Das singende, klingende Saalfeld
Sie reden sich untereinander noch im hohen Alter mit ihren germanisch klingenden Chornamen an, sie kommen zu den hohen Festen in die Kirche und singen bekenntnishaft im Stehen die großen Choräle. Und sie lassen auf die Tradition nichts kommen: die Saalfelder Sängerknaben, und alle, die es mal waren, also mehrere hundert. Im südthüringischen Saalfeld hat sich über viele Generationen eine lebendige Kirchenmusik-Kultur entwickelt.
Ein Sonntagmorgen in Saalfeld in Südthüringen. Die Stadt schläft noch. Auf dem Marktplatz ist nichts los, nur rund um die Johanniskirche ist Leben. Man geht in den Gottesdienst. Jung und Alt schütteln sich die Hände, bevor sie sich ein Gesangbuch nehmen und in die Bänke setzen. Ein paar Jungs kappeln sich.
Dann zieht eine Reihe kleinerer und größerer junger Männer vom Nachbarhaus, dem Kantorat, in die Kirche ein, schlängelt sich durch die Bankreihen. Einer zeigt im Gehen noch eben Fotos vom seinem Handy, ein anderer spielt mit seinem ein paar krächzende Comedy-Sequenzen ab.
Oben, auf der Orgelempore, heißt es: Sitzplätze reservieren, Jacken aus, dann werden noch die letzten Matrosenkragen zurecht gerückt. Und plötzlich stehen die Rüpel von eben ordentlich aufgereiht vor den Orgelpfeifen, in Schwarzweiß mit blauen Kragen, die größeren im schwarzen Anzug.
"Ave verum corpus natum de maria virgine."
Kantor Dietrich Modersohn, ein hagerer Mann mit schütterem hellen Haar, Nickelbrille, eine strenge Erscheinung, hebt spreizend die Finger und gibt den Takt. Er ist nicht zufrieden, ruft korrigierend dazwischen, mahnt zur Disziplin. Denn dies ist das letzte Ansingen vor dem Gottesdienst.
"Ihr seid innerhalb der ersten Takte etwas höher geworden. Bitte mal summen auf Nununu."
"Nuuunuu."
Das Singen im Gottesdienst ist vornehme Pflichtübung der Thüringer Sängerknaben. Wer fehlt, braucht eine triftige Entschuldigung. Wer kommt, muss sich benehmen, sich konzentrieren.
"Du musst zu mir gucken, die ganze Zeit …"
Dies hier ist ein Dienst. Denn ein Thüringer Sängerknabe dient der Gemeinde. Der evangelischen Kirchgemeinde St. Johannis.
"Gerald, Du passt ein bisschen dort auf …"
Die Älteren im Chor müssen auf die Jüngeren acht geben, sie ermahnen, ihnen helfen. Es soll nicht unruhig sein auf der Orgelempore während des Gottesdienstes. Einige haben sich Comics mitgebracht, ein anderer löst Kreuzworträtsel. Das stört zumindest nicht. Andere schwatzen doch und kippeln mit den Stühlen.
"Pssssst!"
Noch ehe die Pastorin die ersten Worte sagt, steht in Saalfeld der erste Ton. Noch bevor hier, im lutherischen Stammland, die sprachliche Verkündigung zum Zuge kommen kann, steht die musikalische. Denn in Saalfeld wohnt die Musik.
Kantor Dietrich Modersohn ist Organist und Liturg. Er trägt die Gemeinde durch dieses sonntägliche Ritual. Er moduliert an der Orgel die Übergänge, er singt die liturgischen Stücke. Seine Stellung in der Stadt ist nicht die eines x-beliebigen Mitarbeiters, der eben mal für das kulturelle Sahnehäubchen zuständig ist. Der Kantor ist eine Institution in Saalfeld. Ist dem Pfarrer/der Pastorin mindestens ebenbürtig.
"Eine Woche lang wird in der Stadt diskutiert: Wie hat der Chor gesungen, wie hat der Organist gespielt und wie hat der Pfarrer gepredigt. Aber in der Reihenfolge (Lacht)."
Kantor psalmodiert: "Wir warten eines neuen Himmels …"
Sängerknaben: "… und einer neuen Erde nach seiner Verheißung, in welcher Gerechtigkeit wohnet."
"Das ist auf jeden Fall eine religiöse Heimat. Aber ich bin auch durch den Chor zur Religion gekommen, sag' ich mal."
Hardy Brömel ist ein ehemaliger Sängerknabe. Elf Jahre lang stand er hier oben, um zu singen.
Sängerknaben: "So werden wir sein, wie die Träumenden."
"Wir sind zu Hause zwar getauft und in den Gottesdienst gegangen, aber man hat es halt eher als Teilnehmer mitgemacht. Man ist zum Gottesdienst gegangen, hat zugehört, wusste nicht, wann was gesungen wurde, was es heißt. Aber als Sängerknabe hat man es in Fleisch und Blut, weiß genau, was wann kommt."
Kantor: "Ehre sei dem Vater und dem Sohne."
Sängerknaben: "Und dem Heiligen Geiste. Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen."
Der Ablauf des Gottesdienstes hat sich dem jungen Brömel eingeprägt, wie anderen die Ranglisten der Fußballmannschaften. Er kann in liturgischen Fragen mitreden. Viele Ehemalige tun das in Saalfeld. Sie gehören zur Kirchgemeinde, sie arbeiten ehrenamtlich mit. Denn die Kirche ist ihr Zuhause.
"Ich habe noch nie in Gemeinden solche Auseinandersetzungen um den Ablauf eines Gottesdienstes und die Liturgie gehabt."
Sagt Pastorin Katarina Schubert, seit anderthalb Jahren zuständig für eine der schönsten und anspruchsvollsten Gemeinden in Thüringen, wie sie sie nennt.
"Also, dass wir streiten, wann der Introitus-Psalm gesungen wird, das ist so etwas von Besonderes, das kenne ich aus keiner anderen Gemeinde. Damit muss ich hier leben und ich kann gut leben damit. Aber das ist eine Herausforderung. Oder, dass wir lange im Gemeindekirchenrat diskutieren über die Liturgie des Abendmahl, das kann nur in einer Gemeinde sein, in der jeder eben so verwurzelt ist in solchen Traditionen."
Mittlerweile haben sich die Sängerknaben vom Kyrie zum Gloria vorgearbeitet. Während der Lektor das Evangelium liest, wandern etliche Köpfe wieder in die Comic-Hefte. Kantor Modersohn sitzt er auf der Orgelbank und improvisiert den Übergang zur Predigt. Die kleineren Jungs stapfen die Treppe herunter, durch das Kirchenschiff hinüber zur Kinderpredigt.
Die Thüringer Sängerknaben sind eine Gemeinschaft in der Gemeinde. Eine mit eigenen Regeln. Man kann Mitglied werden, man hat Rechte und Pflichten, man kann ausgeschlossen werden. Und: Man bekommt einen Chornamen.
Modersohn: "Das Gute ist diese Identität, die die Kinder damit haben - die verbinden sich damit mit dem Chor: 'Ich habe jetzt hier einen ganz besonderen Namen, ich habe hier auch eine Aufgabe.' Das verbindet sich so."
Der Vorgängerchor der Sängerknaben hat in den 20er Jahren seine Jungs nach germanischen Helden benannt, dem Langobardenkönig Walthari, Böhmenkönig Ottokar und Hunnenkönig Etzel zum Beispiel. Dabei sind sie geblieben. Bis heute werden die Namen in einem Ritual verliehen. Hardy Brömel zum Beispiel ist:
"Armin"
Sein Sohn Josef:
"Ich heiß' jetzt Markolf."
Brömel: "Die Namen werden immer wieder weitergegeben. Theoretisch hätte Josef Armin heißen können. Ich hoffe noch, wenn Karl in den Chor kommt, dass er Armin kriegt."
Modernere Namen zu nehmen, kommt den Salfeldern nicht in den Sinn. Denn die Namen gehören zur Tradition, und die wird groß geschrieben. Kantor Modersohn:
"Weil sich dadurch Generationen ergeben. Wenn jetzt praktisch Roland I. noch leben würde, besser gesagt, der lebt noch. Und dann gibt es praktisch das Bewusstsein: Da war schon mal ein Roland, wir kennen uns auch alle in der Namensreihenfolge. Und das hält mich umso fester noch dabei."
Brömel: "Es gibt Sängerknaben, da wissen Außenstehende nicht, wie der mit wirklichem Namen heißt. Da hat sich das so eingebürgert. Zum Beispiel Alf Moka."
Josef: "Mir ist es egal. Markgolf und Josef - das passt zusammen."
Nach der Predigt kommen die kleineren Sängerknaben wieder auf die Empore.
Sie stehen hier im Wechsel mit ihrem weiblichen Pendant: dem Saalfelder Mädelchor.
Er ist ihnen technisch ebenbürtig, organisatorisch nahezu identisch. Dennoch: Die Mädchen stehen immer im Windschatten der Jungs.
Modersohn: "Qualitativ gibts da keine Abstriche. Aber der Windschatten ist einfach der: Knabenchöre wollen die Zuhörer mehr hören. Die sind irgendwie attraktiver. Oft sagt man auch: Da fehlt ein bissl das Fundament beim Mädchenchor, die schweben mir immer so davon."
Die Mädchen und jungen Frauen aus dem Mädelchor haben sich ihre skurrilen Namen erst zugelegt, weil sie es bei den Jungen chic fanden.
"Wunna, Kunigunde, Eldritt. Manchmal ganz schön abgefahrene Namen für Jugendliche (lacht). Aber die stehen da voll dahinter."
Wie viele werden es sein, die im Laufe der über 50-jährigen Geschichte einmal durch einen der Chöre gegangen sind? Vielleicht tausend, schätzt der Kantor. Die Kirchenmusik prägte mehrere Generationen. Derzeit gibt es neben den drei aktiven Kirchenchören der Johanniskirche allein zwei Männerchöre, in denen sich Ehemalige zusammen getan haben.
"Cantate Domino"
Die Cantores Juvenes Saalfeld sind zehn Männer, die geistliche Lieder ebenso singen, wie Trinklieder. Noch bekannter sind die Saalfelder Vokalisten.
"Die Gedanken sind frei … "
Das Repertoire dieser acht Saalfelder reicht bis zu zeitgenössischen Werken. Ihre Herkunft ist Verpflichtung. Sie weisen gerne auf ihre Sängerknabenzeit hin und auf ihre Lehrer, den Gründer der Chöre, Walter Schönheit und seinen Sohn, den späteren Gewandhausorganisten Michael Schönheit. Verbindungslinien der Sängerknaben gibt es auch zu etlichen, der anderen zehn Chöre der Stadt. Saalfeld ist eine singende Stadt.
Viele andere Ehemalige sitzen nun unten im Kirchenschiff, gehören zum Teil höchst engagiert zur evangelischen Kirchgemeinde, und lassen sich auch in der Stadt nicht die Butter vom Brot nehmen. Die Stadt ihrerseits kommt an den Sängerknaben nicht vorbei. Und will es nicht.
Immerhin tragen die Jungs und Mädchen den Namen der Südthüringer Stadt in die Welt. Sie sind, so sagt es der Bürgermeister, ist eine tragende Säule der Stadt, die Ehemaligen eine feste Größe in der Saalfeder Bürgerschaft. Deswegen beteiligt sich die Kommune an den Kosten und spendiert einen ansehnlichen Betrag für die Assistentinnenstelle beim Kantor.
Er weiß damit einmal mehr, dass seine Arbeit gewollt ist.
"Das ist schon eine sehr schöne Stelle, weil einfach sehr viel möglich ist, dadurch, dass alle an einem Strang ziehen wollen. Die ganze Stadt denkt: Singen ist doch 'ne klasse Angelegenheit."
Mit dem Nachspiel ist der Gottesdienst beendet. Für Jungs kommt aber noch die Veranstaltungskritik.
"Ich danke euch für euern Chordienst, die meisten waren ja pünktlich da. Es war alles etwas mit der heißen Nadel gestrickt."
Nach der künstlerischen Kritik: der Anpfiff.
"Die Disziplin während des Gottesdienstes: absolut mangelhaft, eine Rüge an die Chorältesten: Ihr habt es nicht im Griff. Es ist eine Katastrophe!"
Kantor Modersohn zitiert einige Chorknaben in kleiner Runde anschließend zu sich, samt Chorältesten, die notfalls über einen Rauswurf mit beraten. Dann erst ist der Dienst beendet. Betreten verlassen die Jungs die Kirche.
Sonntagnachmittag in Saalfeld. Pastorin Katarina Schubert besucht Familie Brömel.
Brömel: "Hallo, kommen sie rein."
Schubert: "Vielen Dank für die Einladung!"
Brömel: "Bitte, gern. Mir nach."
Vater Brömel, der ehemalige Sängerknabe, hat Jura studiert, ist als Rechtsanwalt jetzt wieder in Saalfeld. Er singt nun im dritten Chor der Gemeinde mit, dem Oratorienchor. Sohn Josef, neun Jahre alt, ist seit drei Jahren aktiver Sängerknabe, er hat heute Morgen mitgesungen.
Josef: "Eines meiner Lieblingsstücke ist auf jeden Fall der Psalm 150, das ist ein lateinisches Lied - da muss man fasst nur lalala singen. Der hört sich auch gut an, den mögen alle aus dem Chor."
Die fünfköpfige Familie nimmt mit Besuch Platz am Kaffeetisch. Es gibt selbstgemachte Waffeln mit Apfelmus und grünem Kiwi-Chatney. Alle langen zu.
Sie plaudern über die Riten der Choristen. Manche sind lustig, manche gewöhnungsbedürftig. Pastorin Schubert zum Beispiel hat als Zugereiste nicht gewusst, dass Mädelchoristen und Sängerknaben in speziellen Kneipen eigene Bierkrüge haben.
"Ich habe mal aus einem Mädelchorkrug etwas bekommen, und da sagten die anderen: Na, das geht ja eigentlich nicht hier! Das Bier aus einem Mädelchorkrug! (Lacht). Das war im Weltrich. Geht eigentlich nicht, ge? Das war ein Versehen von der Wirtin, weil ich da mit den anderen Chorsängerinnen kam."
Sohn Nummer zwei, Karl, geht in die erste Klasse, er wird selbstverständlich auch bald ein Sängerknabe werden, soviel steht mal fest. Das Baby auf dem Arm von Mutter Sandra kommt dermaleinst in den Mädelchor. Widerstand zwecklos, sagt Vater Hardy Brömel. Auch er wurde genötigt.
"Meine Mutter wollte irgendwie, dass ich bei den Sängerknaben mitsinge. Und ich habe mich immer ein bisschen gewunden, hab gesagt: Ne, will ich nicht. Und dann wurde auch versucht, solche Argumente zu bringen: Naja, manchmal fahren die vielleicht auch in den Westen oder so (lacht)."
Als er dann zwischen Klavierunterricht und Chor wählen musste, nahm er Klavier. Nur die Lehrerin war garstig, da ging er doch lieber singen.
"Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass es so gekommen ist. Ich kann zwar jetzt kein Klavier spielen, aber ich habe die Sängerknaben-Lebensschule hinter mir. Das ist, glaube ich, besser."
Rechtsanwalt Hardy Brömel ist nach dem Studium gerne wieder nach Saalfeld gekommen. Saalfeld ist für ihn Heimat, der Kirchenchor ein Zuhause.
"Hier ist man Sängerknabe. Sängerknabe ist - ich möchte es nicht elitär nennen, aber es ist eine Gemeinschaft, die die anderen nicht haben. Beim Fußballverein spielt man Fußball und irgendwann ist man wieder draußen. Bei den Sängerknaben ist man immer Sängerknabe, wenn man das will. Bei Verbindungen nennt man es Lebensbundprinzip. Und das haben wir hier auch. Und das ist was Schönes."
Das einzige Problem der Saalfeder Kirchenmusiker sind Nachwuchssorgen. Neben dem ohnehin schon dramatischen Geburtenknick, den Thüringen seit der Wende zu verkraften hat, konkurriert die Kirchenmusik in Saalfeld auch mit anderen Angeboten für Kinder - und natürlich mit ihrer Trägheit.
Denn wer sich verpflichtet, der muss stehen, rund dreimal die Woche zur Probe und Stimmbildung, dazu an vielen Sonntagen und natürlich zu allen großen Festen. Ostern auf den Balearen - Pusteblume! Ostern findet in der Johanniskirche statt. Auch Familie Brömel stöhnt gelegentlich unter dem strengen Regiment der Sängerknaben. Dennoch steht außer Frage: Die Kirchenmusik ist eine gute Schule.
"Bei Karl ist es so, der wird über die Schule rangeführt. Der hat ursprünglich nichts damit am Hut gehabt, jetzt weiß er, dass er Sängerknabe wird."
Die Schule, über die Karl herangeführt wird, ist die evangelische Grundschule Saalfeld. Die
hat die Kirchengemeinde gerade erst gegründet, Hardy Brömel leitet den Verein mit. Die Schule hat - wie kann es anders sein - einen kirchenmusikalischen Schwerpunkt. Was macht Karl in dieser Schule?
Karl: "Mit Instrumenten, und singen, manchmal machen wir auch Spiele."
Ein Montag in Saalfeld. Karls Klasse, die erste Klasse, hat Musik.
Lehrerin: "'"Das ist unser Ton.""
Christine Modersohn, die Frau des Kantors, ebenfalls Kirchenmusikerin, ist hier Musiklehrerin. Sie lehrt den Kindern das Singen. Gar nicht einfach. Denn vor dem Singen steht das Hören. Und einen Ton nachzusingen, ist für viele ungewohnt.
"Das ist eine Übungssache, die ich hier in der Schule machen muss, weil sie leider im Kindergarten nicht mehr so läuft, wie es sein müsste. Dann würden die Kinder wirklich kommen und meinen Ton, den ich ihnen gebe, nachsingen können, wenn in den Kindergärten wirklich kontinuierlich viel gesungen werden könnte."
"A, a, a, der Winter der ist da."
Singen gehört zum Alltag der evangelischen Grundschule dazu, wo es nur geht. Morgens bei der Andacht, vor dem Essen und natürlich im Unterricht.
"Könnt ihr euch mal so hinstellen, als wärt ihr ein 'A'?"
Dann setzen sich die gut 20 Kinder an ihre Tische und lernen Noten. Wie gesagt: Es sind Erstklässler. Gleichzeitig mit dem Schreiben, Lesen und Rechnen lernen sie die Noten, lernen sie Musik.
"Wir haben ja hier schon angefangen. Aber da ist nur ein Teil von der Note da. Nämlich das hier. Das kennt ihr schon. Weiß jemand, wie man das nennt?"
"Nö."
"Das ist der Notenkopf."
Statt zwei Stunden wöchentlich haben die Kinder vier Stunden Musik. Nach einer speziellen Methode lernen sie singen und Noten lesen.
"Es geht dann ins Unbewusste über. Das ist ein Vorteil, die lernen wirklich vom Blatt zu singen."
Vierzig Kinder sind in zwei Klassen eingeschult. Der neue Jahrgang ist bereits heillos ausgebucht. Bedarf ist da. Keine Frage. Und damit Nachwuchs für die Chöre.
Montagnachmittag übt Kantor Dietrich Modersohn bereits wieder mit den Sängerknaben.
"Ton auf OAUuuu."
"OoAaUu."
Für die Jungs ist es wenig interessant, zu wissen, dass Musik die Verbindung von rechter und linker Gehirnhälfte fördert, dass sie Geist, Seele und Leib gleichermaßen trainiert, soziale Kompetenzen schult. Für sie macht sie mitunter einfach nur Spaß.
"Ave verum …"
Der muffige Probenraum mag ein wenig darüber hinweg täuschen, dass hier in Saalfeld eine kulturelle Infrastruktur gewachsen ist, die - gerade in einer so kleinen Stadt, Saalfeld hat 27.000 Einwohner - ihres Gleichen sucht. Eher noch mag ihnen auffallen, dass sich wie nebenbei Begriffe, wie Weihnachten, von allein füllen. Denn irgendwie hat das was mit der Jungfrau Maria und einem Kind namens Jesus zu tun. Davon singen sie ja.
"… Maria Virgine …"
Und vor allem ist sie Tradition. Und das allein hat Wert. Hier an der Johanniskirche in Saalfeld.
Dann zieht eine Reihe kleinerer und größerer junger Männer vom Nachbarhaus, dem Kantorat, in die Kirche ein, schlängelt sich durch die Bankreihen. Einer zeigt im Gehen noch eben Fotos vom seinem Handy, ein anderer spielt mit seinem ein paar krächzende Comedy-Sequenzen ab.
Oben, auf der Orgelempore, heißt es: Sitzplätze reservieren, Jacken aus, dann werden noch die letzten Matrosenkragen zurecht gerückt. Und plötzlich stehen die Rüpel von eben ordentlich aufgereiht vor den Orgelpfeifen, in Schwarzweiß mit blauen Kragen, die größeren im schwarzen Anzug.
"Ave verum corpus natum de maria virgine."
Kantor Dietrich Modersohn, ein hagerer Mann mit schütterem hellen Haar, Nickelbrille, eine strenge Erscheinung, hebt spreizend die Finger und gibt den Takt. Er ist nicht zufrieden, ruft korrigierend dazwischen, mahnt zur Disziplin. Denn dies ist das letzte Ansingen vor dem Gottesdienst.
"Ihr seid innerhalb der ersten Takte etwas höher geworden. Bitte mal summen auf Nununu."
"Nuuunuu."
Das Singen im Gottesdienst ist vornehme Pflichtübung der Thüringer Sängerknaben. Wer fehlt, braucht eine triftige Entschuldigung. Wer kommt, muss sich benehmen, sich konzentrieren.
"Du musst zu mir gucken, die ganze Zeit …"
Dies hier ist ein Dienst. Denn ein Thüringer Sängerknabe dient der Gemeinde. Der evangelischen Kirchgemeinde St. Johannis.
"Gerald, Du passt ein bisschen dort auf …"
Die Älteren im Chor müssen auf die Jüngeren acht geben, sie ermahnen, ihnen helfen. Es soll nicht unruhig sein auf der Orgelempore während des Gottesdienstes. Einige haben sich Comics mitgebracht, ein anderer löst Kreuzworträtsel. Das stört zumindest nicht. Andere schwatzen doch und kippeln mit den Stühlen.
"Pssssst!"
Noch ehe die Pastorin die ersten Worte sagt, steht in Saalfeld der erste Ton. Noch bevor hier, im lutherischen Stammland, die sprachliche Verkündigung zum Zuge kommen kann, steht die musikalische. Denn in Saalfeld wohnt die Musik.
Kantor Dietrich Modersohn ist Organist und Liturg. Er trägt die Gemeinde durch dieses sonntägliche Ritual. Er moduliert an der Orgel die Übergänge, er singt die liturgischen Stücke. Seine Stellung in der Stadt ist nicht die eines x-beliebigen Mitarbeiters, der eben mal für das kulturelle Sahnehäubchen zuständig ist. Der Kantor ist eine Institution in Saalfeld. Ist dem Pfarrer/der Pastorin mindestens ebenbürtig.
"Eine Woche lang wird in der Stadt diskutiert: Wie hat der Chor gesungen, wie hat der Organist gespielt und wie hat der Pfarrer gepredigt. Aber in der Reihenfolge (Lacht)."
Kantor psalmodiert: "Wir warten eines neuen Himmels …"
Sängerknaben: "… und einer neuen Erde nach seiner Verheißung, in welcher Gerechtigkeit wohnet."
"Das ist auf jeden Fall eine religiöse Heimat. Aber ich bin auch durch den Chor zur Religion gekommen, sag' ich mal."
Hardy Brömel ist ein ehemaliger Sängerknabe. Elf Jahre lang stand er hier oben, um zu singen.
Sängerknaben: "So werden wir sein, wie die Träumenden."
"Wir sind zu Hause zwar getauft und in den Gottesdienst gegangen, aber man hat es halt eher als Teilnehmer mitgemacht. Man ist zum Gottesdienst gegangen, hat zugehört, wusste nicht, wann was gesungen wurde, was es heißt. Aber als Sängerknabe hat man es in Fleisch und Blut, weiß genau, was wann kommt."
Kantor: "Ehre sei dem Vater und dem Sohne."
Sängerknaben: "Und dem Heiligen Geiste. Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen."
Der Ablauf des Gottesdienstes hat sich dem jungen Brömel eingeprägt, wie anderen die Ranglisten der Fußballmannschaften. Er kann in liturgischen Fragen mitreden. Viele Ehemalige tun das in Saalfeld. Sie gehören zur Kirchgemeinde, sie arbeiten ehrenamtlich mit. Denn die Kirche ist ihr Zuhause.
"Ich habe noch nie in Gemeinden solche Auseinandersetzungen um den Ablauf eines Gottesdienstes und die Liturgie gehabt."
Sagt Pastorin Katarina Schubert, seit anderthalb Jahren zuständig für eine der schönsten und anspruchsvollsten Gemeinden in Thüringen, wie sie sie nennt.
"Also, dass wir streiten, wann der Introitus-Psalm gesungen wird, das ist so etwas von Besonderes, das kenne ich aus keiner anderen Gemeinde. Damit muss ich hier leben und ich kann gut leben damit. Aber das ist eine Herausforderung. Oder, dass wir lange im Gemeindekirchenrat diskutieren über die Liturgie des Abendmahl, das kann nur in einer Gemeinde sein, in der jeder eben so verwurzelt ist in solchen Traditionen."
Mittlerweile haben sich die Sängerknaben vom Kyrie zum Gloria vorgearbeitet. Während der Lektor das Evangelium liest, wandern etliche Köpfe wieder in die Comic-Hefte. Kantor Modersohn sitzt er auf der Orgelbank und improvisiert den Übergang zur Predigt. Die kleineren Jungs stapfen die Treppe herunter, durch das Kirchenschiff hinüber zur Kinderpredigt.
Die Thüringer Sängerknaben sind eine Gemeinschaft in der Gemeinde. Eine mit eigenen Regeln. Man kann Mitglied werden, man hat Rechte und Pflichten, man kann ausgeschlossen werden. Und: Man bekommt einen Chornamen.
Modersohn: "Das Gute ist diese Identität, die die Kinder damit haben - die verbinden sich damit mit dem Chor: 'Ich habe jetzt hier einen ganz besonderen Namen, ich habe hier auch eine Aufgabe.' Das verbindet sich so."
Der Vorgängerchor der Sängerknaben hat in den 20er Jahren seine Jungs nach germanischen Helden benannt, dem Langobardenkönig Walthari, Böhmenkönig Ottokar und Hunnenkönig Etzel zum Beispiel. Dabei sind sie geblieben. Bis heute werden die Namen in einem Ritual verliehen. Hardy Brömel zum Beispiel ist:
"Armin"
Sein Sohn Josef:
"Ich heiß' jetzt Markolf."
Brömel: "Die Namen werden immer wieder weitergegeben. Theoretisch hätte Josef Armin heißen können. Ich hoffe noch, wenn Karl in den Chor kommt, dass er Armin kriegt."
Modernere Namen zu nehmen, kommt den Salfeldern nicht in den Sinn. Denn die Namen gehören zur Tradition, und die wird groß geschrieben. Kantor Modersohn:
"Weil sich dadurch Generationen ergeben. Wenn jetzt praktisch Roland I. noch leben würde, besser gesagt, der lebt noch. Und dann gibt es praktisch das Bewusstsein: Da war schon mal ein Roland, wir kennen uns auch alle in der Namensreihenfolge. Und das hält mich umso fester noch dabei."
Brömel: "Es gibt Sängerknaben, da wissen Außenstehende nicht, wie der mit wirklichem Namen heißt. Da hat sich das so eingebürgert. Zum Beispiel Alf Moka."
Josef: "Mir ist es egal. Markgolf und Josef - das passt zusammen."
Nach der Predigt kommen die kleineren Sängerknaben wieder auf die Empore.
Sie stehen hier im Wechsel mit ihrem weiblichen Pendant: dem Saalfelder Mädelchor.
Er ist ihnen technisch ebenbürtig, organisatorisch nahezu identisch. Dennoch: Die Mädchen stehen immer im Windschatten der Jungs.
Modersohn: "Qualitativ gibts da keine Abstriche. Aber der Windschatten ist einfach der: Knabenchöre wollen die Zuhörer mehr hören. Die sind irgendwie attraktiver. Oft sagt man auch: Da fehlt ein bissl das Fundament beim Mädchenchor, die schweben mir immer so davon."
Die Mädchen und jungen Frauen aus dem Mädelchor haben sich ihre skurrilen Namen erst zugelegt, weil sie es bei den Jungen chic fanden.
"Wunna, Kunigunde, Eldritt. Manchmal ganz schön abgefahrene Namen für Jugendliche (lacht). Aber die stehen da voll dahinter."
Wie viele werden es sein, die im Laufe der über 50-jährigen Geschichte einmal durch einen der Chöre gegangen sind? Vielleicht tausend, schätzt der Kantor. Die Kirchenmusik prägte mehrere Generationen. Derzeit gibt es neben den drei aktiven Kirchenchören der Johanniskirche allein zwei Männerchöre, in denen sich Ehemalige zusammen getan haben.
"Cantate Domino"
Die Cantores Juvenes Saalfeld sind zehn Männer, die geistliche Lieder ebenso singen, wie Trinklieder. Noch bekannter sind die Saalfelder Vokalisten.
"Die Gedanken sind frei … "
Das Repertoire dieser acht Saalfelder reicht bis zu zeitgenössischen Werken. Ihre Herkunft ist Verpflichtung. Sie weisen gerne auf ihre Sängerknabenzeit hin und auf ihre Lehrer, den Gründer der Chöre, Walter Schönheit und seinen Sohn, den späteren Gewandhausorganisten Michael Schönheit. Verbindungslinien der Sängerknaben gibt es auch zu etlichen, der anderen zehn Chöre der Stadt. Saalfeld ist eine singende Stadt.
Viele andere Ehemalige sitzen nun unten im Kirchenschiff, gehören zum Teil höchst engagiert zur evangelischen Kirchgemeinde, und lassen sich auch in der Stadt nicht die Butter vom Brot nehmen. Die Stadt ihrerseits kommt an den Sängerknaben nicht vorbei. Und will es nicht.
Immerhin tragen die Jungs und Mädchen den Namen der Südthüringer Stadt in die Welt. Sie sind, so sagt es der Bürgermeister, ist eine tragende Säule der Stadt, die Ehemaligen eine feste Größe in der Saalfeder Bürgerschaft. Deswegen beteiligt sich die Kommune an den Kosten und spendiert einen ansehnlichen Betrag für die Assistentinnenstelle beim Kantor.
Er weiß damit einmal mehr, dass seine Arbeit gewollt ist.
"Das ist schon eine sehr schöne Stelle, weil einfach sehr viel möglich ist, dadurch, dass alle an einem Strang ziehen wollen. Die ganze Stadt denkt: Singen ist doch 'ne klasse Angelegenheit."
Mit dem Nachspiel ist der Gottesdienst beendet. Für Jungs kommt aber noch die Veranstaltungskritik.
"Ich danke euch für euern Chordienst, die meisten waren ja pünktlich da. Es war alles etwas mit der heißen Nadel gestrickt."
Nach der künstlerischen Kritik: der Anpfiff.
"Die Disziplin während des Gottesdienstes: absolut mangelhaft, eine Rüge an die Chorältesten: Ihr habt es nicht im Griff. Es ist eine Katastrophe!"
Kantor Modersohn zitiert einige Chorknaben in kleiner Runde anschließend zu sich, samt Chorältesten, die notfalls über einen Rauswurf mit beraten. Dann erst ist der Dienst beendet. Betreten verlassen die Jungs die Kirche.
Sonntagnachmittag in Saalfeld. Pastorin Katarina Schubert besucht Familie Brömel.
Brömel: "Hallo, kommen sie rein."
Schubert: "Vielen Dank für die Einladung!"
Brömel: "Bitte, gern. Mir nach."
Vater Brömel, der ehemalige Sängerknabe, hat Jura studiert, ist als Rechtsanwalt jetzt wieder in Saalfeld. Er singt nun im dritten Chor der Gemeinde mit, dem Oratorienchor. Sohn Josef, neun Jahre alt, ist seit drei Jahren aktiver Sängerknabe, er hat heute Morgen mitgesungen.
Josef: "Eines meiner Lieblingsstücke ist auf jeden Fall der Psalm 150, das ist ein lateinisches Lied - da muss man fasst nur lalala singen. Der hört sich auch gut an, den mögen alle aus dem Chor."
Die fünfköpfige Familie nimmt mit Besuch Platz am Kaffeetisch. Es gibt selbstgemachte Waffeln mit Apfelmus und grünem Kiwi-Chatney. Alle langen zu.
Sie plaudern über die Riten der Choristen. Manche sind lustig, manche gewöhnungsbedürftig. Pastorin Schubert zum Beispiel hat als Zugereiste nicht gewusst, dass Mädelchoristen und Sängerknaben in speziellen Kneipen eigene Bierkrüge haben.
"Ich habe mal aus einem Mädelchorkrug etwas bekommen, und da sagten die anderen: Na, das geht ja eigentlich nicht hier! Das Bier aus einem Mädelchorkrug! (Lacht). Das war im Weltrich. Geht eigentlich nicht, ge? Das war ein Versehen von der Wirtin, weil ich da mit den anderen Chorsängerinnen kam."
Sohn Nummer zwei, Karl, geht in die erste Klasse, er wird selbstverständlich auch bald ein Sängerknabe werden, soviel steht mal fest. Das Baby auf dem Arm von Mutter Sandra kommt dermaleinst in den Mädelchor. Widerstand zwecklos, sagt Vater Hardy Brömel. Auch er wurde genötigt.
"Meine Mutter wollte irgendwie, dass ich bei den Sängerknaben mitsinge. Und ich habe mich immer ein bisschen gewunden, hab gesagt: Ne, will ich nicht. Und dann wurde auch versucht, solche Argumente zu bringen: Naja, manchmal fahren die vielleicht auch in den Westen oder so (lacht)."
Als er dann zwischen Klavierunterricht und Chor wählen musste, nahm er Klavier. Nur die Lehrerin war garstig, da ging er doch lieber singen.
"Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass es so gekommen ist. Ich kann zwar jetzt kein Klavier spielen, aber ich habe die Sängerknaben-Lebensschule hinter mir. Das ist, glaube ich, besser."
Rechtsanwalt Hardy Brömel ist nach dem Studium gerne wieder nach Saalfeld gekommen. Saalfeld ist für ihn Heimat, der Kirchenchor ein Zuhause.
"Hier ist man Sängerknabe. Sängerknabe ist - ich möchte es nicht elitär nennen, aber es ist eine Gemeinschaft, die die anderen nicht haben. Beim Fußballverein spielt man Fußball und irgendwann ist man wieder draußen. Bei den Sängerknaben ist man immer Sängerknabe, wenn man das will. Bei Verbindungen nennt man es Lebensbundprinzip. Und das haben wir hier auch. Und das ist was Schönes."
Das einzige Problem der Saalfeder Kirchenmusiker sind Nachwuchssorgen. Neben dem ohnehin schon dramatischen Geburtenknick, den Thüringen seit der Wende zu verkraften hat, konkurriert die Kirchenmusik in Saalfeld auch mit anderen Angeboten für Kinder - und natürlich mit ihrer Trägheit.
Denn wer sich verpflichtet, der muss stehen, rund dreimal die Woche zur Probe und Stimmbildung, dazu an vielen Sonntagen und natürlich zu allen großen Festen. Ostern auf den Balearen - Pusteblume! Ostern findet in der Johanniskirche statt. Auch Familie Brömel stöhnt gelegentlich unter dem strengen Regiment der Sängerknaben. Dennoch steht außer Frage: Die Kirchenmusik ist eine gute Schule.
"Bei Karl ist es so, der wird über die Schule rangeführt. Der hat ursprünglich nichts damit am Hut gehabt, jetzt weiß er, dass er Sängerknabe wird."
Die Schule, über die Karl herangeführt wird, ist die evangelische Grundschule Saalfeld. Die
hat die Kirchengemeinde gerade erst gegründet, Hardy Brömel leitet den Verein mit. Die Schule hat - wie kann es anders sein - einen kirchenmusikalischen Schwerpunkt. Was macht Karl in dieser Schule?
Karl: "Mit Instrumenten, und singen, manchmal machen wir auch Spiele."
Ein Montag in Saalfeld. Karls Klasse, die erste Klasse, hat Musik.
Lehrerin: "'"Das ist unser Ton.""
Christine Modersohn, die Frau des Kantors, ebenfalls Kirchenmusikerin, ist hier Musiklehrerin. Sie lehrt den Kindern das Singen. Gar nicht einfach. Denn vor dem Singen steht das Hören. Und einen Ton nachzusingen, ist für viele ungewohnt.
"Das ist eine Übungssache, die ich hier in der Schule machen muss, weil sie leider im Kindergarten nicht mehr so läuft, wie es sein müsste. Dann würden die Kinder wirklich kommen und meinen Ton, den ich ihnen gebe, nachsingen können, wenn in den Kindergärten wirklich kontinuierlich viel gesungen werden könnte."
"A, a, a, der Winter der ist da."
Singen gehört zum Alltag der evangelischen Grundschule dazu, wo es nur geht. Morgens bei der Andacht, vor dem Essen und natürlich im Unterricht.
"Könnt ihr euch mal so hinstellen, als wärt ihr ein 'A'?"
Dann setzen sich die gut 20 Kinder an ihre Tische und lernen Noten. Wie gesagt: Es sind Erstklässler. Gleichzeitig mit dem Schreiben, Lesen und Rechnen lernen sie die Noten, lernen sie Musik.
"Wir haben ja hier schon angefangen. Aber da ist nur ein Teil von der Note da. Nämlich das hier. Das kennt ihr schon. Weiß jemand, wie man das nennt?"
"Nö."
"Das ist der Notenkopf."
Statt zwei Stunden wöchentlich haben die Kinder vier Stunden Musik. Nach einer speziellen Methode lernen sie singen und Noten lesen.
"Es geht dann ins Unbewusste über. Das ist ein Vorteil, die lernen wirklich vom Blatt zu singen."
Vierzig Kinder sind in zwei Klassen eingeschult. Der neue Jahrgang ist bereits heillos ausgebucht. Bedarf ist da. Keine Frage. Und damit Nachwuchs für die Chöre.
Montagnachmittag übt Kantor Dietrich Modersohn bereits wieder mit den Sängerknaben.
"Ton auf OAUuuu."
"OoAaUu."
Für die Jungs ist es wenig interessant, zu wissen, dass Musik die Verbindung von rechter und linker Gehirnhälfte fördert, dass sie Geist, Seele und Leib gleichermaßen trainiert, soziale Kompetenzen schult. Für sie macht sie mitunter einfach nur Spaß.
"Ave verum …"
Der muffige Probenraum mag ein wenig darüber hinweg täuschen, dass hier in Saalfeld eine kulturelle Infrastruktur gewachsen ist, die - gerade in einer so kleinen Stadt, Saalfeld hat 27.000 Einwohner - ihres Gleichen sucht. Eher noch mag ihnen auffallen, dass sich wie nebenbei Begriffe, wie Weihnachten, von allein füllen. Denn irgendwie hat das was mit der Jungfrau Maria und einem Kind namens Jesus zu tun. Davon singen sie ja.
"… Maria Virgine …"
Und vor allem ist sie Tradition. Und das allein hat Wert. Hier an der Johanniskirche in Saalfeld.