Das sexuelle Begehren einer Frau
"Erbarmen" ist ein schmaler Text, der als unsentimentaler, betont kühler Lebensrückblick einer in Hamburg lebenden Frau angelegt ist. Hermann Petr Piwitt zeigt uns darin Menschen, deren Leidenschaften Erfüllung schenken – und sie gleichzeitig dem Untergang nahebringen.
Seit ein paar Jahren hat der 1935 geborene Hermann Peter Piwitt beim Wallstein Verlag eine neue publizistische Heimat gefunden. Vormals waren seine Bücher – darunter "Die Gärten im März" und "Der Granatapfel" – bei den Verlagen Rowohlt und Hoffmann und Campe veröffentlicht worden, bis es so schien, als sollte er in der ungeliebten Schublade der vom Literaturbetrieb zu Unrecht vergessenen Autoren landen.
"Erbarmen" ist ein schmaler Text, der als unsentimentaler, betont kühler Lebensrückblick einer in Hamburg lebenden Frau angelegt ist. Diese hat, obwohl sie gerade mal vierzig ist, schon manches durchlitten. Ihr Mann Alexander kam bei einem Motorradunfall ums Leben, und auch sein Nachfolger, der sechzigjährige Henrik, starb unter ungewöhnlichen Umständen, die das Zentrum der Novelle bilden. Ein Jahr war die Erzählerin mit Henrik zusammen; mit seinem Tod endet das Buch, und mit der Erinnerung an die Zeit mit Henrik setzt es ein.
Nach einem abgebrochenen Studium arbeitete die Erzählerin als Taxifahrerin, und dabei lernte sie Henrik, einen ihrer Fahrgäste, kennen. Spontan kommen beide auf die symbolisch hoch aufgeladene Idee, die Kleider zu tauschen, und wenig später sind sie ein Paar, das kaum noch aus dem Bett findet – zum Wohlgefallen der Frau, die "Sex und Kammermusik" als die Segnungen des Lebens ansieht.
Ihre ungewöhnliche Beziehung wird einer Bewährungsprobe ausgesetzt, als Henrik einen, wie er es nennt, "Liebesbeweis" fordert, der darin besteht, dass er seiner Freundin beim Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann zusehen will. Die Erzählerin versucht dieses Begehren anfänglich zu ignorieren, doch Henriks Insistieren lässt einen Entschluss in ihr reifen, der zur apart-fatalen Pointe der Novelle führt.
"Erbarmen" folgt der weiblichen Perspektive, was Hermann Peter Piwitt die Möglichkeit gibt, sich in die Gefühlswindungen von Männern zu schleichen – ein Unterfangen, das dem Autor manchmal, wenn man einen Mann sprechen zu hören meint, all zu viel abverlangt. Dadurch, dass Henrik höchst erfolgreich als Schriftsteller arbeitet, der keine Scheu kennt, "unter jedes Niveau zu gehen", und seichte Unterhaltungsschinken mit jungen Grafen und edlen Pferden schreibt, darf Piwitt zivilisationskritische Anmerkungen (zum Beispiel über das deutsche Fernsehprogramm) einstreuen und Klage darüber führen, dass Hamburg mit seiner "fischigen Kaufmannschaft" regelmäßig die wenigen in der Stadt ansässigen Dichter zugrunde richte.
Überzeugender als in diesen von leichtem Ressentiment geleiteten Passagen ist Hermann Peter Piwitt dort, wo er das sexuelle Begehren fast unkommentiert walten lässt und Menschen zeigt, deren Leidenschaften Erfüllung schenken – und sie gleichzeitig dem Untergang nahebringen.
Abgründe anzudeuten und die Macht von Fantasien in Alltagsszenen zu integrieren, das macht die Qualität dieses ohne stilistischen Pomp auskommenden Textes aus. Dessen Figuren vergisst man nicht, auch wenn sie einem alles andere als sympathisch sind.
Besprochen von Rainer Moritz
Hermann Peter Piwitt: Erbarmen
Wallstein Verlag, Göttingen 2012
64 Seiten, 12,90 Euro
"Erbarmen" ist ein schmaler Text, der als unsentimentaler, betont kühler Lebensrückblick einer in Hamburg lebenden Frau angelegt ist. Diese hat, obwohl sie gerade mal vierzig ist, schon manches durchlitten. Ihr Mann Alexander kam bei einem Motorradunfall ums Leben, und auch sein Nachfolger, der sechzigjährige Henrik, starb unter ungewöhnlichen Umständen, die das Zentrum der Novelle bilden. Ein Jahr war die Erzählerin mit Henrik zusammen; mit seinem Tod endet das Buch, und mit der Erinnerung an die Zeit mit Henrik setzt es ein.
Nach einem abgebrochenen Studium arbeitete die Erzählerin als Taxifahrerin, und dabei lernte sie Henrik, einen ihrer Fahrgäste, kennen. Spontan kommen beide auf die symbolisch hoch aufgeladene Idee, die Kleider zu tauschen, und wenig später sind sie ein Paar, das kaum noch aus dem Bett findet – zum Wohlgefallen der Frau, die "Sex und Kammermusik" als die Segnungen des Lebens ansieht.
Ihre ungewöhnliche Beziehung wird einer Bewährungsprobe ausgesetzt, als Henrik einen, wie er es nennt, "Liebesbeweis" fordert, der darin besteht, dass er seiner Freundin beim Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann zusehen will. Die Erzählerin versucht dieses Begehren anfänglich zu ignorieren, doch Henriks Insistieren lässt einen Entschluss in ihr reifen, der zur apart-fatalen Pointe der Novelle führt.
"Erbarmen" folgt der weiblichen Perspektive, was Hermann Peter Piwitt die Möglichkeit gibt, sich in die Gefühlswindungen von Männern zu schleichen – ein Unterfangen, das dem Autor manchmal, wenn man einen Mann sprechen zu hören meint, all zu viel abverlangt. Dadurch, dass Henrik höchst erfolgreich als Schriftsteller arbeitet, der keine Scheu kennt, "unter jedes Niveau zu gehen", und seichte Unterhaltungsschinken mit jungen Grafen und edlen Pferden schreibt, darf Piwitt zivilisationskritische Anmerkungen (zum Beispiel über das deutsche Fernsehprogramm) einstreuen und Klage darüber führen, dass Hamburg mit seiner "fischigen Kaufmannschaft" regelmäßig die wenigen in der Stadt ansässigen Dichter zugrunde richte.
Überzeugender als in diesen von leichtem Ressentiment geleiteten Passagen ist Hermann Peter Piwitt dort, wo er das sexuelle Begehren fast unkommentiert walten lässt und Menschen zeigt, deren Leidenschaften Erfüllung schenken – und sie gleichzeitig dem Untergang nahebringen.
Abgründe anzudeuten und die Macht von Fantasien in Alltagsszenen zu integrieren, das macht die Qualität dieses ohne stilistischen Pomp auskommenden Textes aus. Dessen Figuren vergisst man nicht, auch wenn sie einem alles andere als sympathisch sind.
Besprochen von Rainer Moritz
Hermann Peter Piwitt: Erbarmen
Wallstein Verlag, Göttingen 2012
64 Seiten, 12,90 Euro
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