"Das sieht nach einem sehr großen Desaster aus"

Klaus Günther im Gespräch mit Katrin Heise |
Das "Mississippidelta gehört zu einem der großen Vogelparadiese der Erde", sagt der Ornithologe Klaus Günther. Und dieses Paradies ist durch die Ölpest akut bedroht: "Ich habe da wenig Hoffnung, dass man den Vögeln da noch helfen kann, wenn sie mit dem Öl in Kontakt gekommen sind".
Katrin Heise: Welche Überlebenschancen hat die Vogelwelt im Angesicht der Ölkatastrophe? Die Bohrinsel "Deep Water Horizon" versank am 22. April, und bisher konnte weder das Bohrloch verschlossen werden noch die Ausbreitung des Ölteppichs eingedämmt. Schon vor Tagen war dieser Ölteppich so groß wie die Hälfte der Fläche von Rheinland-Pfalz, muss man sich mal vorstellen. Inzwischen wurde ein Seegebiet von 17.500 Quadratkilometern für den Fischfang gesperrt. Die Küsten sind bedroht. Von dem Ornithologen Klaus Günther der Naturschutzgesellschaft Schutzstation Wattenmeer will ich mir die Auswirkungen, Folgen und vielleicht auch Rettungsmöglichkeiten, was die Vogelwelt angeht, erläutern lassen. Schönen guten Tag, Herr Günther!

Klaus Günther: Schönen guten Tag!

Heise: Der Pelikan, den kennen wir jetzt inzwischen durch die Berichterstattung, lebt dort im Mississippidelta, er ziert nämlich das Nummernschild von Louisiana. Welche Vogelarten sind dort sonst noch zu Hause?

Günther: Ja, der Pelikan, da handelt es sich um den Braunpelikan. Wir haben in Europa auch Pelikanarten, wie den Rosa- und den Krauskopfpelikan, aber der braune Pelikan ist vor allem auf das Meer spezialisiert und fängt dort Fische. Daneben gibt es viele weitere Vogelarten, also in der Golfregion haben wir eine sehr, sehr artenreiche und vielfältige Vogelwelt. Da sind besondere Vogelarten wie der Prachtfregattvogel, der auch auf dem Meer lebt, und Tölpelarten wie der braune Tölpel oder der Maskentölpel, also schon tropisch vorkommende Vogelarten, die auf Fischfang spezialisiert sind und dort im Golf von Mexiko also einen ihrer Schwerpunkte im Vorkommen haben.

Heise: Dazu kommen ja noch die durchziehenden Vögel, sind da im Moment noch welche oder ist der Vogeldurchzug abgeschlossen?

Günther: Durchzügler gibt es dort an der Küste zum einen im Winterhalbjahr, das sind dann Enten, Gänse, Kraniche, die jetzt sicherlich schon die Region dort verlassen haben. Andererseits sind dort aber auch gerade jetzt noch Watvögel auf dem Durchzug, ähnlich wie hier bei uns im Wattenmeer. Das sind Regenpfeifer, Strandläufer, Wasserläufer und verschiedene Schnepfenarten, Brachvögel, die dort an den Küsten und auf Wattgebieten innerhalb des Deltas auf Nahrungssuche gehen. Sie rasten dort einige Wochen, um sich Fettreserven anzufressen, und ziehen dann weiter nach Norden an die Küste des Atlantiks und rasten dort wieder. Aber jedenfalls sind dort immer noch Zugvögel auf dem Weg nach Norden, und die sind jetzt sicherlich von der Ölverschmutzung der Strände auch stark betroffen.

Heise: Außerdem ist im Moment die Brutzeit auch noch nicht abgeschlossen, das ist auch noch eine besondere Gefahr. Warum?

Günther: Ja, dieses Mississippidelta gehört zu einem der großen Vogelparadiese der Erde. Wie aus anderen Deltagebieten ist bekannt, dass dort besonders viele Brutvögel ansässig sind, da sind es dann besonders, also ähnlich wie im Donaudelta, was wir hier vielleicht aus Europa kennen, gibt es dort Tausende von Reihern, Waldstörchen, rosa Löffler, braune Sichler und ähnliche Arten, die teils auch stark gefährdet sind ...

Ja, und die brüten jetzt dort alle und bauen ihre Nester vor allem in diesen Mangrovenwäldern im Übergangsbereich zum Meer, also diese, ja, im Wasser stehenden Wälder. Und dort sind sie dann natürlich besonders bedroht von den Ölverschmutzungen, können keine Nahrung mehr suchen, verschmutzen entweder selbst ihr Gefieder, versuchen sich zu putzen und gehen daran unter Umständen ein oder finden keine Nahrung mehr, und die Jungen müssen sozusagen dann auch verhungern. Also das ist ein großes Desaster, dass es auch gerade jetzt in der Brutzeit passiert und sozusagen der gesamte Vogelbestand im Mississippidelta gefährdet ist.

Heise: Ja, denn gerade zur Brutzeit muss natürlich auch noch mehr Nahrung herangeschafft werden von den Eltern. Sie haben, also wenn wir uns das jetzt vorstellen, also einerseits sind jetzt aktuell die Vögel bedroht, die auf dem Wasser leben, die auf dem Wasser fischen, dann, wenn der Ölteppich quasi an die Küste geschwappt ist, sind die Küstenvögel bedroht. Bei der Küste handelt es sich ja jetzt auch nicht unbedingt um weitläufige Strände, die man mal eben so reinigen kann – mal eben so ist sowieso nicht so leicht –, aber noch dazu ist es eine verästelte Küste. Was bedeutet das eigentlich für Retter, wie müssen wir uns das da vorstellen?

Günther: Ja, wenn man sich das ganze Gebiet aus der Luft anschaut, dann ist es wirklich eine extrem zerklüftete Küstenlandschaft mit vielen kleinen Inseln, diesen Mangrovenwäldern und so weiter. Das ist also, wenn da das Öl wirklich hineingerät oder ja schon geraten ist, dann ist es extrem schwierig, dort ja das Öl da auch wieder wegzubekommen, Reinigungsmaßnahmen durchzuführen, und es ist im Grunde genommen ein hoffnungsloses Unterfangen. Und deswegen ist halt eben das Wichtigste, dass man das Öl vorher abhält durch Barrieren, dass es also gar nicht da hineingelangen kann. Aber das Wetter war scheinbar ungünstig und hat viele Barrieren halt eben wirkungslos gemacht.

Heise: Die Bedrohung der Vogelwelt im Mississippidelta, das ist unser Thema im Deutschlandradio Kultur. Ich spreche mit dem Ornithologen Klaus Günther. Herr Günther, was kann man denn jetzt eigentlich überhaupt tun?

Günther: Ja, das ist eine gute Frage. Also im Grunde genommen ist die Katastrophe ja schon passiert. Und außer das Öl soweit wie möglich von der Küste abzuhalten und abzuschöpfen oder mit Barrieren fernzuhalten, kann man dann nicht mehr viel tun, wenn es einmal in das Mississippidelta, an die Küste, in die Mangroven hineingeschwappt ist. Und dann ist nämlich alles so verschmutzt und bedeckt von Öl, dass man es da nur noch schwierig herausbekommt. Und die Vögel, die dann einmal mit dem Öl in Kontakt gekommen sind, versuchen sich zu putzen, das Öl aus ihrem Gefieder herauszubekommen. Dabei nehmen sie aber dann das giftige Öl auch auf und vergiften sich somit, ja, und das kann man also auch nicht mehr rückgängig machen. Alle Versuche, die Vögel ...

Heise: Denn sie haben es ja inzwischen aufgenommen, ja.

Günther: ... alle Versuche, Vögel dann zu retten, indem man sie wäscht, scheitern in der Regel, weil die Vögel einfach schon vergiftet sind und das Öl aufgenommen haben. Und letztendlich sterben diese Vögel, und der Erfolg von Wasch- und Rettungsaktionen ist also minimal und steht in keinem Verhältnis mehr zu dem Schaden, der überhaupt angerichtet worden ist dadurch. Also das ist dann im Grunde genommen ein hilfloser Versuch, noch etwas zu retten, aber diesen Kampf gegen das Öl kann man dann in dem Moment schon gar nicht mehr gewinnen. Und solche Versuche sind dann oft nur noch Augenwischerei, als könnte man irgendwas retten, aber das ist dann in der Regel nicht so.

Heise: Also auch so ein bisschen Aktionismus, der dann eben vorgeführt wird. Welche Erfahrung haben Sie damit, welche Vögel lassen sich denn überhaupt ja fangen, um geputzt zu werden? Die sind wahrscheinlich dann schon so schwach, dass sie sowieso keine Chance zum Überleben haben.

Günther: Genau, das ist also die Erfahrung solcher Aktionen, dass die Vögel, die sich überhaupt erst greifen lassen, schon so geschwächt und so vergiftet sind, dass sie auch kaum eine Überlebenschance haben. Allerdings gibt es zum Beispiel in Südafrika oder in Australien bei Pinguinen, die auch mit Öl in Kontakt gekommen sind, höhere Erfolge bei der Rettung, also, indem man sie wäscht und für einige Wochen und Monate vielleicht wieder rehabilitiert. Da sind die Erfolgsaussichten größer und da hat man das also schon geschafft, also etliche Vögel damit zu retten.

Heise: Weil die einfach ein anderes Gefieder haben?

Günther: Genau, die haben anderes Gefieder und auch eine andere Konstitution, und sie haben dann nicht so viel Öl aufgenommen durch das Putzen. Jedenfalls sind die Vögel, die dort im Golf von Mexiko betroffen sind, sicherlich sehr viel anfälliger für oder vom Öl betroffen zu sein beziehungsweise sterben schneller am Öl, weil sie auch versuchen, stärker zu putzen. Außerdem sind es Hochseevögel, die erst mal weit draußen auf dem Meer bleiben und nicht so direkt an der Küste zu greifen sind. Also das sieht nach einem sehr großen Desaster aus, und ich habe da wenig Hoffnung, dass man den Vögeln da noch helfen kann, wenn sie mit dem Öl in Kontakt gekommen sind.

Heise: Also keine Möglichkeit der Rettung sieht Klaus Günther, Ornithologe von der Naturschutzgesellschaft Schutzstation Wattenmeer e.V. Vielen Dank, Herr Günther, für diese Informationen!

Günther: Ja, gern geschehen, bitte!