"Das schönste Mädchen der Welt" von Aron Lehmann

Endlich eine Heldin mit Abgründen

Der Regisseur Aron Lehmann vor einem Motiv aus seinem Film "Highway to Hellas"
Der Regisseur Aron Lehmann – hier bei der Premiere seines Films "Highway to Hellas" © dpa
Moderation: Susanne Burg |
Künstler mit großer Nase verliebt sich in ein Mädchen – wem diese Handlung bekannt vorkommt, der liegt nicht ganz falsch. Der neue Film von Aron Lehmann basiert auf der Geschichte von "Cyrano de Bergerac", bringt aber eine entscheidende Verbesserung.
Susanne Burg: "Das schönste Mädchen der Welt" – das ist ein neuer Film, der am Donnerstag in die Kinos kommt und in der Welt von 17-jährigen Schülern und Schülerinnen spielt. Roxy ist neu in die Klasse gekommen und verdreht allen Jungs den Kopf. Sie freundet sich mit dem Außenseiter Cyril an, der sie auch toll findet, sich aber keine Chancen ausrechnet. Alleine schon wegen seiner großen Nase, für die er von allen verspottet wird. Ab und zu aber versteckt er sich hinter einer Maske und zeigt, was er kann, indem er als Battle-Rapper gegen andere Rapper antritt. Wem die Geschichte: Künstler mit großer Nase verliebt sich in Mädchen, traut sich aber nicht, ihr das zu sagen – wem das bekannt vorkommt, der liegt nicht ganz falsch. "Das schönste Mädchen der Welt" basiert auf der Geschichte von Cyrano de Bergerac. Regie geführt hat Aron Lehmann. Das Projekt wurde an ihn herangetragen, und zwar als Lars Kraume schon eine Drehbuchfassung geschrieben hatte. Deswegen wollte ich von Aron Lehmann – als ich ihn getroffen habe – auch erst mal wissen, was seine erste Reaktion war, als er von dem Projekt gehört hat.
Aron Lehmann: Ich muss ehrlicherweise sagen, dass ich erst mal einen kleinen Schreck gekriegt habe, weil einmal "Cyrano de Bergerac", die Verfilmung mit Gerard Depardieu, ist sicherlich einer meiner Lieblingsfilme, die ich schon so seit meiner Jugend einfach wirklich verehre und schon mehrfach gesehen habe, und als mir das dann gepitcht wurde mit "Cyrano de Bergerac" meets "Fack ju Göhte", bin ich ein bisschen zusammengezuckt, und ich habe das Buch dann tatsächlich auch erst mal nicht angefasst, und dann rief mich mein Agent an und sagte, du, das ist richtig toll, da lässt sich was draus machen, guck mal rein, und habe das gelesen und hatte sofort eine Idee dazu. Das Entscheidende, was ich dachte, dachte, ich kann endlich das einzige, was mir im Original missfällt, verbessern, und das ist die Frauenfigur, dass ich dieses Mädchen weghole von diesem Objekt der Begierde und da einfach ein toughes modernes Mädel draus mache, die die Jungs nicht braucht, verstehst du. Als ich dieses Buch übernommen habe, war mir wichtig, dass die Roxy fehlerhaft sein muss. Wir gestehen unseren männlichen Helden immer Fehler zu, und sie erobern trotzdem die Prinzessin. Weibliche Figuren, ich sehe das übrigens auch im Leben häufig so, dass ich das Gefühl habe, Frauen werden Fehler schwerer zuerkannt als Männern. Ich habe das Gefühl, das ist ein häufiger Fall auch bei weiblichen Heldinnen, und das war mir wichtig, dass sie da einfach ein paar Abgründe und Schwächen kriegt und dass sie eine Herausforderung ist für die Männer. Darum ging es mir, dass es nicht nur drum geht, ich will die haben, sondern halte ich die auch aus.

Vom 17. Jahrhundert ins Klassenzimmer von heute

Burg: Wie schwierig war es eigentlich, die Geschichte, bei der es ja im Ursprünglichen um einen liebeskranken Dichter des 17. Jahrhunderts geht, der in seine Cousine verliebt ist und sich das nicht traut zu äußern und Verse schreibt. Wie schwierig war es, diese Geschichte in einen Schulkontext zu übertragen?
Lehmann: Also es spielten zwei Dinge eine große Rolle, die mir wahnsinnig gefallen haben an diesem Stoff, den noch mal neu zu machen. Einmal, dass ich eben, wie gesagt, an dieser weiblichen Hauptfigur schrauben konnte, und das Zweite, dass ich diese Geschichte paaren konnte mit der ersten großen Liebe, und ich finde, diese erste große Liebe, wenn wir jetzt über Romeo und Julia sprechen, das ist etwas, das hat mich schon immer gereizt, auch weil, wenn du so große archetypische Stoffe hast, wie "Romeo und Julia" und wie ich auch "Cyrano de Bergerac" sehe, finde ich, ist es auch wichtig und verdienen es diese Stoffe auch, immer für ihre Generation wieder neu übersetzt zu werden. Ich sehe das nicht als klauen, ich bediene mich an einer guten Geschichte. Ich glaube nur, dass man jungen Menschen große Stoffe vergrault, wenn man sie einfach nur so auftischt, wie sie vor 100, 200 Jahren waren, und ich glaube, das ist auch eine Verantwortung, so große Geschichten auch immer wieder für eine neue Generation neu zu verpacken, aber die Kraft und die Essenz und Botschaft der Geschichten zu bewahren.
Burg: Das klingt jetzt schon fast nach einem pädagogischen Auftrag, den Sie selber sehen.
Lehmann: Pädagogisch soll es natürlich nicht sein, ich habe mich auch so geärgert, als ich gehört habe … Ich habe mit meinen, ich sage immer: meine Kinder, also meinen jungen Darstellern … Zur Vorbereitung für den Film haben wir zum Beispiel Baz Luhrmanns "Romeo und Julia" angeschaut, weil ich die ermutigen wollte, dass sie mutig aufspielen und lebendig sind und keine Angst haben vor einem historischen Druck, den wir haben sollten. Und dann habe ich mich so geärgert, als die gesagt haben, ja, den haben wir alle schon in der Schule geschaut, und ich erinnere mich noch, als der Film rauskam, so darf man "Romeo und Julia" nicht erzählen, und jetzt zehn Jahre später, jetzt ist es plötzlich Schulstoff, um die Kids dranzukriegen, und dann habe ich mich erst geärgert und habe gesagt, das ist eigentlich für die Schule überqualifiziert dieser Stoff, weil ich finde, man darf nie den pädagogischen Ansatz spüren. Ich freue mich, dass wir auch für diesen Film ein "Prädikat: besonders wertvoll" bekommen haben, aber ich will das nirgends drauf lesen, weil es klingt immer, als wäre es anstrengend, und das ist es nicht. Es sind große Stoffe auch nicht, die einen berühren und packen, und trotzdem können sie eine wichtige und große Botschaft vermitteln.

Wertvoll muss nicht anstrengend sein

Burg: Das heißt, Sie wollen auch nicht, dass Ihr Film an einer Schule gezeigt wird.
Lehmann: Na doch, ich würde mich natürlich freuen, also weil das ist ja mein Zielpublikum. Also da will ich ja hin. Also ich glaube, das ist auch der Reiz an einem Jugendfilm: Ich habe das Gefühl, ich kann wirklich etwas erfüllen, warum ich zum Filmemachen angetreten bin, dass ich dachte, ich kann Einfluss nehmen auf die Welt, und es ist interessant, dass es jetzt so eine unterhaltsame Komödie ist, die plötzlich so … also vorher die Filme, die ich bisher gemacht habe, eine sehr große Größenordnung annimmt, aber jetzt wirklich das Gefühl habe, ich erreiche damit Kids mit einer guten Message.
Burg: Cyril ist ja der Poet, in dem Fall ein Rapper, der sich immer eine Maske aufsetzt, weil er auch so eine große Nase hat, nicht erkannt werden möchte, und der es in der Schule schwer hat. Also die anderen hänseln, ärgern ihn, nehmen ihn nicht ernst, und es gibt am Ende, es gibt einen Showdown zwischen dem, der ihm das Leben am schwersten macht und Cyril, und er schlägt ihn mit der Sprache als Waffe. Wie stark ist das Wort als Waffe?
Lehmann: Viel stärker als man physisch überhaupt sein kann. Die Kunst ist, das Wort für was Positives einzusetzen, was dann auch bei den Leuten ankommt. Ich glaube, das ist immer die größere Arbeit, aber wenn du da die Fähigkeiten hast, glaube ich, wirst du mit Worten in dieser Welt immer mehr bewegen können.

Originale sorgen für Glaubwürdigkeit

Burg: Nur ist es, weil wir vorhin auch über das Pädagogische sprachen, ja, glaube ich, das Schlimmste für Schüler, wenn die Lehrer ankommen oder Erwachsene und denken, ah, Hip-Hop ist cool, jetzt hole ich mal die Kinder ab und mache Hip-Hop mit denen im Unterricht. Für einen Filmemacher übertragen ist es natürlich auch, man braucht irgendwie eine Glaubwürdigkeit dieser Figur, dass das irgendwie eine glaubwürdige Figur, die die Jugendlichen, die das sehen, annehmen. Wie haben Sie das gewährleistet?
Lehmann: Dafür habe ich mir einfach gute Leute geholt. Also der Djorki [Anm. d. Red.: Djorkaeff], der die Beats und die Musik gemacht, der ist direkter Dunstkreis Sido, Bushido, der hat da Platinschallplatte hängen für "Bilder im Kopf" von Sido. Also der ist da mitten in der Szene drin, und unser Songwriter, der die Battles geschrieben und eben die Rapsongs, kommt genau aus dieser gleichen Truppe. Also ich habe mir einfach Originale dafür geholt, die einfach auch da eine Echtheit und für eine Glaubwürdigkeit stehen und dass diese Texte auch wirklich sind, und wir haben bei den Battle-Rappern auch keine Schauspieler besetzt, sondern einfach Battle-Rapper. Wir wollten einen Film für und mit Jugendlichen machen und nicht über Jugendliche. Wir wollten da nicht draufschauen und das bewerten, sondern wir wollten uns reinplumpsen lassen und da mitschwimmen, und das war wunderschön.
Anke Engelke, Aron Lehmann, Damian Hardung, Luna Wedler, Aaron Hilmer, Julia Beautx und Jonas Ems bei der Premiere des Kinofilms 'Das schönste Mädchen der Welt' im CineStar Cubix. Berlin, 22.08.2018
Anke Engelke, Aron Lehmann, Damian Hardung, Luna Wedler, Aaron Hilmer, Julia Beautx und Jonas Ems bei der Premiere des Kinofilms "Das schönste Mädchen der Welt" im CineStar Cubix in Berlin.© dpa
Burg: Steht denn eigentlich der Battle-Rap in direkter Tradition zu dem Poeten, den Rostand in seinem Drama auch entwickelt hat?
Lehmann: Ja, das denke ich schon. Auch das war eine der für mich wichtigsten Veränderungen, die ich in dem Buch vorgenommen habe. Cyril war anfangs so ein Balladensänger, und ich habe gesagt, Cyrano de Bergerac, das ist ein Dichter, ein Poet, ein Wortkünstler, und die Wortkünste des 21. Jahrhunderts sind für mich die Rapper, die Hip-Hopper, die Poetry-Slammer, und da ist natürlich Rap und Hip-Hop einfach auch musikalisch superattraktiv und wahnsinnig nah an der Jugendsprache dran. Deswegen habe ich mich dafür entschieden.
Burg: Unter den Jugendlichen sind auch zwei YouTube-Stars, Jonas Ems und Julia Beautx. Sie hat 1,3 Millionen Follower, habe ich gelernt. Läuft das inzwischen so, dass man für einen Film, der diese Zielgruppe der Jugendlichen erreichen will, das mitberücksichtigen muss, dass man YouTube-Stars, die so viele Follower haben, einfach mitbesetzt?
Lehmann: Also für unseren Film hat sich es natürlich extrem angeboten, weil wir einen sehr jungen Cast haben, 17, 18, und du hast in diesem Alter keine ausgebildeten Schauspieler. Deswegen war Youtuber anzufragen für Castings superschlüssig. Die mussten alle durch ihre Castings durch, aber wenn du in dem Alter guckst, suchst du nach Talenten, und was Youtuber schon mal grundsätzlich mitbringen, was interessant wird, die sind nicht kamerascheu, sie haben Lust, sich darzustellen, und es wäre gelogen zu sagen, dass es marketingtechnisch nicht von Anfang an attraktiv war, aber es wäre auch fahrlässig gewesen, nicht bei Youtubern zu gucken, weil, wie gesagt, man sucht nach Talenten, und diese Talente rufen schon danach, ich will mich zeigen, und das ist der Job von Schauspielern.

Auch mal aus dem Vollen schöpfen dürfen

Burg: Sie sind ja in einer gewissen Szene total bekannt geworden mit Ihrem Film "Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mitte" von 2012. Da geht es um ein Filmteam, das Kleists Novelle verfilmen will, aber wegen Budgetkürzungen alles anders machen muss. In dem Film geht es ja auch so ein bisschen um den Wahnsinn der Produktionsbedingungen bei einer quasi No-Budget-Produktion. Ist jetzt eine Größere-Budget-Produktion weniger wahnsinnig?
Lehmann: Ja. Muss ich ganz klar so sagen. Also ich muss sagen, dass Filme wie "Kohlhaas" oder auch "Die letzte Sau", die auch unter einem sehr kleinen Budget entstanden sind, das sind Schlachten. Die macht man für die Kunst, weil man nicht damit leben kann, wenn diese Geschichte nicht erzählt wird, aber es ist auch etwas, wo ich sagen muss, ich hätte nicht direkt noch mal so einen Film machen können, weil ich einfach physisch und psychisch auch mich da aufgerieben habe. Also ich wusste nicht, wie das ein Leben lang so weitergehen soll. Man arbeitet twentyfour-seven über zehn Monate und steht danach am Existenzminimum, und das habe ich dann auch gemerkt, das kann man nicht nur machen. Für mich war es wichtig, jetzt den nächsten Schritt zu tun trotzdem mit den Dingen, die ich gelernt habe über: Wie arbeite ich mit Schauspielern, dass es trotzdem natürlich wirkt, dass es frei ist, und das war für mich wunderschön, also von der Arbeit her, dass tatsächlich jeden Tag alles so passiert, wie man es geplant hat. Das kann ich Ihnen nicht sagen, wie schön das ist als Regisseur, weil man wirklich auch dann das Gefühl hat, man kann seine Bestleistung mit seinen Schauspielern zeigen und muss nicht immer sagen, okay, Leute, wir haben jetzt leider dieses Motiv doch nicht bekommen, wir können jetzt nur dort drüben in der Ecke drehen, vielleicht kriegen wir das auch hin. Das, muss ich sagen, habe ich bei dieser Produktion einfach auch mal knallhart vollends genossen, dass ich einfach aus dem Vollen schöpfen konnte, und ich hoffe, dass man das diesem Film auch ansieht.
Burg: Ob das gelungen ist, das können Sie ab Donnerstag im Kino sehen. Dann läuft "Das schönste Mädchen der Welt" von Aron Lehmann an.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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