Ein Drehbuch für den Tod
Für die spirituelle Dimension des Sterbens waren früher meist die Kirchen zuständig, es gab verbindliche Rituale. Und heute? Hier könnte ein spirituelles Testament helfen und die geistliche und rituelle Ebene des Sterbens regeln.
Mitten im Raum steht ein heller, offener Holzsarg. Wer möchte, und wer es sich traut, kann probeliegen. Der Ort: Ein nüchterner Seminarraum mit nackten Betonwänden in der Universität Potsdam. Das Thema: "Die kostbare Zeit zwischen Tod und Bestattung". Der Workshopleiter: Ein Bestatter, Uller Gscheidel. Die Frage an ihn: Warum sich so konkret mit dem Tod beschäftigen?
"Wenn man sich im Vorfeld vorbereitend damit beschäftigt, ist es immer hilfreich, bestimmte Fragen für sich selber geklärt zu haben, die dann gegebenenfalls auch zu verschriftlichen und eventuell Menschen zu bevollmächtigen, dies oder jenes zu machen. So dass wir dann, wenn dann jemand gestorben ist, nicht in die Situation geraten: Uch, was machen wir denn jetzt? Sondern dass das eben auch vorher abgestimmt ist und mit dem Verstorbenen auch besprochen ist. Eine der wesentlichsten Fragen, die es gibt, ist immer: Erd- oder Feuerbestattung? Das beschreibt eben sozusagen auch zwei unterschiedliche Wege, wie mit dem Körper prinzipiell verfahren wird und andererseits auch für den Bestatter wichtig: die Logistik."
Logistik ist wichtig, aber nicht genug – sagt Lisa Freund. Seit 20 Jahren begleitet sie Sterbende und hat mehrere Sachbücher zum Thema geschrieben:
"Wir müssen uns um die Bestattung kümmern, sonst werden, wenn wir kein Vermögen hinterlassen, also die Kinder oder irgendwelche Erben damit belastet. Also wie möchte ich bestattet werden, wieviel soll es kosten?"
Und dann gibt es noch die andere Ebene, die viele Menschen immer wieder beschäftigt:
"Wie möchte ich geistig gehen und seelisch? Und das wäre dann praktisch das spirituelle Testament. Und da kann ich mir überlegen: Was will ich an Begleitung, damit ich noch eine Perspektive habe, also mein Geist oder meine Seele überführen kann?"
Das Testament schreiben - weckt zunächst Ängste
Überführen ins Jenseits. Christiane, einer 50-jährige Grafikerin, geht es bei solchen Gedanken wie vermutlich den meisten Menschen. Über den eigenen Tod nachdenken, ein spirituelles Testament schreiben, weckt erst einmal Widerstände und Ängste:
"Es ist wie ein Klärungsprozess für mich jetzt. Ich gehe damit schon länger schwanger, und ich tue mich nicht so leicht damit. Ich schiebe es auch gerne vor mir her, weil es natürlich auch so eine Art Berührungsangst ist mit dieser Aussicht auf das Ende des Lebens. Das spüre ich schon deutlich."
Solche Berührungsängste kann verringern, wer sich bewusst vorbereitet, sagt Wilfried Reuter. Er ist Arzt, Sterbebegleiter und spiritueller Lehrer.
"Mit dem Tod sollte man sich ruhig auch immer wieder beschäftigen - 'memento mori', 'denke an den Tod', denke an Deine Sterblichkeit."
Diese oft vergessene mittelalterliche Empfehlung ist hilfreich. Und wie man sich ganz konkret auf das eigene Ende vorbereiten kann, erklärt Lisa Freund:
"Das kann Gebet sein, das kann Meditation sein, das kann sein, dass ich mir eine Kraftquelle suche, also versuche, innerlich meine Ressourcen zu nähren. Zum Lebensende hin, wenn die Kraft nachlässt, gibt es oft innere Bilder. Das kann sein: die Erinnerung an die Kindheit, eine Situation von Geborgensein, an einen Sonnenuntergang. Und ich kann diese schöne Erfahrung nehmen, um in mir Frieden, gute Stimmung, Wohlbefinden zu schaffen. Und damit habe ich eine Kraftquelle. Ich muss nicht unbedingt ein Gebet nehmen oder Gott oder Buddha oder irgendjemand, oder irgendwas aus einer spirituellen Tradition. Es kann etwas sein, was in meinem Leben in mir Frieden, Vertrauen, Hingabe, Weite geschaffen hat."
Die Grafikerin Christiane vertraut da auf spirituelle Texte, die sie immer wieder liest:
"Es gibt Texte, die mich sehr berühren, und die mich einfach sehr ruhig machen und sehr auf mich besinnend machen. Eigentlich ist es meine Vorstellung, dass ich davon was zusammenstelle an Texten, und dass meine Kinder zum Beispiel mir diese Texte einfach vorlesen. Auch vielleicht wenn ich in einem Zustand bin, wo sie meinen, dass ich nicht mehr aufnahmefähig wäre… genau das würde ich mir wünschen, dass mir einfach diese Texte vorgelesen würden."
Welche Musik soll gespielt werden auf der Beerdigung?
In einem spirituellen Testament kann man so etwas verfügen, und beispielsweise auch festlegen, ob und wenn ja, welche Musik in den letzten Stunden laufen soll, wer noch zu Besuch kommen sollte, wer nicht. Was soll am Totenbett geschehen? Welche Rituale sollen noch vollzogen werden? Welche Leichenwäsche, eventuell nur ein Leichentuch, um die Totenruhe nicht zu stören?
Christiane: "Früher gab es die drei Tage, die ein Körper in Ruhe liegen durfte. Und ich würde mir wünschen, dass meinem Körper und meinem Geist diese Gelegenheit gegeben wird. Dass ich nicht danach sofort in die Kühlkammer komme, diese üblichen Prozesse, von denen man so weiß, wie sie in Krankenhäusern stattfinden."
Für einen selbst und für die Nachwelt kann es zudem entlastend sein, sich Bestattungsunternehmen anzusehen und zu entscheiden, was zu einem passt. Denn Bestatter gehen durchaus unterschiedlich mit Verstorbenen um. Wie - das lässt sich im Gespräch herausfinden. Es kann beruhigend sein, zu wissen, wie der Bestatter nach dem klinischen Tod mit dem Toten umgeht. Uller Gscheidel:
"Der Tote ist durchaus präsent. Es ist nicht nur das, was er mit seinem toten Körper hinterlassen hat, sondern es ist ganz oft so, dass ich von meiner Wahrnehmung her, durchaus eine Präsenz noch verspüre… Es ist schon eine Kommunikation, aber eine Kommunikation jenseits einer sprachlichen Möglichkeit… vielleicht einfach ein Gefühl, der braucht jetzt das oder das noch. Das ist was, worüber man ganz schwer kommunizieren kann auf der normalen Ebene von Gespräch."
Der Sterbebegleiter und Arzt Wilfried Reuter erlebt immer wieder, wie erleichternd es für die meisten Menschen ist, sich mit dem Tod bewusst zu beschäftigen – und wie häufig durch das Niederschreiben eines spirituellen Testaments die oft quälenden Fragen zur eigenen Endlichkeit in den Hintergrund treten können:
"Wichtige Dinge, die ich verschriftlichen sollte, könnten schon alles sein, was mit dem unmittelbaren Sterbeprozess und danach zusammenhängt. Zum einen tut mir das selber auch ganz gut, diese einzelnen Schritte mal durch zu gehen. Zum anderen mache ich es den Angehörigen leichter. Für die Angehörigen ist es wohltuend, wenn sie einen letzten Willen erfüllen können und über das Tun mit dem Verstorbenen in Berührung sein können."