Das Rollenbild der Mutter

"Das wird immer so toll dargestellt"

Ein Baby spielt mit seiner Mutter.
Das Bild von Mutter und Kind wird bis heute gerne verklärt und idealisiert dargestellt. © picture alliance / Bildagentur-online/Tetra-Images
Von Katja Bigalke |
Würden Sie nochmal Mutter werden, wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten?, fragte Soziologin Orna Donath 2015 in einer Studie. Die Folge: eine Welle der Empörung, als Frauen "Nein" sagten. Hat sich seitdem etwas geändert?
"Ich glaub schon, dass das eine Art Identitätskrise ist. Vorher war mein Leben nur meinem Willen untergeordnet. Dieses Narrativ ist ja eines, was auch Frauen mitbekommen oder Mädchen: Deine Aufgabe ist es, was zu werden. Du kannst dein Leben machen. Und das aber, das kollidiert dann massiv mit einem Kind. Das ist so das Entgegengesetzteste dazu, was ich mir vorstellen kann."
Ich bin selbst vor zwölf Jahren das erste Mal Mutter geworden. Das war eine bewusste Entscheidung damals. Also die Schwangerschaft war gewollt und ich hab mich gefreut, und trotzdem wusste ich schon vor dieser Entscheidung, dass das schwierig werden würde, meine Rolle zu finden. Besonders in Deutschland.

Was ich wollte, spielte keine Rolle mehr

Ich habe vorher in Frankreich gelebt, wo das nicht so infrage gestellt wird, dass Mütter arbeiten und Kinder tagsüber in Kitas oder auf Ganztagsschulen gehen, dass Mütter und Väter noch ein Liebesleben haben und sogar Freunde, die sie noch sehen.
In Deutschland kannte ich persönlich keine Eltern, die als Vorbild geeignet gewesen wären. In meinem Freundeskreis – ich war damals Anfang dreißig – hatte niemand Kinder. Und so hab ich über die Geburt und das Danach vor allem mit meiner Hebamme gesprochen, die schon wusste, dass ich stillen werde und die Geburt besser ohne PDA hinter mich bringe.
Plötzlich fingen andere Menschen an, mir ungefragt den Bauch zu tätscheln. Ein Arbeitskollege schrieb mich schon vor dem Geburtstermin ab mit den Worten, dass es das dann ja wohl gewesen sei mit der Karriere. Was ich wollte, danach wurde ich eigentlich kaum noch gefragt.

Die Mutterschaft bereuen: ein Tabubruch

"Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie dann noch einmal Mutter werden, mit dem Wissen, das Sie heute haben?"
Ich – mittlerweile Mutter von zwei Kindern – würde das mit Ja beantworten. Aber ich würde vieles anders machen. Und ich kann auch verstehen, wenn Mütter diese Frage mit Nein beantworten, wie die 23 Frauen, die die israelische Soziologin Orna Donath interviewt hat. Unter dem Titel "Regretting motherhood" veröffentlichte sie vor drei Jahren eine Studie zur Mutterrolle. Und erntete – wie zu erwarten – nicht nur positive Reaktionen.
Zu sagen, dass die Mutterrolle so unglücklich macht, dass man den Schritt, ein Kind bekommen zu haben, zutiefst bereut, war ein Tabubruch. Dass man Mutterschaft durchaus bereuen, Kinder aber trotzdem lieben kann, ging in der Diskussion oft unter.
Dabei, so kommentierte Margarete Stokowski die Debatte – wie ich fand – höchst treffend, "ist Reue keine Einladung zu einer 'emotionalen Freakshow', sondern 'eine Art Alarmglocke' für die Gesellschaft, ihre Anforderungen an Frauen und Mütter zu ändern, weil sich in Überforderung und Fluchtfantasien natürlich auch Erwartungen des Umfelds spiegeln. Denn Reue hat auch etwas damit zu tun, sich selbst als ungenügend zu empfinden."

Aufopferungsvoll, eine tolle Liebhaberin, mit Wahnsinnskarriere

Drei Jahre ist die Debatte jetzt her, unter "Regretting motherhood" erscheinen immer noch Tweets. Mal werden – leicht ironisch – nervige Alltagsbegebenheiten mit Kindern mit dem Hashtag versehen, mal gibt es Verweise auf Artikel oder neuere Veranstaltungen zum Thema. In der öffentlichen Diskussion hingegen scheint sich der Fokus leicht zu verschieben: weg von dem Druck, der sich aus der allgemeinen Vorstellung generiert, Frauen bräuchten Kinder für ein erfülltes Leben, hin zu dem Perfektionsdruck, der mittlerweile auf fast allen Lebensbereichen von Müttern lastet.
"Sehr gut, würde ich sagen, ist heute eine aufopferungsvolle, hingebungsvolle Mutter, immer präsente Mutter zu sein, die gleichzeitig eine Wahnsinnskarriere macht und noch eine tolle Liebhaberin ist und auch super aussieht dabei."

Auf einmal tun sich Rollenkonflikte auf

Auch in dem jüngsten Buch der Feuilletonistin und Schriftstellerin Antonia Baum geht es implizit um die Frage, warum es Mütter eigentlich nie jemandem Recht machen können. "Stillleben" heißt es und erzählt von ihrem eigenen Mutterwerden.
"Bei mir war es einfach so, ich musste das einfach schreiben, um zu verstehen, warum das so hart ist, was da passiert, was mit mir passiert, was mit meinem Freund passiert, was da für Rollenkonflikte sich auftun. Es war so gewaltig, was da passiert ist, und das musste ich nachvollziehen."
Die Verwandlung von Beziehungen zwischen flexiblen, autonomen Menschen in Abhängigkeitsverhältnisse. Der Versuch, die Arbeitswelt, das Privatleben an den Rhythmus eines Menschen anzupassen, der vollkommen auf einen angewiesen ist.

Die Wucht des "Biologischen"

Überhaupt, das allgemeine Aufeinander-angewiesen-Sein. Das Verlangsamen in einer schnellen Welt. Die steigende Bedeutung von Geld, Haushalt, Wohnort. Und dann noch die qua Natur ungleiche Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau während Schwangerschaft, Geburt, Stillzeit. Die Wucht des "Biologischen".
"Und wenn das zusammenprallt mit dem vorherigen Versprechen oder auch dem Imperativ, etwas zu werden, jemand zu sein, erfolgreich zu sein – egal ob du Frau oder Mann bist… wenn das dann diesen Unfall hat, dann ist Identitätskrise der richtige Begriff. Man hat sich ja vorher lange eine stabile Identität aufgebaut, mit der Idee, dass ihr Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Oder das soziale Konstrukt, was dahinter steht. Aber da ist dann Feierabend."
Sehr persönlich schreibt Antonia Baum über das sich ausgeschlossen fühlen, den Neid auf den Partner, der weiter arbeiten geht, während sie selbst zu Hause bleibt. Über das schlechte Gewissen, die Sorge, die Müdigkeit. Es war gar nicht einfach, sagt sie, daraus ein Buch zu machen. Denn auch als schreibende Mutter, bewegt man sich leicht zwischen Klischees. Vor allem, wenn man wütend ist.
"Die schreibende Mutter ist irgendwie entweder die, die alles ganz super positiv darstellt, oder die, die sagt: Das ist Scheiße. Und das Letztere aber dann noch mit so einem zwinkernden Auge, also auf einem Niveau, da findet keine Reflektion statt. Was aber auch damit zu tun hat, dass die Frauen, die das irgendwie leisten könnten, das nicht tun. Es gibt dafür keine Lobby, keine Preise. Es wäre halt nur schön, wenn es nicht ausschließlich dieses unwichtige Frauen-Thema wäre, so ähnlich wie das Etikett: Frauen-Literatur. Das wird halt einfach nicht so ernst genommen."

"Die Mütter sind häufig erschöpft"

In der Eltern- und Kind Vorsorgeklinik Haus am Meer in Zingst werden Mütter sehr ernst genommen. Die Frauen, die hier im Wasser im Takt der Trainerin Schwimmnudeln vor dem Oberkörper zusammenpressen, sind alle wegen ärztlich attestierter Beeinträchtigungen hier: schwere Erschöpfungszustände, Depressionen, Angst- oder Schlafstörungen sind die Hauptindikationen.
Befragungen ergaben, dass Partnerschaftsprobleme, ständiger Zeitdruck und hohe berufliche Anforderungen zu den größten Belastungsfaktoren gehören. 26 Prozent der Mütter in Kur sind alleinerziehend. Über 80 Prozent haben einen mittleren oder höheren Schulabschluss und sind erwerbstätig.
"Die Mütter sind häufig erschöpft. Es gibt Schmerz-Symptomatiken. Da funktioniert der Rücken nicht mehr, Migräne. Das hat auch mit Stress zu tun, mit mangelnder Bewegung zu tun. Viele sind belastet, weil die Kinder sehr krank sind oder weil es zu Hause kranke Familienangehörigen gibt, für die ich zusätzlich noch Betreuung organisieren muss. Pflege bleibt bei den Frauen hängen. Und dann funktioniert es in der Regel nicht mehr", bestätigt Jette Jax, Leiterin der Klinik in Zingst.

"Das Problem ist eher die Zeit, die fehlt"

Laut Umfragen des Müttergenesungswerks sind in Deutschland rund zwei Millionen der etwa acht Millionen Mütter mit minderjährigen Kindern kurbedürftig, haben also nachweislich körperliche oder seelische Beschwerden. Nur fünf Prozent nehmen sich aber eine Auszeit.
"Da hat mich meine Hausärztin drauf angesprochen, weil ich halt ein bisschen sehr schlank bin, und ich hab gedacht, ich bin einer Kur nicht würdig, weil ich nicht krank bin. Ich hab ja nur Zeitdruck", sagt Yvonne, Prüfingenieurin mit einer Dreiviertelstelle und Mutter von zwei Kindern.
Sie hat hohe Ansprüche an sich, ihre Arbeit, den Haushalt und an die Zeit, die sie mit den Kindern verbringt. Ihr Mann übernimmt zu Hause das Abendbrot und die Nachmittagsbetreuung der Kinder. Aufräumen und Wäsche erledigt sie.
"Das Problem ist eher die Zeit, die fehlt. Manchmal würde ich auch gerne mal eine halbe Stunde länger arbeiten, weil ich grad drin bin, dann muss ich aber los, die Kinder abholen, die wollen dann auch nach Hause. Für die ist es auch ein langer Tag. Ja, dann hat man die zwei Stunden bis zum Abendbrot und muss die irgendwie füllen. Und bis dann abends Ruhe ist, kann auch bis um 21 Uhr dauern. Und dann beginnt für mich die Hausarbeit machen, Wäsche machen, nochmal aufräumen. Ab und zu schaff ich es auch mal, ein Buch zu lesen, oder bin so platt, dass ich mit den Kindern einschlafe, dann bleibt natürlich wieder was liegen."

"Ich will meine Kinder nicht abschieben"

"Ich habe das Problem, ich habe sozusagen einen Haus-Burn-Out. Bei der Arbeit entspanne ich super gut, ist alles tutti, ich bin voller Elan und dann komme ich nach Hause und das ist das wie ein Sack Kartoffeln, der auf mich fällt. Und dann hab ich irgendwann gesagt, das geht so gar nicht mehr, weil die schlechten Laune sich dann auch auf die Kinder überträgt und das Miteinander immer schwieriger wurde."
Melanie Fehneberg, kaufmännische Angestellte, ist Mutter von zwei Mädchen im Kindergarten- und Grundschulalter. Sie und ihr Mann haben sich immer Kinder gewünscht und alles dafür getan, welche zu bekommen.

"Es gibt keine perfekte Mutter"

Nun ist ihr Mann bei der Marine, monatelang nicht zu Hause. Und ihr fällt oft die Decke auf den Kopf. Sie reibt sich auf zwischen Haushalt und Kinderbetreuung, würde aber niemals in Erwägung ziehen, die Kinder länger als halbtags betreuen zu lassen.
"Ich hab ja die Kinder bekommen, um die um mich zu haben. Ich will meine Kinder nicht immer abschieben."
Dabei plagt sie ein schlechtes Gewissen, dass sie das Leben mit Kindern nicht so genießt, wie sie sich das vorgestellt hat.
"Von außen wird das immer so toll dargestellt, wenn die da zusammen kochen, machen und tun. Das ist ja immer ganz herrlich. Das ist aber nicht immer die Realität. Da sollte man vielleicht schon mal ein bisschen mehr drauf eingehen, dass das nicht immer nicht alles ganz toll ist, als Frau und Mutter. Und dass das Kochen mehr Anstrengung ist als lustig. Und die Küche sieht aus wie Sau. Das sollte vielleicht mal generell gesagt werden: Es gibt keine perfekte Mutter."

"Man hat sich viel zu viel Stress gemacht"

"Ich steh um fünf auf, für meine Sohn mach ich Frühstück. Für mich gehe ich ins Bad, mache mich fertig für die Arbeit dann fahre ich 5:40 Uhr mit dem Fahrrad zur Arbeit. Sechs Uhr fängt die an bis 14:20 Uhr. Dann komme ich nach Hause, muss nicht Mittagessen kochen, weil man Sohn damit in der Schule versorgt ist. Dann kommt er nach Hause um 15:20 Uhr. Und um 16 Uhr stehen die Termine an, ob das Ergotherapie ist oder Musikschule oder Schlagzeug. Und dann nach der Stunde geht man noch einkaufen. Dann Abendessen, dann setzen wir uns eine halbe Stunde vor den Fernseher und dann geht es ins Bett und ja, ich mach mir auch schon Gedanken, alles wieder so vorzubereiten für den nächsten Tag."
Alexandra Klein, 50 Jahre alt, ist mit ihrem Sohn auf Kur. Der 18-Jährige ist geistig behindert, deswegen durfte er auch jenseits der üblichen Altersgrenze mitkommen. Kleins Tochter ist 23. Schon aus dem Haus. Bei ihrer ersten Kur vor 14 Jahren, war sie noch mit dabei. Das war kurz vor der Trennung von ihrem Mann, erzählt sie. Seitdem macht sie eigentlich alles allein.
"Ich bin ja wenig strukturiert, und ich habe da fünf Sachen auf einmal. Vielleicht hat das Leben mich auch so geformt, dass ich da wirklich viele Sachen um die Ohren hatte, und dann alles jonglieren musste, dass es funktioniert, mit den Kindern, mit der Tochter, mit der Nachmittagsbetreuung, dass Essen da ist, dass sich jemand kümmert. Ich konnte eben dieses schlecht abgeben. Nach den Jahren kommt das zum Vorschein. Wo ich denke, aha, damit hängt das zusammen. Man hat sich vielleicht viel zu viel Stress gemacht. Also, viele sagen, du bist eine starke Frau, da denke ich: Wo denn? Aber man ist ja mittendrin, man tut es und macht es und möchte das Beste."
Der Wunsch, es perfekt zu machen, und die Sorge, es nicht zu schaffen, käme bei vielen Frauen als Belastung zu den täglichen Herausforderungen dazu, meint Klinikleiterin Jette Jax.

Den Kindern die "optimalen Startbedingungen" geben

Es hapere es heute oft an günstigen und flexiblen Kinderbetreuungsmöglichkeiten und an Ganztagsschulen, die kein Elternengagement erfordern. Auch findet sie es schade, dass gute Regelungen, wie zum Beispiel der arbeitsfreie Haushaltstag, der in der DDR einmal im Monat verheirateten Frauen und Alleinerziehenden gewährt wurde, nach der Wende einfach abgeschafft wurde, statt ihn für Eltern gleichberechtigt weiterzuentwickeln. Statt mehr Verantwortung abzugeben, meinen viele, immer mehr Verantwortung übernehmen zu müssen.
"Ich spüre eine unglaubliche Verantwortung, dem Kind optimale Startbedingungen zu geben in einer Welt, die für uns immer schwieriger wird. Und da fängt es an, dass man sich verzettelt. Das wird ja auch immer suggeriert, Kinder brauchen gute Startbedingungen, die muss man ganz viel fördern, weil die Fenster ja zugehen. Da ist immer Druck und ich glaube, das ist die Schwierigkeit. Früher liefen Kinder einfach mit und dann hat man denen vertraut, dass aus denen was wird. Da hat man viele Dinge auch besser tolerieren können."

Familienpolitik in DDR und BRD

Dabei scheint doch in den letzten Jahrzehnten einiges besser geworden zu sein für Frauen in der BRD. Vor dem Mauerfall hatte sich das Land ja familienpolitisch noch als Gegenmodell zur DDR aufgestellt und eher alte Rollenmuster zementiert.
Paula Villa, Professorin für Gender Studies an der Universität München, macht an diesem Kalten-Krieg-Antagonismus sogar fest, warum die BRD in Sachen Gleichberechtigung anderen europäischen Staaten wie Dänemark, Frankreich und Schweden so lange hinterherhinkte.
"Es ist ja eher so, dass alles, was nach Ganztagsbetreuung klingt, was nach sogenannter Fremdbetreuung klingt, in Westdeutschland ganz stark nach DDR und damit nach Kommunismus, Sozialismus, Entfremdung der Kinder aus der Familie, also Totalitarismus klingt."

Während in der Familienpolitik der DDR die Leitlinie eines sozialistischen Menschen galt, der – egal, ob männlich oder weiblich – eine in Vollzeit berufstätige Person sein sollte, förderte die BRD die Hausfrauen- und Versorgerehe. Erst nach dem Mauerfall, als sich die DDR, was die Geschlechtergerechtigkeit betrifft, der ehemaligen BRD annäherte, wurden einige Weichen neu gestellt.

Etappensiege bei Vereinbarkeit von Familie und Beruf

In Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt es einige Etappensiege zu vermelden:
Mit der Einführung des einkommensabhängigen Elterngeld 2007 wird Sorgearbeit von Eltern finanziell abgesichert und ein Wiedereinstieg in den Beruf nach einjähriger Pause unterstützt.
War es vor 2007 üblich, dass junge Mütter ihre Berufstätigkeit für mehrere Jahre unterbrachen und oft gar nicht in den alten Job zurückkehrten, ist mittlerweile fast jede zweite Frau nach einem Jahr wieder erwerbstätig. Jeder dritte Vater nimmt Elternzeit. Allerdings meist nur für zwei Monate.
Der rasante Krippenausbau und der neue Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag stellt die Vereinbarkeit von Kind und Beruf in den Mittelpunkt der Familienpolitik.
Jedes dritte Kind unter drei wird mittlerweile in einer Kindertagesstätte oder von einer Tagesmutter betreut. Allerdings gibt es nach wie vor ein großes Gefälle zwischen Ost- und West-, sowie Nord- und Süddeutschland.

Arbeiten: ja, aber in Teilzeit

Die Erwerbstätigkeitsquote von Müttern, und damit auch ihre finanzielle Unabhängigkeit, ist gestiegen: Mütter in der Bundesrepublik sind mittlerweile im EU-Vergleich überdurchschnittlich häufig erwerbstätig. 2016 arbeiteten 74 Prozent der Mütter in Deutschland. Allerdings arbeiten Mütter heute nach der Elternzeit meist in Teilzeit.
Die Geburtenrate ist in Deutschland gestiegen. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit nur noch knapp unter dem Durchschnitt von 1,6 Kindern pro Frau. Womit sich die Vergreisung der deutschen Gesellschaft allerdings auch nicht aufhalten lässt.
Hinzu kommt, dass jedes sechste dieser Kinder in prekären Verhältnissen aufwächst, viele von ihnen mit Alleinerziehenden, vor allen Müttern, deren Zahl in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen hat.
Auch die Verteilung von unbezahlter Hausarbeit scheint selbst bei Vollzeit arbeitenden und zusammenlebenden Eltern nach wie vor eher Frauensache zu sein.
Männer, die in Vollzeit arbeiten, wenden etwa ein Drittel ihrer Gesamtarbeitszeit für Haushalt und Kinderpflege auf, vollzeitbeschäftigte Frauen hingegen die Hälfte so das Ergebnis einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung.

Ungleichheit zwischen den Geschlechtern

Es gibt – auch wenn sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie deutlich verbessert hat – noch viele Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Auch auf dem Arbeitsmarkt, wo Frauen insgesamt deutlich weniger Lohn bekommen als Männer und seltener in Führungspositionen aufsteigen.
Kein Wunder, möchte man meinen, dass sich bei einem Drittel aller Mütter in den sieben Jahren nach der Geburt eines Kindes das mentale Wohlbefinden deutlich verschlechtert. Zu diesem Ergebnis kam jüngst eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
Befunde aus der qualitativen Gender-Forschung legen allerdings nahe, dass dieses Unwohlsein auch mit den gesellschaftlich tradierten Mutterschaftsidealen zusammenhängen könnte.
"Es lässt sich wahrscheinlich schon auf zwei grobe große Idealtypen verdichten: Das eine wäre die Mutter, die immer verfügbar ist, die sich ganz in den Dienst derjenigen stellt, für die sie Sorge trägt, der Kinder insbesondere aber auch des Mannes, die Vollzeitmutter, die viele als traditionell bezeichnen. Und das andere ist die Mutter, die in der Lage ist, moralisch und materiell für die Familie da zu sein. Die gut gebildet ist, die einen guten Beruf hat, die was aus ihrem eigenen Leben macht und all dieses, also ein Selbstbewusstsein, gute Bildung, guten Beruf an die Kinder, an die Familie weitergibt und so für ein gutes ökonomisch gesprochen Humankapital sorgt. Die Kinder als eine Art Investition in die Zukunft. Und das existiert nebeneinander und manchmal auch gegeneinander."

Jedes Modell von Mutterschaft wird diskutiert

Im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen bewegen sich Mütter in Deutschland unter großem Legitimationsdruck. Alles wird verhandelt, über alles wird gestritten: Stillen, Stilldauer, Schlaftipps, Impfungen, Berufseinstieg oder Ausstieg, Ernährung, Väterbeteiligung, Krippe, Tagesmutter – alles Minenfelder. Vollzeitmütter müssen sich Fragen gefallen lassen wie: Was fangen Sie eigentlich alles mit Ihrer Zeit an?
Berufstätige Mütter müssen ständig unter Beweis stellen, dass sie ihren Job trotz Kinder gut machen und ihre Kinder trotz Job unter besten Bedingungen aufwachsen. Wie Mutterschaft auszusehen hat, wird ständig öffentlich verhandelt. Zu Recht, findet die Geschlechterforscherin Paula Villa, die in der Mutter nach wie vor die zentrale Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Familie, dem Raum des Öffentlichen und des Privaten ausmacht. Klar, dass man darüber diskutieren muss.
"Wir alle – mehr oder weniger – beteiligen uns ja daran, und zwar nicht nur aus problematischen Gründen, sondern auch aus vielleicht einer guten Absicht heraus. Das hat nämlich zu tun mit einer, ich würde sagen, Demokratisierung des Privaten. Ja, das Private ist durch allerlei auch soziale Bewegungen, auch Teil dessen geworden, was öffentlich verhandelbar ist. Das ist zum Beispiel auch das, was wir sehen in der Vergewaltigung in der Ehe, die ja bis in die späten 90er kein Strafbestandteil war. Das In-das-Private-Schauen ist auch ein Reflexivierungserfolg. Es gibt Dinge, die im Privaten nicht gehen. Es gibt auch viel zu gestalten im Privaten und also auch viel zu diskutieren. Und dass alle Modelle von Mutterschaft heute unter Rechtfertigungsdruck stehen, das ist auch ein Erfolg dessen, was wir Modernisierungsprozesse nennen. Nämlich: Kein Modell ist klar vorgegeben und nicht mehr der Rede wert."

Der Mythos vom Mutterinstinkt

Und trotzdem hält sich auch bei verschiedenster Auslegung der Mutterrolle die Vorstellungen, dass es im Gegensatz zum Vater einen quasi angeborenen Mutterinstinkt gibt. Die Feministin Elisabeth Badinter macht ein Wiedererstarken dieses Konzepts in den 70er-Jahren fest und zitiert in ihrem Buch "Der Konflikt – Die Frau und Mutter" eine ganze Reihe von Verhaltensforschern, Kinderärzten und Soziobiologen, die die Natürlichkeit der Mutter-Kind-Liebe neu belegen.
Was Badinter als naturalistische Offensive bezeichnet, die einhergeht mit einem Feldzug gegen Flaschenmilch, Krankenhausgeburten und Wegwerf-Windeln, hat laut Paula Villa ihren Ursprung vor mehr als 200 Jahren.
"Weil die Moderne, die Phase ab Ende des 18. Jahrhundert, sich durch die Form auszeichnet, sich stark an der Natur zu orientieren. Das ist davor sehr anders. Da sind Normen, Leitbilder, Modelle und Zwänge religiös vor allem fundiert und sehr stark auch von den politischen Kräften gesetzt. In der Moderne hingegen orientiert sich das Selbstverständnis im politischen, im gesellschaftlichen Raum an der Vorstellung: Die Natur hat das alles schon richtig vorgesehen und wir als Gesellschaft müssten uns an der Natur orientieren und Kultur auch der Natur entsprechend nachformen. Und bei der Mutterschaft, bei Familienmodellen ist das in der Moderne auch bei Geschlechterfragen ganz stark ein Thema. Die Idee ist, es gibt einen Teil der Menschheit, der von der Natur aus durch die Ausstattung mit einer Gebärmutter dazu prädestiniert ist, mütterlich zu sein. Also fürsorglich, einfühlend, kommunikativ. All dieses."
Eine Vorstellung, die nach wie vor Wirkung zu entfalten scheint. Wie ließe sich sonst erklären, dass Mütter in der Regel viel länger in Elternzeit gehen als Väter, dass sie, sobald sie Kinder haben, eher in Teilzeit arbeiten als Väter? Wie ließe sich der schleppende Fortschritt in Politik und Wirtschaft deuten in Sachen Frauenquoten, flexiblerer Arbeits- und Lebenszeitmodelle oder einer Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten einer familienfreundlicheren Variante? Warum steht Familienpolitik immer noch so oft im Widerspruch zur Gleichstellung?

"Eine richtige Mutter gehört zum Kind"

"Es gibt einen massiven Widerstand immer wieder. Ich wundere mich da manchmal auch und erklären tue ich mir das mit der Kopplung von der Vorstellung: Eine richtige Mutter gehört von Natur aus zum Kind. Und wer das nicht macht, ist eben keine gute Mutter und irgendwie auch keine richtige Frau. Und sich das realisiert in einem Modell von: allenfalls ein bisschen Teilzeit dazu arbeiten und ein richtiger Mann ist eben der, der mit einem guten Job die Familie versorgen kann. Und wer das nicht macht, ist auch als Geschlecht, als Frau, als Mann gescheitert. Und das prägt Menschen schon nach wie vor ziemlich stark."
Und bestraft sie mit einem schlechten Gewissen. Mit mentalem Unwohlsein. Und mit Stress.
Längst soll die Mutter auch nicht nur Versorgerin und Verdienerin in einem sein. Sie soll auch sexy sein. Eine Milf – eine mother I'd like to fuck.
"In unserer christlich geprägten Gesellschaft gibt es halt dieses Bild der Mutter als Heiligen, die ganz fürsorglich, die nährende Mutter so wie die Maria ist, die Mutter Gottes. Und die Hure ist die Negativfolie dazu, die sexuell selbstbestimmt ist und sich gegen die Mutterschaft stellt. Und die Milf lustigerweise vereint die beiden Kategorien, sie ist die eierlegende Wollmilchsau, eine Mutter, die, obwohl sie super fürsorglich ist und ihre Erziehungsaufgaben perfekt erfüllt, trotzdem ihr Sexleben nicht zurückstellt."
Milf-Mädchen-Rechnung heißt das Buch der Sexualpädagogin Katja Grach. Es untersucht die Entstehungsgeschichte des Begriffs Milf und seiner Entwicklung zur Leitfigur. Explizit taucht sie zuerst in der US-Teenie-Komödie Amercian Pie aus dem Jahr 1999 auf. Die Milf war in diesem Fall die Schauspielerin Jennifer Cooldige in der Rolle einer äußerst attraktiven Mutter.

Die Milf als neues Rollenbild

Ein Begriff war geboren und wurde sogleich von der Pornoindustrie übernommen. Ein Label für Pornodarstellerinnen jenseits der 30, das sich im Übrigen großer Beliebtheit erfreut. Laut Pornhub Statistik war Milf im Jahr 2017 auf Platz drei der meistgesuchten Begriffe.
"Meistens sind die noch aus der Zeit, wo sich Frauen im Pornogenre die Brüste haben vergrößern lassen – langes, wallendes Haar und sie sind von der Hautfarbe eher weiße Frauen, finanziell gut abgesichert, würde ich sagen. Die Milf kommt nicht aus einer schmuddeligen Ecke. Das ist weder eine Teenie-Mutter, noch eine, die den kompletten Sauhaufen in ihrer Wohnung hat."
Wie schon das Hausfrau- und Vollzeitmutterideal des 19. Jahrhunderts ein elitäres Modell beschrieb, das sich nur in Haushalten erfüllen konnte, in denen ein Einkommen ausreichte, ist auch die Milf mindestens gutbürgerlich. Auffällig ist, dass im Porno jeglicher Verweis auf Kinder – herumliegendes Spielzeug oder entsprechende Möbel – fehlt. Authentizität ist bei der ödipalen Fantasie nicht gefragt. Umso erstaunlicher, dass das Modell so schnell Schule machen konnte."
"Eigentlich hat es mit den 90ern vermehrt begonnen, dass sexy zu sein als emanzipatorisch gilt. Es gibt ja einen Jugendwahn, immer schön verfügbar und sexuell attraktiv zu sein, das hat sich in den letzten 20 Jahren intensiviert. Grundsätzlich gibt es ja ein Schönheitsideal in unserer Gesellschaft: Und das heißt schlank. Und macht auch vor Müttern nicht halt: gleichzeitig, was aktuelle Trends sind: lange Wimpern, der haarlose Körper ist seit gut zehn Jahren Standard, Korrekturen im Genitalbereich, wo innere Scheidenlippen verkleinert werden, wo es eine G-Punkt Aufspritzung gibt."
Da ist der Einzug der Pornoästhetik in den Alltag, da sind die Schauspielerinnen und Models, die eben noch hochschwanger mit Babykugel auf den roten Teppichen dieser Welt standen und wenige Wochen später schon wieder mit straffem Bauch erstaunen. Da sind die Instragram-Bilder, die Make-Up-Tutorials, die unglaublich gutaussehenden Konkurrentinnen der Dating Apps.

"Ich muss fickbar bleiben"

"Das ist immer die Frage, von welcher Seite kommt das? Und wenn es ein Druck ist? Der Markt entsteht, glaub ich, über die höhere Scheidungsrate. Es wird viel mehr diskutiert, andere Partnerschaftsmodelle neben Monogamie, das macht einfach unsicher. Man weiß, man könnte leichter ersetzt werden. Die Dating-Apps spiegeln das nur wider. Ich find, die sind das Symptom."
Die Autorin Andrea Harmonika veröffentlichte 2017 einen lustigen und zugleich schockierenden Text, in dem sie aus Artikeln über Mütter aus unterschiedlichsten Zeitschriften und Zeitungen zitiert. Von "Softie-Müttern" ist dort die Rede, die immer als erstes "demonstrativ ihre Bluse aufknüpfen" und ihre "Euter" auspacken. Da wird geschrieben über Mütter die ungeniert "Schenkel-Schande", "Wabbel-Wellen" und "Dellen-Drama" präsentieren. Dann doch lieber Milf, oder? Die Komikerin Carolin Kebekus beantwortet das eindeutig mit: Ja!
"Ich mach nicht denselben Fehler wie meine Großmutter und werde einfach nur eine alte, faltige, nette Frau. Ne, ne. Ich muss fickbar bleiben. Na klar sonst werde ich aussortiert. Natürlich. Wir müssen unsere fuckability-Spanne verlängern. Von 15-75 müssen wir fickbar bleiben, denn sonst haben wir versagt."

Das Klischee vom Basteln und Kekse backen

Man kann das Thema natürlich mit Humor abtun. Man kann sich auch der "Body Positivity"-Bewegung anschließen, und versuchen, seinen Körper so zu lieben wie er ist. Und trotzdem hilft es natürlich, wenn dieser nicht zunehmend funktionsuntauglich wird, weil man nie Zeit hat, sich um ihn zu kümmern. Wie man sich Zeit verschafft, erklärt Patricia Cammarata in ihrem Blog dasNuf.
Die Mutter von zwei Kindern arbeitet Vollzeit in der Geschäftsentwicklung eines großen Unternehmens. Sie ist Podcasterin, Speakerin und hat mittlerweile auch keine Probleme mehr damit, als Mama-Bloggerin bezeichnet zu werden.

An alles denken - Aufgabe der Mutter

"Ich habe lange da dran rumgekaut, was mich daran stört. Aber ich glaub, das eigentliche Problem ist tatsächlich dass es so was Zweitklassiges ist. Was man so als Klischee im Kopf hat: Das ist dann Basteln oder Kekse backen – ein paar irrelevante Dinge um die Kinder rum. Und das ist ja eigentlich sehr schade, wenn man das auch so annimmt in dieser negativen Art. Weil mir irgendwann auch aufgegangen ist, dass Blogs eine wirkliche Chance sind, dieses unsichtbare auch sichtbar zu machen und dem auch eine Wertigkeit zu geben."

Mental Load zum Beispiel: Der Begriff steht für all die unsichtbaren Dinge, die neben Hausarbeit oder Kinderbetreuung, Einkaufen und Kochen noch so anfallen. Das Planen und Koordinieren all dieser Dinge nämlich. Das Denken an Zahnarzttermine, U-Untersuchungen, an Feiern in Kita und Hort, an Geburtstagsgeschenke, an Elternsprechtage, an Überweisungen für Schulfahrten, an Anmeldetermine, an Kinder-Reisepassverlängerungen, das Koordinieren von Babysittern, von Fahrten zu Sport und Musikkursen.
"Mental Load ist die Steuerung dieses Gesamtprozesses und am Ende die Verantwortung, die man dafür trägt. Es geht wirklich um diesen ganz komplexen Vorgang Alltag mit Familie und dann eben mit Lohnarbeit irgendwie zu organisieren. Die ganzen Bedingungen – einfach mitzudenken und immer diejenige zu sein, die am Ende, wenn etwas nicht klappt, dafür zur Rechenschaft gezogen wird, dass es nicht geklappt hat."
Vor einem großen Publikum hat Cammarata über den Begriff das erste Mal auf dem Female Future Force Day 2017 gesprochen: "Warum endet die Gleichberechtigung so oft mit der Geburt des ersten Kindes? Und was 'Mental Load' damit zu tun hat" war der Titel.

"Wenn das Familienglück von einem abhängig ist"

Um das Konzept anschaulich zu machen, hatte Cammarata ihre Mental-Load-Map für die nächsten drei Tage mitgebracht und all die Dinge notiert, die mit den anstehenden Terminen "Kind fährt ins Ferienlager", "Essen für die Woche" und "Schule fängt an" zusammenhängen. Die Liste allein für diese Termine umfasste 19 Punkte. Und das waren nicht mal alle Termine der Woche. Die Reaktionen auf Cammaratas Vortrag waren durchaus bemerkenswert:
"Die haben mich wirklich überrumpelt. Eine Freundin hat gesagt, ich bin aus dem Vortrag rausgegangen, weil ich weinen musste. Da war ich wirklich vor den Kopf gestoßen, bis ich verstanden habe, dass viele für dieses Phänomen kein Wort haben. Also, warum das auch eine Aufgabe ist, die mir einfach Energie abzieht. Verantwortung zu tragen, die auch so krass anzunehmen und das Gefühl zu haben, dass jetzt das Familienglück und das persönliche Glück der einzelnen Leute von einem abhängig ist: Ich glaube, das kann einen sehr zu schaffen machen."
Gleichberechtigung ist ein wichtiges Thema für Cammarata, die sich oft die Frage stellt, warum auf Mütter anders geguckt wird als auf Väter. Warum eine gute Mutter daran gemessen wird, dass sie – wohlgemerkt, ohne sich zu beklagen – mit Leichtigkeit Kinder und Haushalt im Griff hat. Während Väter gleich als Helden gelten, wenn sie die Kinder mal vom Kindergarten abholen.

Die Aufgaben auflisten und neu verteilen

Frauen und Männer haben ihrer Ansicht nach, nach wie vor stark mit veralteten Modellen von Männlich- und Weiblichkeit zu kämpfen. Eine Möglichkeit, da aufzuräumen, ist, sich mit seinem Partner hinzusetzen und eine gründliche Bestandsaufnahme aller Aufgaben zu machen, die mit Kindern anfallen. Sichtbare und unsichtbare.
"Wir haben wirklich erstmal eine Bestandsaufnahme gemacht, was gibt es alles an Aufgaben, weil viele ja wirklich schon seit ewigen Zeiten von einer Person, meistens der Frau, nebenher erledigt werden. Und das ist unsichtbar. Und es hilft dann tatsächlich, auch wenn es aufwändig ist, erstmal aufzuschreiben, was gibt es alles für Themen und wie oft fallen die auch an. Das ist erbsenzählerisch am Anfang und sehr anstrengend."
Aber es lohnt sich. Jeden Sonntag notieren Patricia Cammarata und ihr Partner die Aufgabenverteilung in einem Wochen-Plan, der sich dank digitaler Technik auch immer anpassen lässt. Trotz Trennung vom leiblichen Vater ihrer Kinder, fühlt sie sie sich alles andere als alleinerziehend.
"Mein Glück war, dass ich einen Neustart hatte und ich da viel drüber nachdenken konnte, wie ich mir das vorstelle. Wir machen viele Besprechungen. Ich hab das lange für die IT gemacht, da geht ja auch keiner davon aus, dass wenn eine Website gemacht wird, die Entwickler willig sind und das ganze dann schon klappen wird. Man bespricht Schritt für Schritt die Ansprüche und wer dafür verantwortlich ist.
Es gibt banale Sachen, die ich in meiner Partnerschaft jetzt erlebe, die mich rühren. Zum Beispiel das plötzlich Wäsche, die ich in den Korb geworfen hab, zwei Tage später gefaltet in meinem Schrank liegen. Das war für mich so ein männliches Privileg. Und warum das für viele Männer selbstverständlich so zu erwarten ist und viele Frauen das so annehmen und das zu keinem Zeitpunkt hart infrage stellt? Ich würde es gerne selber wissen."

Eine neue Diskussion über Erwerbsarbeit

Für die Geschlechterforscherin Paula Villa hat die enge Kopplung von Geschlecht an bestimmte Tätigkeiten auch damit zu tun, dass Fürsorge – oder Care – gleichzeitig idealisiert und geringschätzt wird. Sie plädiert dafür – diese sowie auch die Mutterschaft selbst – zu entmythologisieren und die Angewiesenheit aller Menschen als menschliche Bedingtheit gesellschaftlich anzuerkennen. Die derzeitige Fetischisierung von Autonomie stehe dem allerdings im Wege.
"Insgesamt haben wir ein großes gesellschaftliches Problem, dass wir immer mehr die Vorstellung haben, dass Erwerbsarbeit völlig entkoppelt ist von jeder Form von Sorgearbeit und dass die Erwerbsarbeit sich immer mehr entgrenzt. Und das lässt sich einfach nicht mit dem Kümmern von Kindern, mit Familie und so weiter vereinbaren. Da müssen wir auch über Erwerbsarbeit nochmal ganz anders nachdenken und wie wir Erwerbsarbeit so organisieren, dass Fürsorge und das Kümmern, dass das möglich wird und nicht immer nur Privat-Einzelproblem von Müttern wird, die irgendwie ihre Work-Life-Balance managen müssen. So wird das nichts."
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