"Das tägliche Töten geht weiter"

Der syrische Oppositionspolitiker Sadiqu Al-Mousllie hat die Verabschiedung der Syrien-Resolution des UN-Sicherheitsrats zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen als längst überfällig begrüßt, zeigte sich aber enttäuscht, dass die Resolution keinen Automatismus für Sanktionen vorsieht, sollte Damaskus nicht kooperieren.
Korbinian Frenzel: 15 Mal Ja im UNO-Sicherheitsrat, kein Nein, keine Enthaltung, und das, wenn es um Syrien geht! Das ist die wahrlich große Entscheidung dieser Nacht, dass die bisher zerstrittene Weltgemeinschaft eine gemeinsame Resolution verabschiedet hat.

Die Chemiewaffen sollen vernichtet werden innerhalb eines Jahres, und wenn es nicht geschieht, wenn Assad nicht kooperiert, dann wird der Sicherheitsrat erneut beraten über mögliche militärische Konsequenzen. Das ist ein diplomatischer Erfolg, ohne Frage, aber bringt der auch irgendetwas ganz konkret? Wie sieht das die Opposition? Am Telefon begrüße ich Sadiqu Al-Mousllie vom Syrischen Nationalrat, er lebt und arbeitet in Braunschweig. Guten Morgen!

Sadiqu Al-Mousllie: Guten Morgen, Herr Frenzel, hallo!

Frenzel: Was bringt diese Resolution, ist sie wichtig oder ist sie nur geduldiges Papier?

Al-Mousllie: Wir sagen erst mal, dass es schon längst überfällig war, dass der Weltsicherheitsrat sich mit der syrischen Frage in dieser Art und Weise auch beschäftigt und auf jeden Fall eine Resolution herausbringt, in der es auch verurteilt wird, dass die chemischen Waffen eingesetzt worden sind. Aber wir sehen auch die Resolution aus unserer Sicht als Syrer, als syrische Bevölkerung, und wir sehen, dass diese Resolution mehr die Interessen der Nachbarländer von Syrien und die Interessen der internationalen Staatengemeinschaft in den Fokus nimmt, aber nicht der Syrer.

Frenzel: Wieso ist das so, wie kommen Sie darauf, dass das so ist?

Al-Mousllie: Weil in dieser Resolution keineswegs über die syrische Bevölkerung gesprochen wird, keineswegs über das Leid der syrischen Bevölkerung, über die zweieinhalb Jahre, über die Toten, die 150.000 Toten mittlerweile. Es wird nicht mehr gesprochen über humanitäre Korridore, um auch der syrischen Bevölkerung zu helfen, es wird nicht über (O-Ton an dieser Stelle nicht verständlich) beispielsweise gesprochen, das seit neun Monaten belagert ist, dass kein Essen, kein Wasser da reinkommt, Kinder sterben da.

Diese Resolution fokussiert überhaupt nicht das Leid der syrischen Bevölkerung, nicht die syrische Revolution, und damit hilft es nicht direkt den Syrern, sondern es hilft mehr, jetzt eine gewisse Sicherheit vielleicht für die Welt zu erreichen, aber das syrische Regime tötet weiter. Das Töten, das tägliche Töten geht weiter. In diesem Sinne ist es keine große Hilfe für die Syrer bis jetzt.

Frenzel: Hätten Sie sich gewünscht, dass in dieser Resolution ein klarerer Gewaltmechanismus verankert wird? Also sprich, wenn Assad jetzt die Chemiewaffen nicht beseitigt, dass dann wirklich etwas passiert?

"Wenn der Westen nicht eingreift, wird die Sache komplizierter"
Al-Mousllie: Wir sind der Meinung, dass Assad, und Russland hinter Assad und dem Iran natürlich, dass die das Ganze als einen Zeitgewinn sehen. Sie werden weiterhin noch verhandeln, es wird länger dauern, bis man diese C-Waffen dann gefunden hat beziehungsweise auch zerstört hat. Währenddessen und während der Gespräche, das ist der beste Beweis, dass wir jetzt sehen, dass jeden Tag Leute getötet werden. Insofern, wir wünschten auf jeden Fall, dass man auch mit mehr Konsequenzen drohen würde, damit Assad und sein Regime und die Leute hinter ihm, in diesem Fall Russland, wissen würden, wenn man dem nicht wirklich Folge leistet, dass doch große und ernsthafte Konsequenzen kommen.

Frenzel: Welche Verantwortung trägt die Opposition dabei? Sie sprechen für den gemäßigten Teil der Opposition, den Teil, der die Demokratie will. Wie ist es mit den anderen Kräften, die ja immer stärker werden? Die Dschihadisten, die von Al-Kaida gesteuerten Kräfte, sind die nicht längst der größere Schrecken als Assad und sein Regime?

Al-Mousllie: Das ist genau das Problem, was wir seit einigen Monaten haben. Wir haben am Anfang immer wieder gewarnt, dass man auf jeden Fall eingreifen müsste, dass man kein Vakuum lässt, denn dieses Vakuum wird immer gefüllt von anderen Gruppierungen. Wir haben dafür geworben, dass man die Opposition auch unterstützt. Ich mache persönlich, ehrlich gesagt, auch die USA dafür verantwortlich, dass wir auch solche extremistischen Gruppierungen in Syrien haben, denn sie haben von vornherein auch die Unterstützung verweigert.

Aber man muss auch sagen, dass diese Sache mit den Dschihadisten, auch wenn es uns ein Dorn im Auge ist, trotzdem nicht so übertrieben werden sollte, wie es jetzt gemacht wird in den Medien, dass man das als eine Ausrede nimmt, nicht der syrischen Bevölkerung zu helfen und nicht der Opposition – ich meine hier die bewaffnete Opposition – zu helfen und zu unterstützen. Wir haben es auch gesehen in der Rede von Herrn (O-Ton an dieser Stelle nicht verständlich) in der UNO, er hat von vielem gesprochen, er hat auch von der Beendigung der Assad-Ära und dieser Unterdrückung gesprochen, aber die Medien, leider Gottes, und auch viele der politischen Analysen haben nur davon gesprochen, wie die Dschihadisten in Syrien sind. Ich sage einfach so, wenn wir nicht uns einmischen und wenn wir in Europa auch weiter außen bleiben, werden die Dschihadisten vielleicht auch mehr werden, und die Sache wird komplizierter werden, je länger man wartet.

Frenzel: Wir sehen Bewegung in der ganzen Region, wir sehen Bewegung vor allem im Iran in den letzten Wochen und Monaten. Haben Sie Hoffnung, wenn Sie den neuen Präsidenten Rohani hören, seine gemäßigten Töne, dass sich das auch auf Ihren Konflikt auswirken wird?

"Der Iran versucht Kapital zu schlagen aus syrischem Blut"
Al-Mousllie: Statements sind immer geduldig, das ist auch leicht, darüber zu reden. Wir sehen in diesem Fall keine große Veränderung in der Politik Irans, im Gegenteil. Die Politik Irans, vielleicht agiert sie etwas diplomatischer und versucht, Kapital zu schlagen aus dem Blut, aus dem syrischen Blut und aus dem Einmischen in Syrien zugunsten des Irans, in diesem Fall des nuklearen Programms. Und dass man das in den Fokus auch bringt wiederum und die Hunderten Tote jeden Tag vergisst in Syrien, ist natürlich leider Gottes auch, wie gesagt, typisch für die ganze Geschichte, wie es jetzt auch läuft.

Die Nachbarländer Syriens sind viel wichtiger als die syrische Bevölkerung. Aber man muss eines vor Augen führen: Die syrische Bevölkerung mit ihrer Standhaftigkeit, mit ihrem wirklich, alles was … Sie geben alles, was sie haben, auch ihr Blut. Das hat gezeigt, dass diese Region viel mehr braucht als das, was bis jetzt die Welt gegeben hat. Und insbesondere hat es auch den Iran in Blamage gebracht. Und davon profitiert natürlich die internationale Staatengemeinschaft.

Frenzel: Herr Al-Mousllie, kann es denn aber eine Lösung ohne den Iran geben, und ich übersetze das mal, eine Lösung ohne Assad?

Al-Mousllie: Der Iran ist ein wichtiger Partner in der Region natürlich. Und wir wollen natürlich auch, dass der Iran gewissermaßen beruhigt ist in der Region. Aber wir können gleichzeitig nicht das syrische Blut so ignorieren. Und auch jemand, der Beihilfe zu Mord geleistet hat, der Iran leistet Beihilfe zu Mord, wenn nicht auch vielleicht einen direkten Mord hier begeht. Denn wir haben iranische Soldaten auf dem syrischen Boden, wir haben iranische Waffen, das ist nicht einfach so von der Hand zu weisen. Und hier muss auch die syrische Opposition sich fragen in allem, was sie in der Zukunft auch wirklich abschließt, sprich: Genf II, ob das im Interesse der syrischen Bevölkerung ist und ob die syrische Bevölkerung das wirklich annehmen wird.

Frenzel: Also, die Skepsis ist weiter groß bei der syrischen Opposition. Sadiqu Al-Mousllie war das vom Syrischen Nationalrat, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Al-Mousllie: Bitte schön!


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