsglocke, aber die ist auch mehr Symbol und ansonsten ist da nichts mehr."
Die Freiheitsglocke vor dem Rathaus erinnert an den 16 Jahre dauernden Kampf des Dorfes um die Selbständigkeit. Er beginnt im Mai 1978. Als ein Reporter des Bayerischen Rundfunks Ermershausen besucht, trifft er auf einen Ort im Ausnahmezustand.
Reporter Hans Friedrich (für die Welle Mainfranken vor dem Ermershäuser Rathaus, 18.5. 1978, Quelle: Schellenberger):
"Sirene, Glockengeläute, Schulkinder, die die Rathaustreppe mit Plakaten besetzt halten, Pulks empörter Bürger, das ist das Bild, das sich dem Durchfahrenden zur Zeit in der Gemeinde Ermershausen im Landkreis Haßberge bietet. Grund des Ganzen: Die Gebietsreform, die auch nach dem 1. Mai hier hohe Wellen schlägt."
In ganz Bayern wird die Anzahl der Gemeinden von 1972 bis 78 von rund 7000 auf etwa 2000 verringert. Die Gebietsreform soll die Verwaltung vereinfachen und helfen, Kosten zu sparen.
Auch Ermershausen soll in den Nachbarort Maroldsweisach eingemeindet werden, der nur zwei Kilometer entfernt liegt. Aber das Dorf wehrt sich gegen den Verlust der Selbständigkeit.
Es klagt beim Verwaltungsgericht, dann beim Verfassungsgericht des Freistaats. Die Klagen werden später abgewiesen, erinnert sich Altbürgermeister Adolf Höhn.
Höhn: "Gerichtstenor war: Ermershausen hat die Voraussetzung, kann jederzeit selbständig mit einer größeren Einheit in Verwaltung gehen, aber Ermershausen muss hinnehmen, dass es sein Vermögen und seine Steuerkraft in Maroldsweisach einbringt, um dort die Finanzkraft zu stärken. Da habe ich gesagt: So nicht! Wenn wir die Voraussetzung haben, um selbständig bleiben zu können, dann wollen wir es!"
Um die geplante Übergabe der Gemeindeakten an Maroldsweisach zu verhindern, haben die Bürger Wachposten aufgestellt – auch in der Nacht vom 18. auf den 19. Mai 1978.
Adolf Höhn: "”Die waren da am Rathaus und haben auf dem Bänkle gesessen und haben halt die Nacht durchgewacht, auf einmal kamen die angefahren, wollten in die Kirche springen, wollten Schutz sich suchen, weil sie gemerkt haben: Ist Polizei, und dann haben sie sie aus der Kirche rausgezerrt, und einer, das war der Nachbar, der hat da gerade Nachtdienst gemacht, der Wirt, und da hat der geschrieen: Hilfe, Hilfe, wir werden überfallen.""
Dorfbürgermeister Adolf Höhn reagiert sofort.
Höhn: "Da hab ich im Schlafzimmer das Fenster aufgemacht und habe zum Rathaus rübergeschaut. Da brennt eine Lichtgiraffe! Lauter weiße Helme sieht man da herumspringen, habe ich gesagt: Jetzt wird’s ernst. Da bin ich runter im Büro, habe mich ans Telefon gesetzt, habe Presse, Rundfunk, Fernsehen angerufen: Kommt sofort, da tut sich was."
Tatsächlich tut sich einiges im Dorf: Mehrere Hundertschaften der bayrischen Bereitschafts- und Landespolizei unter Leitung der Polizeidirektion Schweinfurt riegeln den Rathausplatz ab und holen die Ermershäuser Akten aus dem Rathaus. Das Dorf ist in hellem Aufruhr.
Lederer: "”Die Bevölkerung hat das ruck-zuck mitgekriegt, die haben mit Sicherheit geahnt, dass da was kommt jetzt, und man kann sagen innerhalb von Minuten war die ganze Ortsbevölkerung auf den Beinen.""
Aus Protest gegen den Polizeieinsatz kommt eine Gruppe von Dorfbewohnern auf eine radikale Idee.
Reinhard: "Ich weiß noch, Herbert, da haben wir doch noch gesagt, wir gehen nüber, wir gehen nüber in die DDR, hahaha, wir gehen nüber in die DDR, da sind wir noch hintergefahren, haben sie alle Angst gehabt, dass wir drüben über die Grenze nübergehen."
Die Grenze zur DDR ist keine drei Kilometer vom Dorf entfernt. Der Bundesgrenzschutz ist alarmiert. Altbürgermeister Höhn eilt den Abtrünnigen hinterher. Bevor die Lage an der Grenze eskaliert, kann er sie zur Rückkehr bewegen.
Höhn: "Und da habe ich gesagt: Um Gottes Willen, macht das nicht, bleibt drüben, wir werden wieder frei, wir geben nicht auf, sondern das ist nun passiert, dagegen wehren wir uns und werden das nicht hinnehmen das Ganze, da konnte ich sie doch überzeugen, dass sie wieder heim sind."
"Aber heim, was heißt das? Nach Hause in ein Dorf ohne eigenes Rathaus, ohne Bürgermeister, ohne Selbständigkeit? Fassungslos denkt Adolf Höhn an den Polizeieinsatz, den er als Überfall in Erinnerung hat."
Höhn: "Man war machtlos, war geschockt, das so was passiert in einem Rechtsstaat, und war eigentlich ohnmächtig, so hab ich’s noch in Erinnerung, und ich habe die Tränen auch nicht verwunden, und so geht es mir heute noch, das ist drin, das kommt immer wieder. Wenn man so ein Polizeiaufgebot sieht, wie man eine Gemeinde auslöscht, und mit den Bürgern so umgeht, das ist schon schlimm."
Angeordnet hatte den Polizeieinsatz der bayrische Innenminister Alfred Seidl. Zwölf Tage nach dem Einsatz rechtfertigt er sich in einer Landtagssitzung in München.
Seidl (Marchal-Archiv): "Ferner musste der Einsatz mit starken Kräften durchgeführt werden, um die Einwohner von Ermershausen von Anfang an von möglicherweise unüberlegtem Handeln abzuhalten und die Begehung von Straftaten zu verhindern. Der Einsatz von zwei Hundertschaften der bayrischen Bereitschaftspolizei und circa 60 Beamten der bayrischen Landespolizei, die später von Beamten der bayrischen Grenzpolizei abgelöst wurden, war daher notwendig."
Ein notwendiger Einsatz mit mehreren hundert Beamten - auf die Ermershäuser wirken diese Worte wie Hohn. Auch die Strategie der vorbeugenden Vermeidung von Widerstand ist langfristig nicht erfolgreich. Denn der Freiheitswillen der Ermershäuser ist ungebrochen – jetzt erst recht.
Höhn: "Durch diese Polizeiaktion hat sich das Dorf so eng zusammengeschlossen, weil das unmenschlich war so was, und wenn man so was durchgehen lässt, dann gibt’s das morgen wieder, weil dann macht das Schule, dann geht das weiter, so kann man nicht mit Menschen umgehen."
Nur: Warum will das Dorf die Eingemeindung nach Maroldsweisach eigentlich mit allen Mitteln verhindern? Das sei eine lange Geschichte, erzählt Heinz Höhn, der Cousin des Bürgermeisters.
Heinz Höhn: "Das Problem war ja auch: Wir waren im Landkreis Hofheim und oben auf dem Berg zwischen Ermershausen und Maroldsweisach war die Landkreisgrenze, das hat zum Landkreis Ebern gehört, wir haben mit denen, so hat man gesagt, wir haben mit denen, mit Maroldsweisach, noch nie was zu tun gehabt."
Zwei Orte, dazwischen ein Berg und eine Landkreisgrenze – und dann der Sport, natürlich.
Heinz Höhn: "Beispielsweise auch beim Fußballverband: Wir waren Gruppe Hofheim, Maroldsweisach war Gruppe Ebern, das war immer, wir haben ja einen ganzen Katalog aufgeschrieben, was nicht gepasst hat."
Schließlich hat Maroldsweisach viele Jahre lang einen SPD-Bürgermeister, während die Ermershäuser liberal-konservativ wählen. Auch um ihren umfangreichen Waldbesitz machen sich die Ermershäuser Sorgen. Rainer Freiherr von Andrian-Werburg, damals Oberregierungsrat am zuständigen Landratsamt in Haßfurt, hält diese Begründungen allerdings für etwas dürftig.
Freiherr von Andrian-Werburg: "Die unterschiedlichen Dinge, parteipolitische Zugehörigkeit auch, das glaube ich ist ziemlich vorgeschützt, man hat damals auch Untersuchungen gemacht und festgestellt, dass sehr viel und oft hin- und hergeheiratet wurde zwischen Ermershausen und Maroldsweisach, genauso, dass sie sich bei Fußballspielen oder bei Kirchweihen regelmäßig geprügelt haben, auch das ist glaube ich aktenkundig da, es ist eben wie bei vielen Nachbardörfern. Das waren keine Überlegungen, wie man Zielplanung gemacht hat."
"Für ihn ist die Sachlage klar: Das bayrische Volk hat den bayrischen Landtag gewählt, der hat die Gemeindegebietsreform beschlossen. Und dann geht es zügig an die Umsetzung."
Freiherr von Andrian-Werburg: "Wir können es uns nicht raussuchen als Verwaltung, was wir tun und was wir lassen wollen, sondern wir haben das zu erfüllen, was derjenige, der dazu befugt ist, beschlossen und angeordnet hat. Das ist ein wesentlicher Grundsatz, tragender Grundsatz, dass überhaupt Staat funktionieren kann."
Doch in Ermershausen funktioniert der Staat überhaupt nicht mehr. Als Zeichen des Protests gegen die feindliche Übernahme wird die Verwaltung der neuen Gemeinde von den Bürgern konsequent boykottiert.
Rotenhan: "Man hat vermieden, das Rathaus in Maroldsweisach zu besuchen, hat sich bemüht, wenn man wirklich was dringend brauchte, z.B. einen Pass, ihn woanders zu kriegen, ich weiß nicht, wie das damals gelaufen ist, damals hing während der ganzen Jahre das ganze Dorf voller Transparente, an jedem Haus hing ein Transparent – "Wir machen nicht mit!
Wenn Wahlen waren, wurde auf dem Marktplatz von Ermershausen vor dem Rathaus ein Klohäuschen aufgestellt, und die Bürger haben ihre Wahlzettel durch das Herz, was ja bekanntlich oben drin ist, reingeschmissen und so weiter. Also die haben sich halt jedes Jahr was Neues ausgedacht, um diese Flamme am Brennen zu halten."
Treibende Kraft des Widerstands ist Adolf Höhn, der als Bürgermeister außer Dienst den Kampf für die Selbständigkeit organisiert. Jedes Jahr versammelt sich das Dorf in den frühen Morgenstunden des 19. Mai, um an den denkwürdigen Polizeieinsatz von 1978 zu erinnern.
Höhn, Schellenberger Archiv, Nacht des Polizeiüberfalls, halb vier am frühen Morgen 19. Mai 1980, 12:38: "Was wurde uns überhaupt damals genommen? Ein paar Akten? Ein paar Möbel? Das war nicht alles. Es wurde uns die Achtung vor diesem Staat genommen, der nicht mit uns reden wollte, der nur seinen Willen durchsetzen wollte, der uns zu etwas pressen wollte, von dem wir wissen, dass es nicht gut für uns ist. Wir werden niemals, niemals, niemals aufgeben."
Im gemeinsamen Aufbegehren scharen sich die Ermershäuser um ihren Bürgermeister ohne Amt. Nachbarschaftliche Hilfe ist Ehrensache, jeder packt mit an, wenn es um das Wohl des Dorfes geht.
Höhn: "Wir hatten noch unsere Fahrzeuge da, wir haben den Winterdienst selbst organisiert, das haben die alle umsonst gemacht die Leute, freiwillig, und sonst haben wir die Gemeinde nie gebraucht, einen Ausweis haben sie gehabt, wenn nicht, haben sie ihn nicht verlängern lassen und haben keinen Kontakt mit Maroldsweisach aufgenommen in dieser Zeit, im Gegenteil, Feindschaften haben sich da gebildet."
So gehen die Jahre ins Land, und die Fronten bleiben verhärtet. Sebastian Freiherr von Rotenhan, dessen Adelsfamilie seit mehr als 800 Jahren eine wichtige Rolle in der Region spielt, will das nicht länger mit ansehen.
Rotenhan: "Wissen Sie, ich bin Landwirt, und wenn mein Mähdrescher nicht funktioniert und ich so tue, als ob er funktioniert, dann kommt halt die Ernte nicht rein, so einfach ist das. Und in Ermershausen wurde so getan, als funktioniert es, es funktionierte aber nicht, und da kann man nicht auf Dauer so tun, als ob das so sei."
Das schreibt er in einem Leserbrief an die örtlichen Zeitungen – und sorgt damit für einen Eklat. Rotenhan, selbst CSU-Mitglied, hat eine Idee.
Rotenhan: "Ich habe damals gesagt: Ich mache euch einen guten Vorschlag, ihr Leut, ihr habt jetzt zehn Jahre gekämpft ohne jeden Erfolg und wenn man mit dem Kopf gegen die Wand rennt, dann ist die Gefahr, dass man sein eigenes Genick bricht, größer, als dass die Wand einstürzt, also ich mache euch einen guten Vorschlag, ihr müsst euch eine neue Taktik ausdenken und ich rege an: Das ganze Dorf tritt in die CSU ein."
Die Ermershäuser sind skeptisch: Warum sollen sie gerade Mitglied der Partei werden, deren Landesregierung in München sie erst in die missliche Lage gebracht hat?
Rotenhan: "Dann kamen also so Argumente wie: nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber usw., aber dann haben wir da oben ein paar Nächte durchdiskutiert, und am Schluss hatte ich die Ermershäuser davon überzeugt, dass es das einzig Richtige ist, denn keine große Partei kann einen solchen Kampf, eine solche Auseinandersetzung innerparteilich lange aushalten, das Wesen einer Partei ist die Geschlossenheit. Und mir war klar: Wenn der ganze Haufen in Ermershausen in die CSU eintritt, dann kann die CSU auf Dauer nicht so tun, als wenn dieses Problem nicht da wäre."
Die Gründung des CSU-Ortsverbandes wird zum überwältigenden Erfolg – und der amtierende CSU-Landrat, ein jahrelanger Befürworter der Gemeindegebietsreform, hat nun ein Problem.
Heinz Höhn: "Und dann hatten wir also 278 Neumitglieder, wir haben 19 Delegierte zusammengebracht im Kreisverband Haßberge, das waren also glaube ich 15 Prozent, und wenn man natürlich weiß, dass jeder, der bei einer Staatspartei kandidieren will oder tätig ist, der will ja immer mit 99,9 Prozent, also mit seiner eigenen Enthaltung gewählt werden, und das war dann der Anfang vom Sieg."
CSU-Landrat Walter Keller verzichtet auf eine erneute Kandidatur – offiziell aus "gesundheitlichen Gründen". Stattdessen wird Rudolf Handwerker als neuer CSU-Landrat gewählt, auch mit den Stimmen aus Ermershausen. Die Dorfbewohner haben Handwerker ins Amt gehoben, nun möchten sie, dass er sich revanchiert.
Rotenhan: "Diese Botschaft hat er verstanden, und hat sich dann intensiv mit uns dafür eingesetzt, dass Ermershausen die Selbständigkeit zurück bekam, da bedurfte es einer Gesetzesänderung, die natürlich der Landtag beschließen musste, und drei Jahre nach seiner Wahl war Ermershausen wieder selbständig."
Am 1. Januar 1994 geht der Freiheitskampf von Ermershausen zu Ende. Seitdem ist der Ort wieder eigenständig: Im hellen Rathaus gleich neben der barocken Kirche tagt wieder der Gemeinderat, und auch im Jahr 15 nach der Unabhängigkeit ist der aktuelle Bürgermeister Werner Döhler zufrieden mit der Entwicklung seines Dorfes.
Döhler: "Wir haben noch alles: Wir haben Arzt, Apotheke, Tankstelle, KFZ, wir haben Frisör, wir haben zwei Bäckereien, zwei Edeka-Läden, Metzgerei, alles was gebraucht wird, und vor allem ein sehr gut funktionierendes Vereinsleben."
Zum Beispiel im Schäferhundeverein von Ermershausen. Im Vereinsheim, der so genannten Hundehütte, trifft sich am frühen Samstagabend eine Gruppe älterer Männer zum Schafkopfspielen.
Auch ein junger Mann aus Ermershausen ist kurz auf ein Bier vorbeigekommen. Er ist stolz auf die Selbständigkeit seines Heimatortes.
"Ja, wir können uns selbst verwalten, und für mich ist das sehr wichtig, weil wenn man sieht, diese ganzen großen Gebilde in der Wirtschaft, die schreien jetzt alle nach Geld und ich finde kleine Strukturen sind meiner Meinung nach besser wie große Strukturen."
Die Feindschaft mit dem Nachbarort Maroldsweisach hingegen: längst vergangen und vergessen.
"Es ist eigentlich mit Maro ein Verhältnis wie mit jeder anderen Gemeinde, vielleicht sogar noch, momentan sogar ein bisschen besser sogar noch, weil wir kriegen jetzt das Wasser wahrscheinlich auch von Maro und dadurch hat sich alles wieder eingependelt."
Auch der Bürgermeister von Maroldsweisach, Wilhelm Schneider, findet heute versöhnliche Worte.
Schneider: "Feindschaft ist mit Sicherheit nicht mehr vorhanden, es gibt vielleicht noch ein paar Hardliner, aber es zeigt sich ja im täglichen Leben, dass wir sehr gut miteinander auskommen mittlerweile, also wir haben gemeinsam eine Kläranlage, wir haben gemeinsam eine Grünschnittdeponie, wir haben gemeinsam einen Schulverband, und wir werden jetzt gemeinsam, gemeinsam wird Ermershausen von uns Wasser beziehen, also auch eine gemeinsame Wasserversorgung."
Ein Dorf, das erfolgreich für seine Freiheit kämpft,
zwei Gemeinden, die heute wieder miteinander kooperieren,
und eine Feindschaft, die längst vergessen ist
– die Geschichte von Ermershausen schließt mit einem Happy End. Eigentlich.
Denn seit das Dorf wieder selbständig ist, bröckelt der starke Zusammenhalt im Ort, hat Michael Blum beobachtet.
Blum: "Das, was ich als so besonders attraktiv und anheimelnd an Ermershausen empfunden habe, war eben, dass es eine große Familie war. Die kannten sich alle untereinander und waren eben geeint in ihrer Auseinandersetzung mit dem äußeren Feind. Es war beinahe ein wahr gewordener Traum von Marx und Engels, weil man hat aus sich heraus geleistet für das Gemeinwohl, das ist passiert, das war tagtägliche Praxis in Ermershausen. Und das ist nicht nur zerfallen, sondern auf einmal haben sich Gräben aufgetan, die sehr, sehr tiefgehend sind."
Es geht um politische Posten und Machtspiele, in denen sich am Ende alle Beteiligten übervorteilt fühlen.
Rotenhan: "Also der alte Bürgermeister Höhn und sein damaliger Stellvertreter, der Herr Schmucker, die haben sich ganz furchtbar zerstritten, das ist ein Jammer, der da im Dorf eigentlich stattgefunden hat, denn wissen Sie, die haben so lange zusammen gekämpft und solange zusammen gearbeitet und Einigkeit macht bekanntlich stark, und kaum war die Sache vorbei, dann haben sie sich in der Wolle gehabt."
Als Vorsitzender des CSU-Ortsverbandes will Florian Schmucker nach der Selbständigkeit von Ermershausen selbst neuer Bürgermeister werden. Stattdessen kommt Alt-Bürgermeister Adolf Höhn noch zweimal zum Zug – und sieht sich von seinem früheren Weggefährten hintergangen. Er baut einen eigenen Nachfolger auf, Schmucker dagegen scheitert.
Deshalb ist Schmucker heute ein verbitterter Mann, der von den Vorzügen der Selbständigkeit schon lange nichts mehr hören will.
Schmucker: "Die kleine Gemeinde Ermershausen mit 600 Einwohnern ist eigentlich für die Aufgaben zu klein, die sie eigentlich machen müsste, und der Filz innerhalb der Gemeinde ist so groß geworden in diesen Jahren seit 1994, das ist unvorstellbar."
Überall im Ort wittert der verhinderte Bürgermeister Kungelei – vom früher viel beschworenen Dorffrieden ist nicht mehr viel zu spüren. Der langjährige Stimmkreisabgeordnete und CSU-Bezirkschef Albert Mayer sucht nach einer Erklärung.
Meyer: "”Die haben sich wahrscheinlich in einen Rausch der Befreiungstheorie begeben und wie die Befreiung dann da war, war das alles gar nicht so schön, wie sie sich’s gedacht haben, nicht, die sind in eine Leere hineingestoßen, die haben sich so begeistert, die Begeisterung konnte dann gar nicht so erfüllt werden, wie sie das erwartet hatten, das hat sicherlich auch eine große Rolle mit gespielt, dass der Erwartungsdruck dann ins Leere ging.""
Man könnte auch sagen, dass nach 16 Jahren Ausnahmezustand der Dorfalltag wieder Einzug gehalten hat in Ermershausen. Alte Konflikte tauchen auf, und viele Ermershäuser gehen nun ihre eigenen Wege. Das tut am Anfang vielleicht noch ein bisschen weh. Denn auch an die neue Freiheit muss man sich erstmal gewöhnen.