Das Stöhnen auf dem Bildschirm

Von Susanne Billig |
Jeder zweite Jugendliche hat schon einen Pornofilm gesehen, quer durch alle Schulformen und sozialen Schichten. Oftmals geschieht dies über einen gezielten Klick auf eine Internetseite. Pro Familia wertet mit Jungen aus, was sie im Netz gesehen haben und hilft bei der Einordnung.
Auf Millionen von Seiten quillt das Internet über von dem, was Erwachsene im Netz aufregend finden, verbotene harte Pornografie voller Gewalt und entlegene Sexual-Praktiken inklusive. Auch für Kinder und Jugendliche ist alles das nur den berühmten Mausklick entfernt.

Mit ihrer Forderung nach einem zensurfreien Internet konnte die "Piratenpartei" bei der letzten Bundestagswahl aus dem Stand zwei Prozent der Bürger für sich begeistern. Fabio Reinhardt ist dort Bundespressekoordinator:

"Pornografie ist einfach ein Teil unserer Kultur. Und dass natürlich bestimmte kulturelle Einflüsse für bestimmte Menschen ungeeignet sind, das ist klar. Und da ist es eben wichtig, dass der mündige Bürger selbst entscheiden kann, was für ihn richtig und was für ihn falsch ist. Also mir persönlich gibt‘s viel Material, was ich mir auf keinen Fall angucken würde, aber warum sollte das verboten werden? Ich kann das ja ausschalten."

Ist es wirklich so einfach? Aktuelle Studien weisen nach: Mehr als die Hälfte aller Jugendlichen hat schon einmal Pornos gesehen, quer durch alle Schulformen und sozialen Schichten. Nicht per Zufall sind sie darauf gestoßen - die Kids suchen solche Inhalte aktiv auf. Besonders beliebt sind Musik-Portale mit Porno-Rap.

Engagierte, öfter noch hilflose Lehrerinnen und Lehrer bringen angesichts der Porno-Flut ganze Schulklassen zu Pro Familia. Wenn die Berater mit den Jugendlichen sprechen, müssen die Lehrer draußen bleiben - genauso wie Rundfunk-Reporter. Petra Winkler ist dort Sexualpädagogin. Sie sieht im Internet einen neuen Ort der Abgrenzung für Pubertierende.

"Das ist wieder ein Punkt, wo man rebellieren kann, wo man aufmüpfig sein kann, ja, wo man sagen kann: 'Das wisst ihr nicht. Das ist mein Geheimnis. Was ich schon alles kenne.' Ich denke, jede Generation hat da auch ne Lücke, wo Eltern nicht mitreden können, sich nicht auskennen, weil die wissen viel weniger, die kriegen nur die Hälfte mit, und die leichten Pornos, die der Vater da im Schrank hat oder so, sind ja alle harmlos. Teilweise glaub ich auch, dass das Mutproben sind. Wer hat noch n schärferen Clip, traut sich, den zu zeigen, schickt den weiter, kann besonders gut schockieren?"

Vor allem Jungen fehlt es an Ansprechpartnern, dabei stehen gerade sie unter starkem Gruppendruck. In der Schule geht‘s um "Mädchenthemen" - Zyklus, Eisprung, Schwangerschaft. Und die meisten Eltern fühlen sich von den neuen Medien überfordert und tauchen ab.

"Und das kriegen wir ja auch mit, wenn die Jungen kommen. Also ich frag zum Beispiel auch: 'Wie spannend fandet ihr denn das, über den Zyklus der Frauen zu lernen und was zu erfahren?' Na ja, und dann kommt immer die Reaktion 'öh-öh-öh' und so, ja? Teilweise peinlich, auch nicht verstanden. Also eigentlich hat es nichts mit ihrer eigenen psycho-sexuellen Entwicklung zu tun. Das ist aber so in der Schule."

Bei der Pro Familia ist es anders: Da nimmt sich ein männlicher Sexualpädagoge der Jungen gesondert an. Sie können prahlen und männliches Potenzgehabe walten lassen, ohne abgekanzelt zu werden. Irgendwann kommen dann auch tiefere Gefühle zur Sprache. Denn die meisten Mädchen und Jungen sind schlicht mit der Frage beschäftigt, ob sie das wohl hinbekommen werden - mit der ersten erotischen Begegnung.

"Wenn sie auf härtere Seiten stoßen, merk ich schon, dass sie teilweise davon auch schockiert sind. Und das lässt sich ja eigentlich nur ein wenig auflösen, indem sie einen vertrauensvollen Rahmen haben, wo sie wissen: Es gibt keine Konsequenzen, wenn sie erzählen: Ich haben gesehen im Netz, da hat‘s irgendwer mit irgendwelchen Tieren getrieben oder fünf Frauen, ja? Also wenn die da frei drüber reden können und dann aber guckt: So - was ist Fantasie? Und was ist die Realität? Eigentlich wollen alle jungen Menschen dann in der Realität klarkommen."

Im wahren Leben wünschen Jugendliche sich - das bestätigen Studien - die romantische Liebe. Pro Familia bietet Webseiten an, die junge Menschen über Sexualität informieren und auf denen sie ihre Fragen stellen können - ohne in einem öffentlichen Forum erwachsenen Mitlesern preisgegeben zu sein. Auch die Piratenpartei setzt auf Eigenverantwortung. Der Staat soll Internetangebote mit Alterskennzeichnungen versehen - der Rest obliege den Erziehungsberechtigten, fordert Fabio Reinhard. Und: Jugendliche sollten statt Verboten Unterricht in Medienkompetenz erhalten:

"Es wäre zum Beispiel sinnvoll, in diesen Medienkompetenzunterricht dann nicht nur einzubauen, wie bediene ich Microsoft Word oder wie bediene ich Open Office, sondern man sollte sich dann gleich auch damit beschäftigen, wie man Inhalte interpretieren kann."

Interpretieren, einschätzen, sich ein eigenes Urteil bilden - das ist wichtig. Zurückdrehen lässt sich die Entwicklung weder technisch noch rechtlich, da sind sich Experten einig. Also müssen die Erwachsenen mit der kommenden Generation sprechen. Auch über Sex, auch über Pornografie. Vor allem aber über Gefühle.