Das Smartphone als "Allzweckwaffe der Skandalisierung"
Ob Guttenbergs Doktorarbeit oder Steinbrücks Nebenverdienste: Kein Jahr vergeht ohne Skandal. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sieht dahinter einen Trend: Mittels digitaler Medien werde die Gesellschaft "kontinuierlich mit Empörungsvorschlägen geflutet".
Korbinian Frenzel: Im Oktober 1962, vor 50 Jahren, da braute sich eine Affäre zusammen, die - das kann man so sicher sagen - das ganze Land verändert hat.
Konrad Adenauer: "Nun, meine Damen und Herren, wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande."
Zwischenruf: "Wer sagt das?"
Adenauer: "Ich sage das!"
Zwischenruf: "Aha!"
Frenzel: Abgrund von Landesverrat, das sagte Konrad Adenauer, der Bundeskanzler. Angriff auf die Pressefreiheit, das schallte ihm im ganzen Land entgegen. All das ausgelöst durch einen kritischen Artikel im "Spiegel über den Zustand der Bundeswehr. Die "Spiegel"-Affäre war geboren, ein echter Skandal, wir sprechen ja noch heute davon, und das hat uns auf eine Frage gestoßen. Wie wäre das eigentlich unter heutigen Bedingungen? - Bernhard Pörksen ist jemand, der sich mit Skandalen im digitalen Zeitalter befasst, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Guten Morgen!
Bernhard Pörksen: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
Frenzel: Denken wir uns mal ein Smartphone in Rudolf Augsteins Hand bei der Verhaftung, mit dem er womöglich noch was getwittert hätte. Denken wir uns generell das Internet. Wäre die Empörung, der Protest noch viel heftiger ausgefallen?
Pörksen: Ich glaube, schon, weil in der Tat es ja möglich wäre, mit dem Smartphone, dieser Allzweckwaffe der Skandalisierung, blitzschnell Fotos, Bilder, kleine Filmsequenzen ins Netz zu senden und hier potenziell vor einem Weltpublikum - das muss man sich immer klar machen - zu publizieren. Also wir haben mit dem digitalen Zeitalter eine ganz neue Eskalationsstufe öffentlicher Empörung, öffentlicher Erregung erreicht.
Frenzel: Wir erleben ja eigentlich kein Jahr mehr, das nicht zumindest einen Großskandal mit sich bringt. Wir hatten Guttenbergs Doktorarbeit, wir hatten Christian Wulff, wenn auch eine Nummer kleiner, jetzt die Sache mit Steinbrücks Nebenverdiensten. Eigentlich ist immer irgendetwas. Ihre These lautet ja sogar, dass die Zeit des permanenten Skandals begonnen hat. Woran liegt das? Sind wir alle aufmerksamer geworden heute, oder skandalisieren wir Dinge, machen wir häufiger die berühmte Mücke zum Elefanten?
Pörksen: Zum einen liegt es ganz gewiss daran, dass im digitalen Zeitalter jeder die technischen Instrumente immer an der Hand hat, um selbst einen Empörungsvorschlag zu unterbreiten. Diese Gesellschaft wird permanent und kontinuierlich mit Empörungsvorschlägen geflutet, die natürlich längst nicht alle verfangen. Wir alle haben heute die Mittel, um einen Skandal auszulösen, zumindest wenn dann das Publikumsinteresse verfängt.
Ein weiterer interessanter Punkt ist aber meines Erachtens, dass diese Gesellschaft in einem sehr ernsten Sinne um so etwas ringt wie einen normativen Konsens, und sie tut dies, wenn Sie so wollen, auf eine sehr reife Weise, nämlich nicht, indem sie sagt, was soll positiv gelten, was ist unser Moralkodex, sondern im Modus der Abgrenzung. Im Moment der Empörung vergewissert sich, so meine These, diese Gesellschaft ein letztes Mal, was zumindest nicht sein darf, und das macht den Wert eines Skandals aus. In der Normverletzung lernen wir die Norm kennen.
Frenzel: Aber verschwimmen dann, wenn, so wie Sie sagen, jeder die Möglichkeit hat zu skandalisieren, nicht auch die Grenzen zwischen wirklichen großen Skandalen und, sagen wir mal, nur Aufregern?
Pörksen: Das ist absolut die Gefahr. Das Diktat der Relevanz, das noch in den Zeiten der massenmedialen Skandalisierungsvorschläge regiert hat, wird ersetzt durch das Diktat der Interessantheit. Das ist ein ganz anderes Konzept von Öffentlichkeit, das auf einmal regiert, nämlich das bestimmt wird von der Frage, was verfängt, was ist kurios genug, was ist sofort verständlich und unmittelbar einsichtig, um dann die nötige Portion publikumsseitiger Erregung auszulösen. Also wir haben eine Transformation der Öffentlichkeit in Richtung eines Testlabors für Erregungsvorschläge, so würde ich sagen, ohne damit einem Kulturpessimismus zu verfallen, denn dieses Testlabor der neuen Öffentlichkeit ist auch ein Ort, an dem Selbstvergewisserung über moralische Standards stattfindet.
Frenzel: Es stellt sich aber dann natürlich auch ganz konkret die Frage nach Konsequenzen und die Frage, ob das nicht dann verpufft, diese reinigende Wirkung, die ein Skandal eigentlich haben soll, wenn wir eine solche Vielzahl von Skandalen haben, wenn auch nicht mehr genau klar ist, was eigentlich der Auslöser dieses Skandals war. Wenn ich das mal übersetze auf die Situation von Oktober 1962: Die Aufregung wäre zwar groß gewesen, aber Augstein und seine Redakteure wären noch immer in Haft.
Pörksen: Da bin ich nicht so sicher. Was wir feststellen können und auch empirisch zeigen können, dass der rein netzinterne, rein netzgetriebene Protest doch relativ schnell verpufft. Aber in dem Moment, in dem die klassischen Massenmedien einen solchen Empörungsvorschlag aufgreifen, haben wir eine andere Dimension, haben wir eine andere Wucht der Empörung. Der entscheidende Moment, in dem Empörung gesellschaftlich wirksam wird, ist nach wie vor der Moment, in dem die klassischen Massenmedien aufspringen.
Frenzel: Lassen Sie uns noch einen ganz kurzen Blick werfen auf die Politiker, die ja meistens noch immer diejenigen sind, die Skandale auf sich ziehen, Skandale auslösen. Sind die aus Ihrer Sicht heute gewiefter, sind die besser geübt, mit Skandalen umzugehen, sie auszustehen?
Pörksen: Na sie leben zumindest in dem Bewusstsein, dass der Skandal längst allgegenwärtig geworden ist und dass jeder Besuch einer Messe, jede peinliche Situation auf einem Wiesenfest, oder jeder Ausraster womöglich verewigt wird. Das Problem ist allerdings: Man kann dieses Bewusstsein nicht permanent durchhalten. Die Erfahrung des Kontrollverlustes ist längst allgegenwärtig geworden und führt für Politiker dazu, dass es neue Dimensionen der Hochrüstung im Inszenierungsgeschäft geben wird. Und irgendwann - das ist die Nachtseite der ganzen Geschichte - haben wir womöglich den komplett sterilen Politiker, der nur noch mit Textbausteinen hantiert und der sich hinter einer Fassade verschanzt, einfach aus Angst, dass irgendwo wieder jemand sein Smartphone hochreißt, um einen solchen Empörungsvorschlag zu unterbreiten.
Frenzel: Das sagt Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Pörksen: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Bernhard Pörksen: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
Frenzel: Denken wir uns mal ein Smartphone in Rudolf Augsteins Hand bei der Verhaftung, mit dem er womöglich noch was getwittert hätte. Denken wir uns generell das Internet. Wäre die Empörung, der Protest noch viel heftiger ausgefallen?
Pörksen: Ich glaube, schon, weil in der Tat es ja möglich wäre, mit dem Smartphone, dieser Allzweckwaffe der Skandalisierung, blitzschnell Fotos, Bilder, kleine Filmsequenzen ins Netz zu senden und hier potenziell vor einem Weltpublikum - das muss man sich immer klar machen - zu publizieren. Also wir haben mit dem digitalen Zeitalter eine ganz neue Eskalationsstufe öffentlicher Empörung, öffentlicher Erregung erreicht.
Frenzel: Wir erleben ja eigentlich kein Jahr mehr, das nicht zumindest einen Großskandal mit sich bringt. Wir hatten Guttenbergs Doktorarbeit, wir hatten Christian Wulff, wenn auch eine Nummer kleiner, jetzt die Sache mit Steinbrücks Nebenverdiensten. Eigentlich ist immer irgendetwas. Ihre These lautet ja sogar, dass die Zeit des permanenten Skandals begonnen hat. Woran liegt das? Sind wir alle aufmerksamer geworden heute, oder skandalisieren wir Dinge, machen wir häufiger die berühmte Mücke zum Elefanten?
Pörksen: Zum einen liegt es ganz gewiss daran, dass im digitalen Zeitalter jeder die technischen Instrumente immer an der Hand hat, um selbst einen Empörungsvorschlag zu unterbreiten. Diese Gesellschaft wird permanent und kontinuierlich mit Empörungsvorschlägen geflutet, die natürlich längst nicht alle verfangen. Wir alle haben heute die Mittel, um einen Skandal auszulösen, zumindest wenn dann das Publikumsinteresse verfängt.
Ein weiterer interessanter Punkt ist aber meines Erachtens, dass diese Gesellschaft in einem sehr ernsten Sinne um so etwas ringt wie einen normativen Konsens, und sie tut dies, wenn Sie so wollen, auf eine sehr reife Weise, nämlich nicht, indem sie sagt, was soll positiv gelten, was ist unser Moralkodex, sondern im Modus der Abgrenzung. Im Moment der Empörung vergewissert sich, so meine These, diese Gesellschaft ein letztes Mal, was zumindest nicht sein darf, und das macht den Wert eines Skandals aus. In der Normverletzung lernen wir die Norm kennen.
Frenzel: Aber verschwimmen dann, wenn, so wie Sie sagen, jeder die Möglichkeit hat zu skandalisieren, nicht auch die Grenzen zwischen wirklichen großen Skandalen und, sagen wir mal, nur Aufregern?
Pörksen: Das ist absolut die Gefahr. Das Diktat der Relevanz, das noch in den Zeiten der massenmedialen Skandalisierungsvorschläge regiert hat, wird ersetzt durch das Diktat der Interessantheit. Das ist ein ganz anderes Konzept von Öffentlichkeit, das auf einmal regiert, nämlich das bestimmt wird von der Frage, was verfängt, was ist kurios genug, was ist sofort verständlich und unmittelbar einsichtig, um dann die nötige Portion publikumsseitiger Erregung auszulösen. Also wir haben eine Transformation der Öffentlichkeit in Richtung eines Testlabors für Erregungsvorschläge, so würde ich sagen, ohne damit einem Kulturpessimismus zu verfallen, denn dieses Testlabor der neuen Öffentlichkeit ist auch ein Ort, an dem Selbstvergewisserung über moralische Standards stattfindet.
Frenzel: Es stellt sich aber dann natürlich auch ganz konkret die Frage nach Konsequenzen und die Frage, ob das nicht dann verpufft, diese reinigende Wirkung, die ein Skandal eigentlich haben soll, wenn wir eine solche Vielzahl von Skandalen haben, wenn auch nicht mehr genau klar ist, was eigentlich der Auslöser dieses Skandals war. Wenn ich das mal übersetze auf die Situation von Oktober 1962: Die Aufregung wäre zwar groß gewesen, aber Augstein und seine Redakteure wären noch immer in Haft.
Pörksen: Da bin ich nicht so sicher. Was wir feststellen können und auch empirisch zeigen können, dass der rein netzinterne, rein netzgetriebene Protest doch relativ schnell verpufft. Aber in dem Moment, in dem die klassischen Massenmedien einen solchen Empörungsvorschlag aufgreifen, haben wir eine andere Dimension, haben wir eine andere Wucht der Empörung. Der entscheidende Moment, in dem Empörung gesellschaftlich wirksam wird, ist nach wie vor der Moment, in dem die klassischen Massenmedien aufspringen.
Frenzel: Lassen Sie uns noch einen ganz kurzen Blick werfen auf die Politiker, die ja meistens noch immer diejenigen sind, die Skandale auf sich ziehen, Skandale auslösen. Sind die aus Ihrer Sicht heute gewiefter, sind die besser geübt, mit Skandalen umzugehen, sie auszustehen?
Pörksen: Na sie leben zumindest in dem Bewusstsein, dass der Skandal längst allgegenwärtig geworden ist und dass jeder Besuch einer Messe, jede peinliche Situation auf einem Wiesenfest, oder jeder Ausraster womöglich verewigt wird. Das Problem ist allerdings: Man kann dieses Bewusstsein nicht permanent durchhalten. Die Erfahrung des Kontrollverlustes ist längst allgegenwärtig geworden und führt für Politiker dazu, dass es neue Dimensionen der Hochrüstung im Inszenierungsgeschäft geben wird. Und irgendwann - das ist die Nachtseite der ganzen Geschichte - haben wir womöglich den komplett sterilen Politiker, der nur noch mit Textbausteinen hantiert und der sich hinter einer Fassade verschanzt, einfach aus Angst, dass irgendwo wieder jemand sein Smartphone hochreißt, um einen solchen Empörungsvorschlag zu unterbreiten.
Frenzel: Das sagt Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Pörksen: Ich danke Ihnen!
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