Das Risiko, seinen Verstand zu verlieren

Von Hartwig Tegeler |
"Apocalypse Now" schien schon gut im Klassikerschrank abgehangen, da überraschte Francis Ford Coppola die Fans 2001 mit einer um 49 Minuten erweiterten "Redux"-Fassung. Jetzt gibt es beide Versionen des Films und atemberaubendes Bonusmaterial in einer vorbildlichen DVD-Edition.
Es war einmal, vor langen, langen Zeiten, in den 1970ern ... oder um mit dem ultimativen Statement von US-Kritikerpapst Roger Ebert zu sprechen:

"Sie waren damals Riesen auf Erden. Die Regisseure des New Hollywood - Scorsese, Hopper, Michael Cimino und Francis Ford Coppola."

"Saigon, verdammte Scheiße, immer noch bin ich in Saigon."

Sagt Willard am Anfang von "Apocalypse Now", um sich dann - wir schreiben das Jahr 1969, Vietnamkrieg - auf die lange Flussfahrt ins "Herz der Finsternis" zu begeben, um Colonel Kurtz (Marlon Brando) zu liquidieren:

"Ich habe das Grauen gesehen, das Grauen, das auch Sie gesehen haben. Es ist unmöglich, mit Worten zu beschreiben, was notwendig wäre für jene, die nicht wissen, was das Grauen bedeutet."

"Apocalypse Now", basierend auf Joseph Conrads "Herz der Finsternis" wird zum psychedelischen Höllentrip in die Abgründe der Seelen. Mit Bildern, die inzwischen zu Klassikern der Filmgeschichte geworden sind. Die Anfangsszene beispielsweise, wenn wir den Dschungel sehen, die Rotorblätter der Hubschrauber, dann den Song "The End" von den Doors zu hören beginnen, schließlich die Napalmbomben explodieren…

"Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen."

… und sich dieses Inferno in einer langen Überblende in das Gesicht von Willard verwandelt, der auf den Ventilator über sich in seinem Hotelzimmer starrt. Ein Geniestreich, diese Anfangs-Montage, zufällig entstanden.

Beim Schnitt fand er ein paar Behälter mit Filmmaterial, erzählt Coppola im Audiokommentar, das fünf Kameras von den kreisenden Hubschraubern vor dem Napalm-Angriff aufgenommen hatten. Die Kombination mit "The End" von den Doors war zunächst gar nicht ernst gemeint.

Wahr oder nicht wahr, eine wunderbare Coppola-Anekdote jedenfalls über den kreativen Zufall. Was für ein nahezu größenwahnsinniges Unterfangen der 230-Tage-Dreh auf den Philippinen insgesamt war, das ist inzwischen Legende und wird im Bonusmaterial der drei BluRays ausführlich dokumentiert.

Der Film entsprach in seiner Substanz dem Krieg in Vietnam, sagt Coppola im Audiokommentar und kolportiert damit sein Statement bei der Präsentation von "Apocalypse Now" 1979 in Cannes:

"Mein Film ist kein Spielfilm, mein Film ist nicht über Vietnam. Er ist Vietnam. Er ist, wie es wirklich war. Es war verrückt."

Frederic Forrest, einer der Schauspieler, erinnert sich:

"Das Ganze war einfach verrückt. Nach einiger Zeit hatten wir das Gefühl, wir waren gar nicht da. Es war, als wäre es ein Traum. Dann sagten wir, ich bin gar nicht hier, Francis, ich bin in Montana bei Jack Nicholson."

Die großartige BluRay-Edition versammelt die Kinofassung von 1979, die Redux-Version von 2001, aktuelle Interviews mit Hauptdarsteller Martin Sheen und Drehbuchautor John Milius, geschnittene Szenen, Features über die Entstehung der Filmmusik, den Schnitt oder die Tonmischung. Das erste Mal auf DVD bzw. BluRay ist hier der Dokumentarfilm "Hearts of Darkness - A Filmmaker's Apocalypse" zu finden, den Fax Bahr und George Hickenlooper auf Grundlage des Materials zusammenstellten, das Coppolas Ehefrau während der Dreharbeiten auf den Philippinen aufgenommen hat. Über seinen Prozess der egomanischen Selbstfindung und der künstlerischen Besessenheit nimmt Eleanor Coppola da kein Blatt vor den Mund:

"Ich denke, bei dem Film ging es um das Risiko, sein Geld zu riskieren, seinen Verstand zu riskieren. Ich meine, in allem, was er tat, drang er in extreme Randbereiche der Erfahrung, um dann wieder zurückzukehren."

Der quasi surreale Entstehungsprozess von "Apocalypse Now" hat aber auch eine wichtige filmgeschichtliche Bedeutung, insofern hier auch etwas zu Ende geht. Nach dem Chaos um "Apocalypse Now" - mit 30 Millionen Dollar damals eine der teuersten Produktionen der Filmgeschichte - und den nicht minder desaströsen Wirren um Michael Ciminos Spätwestern "Heaven's Gate" - ein Jahr später, 1980 - war die Macht der Autoren-Regisseure des New Hollywood gebrochen. Sie waren nicht mehr die "masters of the universe". Die Studiomanager und Banker übernahmen das Regime. Das Goldene Zeitalter des New Hollywood war vorbei, eine Zeit, in der die großen Regisseure mit Riesenbudgets ihren auch persönlichen Ritt auf der Rasierklinge betreiben oder ein ganzes Studio in den Ruin fahren konnten. Wie sagt der Auftraggeber von Willard über Kurtz im Film?

"Jeder hat seinen Zerreißpunkt. Sie und ich ebenfalls. Walt Kurtz ist dabei angelangt. Und ist offensichtlich dabei geisteskrank geworden."

Für Coppola stand es beim Dreh von "Apocalypse Now" durchaus auf der Kippe:

"Jeder bekommt, was er verdient. Ich wollte einen Auftrag."

Auch Coppola, Größenwahn hin oder her, bekam seinen Auftrag. Und schuf ein Meisterwerk. Eine dem angemessene DVD- bzw. BluRay-Edition, voilà, mit der eindrucksvollen "Apocalypse Now" 3-Disc-Deluxe-Edition liegt sie jetzt vor.

"Apocalypse Now" - Full Disclosure / 3 Disc Deluxe Edition
3 BluRays - Anbieter: Kinowelt
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