Das rollende Balkan-R auf der Bühne

Von Thomas Wagner |
Balkan-Kids spielen deutsches Theater - so könnte man das Treffen der jungen Theatermacher in Rumänien zusammenfassen. Die Jugendlichen haben dabei ganz unterschiedliche Motive für ihre Teilnahme.
"Wie spielen das Theaterstück 'Tätowierung'. Es geht um verschiedene Beziehungen - zwischen Eltern, Kinder und Jugendliche. Ich habe eine Schwester. Die lebt jetzt in Deutschland. Und mein Ziel ist es, Deutsch besser zu sprechen."

"Jetzt lass es Euch schmecken: Zufassen - runter, und iss"

Dafür hat sich die16-jahrige Marina Skimptai aus dem ukrainischen Cernowitz einen ungewöhnlichen Ort gewählt: Die Theaterbühne. Dort spielte sie mit ihrer Gruppe "Bukoviner Phönix" das Stück "Tätowierung" der hessischen Autorin Dea Lohr.

Marina Skimptai durfte mit der ukrainischen Schülertheatergruppe "Bukoviner Phönix" heute Abend ziemlich weit weg von ihrer Heimat auftreten: Im Saal des Deutschen Staatstheaters im rumänischen Temeswar. Am auffällig rollenden "R", für den slawischen Sprachraum charakteristisch, erkennen die Besucher sofort: Für die meisten der jungen Frauen und Männer, die da auf der Bühne stehen, ist Deutsch eine Fremdsprache. Das trifft nicht nur auf die Ukrainer, sondern auch für die Gruppen aus Rumänien und aus Serbien zu, die bei dieser 13. Auflage des deutschsprachigen Jugendtheaterfestivals in Temeswar mitmachen.

In der ersten Zuschauerreihe sitzt Isolde Cobet. Sie ist zwar rumänische Staatsbürgerin, hat aber deutsche und russische Wurzeln - und betreut einige der Gruppen. Von den Ukrainern, sagt die resolute Endvierzigerin, könnten selbst ihre eigenen Schützlinge aus Rumänien noch etwas lernen.

"Sie haben dieses gewisse Etwas, dieses Slawische. Sie haben ein Temprament, das man in Rumänien nicht findet. Die Rumänen sind gelassener. Und das sieht man auch im Theater, wie sie spielen."

Vom Temperament deutschsprachiger Theatergruppen aus anderen Nationen etwas lernen - das ist ein wesentliches Ziel des Festivals in Westrumänien. Den Teilnehmern aus Serbien, der Ukraine und Rumänien ist eines gemeinsam: Ihre zumeist sehr kurzen Stücke zeitgenössischer Autoren spielen sie auf Deutsch. Da gibt es aber auch die Unterschiede: Dominik Kaiser von der Theatergruppe des Gymnasiums Maintal aus Frankfurt :

"Für mich ist eine Sache, neue Freundschaften zu haben, neue Kontakte zu knüpfen, aber auch andere Spielarten im Theater kennen zu lernen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es in Deutschland andere Arten und Weisen gibt, Theater zu spielen als in osteuropäischen Ländern. Es ist halt die Art und Weise, an ein Thema ranzugehen. Das erscheint viel lockerer. In Deutschland ist das von einer gewissen Struktur bestimmt. Und hier läßt man sich in ein Gefühl reinfallen und geht dem Impuls nach."

"Ich liebe alle Menschen. Doch ich weiss, dass mich niemand lebt. Ich bin krank. Ich will gehen." Ein großer junger Mann, die langen Haare zum Zopf zusammen gebunden, steht auf der Bühne. Mal blickt er ernst, mal schmerzverzerrt ins Publikum. In einem Augenblick steht er kerzengerade in der Mitte, im nächsten tänzelt er auf und ab. Dabei ist Harald Weiss gerade mal 18 Jahre alt, kommt aus dem rumänischen Temeswar und stemmt mit hoher Präzision das Ein-Personen-Stück "Nijinski", das die geistigen Verirrungen des gleichnamigen russischstämmigen Balletttänzers thematisiert. Seit der neunten Klasse spielt Harald Weiss Schülertheater - deutschsprachiges Schülertheater:

"Ich spreche Deutsch schon von klein auf. Und ich habe schon in der Grundschule sehr gerne Theater gespielt. Ich kann mich besser in Deutsch ausdrücken. Und Rumänisch? Ich habe nicht so arg die Begeisterung, Rumänisch zu spielen."

Harald Weiss gehört der deutschen Volksgruppe der Banater Schwaben in West-Rumänien an. Und dort wird, ebenso wie bei den Siebenbürger Sachsen in Zentralrumänien, bis heute Deutsch nicht nur als Umgangssprache, sondern auch als Theatersprache gepflegt. Dem trägt sogar der rumänische Staat mit der Finanzierung des Deutschen Staatstheaters Rechnung. Allerdings wäre es zu kurz gesprungen, die Freude am deutschsprachigen Theater nur mit dem Engagement der deutschen Minderheiten zu erklären. Die fallen zahlenmäßig ohnehin kaum mehr ins Gewicht. Die meisten sind nach Deutschland ausgewandert. Dennoch können sich die deutschsprachigen Schulen vor Bewerbern kaum mehr retten; an Nachwuchs fürs Schülertheater fehlt es daher nicht. Das hat seinen Grund. Alexandra Ademescu aus Bukarest und Straccia Stianovic aus Belgrad:

"Meine Mutter hat mich auf die deutsche Schule gebracht. Das ist gut für eine berufliche Zukunft. Ich will in Deutschland studieren und arbeiten. "

""In Serbien besuchen so viele Schüler die deutschen Schulen, weil sie mal in Deutschland studieren möchten. In Deutschland ist das am besten."

Turbulent geht es auf den Seminaren zu: Die Schüler lernen in diesem Fall, sich gehen zu lassen, ihren Gefühlen freien Ausdruck zu verleihen. So etwas zu beherrschen, ist wichtig für eine erfolgreiche Aufführung wenig später. Mit großem Engagement sind die Schüler bei der Sache und das heißt: Es geht beim Engagement in der deutschsprachigen Theatergruppe irgendwo in Serbien, Rumänien oder in der Ukraine nicht nur um bessere Zukunftschancen, sondern um Spaß am Spiel auf der Bühne überhaupt. Möglicherweise entdecken manche in diesen Momenten auch die Schauspielerei als Option für die Zukunft so wie vor einigen Jahren Isa Vonevka aus Temeswar. Sie hat schon sechs Mal am Festival teilgenommen. Heute studiert sie an der deutschsprachigen Schauspielschule in Temeswar.

"Ich glaube, dass wir hier gute berufliche Chancen haben, weil in Temeswar eben auch das Deutsche Staatstheater ist, wo man halt nur in deutscher Sprache spielen kann, und wo das nur ein enger Kreis ist. Aber man hat hier die Chancen, mehr und öfters zu spielen als in einem rumänischen Theater, wo mehr Schauspieler ein Engagement haben wollen."

Die Verdienstmöglichkeiten für deutschsprachige Jung-Schauspieler in Rumänien sind allerdings überaus bescheiden. Das nehmen Idealisten wie Isa Vonevka in Kauf. An die Möglichkeit, als Schauspielerin in Deutschland ihr Glück zu versuchen, denkt sie erst gar nicht. Und da tut sie es ihrer Lehrerin, der Temeswarer Schauspielerin Isolde Cobet gleich:

"Ich würde auch nicht gehen wollen, nach Deutschland schon gar nicht. Ich würde mir ein Theater wünschen, das viel mehr Seele hat. Das deutsche Theater ist mir viel zu pedantisch in vielerlei Hinsicht. Und viel zu ordentlich. Und ich bin ein Mensch, der nicht so ordentlich ist: Ich liebe das Chaos. Und ich denke, aus dem Chaos entstehen die schönsten Sachen überhaupt auf der Bühne."
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