Das ultimative Buch zur ägyptischen Revolution
Frust-Gespräche zwischen Taxifahrer und Fahrgast: Chalid al-Chamissis Erzählungsband über die Verhältnisse in Mubaraks Ägypten hat die jüngsten Proteste befeuert. Jetzt erscheint es in deutscher Übersetzung.
Der Weltgeist muss beim Timing des Erscheinens der deutschen Ausgabe von Chalid Chamissis Erzählungsband "Im Taxi" seine Finger im Spiel gehabt haben: Mit dieser Publikation haben wir das ultimative Buch zur ägyptischen Revolution vor uns – nicht nur eines, das uns die Situation am Nil erklärt, sondern auch eines der literarischen Werke, die ein Katalysator der Protestbewegung gewesen sein dürften.
Der 1962 geborene Autor, ein studierter Politikwissenschaftler, der heute in Kairo eine Medienagentur betreibt, engagiert sich intensiv in der Protestbewegung. Sein 2007 in Kairo publizierter Erstling war ein Überraschungserfolg, der die Lesegewohnheiten der Ägypter auf den Kopf stellte. Er zeichnet sich nämlich durch einen fast dokumentarischen Realismus aus und ist stilistisch geprägt von einer einfachen, schnörkellosen Sprache: "Im Taxi" ist im lokalen ägyptischen Dialekt statt in der schwerfälligen arabischen Hochsprache geschrieben.
Die Geschichten funktionieren nach einem einfachen Muster. Der Erzähler hält eines der 80.000 Kairoer Taxis an und kommt mit einem der 250.000 Kairoer Taxifahrer ins Gespräch. Nach kurzem Beschnuppern und einer Beschreibung der oft kuriosen Gefährte und Fahrer öffnen sich regelmäßig die Schleusen: Wut und Trauer angesichts der eigenen Situation oder der des Landes sind die Themen dieser Gespräche, die oft von einem großartigen, sarkastischen Humor zeugen.
Da findet einer Aladins Wunderlampe und reibt an ihr. Der Geist erscheint und stellt ihm einen Wunsch frei. Eine Million Ägyptische Pfund verlangt der glückliche Lampenbesitzer. Aber der Geist händigt nur eine halbe Million aus. Warum? "Die Regierung ist mit fünfzig Prozent an der Lampe beteiligt!" Oder: Ein Polizist in Zivil steigt ins Taxi, lässt sich zu seinem Ziel kutschieren und statt zu bezahlen, verlangt er vom Taxifahrer Geld, andernfalls müsse er ihm den Führerschein abnehmen. Irgendetwas lasse sich schließlich immer beanstanden. "Eigentlich sind wir alle illegal."
Dass ein Kinoticket in Ägypten heute tausendmal so teuer ist wie vor zwanzig Jahren, gehört zu den vielen aufschlussreichen Kleinigkeiten, die nebenbei zu erfahren sind. Das zentrale Dilemma der arabischen Gegenwartsliteratur – die Probleme, denen sich die Literatur stellen muss, sind oft zu groß, um in nur eine Geschichte gepresst werden zu können – zerschlägt der Autor mit diesem Buch wie einen gordischen Knoten. Er lässt die Probleme unverschnörkelt, wie mit dem Tonband aufgenommen, zur Sprache kommen.
In einem Land, in dem Umfragen ohne Genehmigung der Staatssicherheit verboten sind, ist dieses Buch zugleich ein soziologischer, mit Fallbeispielen gespickter Essay, der endlich einmal all das zur Sprache bringt, was schiefläuft und was die Menschen darüber denken. Illusionen haben sie nicht: "Wir leben in einer einzigen Lüge. Die Regierung ist nur dazu da, zu überprüfen, ob wir die Lüge schlucken."
Besprochen von Stefan Weidner
Chalid al-Chamissi: Im Taxi. Unterwegs in Kairo
Aus dem Arabischen von Kristina Bergmann
Lenos Verlag, Basel 2011,
187 Seiten, 19,90 Euro
Der 1962 geborene Autor, ein studierter Politikwissenschaftler, der heute in Kairo eine Medienagentur betreibt, engagiert sich intensiv in der Protestbewegung. Sein 2007 in Kairo publizierter Erstling war ein Überraschungserfolg, der die Lesegewohnheiten der Ägypter auf den Kopf stellte. Er zeichnet sich nämlich durch einen fast dokumentarischen Realismus aus und ist stilistisch geprägt von einer einfachen, schnörkellosen Sprache: "Im Taxi" ist im lokalen ägyptischen Dialekt statt in der schwerfälligen arabischen Hochsprache geschrieben.
Die Geschichten funktionieren nach einem einfachen Muster. Der Erzähler hält eines der 80.000 Kairoer Taxis an und kommt mit einem der 250.000 Kairoer Taxifahrer ins Gespräch. Nach kurzem Beschnuppern und einer Beschreibung der oft kuriosen Gefährte und Fahrer öffnen sich regelmäßig die Schleusen: Wut und Trauer angesichts der eigenen Situation oder der des Landes sind die Themen dieser Gespräche, die oft von einem großartigen, sarkastischen Humor zeugen.
Da findet einer Aladins Wunderlampe und reibt an ihr. Der Geist erscheint und stellt ihm einen Wunsch frei. Eine Million Ägyptische Pfund verlangt der glückliche Lampenbesitzer. Aber der Geist händigt nur eine halbe Million aus. Warum? "Die Regierung ist mit fünfzig Prozent an der Lampe beteiligt!" Oder: Ein Polizist in Zivil steigt ins Taxi, lässt sich zu seinem Ziel kutschieren und statt zu bezahlen, verlangt er vom Taxifahrer Geld, andernfalls müsse er ihm den Führerschein abnehmen. Irgendetwas lasse sich schließlich immer beanstanden. "Eigentlich sind wir alle illegal."
Dass ein Kinoticket in Ägypten heute tausendmal so teuer ist wie vor zwanzig Jahren, gehört zu den vielen aufschlussreichen Kleinigkeiten, die nebenbei zu erfahren sind. Das zentrale Dilemma der arabischen Gegenwartsliteratur – die Probleme, denen sich die Literatur stellen muss, sind oft zu groß, um in nur eine Geschichte gepresst werden zu können – zerschlägt der Autor mit diesem Buch wie einen gordischen Knoten. Er lässt die Probleme unverschnörkelt, wie mit dem Tonband aufgenommen, zur Sprache kommen.
In einem Land, in dem Umfragen ohne Genehmigung der Staatssicherheit verboten sind, ist dieses Buch zugleich ein soziologischer, mit Fallbeispielen gespickter Essay, der endlich einmal all das zur Sprache bringt, was schiefläuft und was die Menschen darüber denken. Illusionen haben sie nicht: "Wir leben in einer einzigen Lüge. Die Regierung ist nur dazu da, zu überprüfen, ob wir die Lüge schlucken."
Besprochen von Stefan Weidner
Chalid al-Chamissi: Im Taxi. Unterwegs in Kairo
Aus dem Arabischen von Kristina Bergmann
Lenos Verlag, Basel 2011,
187 Seiten, 19,90 Euro