Briefe an Anne
"Das Tagebuch der Anne Frank" ist eines der erschütterndsten Dokumente der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg. Jetzt kommt der Stoff als Spielfilm in die Kinos. Die Rolle der Anne spielt Lea van Acken, die sich ihrem Filmcharakter über Briefe angenähert hat.
Den Namen Anne Frank, den kannte Lea van Acken natürlich, bevor sie die Einladung zum Casting bekam. Aber gelesen hatte sie das berühmte Buch aus dem Hinterhaus in Amsterdam nicht. Erst kurz vor dem ersten Treffen mit Regisseur Steinbichler hat sie es gelesen. Als dann die Zusage kam, war der Respekt vor dieser Rolle groß.
"Ich hatte ein bißchen Scheu, es noch mal zu lesen. Ich wollte mir nicht anmaßen, jetzt ihre Geschichte oder sie spielen zu wollen und mich in ihre Gedanken rein fressen zu wollen, weil so ein Tagebuch ja auch etwas sehr Intimes ist. Ich habe dann Briefe an Anne geschrieben, um ihr auch etwas von mir zu erzählen. Ich habe ihr was von mir erzählt. Dann konnte ich das Tagebuch erneut lesen und fand es okay, mich in sie hineinzuversetzen."
"Ich wollte Anne etwas von mir erzählen"
Briefe, die sie nie abgeschickt hat, die ihr aber geholfen haben, sich der Rolle anzunähern. Kein ungewöhnlicher Akt in der Rollenvorbereitung eines Schauspielers. Aber für die 16-jährige Lea van Acken dennoch ein enormer Schritt.
"Im ersten Brief habe ich ihr einfach meinen Respekt ausgesprochen und gefragt, ob es okay ist für sie, dass ich sie spielen möchte. Natürlich habe ich nie eine Antwort bekommen, aber das war mir gar nicht wichtig. Anne schreibt ja auch an Kitty, also ihr Tagebuch, bekommt auch nie eine Antwort. Über das Schreiben konnte ich mich aber ausdrücken. In den nächsten Briefen habe ich ihr von der Schule erzählt, von meiner Familie, von ganz normalen Dingen, die mich beschäftigen und die ich gerne mitteilen wollte."
Ganz normale, alltägliche Dinge aus dem Leben eines Teenagers. Normal – genau das ist es, was Anne nie sein konnte. Über zwei Jahre lang versteckte sich Anne mit ihrer Familie in einem Amsterdamer Hinterhaus vor den Nazis. Für die Enge findet Regisseur Hans Steinbichler bedrückende Bilder. Ein Gefühl, dass für Lea van Acken auch bei den Dreharbeiten aufkam.
"Sie sagt am Anfang, dass sie sich nicht vorstellen kann, die ganze Zeit zu sitzen, die Situation wie der Einbruch. Das war beim Dreh, es war so unglaublich anstrengend, zu acht in diesem kleinen Raum zu sein und ja nur für die Zeit des Drehs so zu verharren und sich vorzustellen, dass die zwei Tage in dem Raum waren, das ist unvorstellbar. Ich weiß nicht, wie ich in so einer Situation reagieren würde, wie ruhig ich sein könnte, wie viel Disziplin ich haben könnte. Aber im Endeffekt war es die Todesangst, die von außen alles zusammengedrückt hat."
"Anne war für ihr Alter sehr weit vorn"
Lea van Acken ist eine aufgeweckte 16-Jährige. "Das Tagebuch der Anne Frank" ist erst ihr zweiter Film. Vor zwei Jahren entdeckte sie Dietrich Brüggemann für seinen Film "Kreuzweg". Van Acken spielte hier ein junges, magersüchtiges Mädchen auf den 14 Leidensstationen Christi. Der Film hatte etwas Theaterhaftes, wurde in 14 starren Einstellungen gedreht. Ganz anders als Anne Frank. An ihr mochte van Acken vor allem die Vielschichtigkeit.
"Auf der einen Seite sehr selbstreflektierend. Wie sie sich analysiert Diese humorvolle Seite, dass sie Witze macht, sie flirtet, hat tausend Verehrer, die alle auch mal ein bisschen lästig finden, dann aber auch diese tiefe Seite, dass sie viel nachdenkt, viel die Leute beobachtet. Sie hatte eine unglaubliche Beobachtungsgabe. Anne war ein ganz kluges Mädchen und für ihr Alter sehr weit vorne. Neugierig, mutig, temperamentvoll, hoffnungsvoll. Dass dieser Funken, der im Tagebuch ja so bleibt und dass sie dadurch auch heute noch weiterlebt."
Mit dem Film treten Anne Frank und ihr Tagebuch wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit. Das sei gut und wichtig, meint Lea van Acken. Denn gerade heute müssten wir uns alle an die Geschichte von damals erinnern. Damit sie sich nicht wiederholt.
"Was mir klar geworden ist, was wichtig ist, ist Zivilcourage. Man sieht an dem Beispiel der Franks und den anderen Hinterhausbewohnern: sie hätten ohne die vier Mitarbeiter nicht da zwei Jahre im Hinterhaus leben können. Da gibt es natürlich Parallelen zu heute. Annes Geschichte zeigt, wo Fremdenfeindlichkeit und Rassismus hinführen."