Macht Social Media uns zum Narziss?
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Die Idee, dass Menschen durch Selfies, Likes und virale Momente zu selbstverliebten Egoisten werden, hält sich hartnäckig. Dieser Social-Media-Narzissmus lässt sich zwar wissenschaftlich belegen, soll aber nur sehr gering sein.
Der Medienwissenschaftler Markus Appel hat an der Universität Würzburg den Zusammenhang zwischen Narzissmus und Social Media in einer Meta-Analyse untersucht. Bei einer Meta-Analyse werden verschiedene Studien zu einem Thema zusammengefasst und die daraus entstehenden Ergebnisse neu interpretiert.
Appels Fazit: Es gibt einen zunehmenden Narzissmus, der auch mit dem Netz zusammenhängt. Andererseits sei dieser Zusammenhang aber so gering, dass kein Anlass bestehe, eine ganze Generation Social-Media-affiner Menschen zu diffamieren. Insbesondere fehle dem Social-Media-Narzissmus die Gefühlskälte und das übersteigerte Selbstwertgefühl, das oft mit Narzissmus in Zusammenhang gebracht werde. Eine Gefahr sehe er er darin, dass in ihrem Selbstkonzept noch unbeständige Jugendliche zu hohen Vergleichsstandard durch beschönigende Selbstdarstellung ausgetzt werden.
Das Interview im korrigierten Wortlaut:
Deutschlandfunk Kultur: Bevor wir jetzt zu den Ergebnissen der Studie kommen würde mich jetzt nochmal ganz konkret interessieren, was für Äußerungen, welche Faktoren würden Sie denn klar als narzisstisch beschreiben? Welche konkreten Beispiele können Sie da nennen?
Markus Appel: Wir haben Studien analysiert und diese haben so eine Selbstbeschreibungen zugrunde gelegt. Das heißt Personen aus der Allgemeinbevölkerung oder Studierenden wird eine Liste an Aussagen gegeben und die kreuzen selbst an, was für sie mehr oder weniger zutrifft.
Deutschlandfunk Kultur: Zum Beispiel?
Markus Appel: Da geht es um ein übersteigertes Selbstwertgefühl zum Beispiel. Oder "Ich bin..." und dann zum Beispiel "...kompetenter als andere". Und wenn ich viele solcher Fragen in diese Richtung beantworte, dann geht man davon aus, dass das Ausdruck von einem höheren Narzissmus ist.
"Der Zusammenhang existiert, ist aber klein"
Deutschlandfunk Kultur: Jetzt kommen wir mal zu diesen Ergebnissen. Gibt es denn diesen Zusammenhang zwischen Narzissmus und der Nutzung von sozialen Netzwerken?
Appel: Dieser Zusammenhang existiert. Man muss aber zugleich anfügen, der Zusammenhang ist sehr klein. Das heißt er bewegt sich im Bereich von .17, das haben wir herausgefunden. Das ist so gar nicht so unüblich in der Psychologie, aber es ist etwas was eigentlich nicht dazu anregt, sehr übertriebene Interpretationen anzustellen. Das heißt die Social-Media-Nutzung oder der Narzissmus - je nachdem was man erklären möchte mit den Daten - hängen eigentlich ganz überwiegend von anderen Faktoren ab.
Deutschlandfunk Kultur: Nun wird ja gesagt die neuen Medien befördern Narzissmus. Das wird überall behauptet, es gibt viele Artikel zu diesem Thema und es wird auch immer wieder diskutiert. Man kann sich ja auch tatsächlich in den sozialen Netzwerken prima jederzeit bewundern lassen. Man kann auf seine Profile und Interessen zugespitzt On-Demand-Dienste nutzen also immer in seiner Bubble bleiben.
Man kann Leute dazu bringen, mir Lebensmittel und alles was ich möchte nach Hause zu bringen. Mit künstlicher Intelligenz kann man zum Beispiel Alexa immer im Befehlston kommandieren, irgendwelche Dinge zu tun. Da kann man doch darüber nachdenken, ob das nicht eventuell auf eine gewisse Weise ... - oder eine gewisse Ausprägung des Narzissmus befördert, oder?
Appel: Ich denke, die Fragestellung ist interessant. Genau das, was sie sagen, sind Beobachtungen die viele Leute teilen. Ich denke, was kritisch zu bemerken ist, ist das, wenn man das in den Kontext von Narzissmus setzt. Narzissmus ist einerseits eine Persönlichkeitsvariable, andererseits eine Persönlichkeitsstörung. Aber selbst die Persönlichkeitsvariable ist ja negativ gefärbt.
Narzissmus ist nichts Positives, zumindest heute würde man das noch sagen. Zu Narzissmus gehört eben auch Gefühlskälte, dazu gehört ein über überzogenes Anspruchsdenken. Das heißt, wenn ich dann eine ganze Generation, zu der ich möglicherweise gar nicht gehöre, wohlfeil - im Feuilleton zum Beispiel - dann mit dem Begriff des Narzissmus in Verbindung bringe, dann muss ich starke Argumente haben, dass das der Fall ist, und diese starken Argumente kann die Wissenschaft nicht liefern.
Der Narzissmus ist nicht allein
Deutschlandfunk Kultur: Sie unterscheiden auch unter zwei verschiedenen Typen von Narzissten, nicht wahr?
Appel: Diese Unterscheidung zwischen pathologischem Narzissmus und Narzissmus als Persönlichkeit zieht sich eigentlich durch die Literatur. Das heißt worüber wir typischerweise reden sind nicht die pathologischen Narzissten, die eine Störung haben, die in der Psychiatrie und in der Psychotherapie vorkommt. Narzissmus wird auch verwendet um Personen wie Sie und ich zu beschreiben, und dann hat man eben höhere oder niedrigere Werte.
Deutschlandfunk Kultur: Auf der anderen Seite haben sie eben selbst gesagt, Narzissmus hat keinen besonders guten Ruf. Das wird in unserer Gesellschaft eher negativ konnotiert, zum Teil natürlich auch aus gutem Grund: Das ist jetzt moralisch nicht unbedingt eine Attitüde, die total hoch im Kurs steht, dass man immer nur auf den Schein setzt und darauf wie man auf andere wirkt. Sie scheinen das trotzdem relativ sorglos zu beobachten, dass es da immer mehr Tools gibt, die genau diese Eigenschaften zu unterstützen.
Appel: Ich sehe das schon. Ich habe auch Bedenken, aber ich glaube, es ist nicht Schwarz oder Weiß. Es gibt diese extremen Positionen, dass man sagt "Ja, die junge Generation, so und so und schlimm!" Und dass ich sage, das ist nicht wissenschaftlich unterstützt, heißt nicht, dass ich da sorglos darauf schaue. Das ist, glaube ich ein Fehlschluss. Diese Selbstpräsentation, die führt natürlich dazu, dass man es sich im Vergleich zu anderen gar nicht erlauben kann, irgendwie Pigmentflecken zu zeigen auf Instagram. Das heißt, es ist schon so eine Vergleich-Prozess-Mentalität viel stärker der Fall.
Narzissmus hat aber eben auch mit so etwas wie Gefühlskälte zu tun. Ich bemerke diese Gefühlskälte und dieses übersteigertes Selbstwertgefühl nicht, sondern es ist eher ein fragiles Gefühl. Also eher sehe ich die Gefahr darin, dass Jugendliche, die ja in ihrem Selbstkonzept weniger beständig sind, eigentlich der Gefahr ausgesetzt sind, dass ihnen Vergleichsstandards vorgesetzt werden, die sehr hoch sind und dazu tragen unterschiedliche Medien natürlich bei. Das sind nicht nur Social Media. Da sehe ich sehr wohl Gefahren.